Von einer sonder:bar wunder:baren Begegnung erzählt Judith Müller.
Mich durchschwebt die Vision
von einem seelischen Kraftfeld,
geschaffen in einem ständigen Jetzt
von den vielen, in Wort und Taten
ständig Betenden,
im heiligen Willen Lebenden. – – –
„Die Gemeinschaft der Heiligen“
und – in dieser – ein ewiges Leben.1
Montag, 16. März 2020. Die Schulen sind ab heute geschlossen. Die Schließung der Geschäfte wird wohl bald folgen. Die U-Bahn meide ich schon seit Tagen, fahre so oft es geht mit dem Rad in die Innenstadt zu meinem Büro.
Ein schon länger bestelltes Buch konnte ich gerade noch aus der Buchhandlung abholen. Da werde ich angesprochen: Ob ich eine kleine Spende für ihn hätte. Er ist obdachlos, zudem herzkrank und brauche Medikamente.
Wie schwer das jetzt werden wird für Menschen wie ihn, schießt mir durch den Kopf, wenn kaum noch jemand auf den Straßen unterwegs ist und mal den einen oder anderen Euro springen lässt. Aus meinem Geldbeutel greife ich rasch einen 10-Euro-Schein und strecke ihn ihm – vorsorglich mit viel Abstand – entgegen.
Er freut sich überraschend überschwänglich: „Sie haben Wissenschaft studiert und sich trotzdem ein gutes Herz bewahrt. Das sehe ich Ihren Augen an.“ Ich bin perplex, schlucke, stammle was von „ich bemühe mich.“
Ob er meinen Vornamen wissen dürfe. Darf er. „Judith, wir sehen uns wieder im Leben drüben. Da komme ich mit 100 Euro auf Sie zu. Gott segne Sie.“
___
Text und Bild: Dr. Judith Müller, München
- Dag Hammarskjöld, Zeichen am Weg, München 1965, 80. ↩