Die muslimische afghanische Künstlerin Mahbuba Maqsoodi gestaltet aktuell ein Friedensfenster in Dörverden – angesichts der Fülle von globalen Konflikten. Maike Maria Domsel (Bonn) mit einer Analyse und Fragen, die sich aus diesem Werk ergeben.
Konflikte und Kriege prägen die globale politische Landschaft und werfen grundlegende Fragen nach den Möglichkeiten eines dauerhaften Friedens auf. Von den militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine über Spannungen im Nahen Osten bis hin zu anhaltenden Krisen in Afrika zeigt sich eine Welt, die zunehmend von Gewalt und Unsicherheit bestimmt wird. Frieden wird nicht als Idealzustand, sondern als prekäre Errungenschaft verstanden, die unter geopolitischen und sozialen Spannungen stets neu erkämpft werden muss.
Unter den Bedingungen von Gewalt menschliche Solidarität und Hoffnung bewahren.
Vor diesem Hintergrund steht das „Friedensfenster“ der deutsch-afghanischen Künstlerin Mahbuba Maqsoodi, das auf Initiative der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Dörverden entsteht. Mit interkultureller und religionsübergreifender Perspektive thematisiert Maqsoodis Werk universelle Fragen von Krieg und Frieden. Es widmet sich der Zerbrechlichkeit des Friedens und der Herausforderung, unter Bedingungen von Gewalt menschliche Solidarität und Hoffnung zu bewahren.
Diese Perspektive wird besonders deutlich angesichts zahlreicher anhaltender Konflikte, wie dem Israel-Hamas-Konflikt, sowie Kriegen in der Ukraine, im Sudan und im Jemen. Auch in Somalia und der DR Kongo leidet die Bevölkerung unter fortwährenden Auseinandersetzungen, die traditionelle Vorstellungen von Frieden tiefgreifend verändert haben. Maqsoodis Werk wirft die Frage auf, wie wir in einer gewaltgeprägten Welt neue Friedenskonzepte entwickeln können. Frieden wird nicht länger als statische Idee betrachtet, sondern als fortlaufende Aufgabe, die sicherheitspolitische Maßnahmen und diplomatische Lösungen erfordert. Gleichzeitig rückt die Ethik von Verteidigungsstrategien in den Fokus, insbesondere ihre langfristigen gesellschaftlichen Folgen.
Können Glaube, Theologie und Kirche mehr als bloße Symbolpolitik betreiben und wirkliche Wege zur nachhaltigen Konfliktbewältigung aufzeigen?
Diese Debatten verdeutlichen, wie stark der Zeitgeist das Verständnis von Frieden beeinflusst. In einer von globalen Krisen geprägten Ära erscheint Frieden nicht als dauerhaft erreichbares Ziel, sondern als fragile Errungenschaft, die stets neu verhandelt wird. Oft wird dieser Zustand durch politische Interessen und moralische Zugeständnisse belastet. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Rolle Glaube, Theologie und Kirche in diesem Kontext einnehmen können. Können sie mehr als bloße Symbolpolitik betreiben und wirkliche Wege zur nachhaltigen Konfliktbewältigung aufzeigen? Diese Fragen erfordern eine tiefere Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen kirchlicher Friedensarbeit in einer instabilen Welt.
„Kann Frieden tatsächlich durch Waffen erreicht werden, wenn Waffen doch vor allem Vernichtung bedeuten?“
Ein bemerkenswerter Impuls in dieser Richtung kommt von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Dörverden, Niedersachsen. Auf Initiative und durch Spenden der Gemeindemitglieder entsteht dort ein „Friedensfenster“ mit dem Titel „Zeitgeist/Frieden“. Die deutsch-afghanische Künstlerin Mahbuba Maqsoodi – Muslima und bekennende Humanistin – schafft dieses Kunstwerk, das über religiöse und kulturelle Grenzen hinausgeht. Maqsoodi bringt eine klare pazifistische Botschaft zum Ausdruck und reflektiert über die von ihr beobachtete Distanz vieler, vor allem junger Menschen zum Thema Krieg. Sie stellt die provokante Frage: „Kann Frieden tatsächlich durch Waffen erreicht werden, wenn Waffen doch vor allem Vernichtung bedeuten?“[1] Ihre Arbeit fordert dazu auf, über alternative Wege zur Friedenssicherung nachzudenken und die Vorstellung zu überwinden, dass Gewalt eine nachhaltige Lösung für tiefgreifende gesellschaftliche und politische Probleme bieten kann.
Im unteren Bereich offenbart das Fenster eine Palette aus Purpur- und Violetttönen, die in tiefes Rot übergehen und an Blut erinnern. Hier zerbrechen schemenhafte Körper unter einer unsichtbaren Last, ihre Konturen von Leiden gezeichnet. Eine zentrale Figur stürzt, wird jedoch von den Händen anderer getragen, während ihre Gesichter in eine Richtung blicken, die jenseits des Bildes liegt und auf etwas Unbestimmtes verweist. Kühle Grün- und Blautöne bieten einen fremdartigen Kontrast zum Chaos. In der Mitte erhebt sich eine Sanduhr als Symbol des unaufhaltsamen Flusses der Zeit. Neben dieser erscheinen kleinere Figuren, die in einen Zustand melancholischer Präsenz eingebettet sind. Links sieht man ein Gesicht in Türkis und Violett, das sanft lächelnd, aber auch ein wenig entrückt und von leiser Traurigkeit durchzogen ist. Rechts streckt eine Hand nach oben – ein Symbol des verzweifelten Suchens. Der Übergang in die helleren Gelb- und Ockertöne des oberen Bildteils bringt eine beruhigende Harmonie und Stille. Ein angedeutetes Kreuz, in warmen Braun- und Goldtönen gehalten, verweist auf Transzendenz und strahlt eine Sehnsucht nach Erlösung und Frieden aus.
Ein deutungsoffenes Kunstwerk.
„Zeitgeist/Frieden“ entfaltet sich als ein deutungsoffenes Kunstwerk, das die komplexe Thematik von Krieg und Frieden reflektiert und sie in einen tiefgründigen gesellschaftlichen und religiösen Kontext einbettet. Der untere Bildbereich fängt das Chaos des Krieges und die Zerstörung ein, während die leidenden Figuren, die sich schützend zusammenschließen, die menschliche Ohnmacht gegenüber globalen Konflikten symbolisieren. Das Gesicht in Türkis – eine Hommage an Maqsoodis ermordete Schwester – fügt dem Werk eine tiefgehende emotionale Dimension hinzu. Ihr sanftes, melancholisches Lächeln verkörpert Hoffnung, die trotz der Dunkelheit präsent bleibt.
Im oberen Bildbereich verkörpern die nach oben ausgestreckten Hände und das sanft diffundierende Licht den langwierigen, aber kontinuierlichen Prozess auf dem Weg zu Frieden und Erlösung. Die Sanduhr symbolisiert den Zyklus von Zerstörung und Wiederaufbau. Der Kontrast zwischen den chaotischen unteren und den harmonischeren oberen Bildbereichen veranschaulicht den Spannungsbogen zwischen Dunkelheit und Licht, während die Bewegung der Figuren nach oben und das erfüllende Licht die Hoffnung auf eine bessere Zukunft darstellen. Das Werk kommuniziert eine universale Botschaft, die über religiöse und kulturelle Grenzen hinausgeht und sich mit den existenziellen Fragen von Krieg, Frieden und der menschlichen Beziehung zur Zeit auseinandersetzt.
Spannungsbogen zwischen Dunkelheit und Licht, Hoffnung und Verzweiflung.
Maqsoodis Arbeit erfordert eine feinfühlige Betrachtung und bietet Raum für Reflexion über gegenwärtige globale Konflikte, ohne die Brutalität des Krieges explizit darzustellen. Die Sanduhr steht als Symbol für die unaufhörliche Wiederholung der Geschichte, den Zyklus von Zerstörung und Wiederaufbau. Der Kontrast zwischen den chaotischen unteren Bildbereichen und den harmonischeren Farben im oberen Teil verdeutlicht den Spannungsbogen zwischen Dunkelheit und Licht, Hoffnung und Verzweiflung. Letztlich überwiegt die Hoffnung, die sich in der Bewegung der Figuren nach oben und hin zum Licht widerspiegelt – eine Hoffnung, die tief verwurzelt, aber keineswegs naiv ist, sondern die Herausforderungen der Realität reflektiert und den Wunsch nach Erlösung konkretisiert.
In einem sakralen Raum wird das Kirchenfenster zu einem Ort der Reflexion über die Spannungen zwischen Frieden und Gewalt. Die Darstellung von Maqsoodi spricht die drängenden ethischen und moralischen Dilemmata unserer Zeit an. Das Werk fordert dazu auf, die eigene Haltung zum Frieden in einer Welt, die immer wieder von Konflikten erschüttert wird, zu hinterfragen und neue Perspektiven zu entwickeln.
Fragen an die Hoffnung …
Angesichts der anhaltenden kriegerischen Konflikte und des ständigen Leids erheben sich grundlegende Fragen: Kann Hoffnung in solch herausfordernden Zeiten bestehen bleiben? Wie kann Hoffnung in einer Welt existieren, die von fortwährendem Schmerz und Gewalt geprägt ist? Aus welchen Quellen schöpft sie ihre Kraft? Ist Hoffnung nicht häufig lediglich ein Versuch, der harten Realität zu entkommen?
Der christliche Glaube bietet eine Perspektive, indem er Hoffnung auch in den Momenten bejaht, in denen sie der augenscheinlichen Realität zu widersprechen scheint. Diese Hoffnung manifestiert sich im „Dennoch“ des Glaubens – einer tiefen Zuversicht, dass Frieden und Erlösung nicht bloß theoretische Konzepte, sondern erreichbare Ziele sind. Diese Zuversicht basiert nicht auf der Verleugnung von Leid, sondern auf der Überzeugung, dass göttliches Wirken den Menschen die Möglichkeit verleiht, aktiv Wege zur Versöhnung und zum Frieden zu gestalten. Jesaja 41,10 bringt diese Haltung prägnant zum Ausdruck: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; sei nicht verzagt, denn ich bin dein Gott.“
Die Herausforderung besteht darin, verhärtete Fronten aufzubrechen und das Leid der Betroffenen ernst zu nehmen.
Diese Zusage deutet darauf hin, dass die Hoffnung auf Transformation und Heilung nicht ausschließlich auf göttliches Eingreifen angewiesen ist, sondern auch auf das entschlossene und reflektierte Handeln der Menschen, das stets auf die Probe gestellt wird. Nachhaltige Versöhnung ist keineswegs einfach zu erreichen; sie darf nicht über die Köpfe der Opfer hinweggehen oder deren Leid banalisieren. Eine wesentliche Herausforderung besteht darin, verhärtete Fronten aufzubrechen und das Leid der Betroffenen ernst zu nehmen, während gleichzeitig respektvolle Wege zur Versöhnung gefunden werden.
In diesem Kontext entfaltet das Kirchenfenster „Zeitgeist/Frieden“ von Mahbuba Maqsoodi seine tiefere Bedeutung. Durch die Darstellung der Komplexität und Dringlichkeit aktueller Konflikte fordert es zu einem tiefergehenden Verständnis der Herausforderungen und Möglichkeiten des Friedens auf. Es fordert dazu auf, die Rolle von Theologie und Kirche in der Konfliktbewältigung zu reflektieren und bietet eine Plattform zur Reflexion über die aktive Rolle des Menschen in der Hoffnung auf Transformation und Erlösung.
[1] Aus einem Gespräch mit Maqsoodi am 03.09.24.
Dr.in theol. Maike Maria Domsel, Privatdozentin an der Universität Bonn am Seminar für Religionspädagogik, religiöse Erwachsenenbildung und Homiletik; Lehrerin für Katholische Religion und Französisch am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Bonn / an der Katholischen Grundschule Sankt Martin in Sankt Augustin; Bereichsherausgeberin des Handbuches der Religionen (HdR) für den Bereich Religionspädagogik und Katechetik
Bild: Maqsoodi
Beitragsbild: Zeit-Geist-©-Mahbuba-E.-Maqsoodi
Bereits von der Autorin erschienen (u.a.):
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