Angela Krumpen hat ein Buch über drei Klima-Aktivist:innen initiiert und geschrieben. Irene Tokarski mit einem Interview.
Am 31.3.2023 erschien das Buch: Die Letzte Generation – das sind wir alle. Wenn die Welt in Flammen steht, hilft es nicht, den Feueralarm auszuschalten. Lina Eichler, Henning Jeschke, Jörg Alt, Verlag Bene!, Altenberg 2023.
Warum erreicht unser Wissen über den Klimawandel nicht den Menschenverstand, mit dem wir handeln (sollten)?
Die Regierungskoalition hat gerade die Sektorziele für Klimaschutz abgeschafft, Volker Wissing darf ungebremst Autobahnen ausbauen und Christian Lindner bis in alle Ewigkeit seinen 911er Porsche mit E-Fuels fahren. KlimaaktivistInnen dagegen ernten selbst von ernsthaften und integren PolitikerInnen wie Bärbel Bas Empörung und Entsetzen.
Wer die Klimafakten, die WissenschaftlerInnen seit 50 Jahren uns versuchen nahe zu bringen, auch nur ansatzweise zur Kenntnis genommen hat, zweifelt entweder am eigenen oder am Verstand einer gesamten Politikerriege quer durch die Parteien. Ich frage Angela Krumpen, die das gerade erschienene Buch über die letzte Generation initiiert und geschrieben hat: Warum tun wir nicht, was wir längst wissen?
Ich habe mir überlegt, was ich tun muss, und so ist dieses Buch entstanden.
„Es fehlt uns nicht an Wissen, aber was wir alle wissen, erreicht uns nicht. Wir verwenden immens viel Energie und öffentliche Diskussion darauf, die überall sichtbaren Auswirkungen, die viel früher und viel schlimmer als vorausgesagt sind, zu verdrängen und umzuinterpretieren. Wenn wir diese Energie auf das Erreichen der verbindlich gesteckten und längst verfehlten Klimaziele richten würden, hätten wir eine reelle Chance, das Schlimmste zu verhindern. Als ich Jörg Alt und seiner Entschlossenheit begegnet bin, alles, alles Erdenkliche, auch Illegale zu tun, um die Klimakatastrophe aufzuhalten, hat bei mir der Alarm angeschlagen, und ich habe mir überlegt, was ich tun muss, und so ist dieses Buch entstanden.“
Angela Krumpen lässt drei ProtagonistInnen zu Wort kommen, die sich bei einem Hungerstreik vor dem Kanzleramt mitten im Bundestagswahlkampf 2021 kennengelernt haben. Später ist daraus ist die Aktionsgruppe der Letzten Generation entstanden, die seit Januar 2022 vielen Autofahrern und einigen politisch Verantwortlichen das Leben schwer und vor allem klebrig macht.
Lina Eichler, Henning Jeschke und Jörg Alt könnten unterschiedlicher nicht sein: Eine Abiturientin, die drei Monate vor den Prüfungen hinschmeißt, um Demos zu organisieren, ein hochbegabter Student, der statt zu studieren sein Leben aufs Spiel setzt, um dem designierten Kanzler öffentlich ins Gewissen zu reden, und ein über sechzigjähriger Jesuit, der schon alles erreicht hat, was man als Kampagnenmanager erreichen kann (einschließlich des Nobelpreises für die Antilandminenkampagne) und der mit aller Erfahrung sagt: Wir haben keine Zeit mehr für langwierige politische Lobbyarbeit.
Sie bringt Geschichte und Geschichten so nahe, dass sie mit unserem eigenen Leben zu tun haben.
Angela Krumpen erzählt seit 20 Jahren professionell Biografien[1], aber sie tut mehr als das. Sie bringt Geschichte und Geschichten so nahe, dass sie mit unserem eigenen Leben zu tun haben. Dieses Talent wirft sie nun für die Letzte Generation in die Waagschale, um verständlich zu machen, was diese (nicht nur) jungen Menschen antreibt.
Sie lassen ihre Lebenspläne sausen und setzen alles aufs Spiel, weil alles auf dem Spiel steht.
„Ich bin immer wieder mit dieser Vergeblichkeit konfrontiert, bei der mir Menschen sagen, der Zug ist längst abgefahren. Aber genau das lassen Lina, Henning und Jörg Alt nicht gelten. Sie stehen bis zur letzten Konsequenz dazu, dass sie und wir alle jetzt alles tun müssen. Sie lassen ihre Lebenspläne sausen und setzen alles aufs Spiel, weil alles auf dem Spiel steht. Mit dieser Entschlossenheit können wir das Ruder herumreißen. Die Letzte Generation hat sich intensiv mit der Forschung zu sozialen Bewegungen beschäftigt, wie etwa von Erika Chenoweth[2], und setzt auf Gewaltfreiheit, Methodenwechsel und eine Mobilisierung von 3,5 % der Bevölkerung – dann können selbst Diktatoren wie Milosevic gestürzt werden – und das können wir erreichen.“
Mobilisierung für ein systemisches, wirksames Gegensteuern gegen den Klimanotstand, den wir erleben, darum geht es. Persönliche Veränderung ist wichtig, Flugscham angebracht, aber ohne die Aufhebung der Kerosinsubventionen und zusätzlich eine Besteuerung von 100% für Inlandsflüge ist die Klimakatastrophe nicht zu verhindern, um nur eine der so dringenden und letztlich simplen Entscheidungen zu nennen.
Halten sie sich für die Retter der Welt?
„Also wir müssen systemisch denken und ich glaube da müssen wir einfach noch viel besser kommunizieren und die Menschen mitnehmen. Das ist ein wahnsinnig dickes Brett, weil das heißt letztlich, dass man eins zu eins, Auge in Auge, versucht mit den Menschen ins Gespräch zu kommen,“ erklärt Angela Krumpen und ist in diesem Moment eine Aktivistin, zumindest in ihrem Metier. Ist das eine Art von Messianismus, den die Letzte Generation vertritt? Halten sie sich für die Retter der Welt?
„Nein, sie sind sehr gut informiert, alles, was sie sagen und behaupten, ist wissenschaftlich fundiert; sie nehmen diese Erkenntnisse so todernst, wie sie sind (im Gegensatz zur Mehrheit, die die Fakten ungefähr weiß, aber links liegen lässt); das treibt sie zur Verzweiflung (was ja auch angemessen ist) und bis in die letzte Konsequenz.“ Die drei Protagonisten im Buch verbindet der Kampf um Gerechtigkeit für alle jene, die wegen den Wissings dieser Welt ihr Leben verlieren könnten.
„Es ist millionenfach gesagt, aber es wird nicht danach gehandelt und sie suchen eine Ausdrucksform damit Wissen und Handeln übereinander kommen und deswegen geben sie den Feueralarm. Es gibt ja auch immer mehr WissenschaftlerInnen, die sich ankleben und sagen: Wir können nicht mehr einfach nur sagen, was wir forschen. Es ist so existenziell, dass selbst wir den Raum der Wissenschaft verlassen müssen und aktivistisch unterwegs sind, damit irgendjemand zuhört.“
Wer wissen will, wie es in den Lebensgeschichten von Lina, Henning und Jörg Alt soweit kam, dass sie alles drangeben, sollte dieses spannende und sehr persönliche Buch lesen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass man plötzlich den Feueralarm hört – und ihn nicht mehr abgestellt kriegt.
—
Irene Tokarski ist Theologin, promoviert in Sozialethik über Partizipation und Option für die Armen, 20 Jahre in Bolivien tätig. Seit 2016 in Deutschland zu Fragen von weltweiter Gerechtigkeit unterwegs.
Coverbild: Angela Krumpen
[1] Beispielhaft sei hier nur genannt: Spiel mir das Lied vom Leben. Judith und der Junge von Schindlers Liste.
[2] Chenoweth, Erica / Stephan, Maria (2011) Why Civil Resistance Works. The Strategical Logic of Nonviolent Conflict. Columbia University Press: New York