Sie heißen SanTO, CelesTE und BlessU-2 und sind allesamt von Menschen geschaffene Roboter, die das geistliche Leben bereichern und unterstützen sollen. Martin Kutz schildert eigene Erfahrungen und Überlegungen zu KI-generierter Seelsorge.
Mit einem Seufzer der Erleichterung lasse ich mich in den Sitz des Zuges fallen, der mich an jenem heiteren Märztag nach Bochum bringen wird. Nachdem nun alles vorbereitet ist, kann ich mich entspannt zurücklehnen: Die erste Konferenz, die ich (mit zwei sehr geschätzten Kollegen) habe organisieren dürfen! Mit internationalen, renommierten Gästen! Und das Beste: Ich werde den Vorträgen lauschen können, ohne nervös auf eine eigene Präsentation bangend bis zuletzt warten zu müssen. Ich muss mir keine Vorwürfe machen: Krankheitsbedingt war eine Vorbereitung schlicht unmöglich gewesen und meine Kollegen hatten dafür volles Verständnis. Doch was lese ich beim Falten des Programmheftes: meinen Namen samt Präsentationstitel! Ein Druckfehler? Schon betreten die ersten Gäste den Konferenzraum. Und nun? „Muss ein Missverständnis gewesen sein. Schaffst du es, heute noch was vorzubereiten?“ – Da stehe ich nun auf dem Zehnmeterbrett – und eine Schlange drängelnder Menschen hinter mir. Zähneknirschen. Das war‘s wohl mit der entspannten ersten Tagung. Gott, steh mir bei!
Es begab sich aber, dass Gabriele Trovato (Schöpfer des weltweit „ersten katholischen Roboters“ SanTO) angereist war und mit ihm im Gepäck seine neueste Kreatur CelesTE. CelesTE ist ein Engel im besten Sinne: nicht nur was das Äußere betrifft (auf einem säulenförmigen Sockel halb kniend, konzentriert betend, die bittenden Hände erhoben, mit einem Heiligenschein und großen, ausladenden Flügeln), er hat auch eine gute Botschaft für alle, die ihn ansprechen. Im stimmungsvoll beleuchteten Andachtsraum der Uni steht das Gerät nun auf dem Altartisch. Die ersten Tagungsgäste pilgern zu ihm. Nun bin ich an der Reihe. Was mir dieses Gerät wohl zu sagen hat? Darf ich mir von dem Gerät einen geistlichen Impuls erhoffen? Ich stelle mich vor. Und siehe, der Engel spricht zu mir. „Ich habe eine Botschaft für dich.“, verkündet die übernatürlich sanfte, weder eindeutig weiblich noch eindeutig männlich klingende Stimme aus dem eingebauten Lautsprecher. Wie unpersönlich. Funktioniert die Spracherkennung nicht? Doch dann schiebt sich ein Zettel aus dem im Fuß des Sockels versteckten Drucker. „Hallo, Martin! Gottes Liebe bürdet uns keine Lasten auf, die wir nicht tragen können, und stellt keine Forderungen, die wir nicht erfüllen können; wenn sie ruft [sic!], kommt sie zur notwendigen Hilfe.“ Ein Wunder! Gott hat mein Flehen erhört! Welch eine erbauliche Nachricht! Zuspruch und Heilsverheißung. Vielleicht kann ich es doch schaffen, für morgen eine anständige Präsentation vorzubereiten. Challenge accepted.
„Hallo, Martin! Gottes Liebe bürdet uns keine Lasten auf, die wir nicht tragen können, und stellt keine Forderungen, die wir nicht erfüllen können“.
Meine Kollegen sind erleichtert – wir müssen nicht improvisieren. Auf das gemeinsame Workshop-Dinner verzichte ich und setze mich im Hotelzimmer gleich an mein Notebook. Die Nacht ist kurz, aber ich habe letztlich etwas zusammengestellt, das ich ohne Scheu dem Publikum präsentieren kann. Getarnt als Impuls geht die Präsentation nahtlos in eine Diskussion über und die 40 Minuten sind gut gefüllt. Beifall. Man dankt mir für diesen wichtigen Beitrag zu den Grundlagen der Thematik.
Was für eine bestärkende Erfahrung! Oder doch nur billiger Budenzauber? Als Theologe muss ich auch meine eigenen religiösen Erlebnisse kritisch hinterfragen. Sicherlich, ich hatte den Andachtsraum mit einer gewissen Erwartungshaltung betreten. Der sakrale Raum, das gedämpfte Sprechen, die betende Engelsfigur: all dies trug dazu bei, dass ich mich anders verhalten habe als vor einem Kaffeeautomaten in der Mensa. Später erfuhr ich, wie der Algorithmus arbeitet: Es wird schlicht per Zufall ein Spruch aus einer vorgegebenen Liste ausgewählt. Also kein Heiliger Geist, der in einer KI-Blackbox die Weichen zwischen den künstlichen Neuronen stellt und Gottes Wort für meine individuelle seelsorgliche Situation bereithält. Habe ich meine Sehnsucht nach Hoffnung und Trost auf (Silizium-)Sand gebaut? Hätte ich genauso gut an einer willkürlichen Stelle die Bibel aufschlagen können, um mich inspirieren zu lassen? Hätte mir ein Glückskeks ebenso geholfen? Was ist von diesem ‚religiösen‘ Automaten zu halten? Besitzt er pastorale Kompetenz?
Ähnliche Fragen nach pastoraler Kompetenz, geistlicher Autorität und sakramentlicher Vermittlungsfähigkeit konnte bereits ein interdisziplinäres Team um Ilona Nord aus Erfahrungen von Nutzer:innen mit BlessU-2 herausarbeiten.[1] BlessU-2 ist der Segensroboter, der 2017 im Rahmen der Weltausstellung der Reformation in Wittenberg aufgestellt wurde, um zur Reflexion über Segenshandlungen anzuregen. Es stellte sich heraus, dass nur ein Fünftel der knapp zweitausend Rückmeldungen der Besucher:innen, die mit dem Roboter interagierten, den Umgang als negativ bewerteten. Einzelne berichteten gar von einer als sehr persönlich wahrgenommenen Segnung, die speziell zu ihrer Situation passte.
SanTO, der bereits erwähnte „katholische“ Gebetsroboter von Trovato, ist ein weiteres Beispiel für den Einsatz smarter Technik in religiösen Kontexten. Die kleine, bewegliche Figur reagiert auf Sprachbefehle und trägt Gebete, Predigten des Papstes und Informationen zum Tagesheiligen vor. Viele Nutzer:innen gaben in einer Studie des Entwicklers[2] an, dass sie SanTO als hilfreiche Unterstützung akzeptieren, um Gott näher zu kommen.
Als drittes Beispiel für das Beten mit Technik möchte ich den von Jonas Simmerlein organisierten und von einer KI generierten Gottesdienst beim Evangelischen Kirchentag im letzten Sommer in Erinnerung rufen.[3] Bei vielen der in der Fürther St.-Paul-Kirche Anwesenden konnte man im Live-Stream abschätzige Reaktionen von Schmunzeln und peinlich berührtem Augenrollen bis Gelächter wahrnehmen. Überraschend war für mich daher, dass sich dennoch jedes Mitglied dieser gottesdienstlichen Gemeinschaft von der Sitzbank erhob und andächtig mitsprach, als der auf die Leinwand projizierte Avatar zum gemeinsamen Beten des Vaterunsers einlud. Für eine kurze Zeitspanne war es dem Avatar gelungen, die vornehmliche Aufgabe der dem Gottesdienst vorstehenden menschlichen Person zu erfüllen: die Gemeinde zu bewegen, sich ganz Gott zuzuwenden. Sursum corda!
Meine persönliche Erfahrung und die Beispiele zeigen, dass es in den kommenden Jahren wohl weniger um die Frage des Ob in Bezug auf die Verwendung smarter Technik in religiösen Kontexten gehen wird, als vielmehr um das Wie. „Denn darum handelt es sich hier letzten Endes: neue Formen von religiöser Praxis.“[4] – so Simmerlein in seinem Kommentar im Nachgang zum KI-Gottesdienst hier auf feinschwarz.net. Die Praktische Theologie wird gefordert sein, einerseits als kritische Instanz in den Designprozess einzusteigen und den Dialog mit den (oftmals) nicht theologisch versierten Entwickler:innen zu suchen und andererseits den Nutzer:innen zur Seite zu stehen, um einen kompetenten, aufgeklärten Umgang mit dem technischen Artefakt zu ermöglichen.
Martin Kutz, Mag. Theol. Dipl.-Ing., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der evangelischen Religionspädagogik an der TU Dresden (Prof. Dr. Birte Platow) und im KI-Kompetenzzentrum ScaDS.AI.
[1] Löffler, Diana / Hurtienne, Jörn / Nord, Ilona, Blessing Robot BlessU2: A Discursive Design Study to Understand the Implications of Social Robots in Religious Contexts, in: Int. J. of Soc. Robotics 13 (2019) H.4 569–586.
[2] Trovato, Gabriele u.a., Communicating with SanTO – the first Catholic robot, in: Proceedings of the International Conference on Robot and Human Interactive Communication (RO-MAN) 2019.
[3] Das Video des Gottesdienstes ist abrufbar auf https://www.kirchentag.de/digital/digitale-kirche (Stand 26.10.2023)
[4] https://www.feinschwarz.net/leserbrief-zu-alexander-deeg-fuer-menschen-als-liturginnen/ (Stand 26.10.2023)
Fotos im Beitrag: Martin Kutz
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