Der Bestimmung einer vom Menschen geprägten Epoche, dem Anthropozän, als „gutes Zeitalter“ geht Armin Grunwald nach. Er plädiert mit dem Begriff für ein verantwortungsbewusstes Handeln als Alternative zum Fatalismus.
Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen, Entdecker der Verursachungskette des Ozonlochs, hat im Jahre 2000 vorgeschlagen, das gegenwärtige Zeitalter Anthropozän zu nennen: das Zeitalter des Menschen. Viele haben sich diesem Vorschlag angeschlossen, in diesem Jahr wird er voraussichtlich von der zuständigen internationalen Kommission für Stratigraphie offiziell angenommen. Der Mensch ist danach zur beherrschenden Kraft auf dem Planeten geworden, nicht nur zivilisatorisch und ökonomisch, sondern auch in geologischen Zeitdimensionen. Auf der Erde gibt es wohl keinen Ort mehr, wo nicht die Spuren des Menschen zu finden sind: Häuser und Industrieanlagen, Bergwerke und Verkehrswege, Land- und Forstwirtschaft, Technik und Innovation, aber im Rahmen der Anreicherung von Luft, Wasser und Boden durch Emissionen unterschiedlicher Art.[1]
Unerwünschte Folgen menschlicher Prägung
Der Beginn des Anthropozäns wird üblicherweise in Neuzeit und industrieller Revolution gesehen. Seitdem wurden Menschheit und Planet Erde durch Wissenschaft und Technik sowie Kapitalismus und Globalisierung massiv verändert. Die Weltbevölkerung stieg in den letzten 100 Jahren von zwei auf nun über acht Milliarden Menschen. In mancherlei Hinsicht ist das Anthropozän eine Erfolgsgeschichte der Menschheit. Es hat in vielen Fällen positive Folgen gezeigt – jedenfalls für den Teil der Erdbevölkerung, der, vor allem im Globalen Norden, Zugang zu seinen Vorteilen hat: erfolgreiche Bekämpfung von Krankheiten, Steigerung des Wohlstands, globale Mobilität und Kommunikation. Noch nie haben so viele Menschen unter guten bis sehr guten Bedingungen gelebt.
Allerdings gehören zum Anthropozän auch unerwünschte Folgen in teils dramatischem Ausmaß. So wurde mit der Erfindung der Atombombe der atomare Overkill technisch möglich, wurden mit dem Kolonialismus bis heute andauernde große Probleme geschaffen, ist extreme globale Ungerechtigkeit entstanden und fehlen Perspektiven eines menschenwürdigen Lebens in großen Teilen des globalen Südens. Die natürliche Umwelt wurde – und wird vielfach noch immer – als bloße Ressource für das Wohlergehen des homo oeconomicus angesehen. Damit wurde die planetare Erneuerungsfähigkeit drastisch überzogen, ein schneller Biodiversitätsverlust eingeleitet und ein unabsehbarer Klimawandel ausgelöst. Viele Menschen haben große Zukunftssorgen und kaum noch Hoffnung, bis hin zu Warnungen vor extremen Katastrophen bis hin zu einem Ende der Menschheit.
Die Menschheit ist
zur dominanten Einflussgröße geworden.
Trotz seiner positiven Seite für den privilegierten Teil der Weltbevölkerung ist das Anthropozän also offenkundig kein überwiegend gutes Zeitalter. Schlimmer noch, scheint es doch den Keim seines Untergangs in sich zu tragen. Kann es dennoch zu einem ‚guten Anthropozän‘ werden? Allein diese Frage mag provozierend wirken, gilt doch häufig das Anthropozän angesichts der oben genannten Negativerscheinungen selbst als Übel. Schließlich, so manche Begriffskritik, zeuge der Begriff bloß davon, dass Menschen weiterhin die Augen vor den planetaren Verwüstungen im Anthropozän verschließen und in ihrer so verwegen seien, ein ganzes geologisches Zeitalter nach sich selbst zu benennen.
Jedoch ist der Begriff des Anthropozän auch eingedenk dieser Kritik sinnvoll, vor allem, weil die zugrunde liegende Diagnose zutrifft: die Menschheit ist zur dominanten Einflussgröße auf dem Planeten geworden, und dies in geologischen Raum- und Zeitdimensionen. Denn viele Ausprägungen des Anthropozäns werden für lange Zeit Bestand haben, so etwa die Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre und die Anreicherung der Polarmeere mit Emissionen und Rückständen wie Mikroplastik. Sogar endgültig ist das Aus für viele Tier- und Pflanzenarten im Biodiversitätsverlust. Daran wird sich in den kommenden Jahrzehnten und wohl auch Jahrhunderten nichts prinzipiell ändern, denn Wirtschaft und Konsum haben Sachzwänge und Pfadabhängigkeiten erzeugt. Daher ist der Begriff Anthropozän als nicht wertende Beschreibung des Istzustandes sinnvoll und zutreffend.
Fähigkeit zu vorausschauender Verantwortung
Was aber tun in diesem bislang so problematischen Zeitalter? Die entscheidende Frage ist, ob und wie das Anthropozän doch noch zu einem guten Zeitalter werden kann, für Menschen wie auch für Um- und Mitwelt. Hier ist die Verantwortung des Menschen in besonderer Weise gefragt. Schließlich hat nach gegenwärtigem Wissensstand keine andere Spezies auf dem Planeten die Fähigkeit zu einer vorausschauenden und übergreifenden Verantwortung. Mit Verantwortung als Fähigkeit und Verpflichtung des Menschen als homo responsibilis[2] ist die ethische Verpflichtung verbunden, alles Erdenkliche zu tun, um aus dem Anthropozän im jetzigen Zustand ein besseres Zeitalter, möglichst ein gutes Anthropozän zu machen. Die Alternative wäre entweder ein weiterhin schlechtes Anthropozän – was niemand vernünftigerweise wollen kann – oder das Ende des Anthropozän, was angesichts der eingetretenen Pfadabhängigkeiten nur unter apokalyptischen Katastrophen einer drastischen Reduktion der Zahl der Menschen vorstellbar ist, was ebenfalls vernünftigerweise niemand wollen kann.
Wenn auch die Verantwortungslast erdrückend groß scheint und Hoffnungen auf Umkehr immer wieder enttäuscht wurden: wertvolles Handwerkszeug, Wissensbestände und Kompetenzen auf dem Weg zu einem guten Anthropozän wurden in den letzten Jahrzehnten unter dem Begriff der nachhaltigen Entwicklung wissenschaftlich entwickelt und immerhin fragmentarisch politisch umgesetzt. Nach der Definition der Brundtland-Kommission ist eine Entwicklung nachhaltig, „wenn sie die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“.
Leitbild nachhaltiger Entwicklung
Freilich ist diese Definition als Rezept für Maßnahmen und konkretes Management unbrauchbar. Immerhin gibt sie als Reflexionsvorschrift wie etwa der Kategorische Imperativ von Kant oder die Goldene Regel Orientierung, in welcher Richtung und nach welchen Kriterien Handlungsoptionen gesucht werden sollen, um dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung möglichst gut zu entsprechen. In diesem Sinne korrespondiert Nachhaltigkeit mit dem homo responsibilis, der über Verantwortung, Verantwortbarkeit, Verantwortungszuschreibung und Verantwortungsverteilung in Richtung auf ein gutes Anthropozän reflektiert, um zu guten Entscheidungen für die jeweils nächsten Schritte zu gelangen.
Damit ist die Aussicht auf ein gutes Anthropozän nicht von vornherein illusorisch. Viele Werkzeuge und Umsetzungsideen liegen vor. Hierzu gehören Technologien, aber auch Ideen für Regulierungen, Geschäftsmodelle und Anreizsysteme, welche nicht länger nachhaltiger Entwicklung zuwiderlaufen, sondern sie fördern. Die Umsetzung freilich ist höchstens als zögerlich zu bezeichnen. Dies führt nicht wenige in lähmenden Fatalismus. Dieser jedoch ist keine verantwortliche Option. Denn ohne aktives und verzahntes Eingreifen von der individuellen Ebene bis hin zur Staatengemeinschaft im Sinne einer transparenten Multiakteurs-Verantwortung[3] wird es kein gutes Anthropozän geben. Ob es homo responsibilis mit aktivem und reflektiertem Eingreifen gelingt, zu einem guten Anthropozän zu kommen, ist zwar ungewiss. Es aber gar nicht zu versuchen, etwa aus Fatalismus, wird jedoch mit Sicherheit das Anthropozän als schlechtes Zeitalter verfestigen. Von daher besteht eine moralische Verpflichtung zur Beteiligung an der Arbeit an einem besseren und vielleicht sogar guten Anthropozän.
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Armin Grunwald, Professor für Philosophie und Ethik der Technik und Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Foto: Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
[1] Ehlers, E. (2008): Das Anthropozän. Die Erde im Zeitalter des Menschen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
[2] Grunwald, A. (2021): Der homo responsibilis. Nachdenklicher Gang durch den Garten aktueller Erzählungen. In: A. Grunwald (Hg.): Wer bist du, Mensch? Transformationen menschlicher Selbstverständnisse im wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Freiburg: Herder, 216-239.
[3] Deutscher Ethikrat (2024): Klimagerechtigkeit. Berlin (im Erscheinen)
Titelbild: Mauro Mora / unsplash.com