Die Mühen des Forschens sind jedem, der es einmal versucht hat, nur zu gut bekannt. Was aber kann theologische Forschung so faszinierend machen? Von Rainer Bucher.
Man fängt an, hat eine Idee, weiß nicht, wo sie hinführt und wie man überhaupt an irgendein respektables Ziel kommt. Forschen kann wie Bergwerksarbeit sein: mühsam, im Dunkeln, vor hartem Fels, ermüdend, mit wenig Fortschritt und oft ist man auch ziemlich allein vor der Wand. Und was das wert ist und wie das beurteilt wird, was irgendwann vielleicht herauskommt, das weiß man auch nicht wirklich.
Aber Forschung kann auch erotisch sein, faszinierend, lockend, sinnlich, ein Spiel des Gebens und Nehmens, des Entdeckens und Verbergens, wo um die nächste Ecke das Abenteuer der Ideen und die Wonnen der Erkenntnis warten und die unwiderstehliche Erfahrung: Es hat sich gelohnt. Drei Vorschläge, was theologisches Forschen faszinierend machen kann.
1. Nichts muss bleiben, wie es war:
Die Faszination des neuen Blicks
Das europäische Wissenschaftsprojekt basiert auf der ausgesprochen kontraintuitiven Annahme, dass sich Erkenntnisgewissheit und Erkenntniszweifel nicht widersprechen, sondern gegenseitig bedingen, dass also Stabilität und Fluidität im Wissen gleichzeitig festgehalten werden müssen, dass man zum Erkannten gleichzeitig stehen und es sofort wieder in Frage stellen muss.
Ideologische Systeme haben bis heute ihre Probleme damit und meinen, Stabilität durch das Verbot des Zweifels herstellen zu können; meist ist dies nur die letzte Phase vor ihrem Verschwinden.
Wissenschaft ist methodisch kontrollierter, auf allen Ebenen selbstreflexiver und selbstkritischer Erkenntnisgewinn. Das Faszinierende daran: Es funktioniert. Es gibt Neues, man entdeckt Neues, nichts muss in Denken und Gestalten bleiben, wie es war.
Was passieren kann, wenn sich Wissenschaft selbst ideologisiert, ihren konstitutiven Selbstzweifel eliminiert und der Macht andient, das wurde in den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts nur zu sichtbar – und der gegenwärtige Souverän, der globale Kapitalismus, ist für die Wissenschaften auch weit weniger harmlos, als er tut. Aber es bleibt die Faszination des neuen Blicks, des anderen Wissens, des: Es muss in Denken wie Gestalten nichts bleiben, wie es ist.
2. Das Alte bewährt sich:
Die Faszination der Tradition
Nun sind christliche Theologinnen und Theologen nicht irgendwelche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern der Offenbarungsgeschichte Gottes mit dem Volk verpflichtet, einer Geschichte, die mit der Schöpfung begann, im Volk Israel sich fortsetzt, in Jesus Christus ihren Höhepunkt erreicht hat und nach ihm nicht einfach aufgehört hat.
Das Problem mit diesem Glauben ist, dass ihn als Behauptung in die Welt zu stellen heute rein gar nichts mehr bringt. Dekontextualisierte theologische Traditionsstatements, die letztlich dazu auffordern, sich erst einmal in vergangene Zeiten zurückzubeamen, um Sinn und Bedeutung der Tradition entdecken zu können, sind ebenso anachronistisch wie wirkungslos. Sie musealisieren die Tradition, letztlich glauben sie nicht an ihre produktive Kreativität.
Es braucht also eine wirkliche Entdeckung der christlichen Tradition in der Welt dieser Zeit, nicht nur etwas Übersetzung des Alten, sondern wirkliche Neuentdeckung ihres Sinns und, wichtiger noch, seiner Bedeutung heute.
Theologische Forschung ist faszinierend, wenn man in ihr die Erfahrung macht: Solche Neuentdeckungen sind möglich. Sicher: Sie sind riskant, fragil und prekär, aber möglich und haben gerade in dieser Fragilität und Prekarität wirklichen dogmatischen Status.
Tradition ist die „Demokratie der Toten“ hat Chesterton geschrieben und subtil begründet: Demokratie heißt niemanden ausschließen, Tradition heißt, niemanden ausschließen, nur weil er tot ist. Tradition als Demokratie heißt dann aber auch: Niemanden ausschließen, weil er heute lebt, wer immer er auch ist.
Theologische Forschung ist faszinierend, wenn sie unsere großen Traditionen den ungebändigten, ungezähmten, undomestizierten Realitäten unserer Gegenwart aussetzt, dabei vor nichts und niemandem Angst hat, und so dieser Tradition vertraut, aber auch an diese Gegenwart als Zeit Gottes glaubt. Und dann schaut, was passiert.
3. Es geht um uns:
Die Faszination der eigenen Existenz
Theologie ist kein intellektuelles Glasperlenspiel, keine Demutsübung in akademischem Fleiß, auch nicht einfach braves Nachsprechen der großen Tradition, sondern: Theologie ist ein Projekt der eigenen Existenz.
Anders gesagt: Theologie lernt man nur, indem man sie selber treibt. Theologische Forschung ist faszinierend, wenn sie jenseits des Handwerks, das sie natürlich auch ist, genau das tut: Theologie treiben, wenn sie ein Projekt der eigenen Existenz ist, ein Projekt der Entdeckung dieser Existenz wie ein existentielles Projekt.
Es geht in theologischer Forschung nicht um brave Wissenschaft, dazu sind die Zeiten zu ernst, und dazu ist auch das uns von den theologischen Vätern und Müttern in die Hände Gegebene zu groß, zu revolutionär, und dazu sollten wir schließlich auch uns für zu wichtig nehmen. Es geht im theologischen Forschen wirklich um uns, um unsere Zukunft in einer gefährdeten Welt.
Die Faszination, dass nichts bleiben muss, wie es ist, die Faszination, dass die Tradition sich bewähren kann, wenn auch immer nur als gewagte, und die Faszination, dass es um uns geht in der Theologie, wirklich um uns, diese Faszinationen kann theologische Forschung entwickeln.
Nicht immer und überall, aber immer wieder.
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Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Graz und Mitglied der feinschwarz Redaktion.
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Photo: Rainer Bucher