Saskia Wendel hat die Erkenntnisse zweier DFG-Projekte zum „Leib Christi“ veröffentlicht. Michael Schüßler hat das Buch schon mal gelesen.
Was passiert heute eigentlich mit dem ganzen patriarchalen Hokuspokus? Damit lässt sich etwas salopp die zentrale Frage von Saskia Wendels neuem Buch zur „Leib Christ“-Metapher zusammenfassen. Hokuspokus – so (miss)verstanden wohl die Gläubigen vor Jahrhunderten die unverständlich lateinischen Wandlungsworte „Hoc est enim corpus meum“: Das ist mein Leib. Wendel geht dieser schillernden Wendung „Leib Christi“ mal historisch, überwiegend systematisch und immer auch gendertheoretisch nach. Schillernd, denn im katholischen Feld begegnet man einmal dem individuellen, männlich gelesenen Körper Jesu der Erzählungen und Bilder, in Form der sakramentalen Hostie beim Kommunionempfang („Der Leib Christi“) und auch als Metapher für die ganze Kirche („Ihr aber seid Leib Christi“, 1 Kor 12.27).
Ein Verständnis Jesu als Verkörperung Gottes
Neben der Einleitung, zu der ich am Schluss komme, besteht das Buch aus zwei großen Kapiteln, die sich um ein „Verständnis Jesu als Verkörperung Gottes“ (17) drehen. Unter der Überschrift „Verkörperte Existenz – anthropologische Grundlagen“ (Kap. 2) erläutert Wendel ihren Ausganspunkt in der Tradition einer anthropologisch gewendeten Theologie, um diese dann aber auf Leib und Körper hin entscheidend zu vertiefen und zu erweitern. Ausführlich wird menschliches Leben zunächst als bewusstes Dasein beschrieben. Das meint eine unhintergehbare Erste-Person-Perspektive (als Subjekt), die aber immer schon in Beziehungen zu anderen eingebettet ist (als Person). An dieser Stelle versteht Wendel die Rede vom Leib Christi als erkenntnistheoretisch weiterführend: „Dass mit Bewusstsein begabtes Dasein verkörpert existiert, steht für uns außer Frage“ (39) – und das hat Konsequenzen. Der subjektiv gespürte Leib und der beobachtbare Körper gehören zusammen. Menschen haben nicht einen Körper (in dem der „Geist“ wohne), wir existieren als leibhaftes, verkörpertes, bewusstes Dasein, so Wendel. Mit Bezug auf Michel Foucault und Judith Butler lassen sich dabei Macht- und Normierungsdynamiken nicht ausklammern: „Der Körper und mit ihm verkörpertes bewusstes Dasein sind immer schon durch Körperpraxen und entsprechende Diskurse bestimmt und geprägt, die sich in ihn einschreiben.“ (49). Gerade in religiösen Bereichen hat die Kategorie Geschlecht hier oft eine zentrale Bedeutung. Doch Geschlecht ist keine Substanz oder Essenz, sondern eine auf vielfache Weise ausdrückbare Dimension verkörperten Menschseins. Wendel beschreibt die Entwicklung von feministischen Gleichheits-/Differenztheorien zu intersektionalen Genderdiskursen. Dabei folgt sie Butler in der performativen, verkörperten Herstellung von (nicht mehr nur zweigeschlechtlichen und heteronormativen) Geschlechterverhältnissen, betont aber stärker als Butler die handlungsmächtige Freiheit der einzelnen Subjekte.
Christus hat nie gelacht? Zum Lachen …
Damit liegt quasi das denkerische Handwerkszeug bereit, um im zweiten großen Kapitel den „‘Leib Christi‘, seine Bedeutung und seine Deutungen“ (Kap. 3) zu untersuchen. Wendel schlägt eine Unterscheidung vor. Als Begriff meint „Leib Christi“ dessen individuelle Bedeutung, nämlich die Person Jesu Christi, die verkörperte Existenz des Jesus von Nazareth. Als Metapher aber wird „Leib Christi“ mit kollektiver bzw. universaler Bedeutung aufgeladen, etwa wenn theologisch von der Kirche oder dem Universum als „Leib Christi“ die Rede ist.
„Christus hat nie gelacht“ (80). Mit diesem Satz aus Umberto Ecos „Der Name der Rose“ startet der Abschnitt mit dem programmatischen Titel: „Als konkrete, verkörperte Existenz ist Jesu Gott“: ‚Leib Christi‘ individuell“ (ebd.). Im Laufe der Lektüre wird klar: Über diesen Satz Eco´s kann man heute nur lachen. Das Körperliche hält nicht von Gott fern, es ist der Ort dessen Erscheinens. Wendel lässt ontologische und essentialistische Spekulationen kenntnisreich beiseite und folgt stattdessen systematisch-theologisch einem breiteren „Practice Turn“: „Im konkreten Handeln Jesu, in dem er verkörpert hat, wovon er sprach – die für den Menschen unbedingt entschiedene Liebe Gottes – brachte er zum Ausdruck, was gelingendes Menschsein heißen könnte und was Gott für uns ist.“ (94) Zugleich wird deutlich, wie der männlich gelesene Jesus auch als Christus männlich sexualisiert wird (z.B. Hans Urs von Balthasar) und wie dies heute in „multigenderd bodies“ hinein geöffnet wird (z.B. Marcella Althaus-Reid).
Männlichkeit des „Leibes“ Jesu als Fixpunkt geschlechtsspezifischer Rollenaufteilung
Die Abschnitte über die Metapher vom „universalen ‚Leib Christi‘“ erläutern die korporativen Verwendungen als Anteil an einem Heilsraum (Taufe: mit Christus sterben und auferstehen), als Kirchenbild und als Heil des ganzen Universums (kosmologischer Christus). Wendel arbeitet auch hier treffend heraus, wo und wie stets Geschlechterstereotype im Spiel sind – etwa bei der Kirche als Braut Christi und dem daraus entstehenden „gender trouble“.
Das wichtige Kap. 3.4. fasst die biopolitischen Folgen des machtvollen „Leib Christi“-Diskurses kritisch zusammen. Die Männlichkeit des „Leibes“ Jesu war Jahrhunderte lang Fixpunkt einer geschlechtsspezifischen Rollenaufteilung, die heute ihre ontologische, diskursive und praktische Plausibilität verloren hat. Wendel zeigt, wie damit dem geltenden katholischen Amtsverständnis, nur der zölibatäre, männliche „Priester handle in persona Christi als Haupt und Bräutigam der Kirche bzw. Gemeinde, verstanden als ‚Braut Christi‘“ (149) der Boden entzogen ist: „Weder ist Gott in sich männlich, noch inkarniert er [!] sich notwendig in einem Mann noch schreibt die Inkarnation in einem Mann Gott selbst quasi nachträglich Männlichkeit ein.“ (156)
Zuletzt geht Wendel noch wichtigen Ansätzen eines kosmologischen Christusverständnisses nach, von Cusanus über Teilhard de Chardin und Raimon Panikkar bis zu prozesstheologischen Positionen bei Sallie McFague oder Catherine Keller und der Idee einer „Deep Incarnation“.
Heil ist kein exklusiver Raum
Neben den genderkritischen Aspekten steht am Ende vor allem die Erkenntnis, „Heil“ nicht mehr als Teilhabe an einem Raum-Container exklusiv zu regionalisieren: „Zeichen des erhofften Heils sind dagegen Ereignisse, in denen Heil anfanghaft aufscheint, antizipiert wird, sowie Personen, die ‚heilsam‘ handeln und Heil erwirken. […] Die Rettung kommt nicht durch eine erlösende Teilhabe an einem korporativen Leib, sondern durch ein Handeln, das dem Tun Jesu entspricht, ob es sich explizit christlich nennt oder nicht. Dieses Heilshandeln schließt niemanden aus, aber auch niemanden unfreiwillig ein; es rekrutiert und missioniert nicht.“ (199). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Das Buch versammelt die Erträge zweier DFG-Forschungsprojekte. Es ist in der Denkbewegung deshalb zwar durchaus anspruchsvoll, aber immer um Verständlichkeit bemüht und in vielen Passagen wirklich gut zu lesen: Eine ungewöhnliche Christologie, die von aktuellen Problemlagen ausgeht (christliche Leibfeindlichkeit, Gender-Phobie, Machtvergessenheit) und dabei die Tradition modern-freiheitlicher Theologie in aktuelle gesellschaftskritische Diskurse weiterschreibt.
Auf Klimakatastrophe und Anthropozän hin weiterdenken
Zuletzt, wie eingangs versprochen, zurück zur Einleitung. Dort reagiert Wendel vorausgreifend auf den postkolonialen Einwand, „dass Ausgangspunkt, Interesse, Methoden, Quellenauswahl usw. noch einem stark eurozentrischen Blickwinkel verhaftet seien und damit der notwendige epistemologische Bruch noch nicht wirklich vollzogen sei“ (12). Sie bleibt tatsächlich dem neuzeitlichen Denken treu, indem eine universale Perspektive an die unhintergehbare Subjektposition gebunden scheint. Die Alternative bringt sie selbst zur Sprache. Eine kommende Universalität, wie sie sich hier bei Achille Mbembe andeutet, ist weniger eine transzendental vorgängige Kategorie, sondern entsteht „in Abhängigkeit von einer kontinuierlichen Teilnahme divergierender Stimmen im Sinne eines geistigen und physischen Durchquerens und Zirkulierens anderer Kulturräume, um so ein Weltdenken zu erreichen und den Eurozentrismus aufzubrechen.“ (13). In diesem Sinne wären auch die letzten Überlegungen des Buchs, hin zu einer kosmologischen Perspektive, im Blick auf die Klimakatastrophe und das Anthropozän weiterzudenken. Weniger als Metapher individueller Erlösung, sondern als Frage nach Wohl und Wehe des ganzen Planeten und allen Lebens, auch des Nicht-Menschlichen.
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Alle Zitate aus: Saskia Wendel, Die „Leib Christi“-Metapher. Kritik und Rekonstruktion aus gendertheoretischer Perspektive, Bielefeld 2023 [transcript] (Religionswissenschaft, Bd. 32).
Bild: Verlag [transcript]
Michael Schüßler ist Praktischer Theologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen.