Was haben die letzte Worte von Sterbenden mit dem Glauben zu tun? Können sie vielleicht sogar ein Argument für Gott oder für ein Leben nach dem Tod sein? Hubert Schröcker (Graz) analysiert einige dieser Worte und meint, dass sich doch ablesen lässt, welche Werte jemandem bis zum Sterben wichtig bleiben.
Letzte Worte, die (meist berühmte) Menschen unmittelbar vor ihrem Tod gesprochen haben, sind gründlich erkundet und gesammelt worden.[1] Teils wollen diese Sammlungen unterhalten, teils eine Sterbekultur erforschen, teils menschlichen Extremsituationen nahekommen. Manche verfolgen auch ein religiöses Ziel. Sie wollen durch letzte Worte Glaubenslehren vermitteln. Kann das gelingen?
„Du hast gesiegt, Galiläer!“
Das soll der letzte heidnische Kaiser Julian sterbend zugegeben haben. Ähnlich stellte schon der Kirchenvater Laktanz die Tode der Christenverfolger zusammen, um zu beweisen: Feinde der Christen nehmen ein schreckliches Ende.[2] Doch abgesehen von bedenklich rachsüchtigen Zügen im Gottesbild lassen sich die Fakten nur gewaltsam in dieses Schema pressen: Ausgerechnet der härteste Christenverfolger Diokletian verbrachte einen ruhigen Lebensabend. Um seinen Tod als Strafe Gottes hinzustellen, benötigt Laktanz seine ganze Rhetorik. Der Ausspruch des sterbenden Kaisers Julian wiederum findet sich erst ein Jahrhundert später bei voreingenommenen Kirchenvätern. Seine Anhänger berichten vom gelassenen Tod eines Philosophen nach dem Vorbild des Sokrates. Tendenziös sind beide Varianten.[3]
Vollzogene und verweigerte Bekehrungen
Ob er an Christus glaube, ob er wenigstens zu glauben wünsche, mit diesen Fragen bedrängten Besucher den sterbenden Freidenker Thomas Paine. Sie nahmen an, dass man nur im Glauben friedlich sterben könne. Mehr noch als die gelassenen Abschiedsworte der Gläubigen und der Heiligen untermauerten das die Beispiele bekannter Gottloser und Frevler, die sich kurz vor ihrem Tod bekehrten. Tatsächlich können Krisenerfahrungen wie Todesnähe zum Anlass für Bekehrungen werden, zu denen Seelsorger einen privilegierten Zugang haben und die in der knappen verbleibenden Lebenszeit nicht öffentlich bekannt werden. Doch fochten Geistliche auch regelrechte Wettkämpfe aus, welche Konfession einem öffentlichen Sünder ein Wort der Reue entlocken konnte. Oft werden Sterbende, nur um ihre Ruhe zu bekommen, gesagt haben, was aufdringliche Besucher hören wollten. Nach dem Tod entstanden publizistische Kontroversen, in denen sich Wahrheit und fromme Lüge kaum unterscheiden lassen, dreiste Fälschungen aber gelegentlich nachgewiesen sind. Wo sich beim besten Willen keine Umkehr erkennen ließ, schrieb man den Sterbenden die Vorahnung drohender Höllenqualen zu. Doch immer wieder beharrten Freidenker darauf, dass sie auch ohne religiösen Trost ihrem Tod ruhig und gelassen entgegen gingen. Über Christus sagte der oben genannte Thomas Paine mit einem seiner letzten Worte: „Was dieses Thema betrifft, habe ich keinen Wunsch zu glauben.“[4]
„Ich sehe den Himmel offen.“
So rief der sterbende Stephanus (Apg 7,56). Nach diesem Vorbild nahm man an, dass Sterbende bereits einen Blick in das Jenseits werfen und mit ihren letzten Worten darüber Auskunft geben. Auch hier kann ein konfessionelles Interesse vorliegen. Wer ins Paradies blickt, ist wohl schon auf dem Weg dorthin; also führt sein Glaube zum Heil. Dass umgekehrt Morgan Earp seine Wette auf eine Sterbebettvision verloren hat,[5] beweist hingegen nicht, dass es kein Jenseits gibt.
Das Phänomen der Sterbebettvision ähnelt der besser erforschten Nahtoderfahrung und ist entsprechend zu beurteilen. Gleichermaßen ist von einem Tunnel die Rede, von einem Licht und von der Begegnung mit bereits Verstorbenen bzw. religiösen Gestalten. Nur ein Element der Nahtoderfahrungen tritt begreiflicherweise in den letzten Worten nie auf: Das Erlebnis, außerhalb des eigenen Körpers zu sein und den Mund nicht zum Sprechen öffnen zu können, lässt sich nicht zugleich sprachlich artikulieren.
Durch einen solchen Blick ins Jenseits zwischen den Ansprüchen konkurrierender Religionen und Konfessionen zu entscheiden, ist praktisch unmöglich. Maria und andere Heilige erscheinen sterbenden Katholiken, nie Protestanten. Inder begegnen im Tod indischen Gottheiten.[6] Anscheinend wird, was Sterbende erleben, jeweils in den eigenen religiösen Kategorien formuliert.
Die Zwischenbilanz der religiösen Ergiebigkeit letzter Worte fällt nüchtern aus.
Ganz lässt sich ein religiöses Argument auf dieser Basis zwar nicht ausschließen. Aber in der Praxis verliert man sich in einem Gestrüpp aus religiösen Interessen, frommen Lügen, gesellschaftlichen Konventionen und persönlichen Interpretationen. Mehr Erfolg verspricht ein indirekter Gebrauch letzter Worte, der keine unmittelbar religiöse Auffassung bekräftigen soll, sondern menschliche Werte erprobt, die dann auch eine religiöse Bedeutung haben.
„Auf diese Entfernung könnten sie nicht einmal einen Elefanten treffen“
Das behauptete General John Sedgwick im amerikanischen Bürgerkrieg. Kurz danach wurde er tödlich getroffen.[7] Sterbeworte können drastisch vor Augen führen, wie jemand mitten aus dem Leben gerissen worden ist. Manche Menschen sind bis zuletzt so von Zukunftsplänen erfüllt, dass der Kontrast zwischen dem Inhalt und dem Umstand, dass sie das letzte Wort sprechen, frappiert. Doch findet sich ebenso oft eine Vorahnung des eigenen Todes oder ein Bewusstsein der Vergänglichkeit alles Irdischen. Solche letzte Worte erinnern daran, dass wir einmal sterben müssen und unvermutet sterben können. Sie sind eine Mahnung, dass wir unsere Lebenszeit gut gebrauchen. Diese menschliche Lebensweisheit besitzt auch religiöse Bedeutung.
Welche Werte tragen in Extremsituationen?
Bevor die deutsche Armee in Stalingrad unterging, wurden im Januar 1943 noch letzte Briefe ausgeflogen.[8] Sie sollten zur Propaganda verwendet werden, landeten aber im Archiv, denn nur 2% der Soldaten waren mit ihrem Heldentod einverstanden. Auch in anderen Kriegen hielt sich die Begeisterung für das Vaterland selten bis zum Ende durch.
Letzte Worte kann man also verwenden, um menschliche Werte auf die Probe zu stellen, ob sie auch in Extremsituationen tragen. Wenn sich Menschen bis zuletzt um Gut und Geld, um Prestige und Titel sorgen, wirkt das peinlich. Zwischenmenschliche Werte hingegen halten sich bis zum Tod: Familie, Freundschaft und eine humanitäre Lebenshaltung.[9] Mit besonderem Interesse prüfte man, ob sich die Lehre eines Philosophen (Musterbeispiel: Sokrates) in seinem Tod bewährt.[10] Sterbende Gelehrte sorgen sich immer wieder um die Fertigstellung eines Buches, das der Nachwelt ihre Einsichten überliefert.
„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“
Reihenweise starben Christen mit diesen Worten. Sie hielten sich an das Vorbild Jesu (Lk 23,46) und an Traktate über die „ars moriendi“[11], die von den sieben Kreuzesworten Jesu dieses zur Nachahmung empfahlen – und nicht etwa die theologisch anspruchsvolle Klage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Letzte Worte bezeugen menschliche Werte und daher auch die religiösen Werte sterbender Christen. Sie sind besonders glaubwürdig, denn Sterbende sagen – meistens, doch nicht immer – die Wahrheit. Da sie in dieser Welt nichts mehr zu fürchten und nichts zu erhoffen haben, entfallen viele Motive zu lügen.
Eine wichtige Rolle spielen die letzten Worte der Märtyrer, die ihr Leben für Christus gegeben haben. Überhaupt finden sich die schönsten letzten Worte bei Hinrichtungen[12] – was natürlich keine Todesstrafe rechtfertigt! Singulär ist bei dieser Todesart, dass körperlich und geistig gesunde Menschen den Zeitpunkt rechtzeitig vorher wissen, um sich bei vollem Bewusstsein ihre letzten Worte zu überlegen. Freilich kommen gerade deshalb Selbstinszenierungen vor. Das letzte Wort „Es lebe Christus, der König“ ist beispielsweise eine Mode unter Märtyrern, die im 20. Jahrhundert von Mexiko nach Spanien und weiter in den nationalsozialistischen und kommunistischen Herrschaftsbereich gewandert ist. Nach Mt 10,19f hat man die letzten Worte der Märtyrer zeitweise für vom Heiligen Geist inspiriert erklärt. Jedenfalls sind sie ein beeindruckendes Glaubenszeugnis.
Im Angesicht des Todes zeigt sich, was letztlich zählt.
Während das Interesse an letzten Worten hoch ist, werden ihre Entstehungsbedingungen ungünstig. Viele Patienten dämmern vereinsamt unter Medikamenteneinfluss weg. Ärzte und Angehörige verschweigen ihnen den Ernst ihres Zustands und machen damit den bewussten Abschied unmöglich. Doch bei aller Vorsicht lässt sich zumindest ein indirektes religiöses Argument aus letzten Worten gewinnen: Im Angesicht des Todes zeigt sich, welche Werte letztlich zählen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. William B. Brahms: Last Words of Notable People. Final Words of More Than 3500 Noteworthy People Throughout History. Haddonfield 2010; C. Bernard Ruffin: Last Words. A Dictionary of Deathbed Quotations. Jefferson-London 2005; Hans Halter: Ich habe meine Sache hier getan. Leben und letzte Worte berühmter Frauen und Männer. Berlin 2007; Wilhelm Blum: Letzte Worte. Bielefeld 2007.
[2] Vgl. Laktanz: De mortibus persecutorum. Die Todesarten der Verfolger. Übersetzt und eingeleitet von Alfons Städele. Turnhout 2003 (FC 43).
[3] Vgl. Klaus Rosen: Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser. Stuttgart 2006, 364-366; Marion Giebel: Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter. Düsseldorf 2002, 181 und 189.
[4] John Keane: Tom Paine. Boston 1995, 536.
[5] Vgl. Stuart N. Lake: Wyatt Earp. Frontier Marshal. Boston-New York 1931, 321-323.
[6] Vgl. Karlis Osis, Erlendur Haraldsson: Der Tod – ein neuer Anfang. Visionen und Erfahrungen an der Schwelle des Seins. Freiburg 1994, 93.
[7] Vgl. www.phrases.org.uk/quotes/last-words/john-sedgwick.html
[8] Vgl. Letzte Briefe aus Stalingrad. s. l. 1955.
[9] Vgl. Bronnie Ware: 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen. Einsichten, die Ihr Leben verändern werden. München 2013.
[10] Vgl. Frank Schweizer: Wie Philosophen sterben. München 2003; Simon Critchley: The Book of Dead Philosophers. New York 2008.
[11] Vgl. Claudia Resch: Trost im Angesicht des Todes. Frühe reformatorische Anleitungen zur Seelsorge an Kranken und Sterbenden. Tübingen-Basel 2006.
[12] Vgl. Scott Vollum: Last Words and the Death Penalty. Voices of the Condemned and their Co-Victims. New York 2008; Robert K. Elder: Last Words of the Executed. Chicago-London 2010.
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Autor: Dr. Hubert Schröcker ist Habilitand im Fach Fundamentaltheologie und derzeit Projektmitarbeiter am Lehrstuhl für Dogmatik der Karl-Franzens-Universität Graz sowie Kaplan in den Pfarren Graz-Schutzengel und Graz-Christkönig.
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