Kaja Wieczorek schreibt über das politische Provokationspotential der Himmelfahrtsgeschichte. Sie macht deutlich – Himmelfahrt heißt: Mut zur Spannung und zur Veränderung!
Es ist auf den ersten Blick eine groteske Geschichte, die der Evangelist Lukas sogar zweimal auf etwas unterschiedliche Weise erzählt – einmal am Ende seines Evangeliums (Lk 24,50-53) und das andere Mal zu Beginn seiner Fortsetzung, in der Apostelgeschichte (Apg 1,1-14).
Kaum jemand weiß, welchen Hintergrund der Feiertag Christi Himmelfahrt hat.
In allen deutschen Bundesländern ist Christi Himmelfahrt ein gesetzlicher Feiertag. Doch kaum ein Mensch hat noch eine Ahnung, was der Hintergrund eines christlichen Gedenktages sein sollte, an dem Jesus auf einer Wolke in den Himmel aufsteigt. Wirklich umstritten ist dieser christliche Feiertag dennoch nicht. Es ist immerhin ein Tag, den man nutzen kann, um Sport zu treiben, gemeinsame Ausflüge mit Freund*innen oder der Familie zu unternehmen oder auch einfach nur, um zu faulenzen und einmal wieder richtig auszuschlafen. Wer sollte sich da ernsthaft über einen freien, entspannten Tag beklagen? Dabei ist die Botschaft dieser Bibelgeschichte alles andere als entspannt, wenn wir einmal hinter die Kulissen des Textes blicken.
Römisch-hellenistische Vorbilder für die Himmelfahrtsgeschichte
Denn die uns heute eher befremdlich erscheinende Vorstellung einer Himmelfahrt, durch die eine auserwählte Person zu einer göttlichen Identität gelangen kann, war in der römisch-hellenistischen Antike weit verbreitet. Am bekanntesten ist der griechische Mythos des Helden Herakles. Dieser wird am Ende seines irdischen Lebens aufgrund seiner heldenhaften Leistungen für die Menschheit in den göttlichen Olymp aufgenommen und damit zum Gott. Es heißt, er sei auf einer Wolke vom Scheiterhaufen auf dem Berg Oita zum Olymp emporgehoben worden (vgl. Cic. Tusc. 2,20). Daran anknüpfend berichtet auch der römische Mythos vom Stadtgründer Romulus, dass dieser nach seinem Tod von einer Wolke eingehüllt in den Himmel entrückt und fortan an als Gott verehrt wurde (vgl. Liv. 1,16). Dieser Mythos galt zur Legitimation der römischen Herrschaft durch die Götter. Doch dabei blieb es nicht.
Die antike Vorstellung von Himmelfahrt – Politisches Machtinstrument zur Vergötterung von Kaisern.
In der Kaiserzeit entwickelten sich Apotheosen (von griech.: apotheosis = Vergötterung) grundsätzlich zu einem politischen Machtinstrument, indem die Kaiser nach ihrem Tod in einer staatlich geregelten Prozedur zu Göttern erklärt werden konnten. Dabei wurde die Leiche des Kaisers öffentlich auf einem Holzstoß verbrannt und ein Augenzeuge musste bekunden, wie die Seele des Verstorbenen von einem Adler getragen vom Scheiterhaufen gen Himmel aufstieg. Der Senat beschloss darauf per Dekret, ob der Kaiser als Gott anzuerkennen war. Im 1. Jh. n. Chr. wurden die Kaiser Augustus, Claudius, Vespasian und Titus mit einer solchen Konsekration vergöttlicht. Nero hingegen sollte aufgrund seines politischen Fehlverhaltens zum Vergessen verdammt werden. Heutzutage diskutieren Historiker*innen, wie berechtigt das im Vergleich mit anderen Kaisern desaströse Image von Nero tatsächlich gewesen ist oder ob er sich im Senat schlicht mit den falschen Leuten angelegt hatte. Wie subjektiv die Senatsbeschlüsse zum Teil waren und dass sie nicht immer mit dem allgemeinen Meinungsbild über die Leistung des entsprechenden Kaisers übereinstimmten, lässt auch Seneca in seiner Satire „Verkürbissung“ (Wortspiel: Apocolocyntosis anstatt Apotheosis) durchblicken. In dieser macht er sich über die Apotheose des Kaisers Claudius lächerlich.
Lukas‘ Version von Himmelfahrt
Vor diesem Hintergrund schreibt Lukas seine Version der Himmelfahrt. In diesem Fall sind es die 12 Jünger, die das Ereignis bezeugen. In Apg 1,10f. finden sich sogar 6 verschiedene Ausdrücke für sehen, wodurch deutlich auf das für die Kaiserapotheose zentrale Motiv der Augenzeugenschaft angespielt wird. In dieser Fassung wird jedoch nicht der Kaiser, sondern Jesus verherrlicht. Die politische Provokation ist unverkennbar. Sie lautet: Schaut her, hier wird der wahre universale Herrscher dieser Welt zum Himmel emporgehoben!
Lukas‘ Provokation: Jesus, nicht der Kaiser, ist der wahre universale Herrscher, der von Gott zum Himmel emporgehoben wird.
Die Aussage dieser Anti-Apotheose darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, als dass der Apotheose des Kaisers schlicht die Apotheose Jesu Christi auf Grundlage des gleichen Verständnisses entgegengesetzt wird. Es geht nicht um einen Staatsputsch, der den einen Imperator an die Stelle des anderen setzt. „Gott muss man mehr gehorchen als den Menschen“, lässt Lukas Paulus in der Apostelgeschichte argumentieren und spielt damit auf die Apologie des Sokrates an (Apg 5,29). Diese demonstrative Äußerung legt nahe, dass die Apotheose Jesu nicht als von menschlichen Interessen geleitet und als staatlich oder institutionell inszeniert verstanden werden soll. Nicht die Menschen dürfen ihre eigenen Systeme verabsolutieren, sondern eine wahre Apotheose kann nur von Gott selbst ausgehen und nicht per Senatsbeschluss festgelegt werden.[1]
Wahre Apotheose kann nur von Gott selbst ausgehen.
In den lukanischen Himmelfahrtsgeschichten schwingt also ein kritischer Unterton mit, der die politische Instrumentalisierung von Religionen und Utopien per se als falsch bewertet. Jesus Christus stellt den Antiherrscher dar, der nicht auf sich selbst verweist, sondern auf Gott.
Himmelfahrt als Bruch mit imperialen Machtstrukturen
In Lukasevangelium und Apostelgeschichte wird an vielen Stellen immer wieder deutlich: Das von Jesus verkündete Reich Gottes ist kein weltliches Regierungssystem. Es handelt nicht von der Stabilisierung von Macht und Ehre, sondern von Demut und dem Bruch mit jeglichen gültigen Machtstrukturen zugunsten einer neuen universalen Gerechtigkeit, die alle sozialen Barrieren und Ungerechtigkeiten sprengt. Diese ist jedoch gerade keine menschliche Gerechtigkeit und lässt sich insofern auch in kein weltliches System oder irgendwelche menschlichen Denkkategorien pressen. Das Reich Gottes ist dynamisch und mehrdeutig. Fragmentarisch kommt es zwar in unterschiedlichen und diversen gesellschaftlichen Versuchen, ein solidarisches Miteinander zu erreichen, in der Gegenwart immer wieder zum Vorschein, geht jedoch in keinem dieser Modelle vollständig auf. Das betrifft die Kirche genauso wie den Staat, denn auch sie regiert nicht das Reich Gottes! Damit ist die Himmelfahrtsgeschichte sowohl ein Appell an jede Form von staatlicher und wirtschaftlicher Hybris als auch eine Warnung an religiöse Institutionen oder andere ideologische Organisationsformen, sich nicht selbst absolut zu setzen.
Imperiale Tendenzen als Kehrseite von Institutionalisierung
Eine postkoloniale Lesart der Himmelfahrt Christi, zu der diese Auslegung sich zählt, ist sich der Tatsache bewusst, dass der christliche Universalanspruch bis heute immer wieder selbst in der Gefahr steht, machtideologisch missbraucht zu werden. Néstor Míguez, Joerg Rieger y Jung Mo Sung arbeiten in ihrer gemeinsam herausgegebenen Monographie „Beyond the Spirit of Empire” heraus, dass „imperiale Tendenzen“ in praktisch allen menschlichen Systemen und Strukturen vorhanden sind – ganz gleich, ob es sich dabei um kommunistische oder kapitalistische, formal demokratische oder autoritäre, religiöse oder staatliche Systeme handelt. Diese Tendenzen mögen zwar von System zu System unterschiedlich stark ausgeprägt sein und in ihrer Gestalt variieren, aber dennoch sind sie die Kehrseite jeglicher Form von Institutionalisierung.
„Imperium“ ist hierbei nicht als Nation oder Armee zu verstehen, sondern meint eine hegemonistische Weltanschauung, die scheinbar global ist und einen gewissen „kollektiven Geist“ sowie ein anthropologisches Konstrukt generiert. Dieses erlaubt bestimmte Verhaltensweisen und Haltungen, die in einem konkreten Wertesystem zum Ausdruck gebracht werden. Diversität ist nur insofern gewährleistet als sie sich in diese Weltanschauung integrieren lässt. Koexistierende Strukturen, die im Widerspruch zur imperialen Ideologie stehen, werden dahingegen verdrängt und ausgegrenzt.[2]
Demgegenüber gilt es die Dynamik und Ambiguität des Reiches Gottes immer wieder zu betonen. Spannungen und Ambivalenzen werden hier nicht ausgeblendet, da die Struktur des Reiches Gottes selbst aus einem paradoxen Spannungsfeld besteht. Tatsächlich ist die Paradoxie der einzige Raum, in dem Spannungen ausgehalten werden, ohne sich wieder in Partikularitäten zu spalten.
Die Stärke des Christentums besteht darin, dass Paradoxie zum Kern des Glaubens dazugehört.
Es ist daher nicht die Schwäche, sondern die Stärke des Christentums, dass es die Paradoxie selbst zum Kern des Glaubens erklärt hat: Jesus Christus ist Gott und Mensch zugleich. Ausgerechnet in der Ohnmacht findet sich die wahre Allmacht. Diese Paradoxie steht für eine alternative Weltauffassung, die Universalismus nicht mehr machtdominierend und statisch, sondern spannungsgeladen, ungezähmt und ambivalent denken will. Kurzum: Es geht um eine lebendige Kirche sowie eine lebendige Theologie! Eine solche muss sich selbst immer wieder dekonstruieren, um sich zu öffnen für neue Formen von Diversität und gelebten Miteinanders. Eine Kirche, die sich aus Feigheit vor der Veränderung einer solchen Dynamik verweigert und auf die alten festgefahrenen Machtstrukturen beharrt, verkennt den freien Geist der Himmelfahrt Christi.
Notwendig: Veränderungen in der imperialen Struktur der Kirche
Es ist noch nicht zu spät für mutige Veränderungen in der imperialen Struktur der kirchlichen Institutionen. Als Christ*innen dürfen wir uns nicht mit festgefahrenen Kircheninstitutionen zufriedengeben, sondern müssen lauter werden und uns für eine spannungsgeladene Theologie einsetzen! Wir brauchen dringend ein Umdenken in sexualethischen Fragen, das endlich einen offenen Umgang mit den vielen Grautönen des Lebens pflegt und Machtmissbrauch verhindert. Gleichberechtigung sollte nicht nur ein politisches Wahlpropagandathema sein, sondern muss sich auch im Kirchengefüge sichtbar niederschlagen. Immer noch sind unsere Kirchenstrukturen viel zu sehr in einem binären Geschlechterrollendenken verhaftet.
Wirkliche Pluralität scheut die Ambivalenz nicht! Es ist Zeit gegen Marginalisierungen in den eigenen Reihen vorzugehen!
Himmelfahrt ist also mehr als nur ein Tag zum Auszuschlafen und zur Entspannung! Himmelfahrt Christi heißt vielmehr: Mut zur Spannung!
Autorin: Kaja Wieczorek ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Neues/Altes Testament an der Universität Hamburg.
Bild: Wikimedia Commons, Meister von Meßkirch: Auferstehung Christi in der St. Martinskirche, um 1535/40.
[1] Vgl. Ilze Kezbere: Umstrittener Monotheismus. Wahre und falsche Apotheose im lukanischen Doppelwerk, NTOA 60, Göttingen/Fribourg 2007.
[2] Vgl. Néstor Míguez, Joerg Rieger, Jung Mo Sung: Beyond the Spirit of Empire. Theology and Politics in a New Key, Reclaiming Liberation Theology, London, 2009, S. 2 und S. 172-201.