Ist der „Synodale Weg“ Teil der Lösung oder Teil des Problems? Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke kommentiert die eröffnende Vollversammlung in Frankfurt/M. – und bleibt skeptisch.
Achtung, Anführungszeichen, damit kein Missverständnis entsteht: Selbstverständlich stehen Seiner Eminenz, Kardinal Woelki, rechtlich „Ehrfurcht und Gehorsam“ (c. 212 CIC) zu, die sich auch in der standesgemäßen Anrede ausdrücken. Die Anführungszeichen im Titel erinnern vielmehr an eine Situation während der ersten Vollversammlung des „Synodalen Weges“: Da wurde der Antrag gestellt, doch während der Sitzungen auf alle weltlichen und kirchlichen Titel zu verzichten, um angesichts der strukturell nicht zu beseitigenden Unterschiede wenigstens im Umgang ein Zeichen zu setzen und die für Katholik*innen außerliturgisch ungeübte Anrede „Schwestern und Brüder“ etwas alltagstauglicher zu unterfüttern. Der Antrag wurde von Frau Professorin Birgit Aschmann mit Verve unterstützt. Er löste aber vor allem Heiterkeit aus, wurde von Exzellenz Bischof Overbeck als Sitzungsleiter lauthals weggelacht und schließlich abgelehnt. Man saß ja schon alphabetisch egalisiert, damit musste es dann auch mal gut sein.
Augenhöhe und Gleichberechtigung?
Diese Sitzordnung war es dann auch, die Karin Kortmann, Vizepräsidentin des ZdK, in der Abschlusspressekonferenz die Plenarversammlung als „hierarchiefreien Raum“ (11‘) bezeichnen ließ, der „nicht danach sortiert war, dass es Kardinäle, Erzbischöfe, Weihbischöfe, Laien und Weitere gibt“. Man braucht einen Moment, um sich zu fassen und fragen zu können: Auf welcher Veranstaltung war Frau Kortmann? Oder hatte sie das permanente kontrafaktische Gerede von „Augenhöhe“ und „Gleichberechtigung“ intellektuell derart unpässlich gemacht, dass sie das ernsthaft glaubte?
Kleriker als Führungsstand, Lai*nnen als Gefolgschaftsstand, und dies unabänderlich, weil gottgewollt.
Fakt ist: In der Plenarversammlung sitzen, wenn alle da sind, über 100 Kleriker einer kleinen Mehrheit von Lai*innen gegenüber. Nach alle Katholik*innen zumindest offiziell verbindender Glaubensüberzeugung sind diese beiden Menschengruppen aufgrund der Weihe in zwei wesentlich verschiedene Stände geschieden (LG10, c. 207 CIC). Dabei kommen den Klerikern im Gottesvolk Exklusiv- und Vorrangrechte zu. Mit den Diözesanbischöfen, die aufgrund ihrer Weisungsbefugnis in Lehre und Leitung Protagonisten des Systems sind, bilden die Kleriker den Führungsstand gegenüber den Lai*innen als Gefolgschaftsstand, und dies nach katholischer Überzeugung unabänderlich, weil gottgewollt.
Die „Mitbrüder“ unter den „Schwestern und Brüdern“
Das war auch in der Plenarversammlung sicht- und hörbar. Manche Kleriker machten sich durch die vorgeschriebene Standestracht textil als solche erkennbar und werden untereinander die nur binnenständisch passende Anrede „Mitbruder“ gepflegt haben. Die Anrede „Schwestern und Brüder“ bringt lediglich die Verbundenheit in Taufe und Firmung, die Gleichheit in der so begründeten Würde zum Ausdruck, aber mitnichten Gleichberechtigung.
Der Dienst des Bischofs ist nicht nur von der Leitmetapher des Hirten geprägt, sondern im amtlichen Selbstverständnis vom Bildprogramm der geistlichen, d. h. die väterliche Autorität Gottes repräsentierenden Vaterschaft. Die vordergründig als Geschwister angeredeten Lai*innen bleiben auch als Erwachsene in diesem Kindschafts- und Erziehungsverhältnis zur Mutter Kirche und den sie repräsentierenden männlichen geistlichen Vätern. Wenn alle 27 Diözesanbischöfe bei der Vollversammlung anwesend sind, sitzen alle Lai*innen mit ihrem jeweiligen Ortsoberhirten zusammen, dem sie rechtlich Ehrfurcht und Gehorsam schulden. Und welche Chancen Anträge auf getrennte Abstimmung (Art. 5,3l iVm Art. 6,3 GO SynWeg) der weiblichen Mitglieder haben, wenn diese weniger als 50% der Mitglieder in der Synodalversammlung stellen, war bereits erlebbar, als im Handstreich gegen den Frauen-Protest ausgerechnet beim Thema „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ die Redezeit auf 60 Sekunden gekürzt wurde.
Kindschafts- und Erziehungsverhältnis zur Mutter Kirche und den sie repräsentierenden männlichen geistlichen Vätern
Die Beiträge von Bischof Voderholzer und Kardinal Woelki ließen zudem keinen Zweifel an der hierarchischen Zusammensetzung des Plenums. Und niemand wird ihnen nachsagen können, sie hätten damit gegen kirchliche Lehre oder kirchliches Recht verstoßen, zumal im Vorfeld des Synodalen Weges die Kongregation für die Bischöfe und ein Gutachten des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte diese katholischen Basics in entwaffnender Offenheit in Erinnerung gerufen hatten.
Wenn der König und sein Gärtner gemeinsam durch den Park spazieren, sind sie dadurch nicht gleichberechtigt.
Dem entspricht auch die Satzung, die korrekt von der „gemeinsamen Verantwortung“ aller spricht, was ja nicht „gleichberechtigt“ heißt, auch wenn es psychologisch gern so gehört und verstanden wird. Wenn der König und sein Gärtner durch den Park spazieren, gehen sie auch gemeinsam, sind dadurch aber nicht gleichberechtigt. Und Hirten mutieren in alphabetischer Sitzordnung nicht zu Schafen, auch wenn der kontrafaktische Eindruck in einer fast kindlichen Naivität erweckt werden soll – worauf Kardinal Woelki wiederum zu (Kirchen-)Recht hingewiesen hat. Und die Satzung entspricht dem auch, wenn sie die Stimmrechtsverteilung nur paradox ausdrücken kann: Die Versammlungsmitglieder sollen ein „gleiches Stimmrecht“ haben (Art.3, 2 Satzung-SynWeg) und doch sind manche Stimmen gleicher, denn: Aufgrund der bekanntermaßen erforderlichen 2/3-Mehrheit der Mitglieder der Bischofskonferenz haben 24 Kleriker, also 10% der Synodalversammlung die Sperrminorität, mit der sie jeden missliebigen Beschluss verhindern können (Art. 11,2 Satzung-SynWeg).
Entscheidend ist nicht, was mit welchem Argument gesagt wird …
Und schließlich darf die Versammlung sich auch bei nicht gesperrten Beschlüssen nicht zu wichtig nehmen: Alle Beschlüsse stellen lediglich abschließend ein Beratungsergebnis fest (Art. 11,1 Satzung-SynWeg), das keinerlei Rechtswirkung und Verbindlichkeit entfaltet, denn die Vollmacht der Bischofskonferenz und der 27 Diözesanbischöfe in Leitung und Lehre bleibt unberührt (Art. 11,5 Satzung-SynWeg). Es bleibt auch in der Synodalversammlung dabei: Die Struktur der Kirche als communio hierarchica bestimmt die kirchliche Kommunikationsform als communicatio hierarchica. Entscheidend ist nicht, was mit welchem Argument gesagt wird, sondern wer mit welcher formalen Geltung spricht.
Mehrheitsentscheide haben für den Synodalen Weg keinerlei Rechtsverbindlichkeit.
Und damit sind wir bei der Freiheit (nicht nur) von Kardinal Woelki. Völlig zu (Kirchen-)Recht hat er schon vor Beginn des Weges festgestellt, er fühle sich bei der Umsetzung von Beschlüssen „vollkommen frei, nur meinem Gewissen und dem Glauben der ganzen Kirche verpflichtet“ (Herder-Korrespondenz 2020/2), der allein vom Lehramt der Kirche in Gestalt von Papst und Bischöfen verbindlich festgestellt, verkündet und – wo nötig – kontrolliert und verteidigt wird. Dasselbe gilt natürlich auch für seine bischöflichen Mitbrüder und im Übrigen auch für die immer wieder beschworenen Beschlüsse der Bischofskonferenz: Deren Mehrheitsentscheid für den Synodalen Weg hat keinerlei Rechtsverbindlichkeit, sondern ist eine Empfehlung „zur Förderung eines gemeinsamen oder gleichmäßigen Vorgehens der einzelnen im eigenen Namen handelnden Diözesanbischöfe“ (Art. 14 DBK-Statut).
Es gibt in der Kirche für katholische Gläubige keinen hierarchiefreien Raum.
Und Kardinal Woelki ist weiterhin in vollem (Kirchen-)Recht, wenn er bemängelt, dass schon der liturgische Einzug beim Eröffnungsgottesdienst den Eindruck erwecken sollte, „dass da jeder gleich ist. Und das hat eigentlich nichts mit dem zu tun, was Katholische Kirche ist und meint“. Tagungen bzw. Sitzungen mit einer Eucharistiefeier zu beginnen, bedeutet (eigentlich) ja u. a. gerade, die hierarchische Verfassung der Kirche in den liturgischen Rollenverteilungen zur Darstellung zu bringen und so jedem Gläubigen den ihm von Gott zugewiesenen Platz wieder bewusst zu machen.
Partizipations-Avatare wie der „Synodale Weg“ und „voice fiction“ in Gestalt „unverbindlicher Ratschläge“?
Es gibt in der Kirche für katholische Gläubige keinen hierarchiefreien Raum. Wer seine Existenz dennoch behauptet, hat entweder überhaupt nichts verstanden oder versucht, die Bindungs- und Beteiligungsbereitschaft der Gläubigen und insbesondere der Frauen zu erhalten, ohne die grundsätzliche Unvereinbarkeit von weihe-ontologischem Austausch und gleichberechtigter Partizipation zu gefährden. Dazu werden Partizipations-Avatare wie der „Synodale Weg“ und „voice fiction“ in Gestalt eines Stimmrechts für Beschlüsse mit dem Inhalt „unverbindlicher Ratschlag“ geschaffen sowie ein rhetorisches Wertschätzungsklima aufgebaut.
… zufrieden damit, sich gesehen zu fühlen statt effektiv partizipieren zu können?
Maria 2.0 und andere, die um ihrer Würde als Lai*innen willen auf eine Teilnahme am „Synodalen Weg“ verzichten, haben das durchschaut. Weit überwiegend scheinen die katholischen Laien aber damit zufrieden, sich gesehen zu fühlen, statt effektiv partizipieren zu können. Daher ist die Sorge von Kardinal Woelki übertrieben. Denn wer mehrheitlich solche Lai*innen hat, braucht nun wirklich keine ungebührlichen Reformen zu fürchten.
____________
Prof. DDr. Norbert Lüdecke ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Bonn.
Bild: Samantha Sophia auf Unsplash