Erneuerung, Neuerung, Renovation, Renovierung – alles hat mit Neu-Werden zu tun. Was ist eigentlich gemeint, wenn wir von „Kirchenerneuerung“ sprechen? Franz Mali zeigt, wie auch auf religiösem Feld mit Sprache Politik gemacht werden kann und worauf es ankommt, um bei aller Kirchenerneuerung nicht die Orientierung zu verlieren.
Renovation bedeutet zunächst die Wiederherstellung jenes früheren Zustandes, in dem der Gegenstand neu war, den man „re-nov-ieren“ – er-neu-ern will. Man will ihm die anfängliche frische Gestalt wiedergeben. Dies kann man auf die Renovation eines Hauses anwenden. Doch Vorsicht – es kann Verschiedenes bedeuten: Manchmal meint es nicht viel mehr als die Übertünchung der abgeblätterten Farbe an den Aussenwänden oder an der Fassade. Ein andermal kann damit der Umbau eines Hauses gemeint sein, sowohl am Äusseren wie auch im Inneren, dass man es nachher gar nicht mehr wiedererkennt, obwohl die tragenden Mauern und das Fundament dieselben geblieben sind. Nach der Renovierung soll das Haus wieder frisch ausschauen, beinahe „wie neu“, re-vitalisiert, wieder-belebt.
Neuerung hat einen schlechten Ruf
In der kirchlichen Tradition hat das Einführen von Neuerungen durchwegs einen schlechten Ruf: Schon im 4. Jahrhundert muss Basilius nachweisen, dass die Lehre von der Gottheit des Hl. Geistes nicht nur in der Hl. Schrift, sondern auch in der Tradition der Kirche verankert ist – und daher nicht neu ist. Und selbst, wenn es um das Leben von einzelnen Menschen geht, wie neulich bei der Streichung der zulässigen Todesstrafe aus dem Katechismus der Katholischen Kirche, sah sich der Vatikan benötigt, dies mit deutlichen Worten zu verteidigen[1] und aufzuzeigen, dass „die neue Formulierung … eine authentische Entwicklung der Lehre ausdrückt, die nicht im Widerspruch zu früheren Aussagen des Lehramts steht“[2], weil „das Bewusstsein über die Unzulässigkeit der Todesstrafe ‘im Licht des Evangeliums’ gewachsen ist.“[3] Was für die einen „Traditionsbruch“ ist, bedeutet für andere „das Ende eines langen Weges“[4].
Die falsch verstandene Tradition
Aus Angst vor Neuem an Überliefertem, an „Tradition“ festzuhalten, ist eine falsche Motivation. Mir scheint, dass manchmal die Gewohnheit, in der man sich eingerichtet hat, der grosse Hemmschuh ist, von Althergebrachtem Abschied zu nehmen und Neues zu wagen / suchen. Auch die Weitergabe des Glaubens in unserer westeuropäischen Gesellschaft war viele Jahrhunderte eine Praxis verbunden mit Kultur, Gemeinsinn – es machen ja alle so – und Gewohnheit. Wir haben es verlernt, dass Weitergabe des Glaubens bei jedem Menschen neu beginnt – wir meinten, es wäre Tradition, die einfach von einer Generation an die nächste weiterwandert, wie ein Bündel, das weitergereicht wird, ohne dass wir sehr aktiv mitarbeiten müssten. Abgesehen davon, dass Tradition gepflegt werden muss, wenn sie nicht aussterben soll, ist Weitergabe des Glaubens immer ein Neubeginn.
Zurück an den Anfang!?
Heisst das Ideal dann: Zurück an den Anfang!? Ein Zurück an den Anfang im chronologischen Sinn ist nicht möglich, auch wenn manche meinen, die ideale Situation – das „goldene Zeitalter der Kirche“ – wäre an Pfingsten gewesen und hätte sich anschliessend durch den Lauf der Jahrhunderte ständig verschlechtert. Oder könnte es heissen: Wiederherstellung der Situation der ersten geistbegabten Christen? Diese Perspektive ist keine christliche Perspektive, denn damals wie heute warten die Jüngerinnen und Jünger auf die Wiederkunft des Herrn und auf die Vollendung: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.“ (1 Kor 13,12).
«fiunt, non nascuntur christiani» (Tertullian)
Leute, die zurückblicken, taugen nicht für das Reich Gottes (Lk 9,62). Nach vorne sollen wir schauen: Einen Neuanfang gibt es jeden Tag und für jeden Menschen, auch für Christen, denn: „Man ist nicht geboren als Christ, Christ wird man“[5], schreibt Tertullian Ende des 2. Jh.s. Dieser Nordafrikaner sagt dies auch von sich, da er in seiner Jugend nicht Christ war, sondern im Erwachsenenalter zum Christen geworden ist.[6]
Vielleicht ist unsere Gewohnheit zur Gewöhnlichkeit verkommen, und wir haben vergessen, dass bei jedem Menschen die Christwerdung von vorne beginnt. Erneuerung beginnt von vorne, zuunterst, geht bis ins Mark, bis ins Herz, das uns Gott neu schenkt (Ez 36,26). Diese Erneuerung des Herzens bringt Freude, ist lebensfroh, aufgeschlossen, zuversichtlich; ist ohne Angst, weil vertrauend, entspannt, weil getragen. Und diese Erneuerung kommt aus dem Heiligen Geist: „Der Heilige Geist ist immer Neuheit. Immer. Und wir müssen uns daran gewöhnen.“ (Papst Franziskus)[7] Welch wunderbares Paradox: Gewohnheit ist doch gerade das Gegenteil von Neuheit: Wie soll man sich daran gewöhnen können? Es fällt sehr schwer, sich an den Heiligen Geist zu gewöhnen, der immer neu ist!
Neue Wege
So sind wir gerufen, neue Wege unter die Füsse zu nehmen, «neue Sprachen zu reden» (Mk 16,17), den «neuen Geist» zu akzeptieren und uns ein «neues Herz» einpflanzen zu lassen (Ez 36, 26). Es liegt an uns, ob wir zulassen, «was Gott aus uns machen könnte, wenn wir uns ihm nur zur Verfügung stellen würden.» (nach Ignatius v. Loyola). Wir haben das «goldene Zeitalter» noch vor uns: Der langen Reise Ziel ist es, unseren Dienst am «Aufbau des Leibes Christi» zu leisten, «bis wir alle zur Einheit im Glauben und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zum vollkommenen Menschen, zur vollen Größe, die der Fülle Christi entspricht.» (Eph 4, 13). «Steht auf, wir wollen gehen!»
[1] Vgl. Interviews mit Erzbischof Rino Fisichella, der sinngemäß von einem «tatsächlichen Fortschritt eines Glaubensinhaltes» spricht.
[2] Kongregation für die Glaubenslehre: Schreiben an die Bischöfe über die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche bezüglich der Todesstrafe. Nr. 8 (https://w2.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20180801_lettera-vescovi-penadimorte_ge.html) (zuletzt aufgerufen am 29.10.2018).
[3] Ebd. Nr. 9.
[4] Hans-Jürgen Schlamp: Die Kirche dürstet nicht mehr nach Blut. Papst streicht Todesstrafe aus Katechismus. In: Spiegel-Online 03.08.2018 (http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/papst-franziskus-todesstrafe-gehoert-nicht-mehr-zur-katholischen-lehre-a-1221558.html .
[5] Tertullianus: Apologeticum 18, 4 (CChr.SL 1 [1954], p. 118, 18).
[6] Vgl. Augustinus: De pecc. meritis et remissione et de baptismo parvul. III, 9,17 (CSEL 60 [1913], p. 143, 24-25): «quid respondebitis, quare de christianis non christianus nascatur, nisi quia non facit generatio, sed regeneratio christianos?»
[7] Vgl. “Lo Spirito Santo è sempre novità. Sempre. E dobbiamo abituarci.” (Discorso del Santo Padre Francesco ai partecipanti alla plenaria del Pontificio Consiglio per la Promozione dell’Unità dei Cristiani. [Sala Clementina, Venerdì, 28 sett. 2018]: http://w2.vatican.va/content/francesco/it/speeches/2018/september/documents/papa-francesco_20180928_plenaria-pcpuc.html [zuletzt aufgerufen: 29.10.2018]).
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Franz Mali ist Professor für Patristik, Geschichte der alten Kirche und Sprachen des Alten Orients an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg. Er gehört dort zur Theologengruppe, die sich mit dem Thema Kirchenerneuerung befasst. Er war und ist auch im Projekt „Für eine Kirche mit* den Frauen“ engagiert.
Foto: Stihl024 / pixelio.de
Die weiteren Beiträge aus der Serie „Kirchenerneuerung“:
Steinernes Herz: Kirche erneuern in Zeiten der Selbsterhaltung?
Mission impossible? Über ein neues Streitthema in der Kirche