Die Rede von Gott ist immer problematisch, weil sie im Verdacht der Unangemessenheit erfolgt. Annette Jantzen geht der Suche nach einer angemessen zeitgemäßen Form der Gottesrede nach.
Die Möglichkeit nichtpatriarchaler Gottesrede lässt sich nicht unabhängig von der Praxis der Gottesrede, also im besonderen Maße nicht unabhängig von der liturgischen Sprache erörtern. Denn in der liturgischen Sprache findet die Rede von Gott erst einen Resonanzraum. Natürlich gibt es andere Resonanzräume, und es werden mehr, je leerer die Räume der Liturgie bleiben. Trotzdem muss eine kirchliche Gemeinschaft diese gottesdienstlichen Resonanzräume pflegen und besonders beachten, weil hier die Selbstvergewisserung als Glaubensgemeinschaft stattfindet. Liturgische Sprache setzt, prägt, aktualisiert und reproduziert, wie wir unseren Glauben buchstabieren. Mit „wir“ ist in diesem Fall die Glaubensweise innerhalb der römisch-katholischen Kirche gemeint, vergleichbares lässt sich für andere kirchliche Traditionsgemeinschaften aber auch herausarbeiten.
Liturgische Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen
Der Graben zwischen theologischer Forschung und kirchlicher Praxis zeigt sich im Bereich der liturgischen Sprache besonders deutlich. Exegetische Erkenntnisse finden nur sehr verzögert Eingang in die liturgische Sprache. Die liturgische Sprache ist deswegen von besonderem Gewicht, weil innerhalb der katholischen Kirche ein Deutungsmonopol gegeben ist, bei dem in zentralistischer Weise verbindliche Texte vorgegeben werden. Das betrifft etwa die Leseordnung, die bestimmte Verbindungslinien zwischen biblischen Texten nahelegt, bestätigt, vereindeutigt, verschweigt oder negiert, die aber auch durch die Auswahl und Kürzung der biblischen Texte die Vielfalt der biblischen Tradition einengt und nach einer Systematisierung, die keiner Kritik unterworfen ist, hervorhebt oder zum Schweigen bringt. Das betrifft aber auch die Formulierungen der Gebete, die häufig den Nominalstil des Lateinischen nachzubilden versuchen und nicht selten eher nach dogmatischer Belehrung der Gottesdienstfeiernden denn als Gebete zu Gott in seiner*ihrer Nähe und Entzogenheit klingen.
Das Problem einer systemstabilisierenden Sprache
Und auch das Menschen-, Welt- und Gottesbild, das den verbindlich vorgegebenen Gebeten zugrunde liegt, wird keiner Kritik unterzogen, die die gesellschaftlichen, kulturellen, persönlichen Hintergründe und Standorte der Formulierenden einbeziehen würde: In der liturgischen Sprache findet die Selbstrelativierung keinen Widerhall, die sich einstellen muss, wenn man die Standortgebundenheit des eigenen Welt- und Gottesverständnisses beachtet. Es ist eine systemstabilisierende, bestimmte Herrschaftsstrukturen legitimierende Gottesrede aus dem Sprachraum einer privilegierten, mit einer sprachlichen Abkürzung als „alte weiße Männer“ bezeichneten Gruppe. Wer die Sprache für die Liturgie normiert und als verbindlich vorgibt, hat eine enorme Macht über die Möglichkeiten der Glaubensaneignung durch die kirchliche Gemeinschaft. Mit dieser Macht wird bislang nur vordergründig transparent umgegangen. Vordergründig ist durch die hierarchische Struktur der römisch-katholischen Kirche klar, wer hier die Leitung und damit die Deutungshoheit innehat. Aber wie diese Leitung zustande kommt, wer warum in welche (Leitungs-)Position kommt, bleibt oft unklar. In Bezug auf die Liturgie sind hier insbesondere die Liturgischen Kommissionen zu nennen, die verbindliche Vorgaben machen, aber für die Gläubigen nicht sichtbar werden und diese Vorgaben den Gläubigen gegenüber nicht begründen müssen. Es gibt darum für die Gläubigen keine effektiven Wege, die Entscheidungen der Liturgischen Kommissionen anzufechten.
Was feierlich klingt ist oft theologisch arm.
Das Ergebnis ist eine massive Verarmung der liturgischen Sprache, und diese betrifft wiederum in besonderer Weise die Gottesrede. „Gott“ wird in der aktuellen Sprache der römisch-katholischen Liturgie ausgesprochen verengt dargestellt. Von den Realisierungsweisen Gottes kommen im Gottesdienst nahezu ausschließlich solche zur Sprache, die auf einem Dualismus von Gott und Welt beruhen und die Gott in der Rolle des Herrschers, Königs und Vaters anreden. Auch das Bild des Vaters, das ja viele Beziehungsoptionen anbietet, wird nicht in einem breiten Bedeutungsspektrum angewendet, sondern stereotyp im Sinn eines liebevollen, aber übermächtigen Bestimmers gebraucht. Im liturgischen, aber auch im sonstigen innerkirchlichen Gebrauch wird die Rede von Gott als Vater, Herr und König so sehr mit der Wirklichkeit Gottes gleichgesetzt, dass sie nicht mehr als analoge Rede wahrgenommen wird. „Gott ist Vater“ wird in dieser Sprachgemeinschaft nicht mehr als Bild, sondern als Wirklichkeit Gottes wahrgenommen. Das wäre in sich ein kleineres Problem, wenn die Bilder für Gott weniger verengt wären.
Verengtes Menschenbild kombiniert mit verengtem Gottesbild
Die vereindeutigende Tendenz begrenzt die Gottesrede aber so, dass in dem so gebildeten Sprachraum wichtige Wirklichkeiten der Sprechenden wie auch der angesprochenen göttlichen Instanz nicht mehr zum Klingen kommen können. Weder die Abgründigkeit Gottes angesichts der menschlichen Gewalterfahrung noch die schöpferische Vielfalt werden damit auch nur ansatzweise angedeutet. In einer Sprache, die dogmatische Eindeutigkeit transportieren will, lassen sich ambivalente Erfahrungen nicht ausdrücken. Ein auf ein eindeutiges Gottesbild begrenzter Glaube wird aber widersprüchliche und mehrdeutige, dissonante Erfahrungen des Menschseins oft genug nicht integrieren können und sich diesen Erfahrungen dann letztlich nicht gewachsen zeigen.
Das sprachliche Verschwinden der Frauen
Wie tief die Gleichsetzung von Sprachbildern mit der Wirklichkeit Gottes im Bewusstsein der kirchlichen Gemeinschaften verwurzelt ist, hat sich beispielsweise am Sturm der Reaktionen auf die „Bibel in gerechter Sprache“ gezeigt. „Darf man das?“, war die Grundfrage der Reaktionen. Darf man am grammatischen Geschlecht vorbei übersetzen? Verfälscht man den biblischen Befund, wenn man einen Plural Maskulin aus dem Hebräischen mit männlicher und weiblicher Form überträgt? Um das kurz einzuschieben: Ja, das darf man, denn der linguistische Befund ist hier nicht neutral. Wie im Französischen auch macht im Hebräischen die Anwesenheit eines männlichen Individuums eine ansonsten ausschließlich weibliche Gruppe zum sprachlichen Plural Maskulin. Und die Abwesenheit von Frauen ist in den seltensten Fällen gesichert: Nur verschwinden die Frauen in den Strukturen der männlichen Sprachformen. Das ist für die aktualisierende Erinnerung der biblischen Geschichten genauso ein Problem wie für die gesellschaftliche Teilhabe heute.
Das irritierende Potenzial variierender Gottesnamen
Die „Bibel in gerechter Sprache“ hat insbesondere den Gottesnamen quer zur Tradition übersetzt, ihn durch farbliche Hervorhebung gekennzeichnet und die Übertragung jeweils aus einem ganzen Bedeutungsspektrum verschiedener Benennungen gewählt und Alternativen dazu angegeben. Den so entstandenen Text zu lesen bedeutet, von der Nennung des Gottesnamens irritiert zu werden, besonders wenn der Text dann vorschlägt, „SIE“ zu lesen, oder „DIE EWIGE“, „DIE LEBENDIGE“. Die Abwehr dagegen war groß, schnell wurde klargestellt, dass die „Bibel in gerechter Sprache“ in römisch-katholischen Gottesdiensten keine Anwendung finden dürfe.
Ausbleibender Protest gegenüber Defiziten der Einheitsübersetzung
Interessanterweise gab es keinen vergleichbaren Aufschrei, als 2016 die neue Einheitsübersetzung vorgestellt wurde, die den Gottesnamen durchgängig mit „HERR“ überträgt und die sprachliche Selbstoffenbarung Gottes aus dem biblischen Text geradezu tilgt: Ganze zwei Mal kommt der Gottesname in seiner annähernden Bedeutung noch vor, einmal in einer Fußnote zu Ex 3, 14 und einmal im Glossar. Beide Male wird er mit einem im Hebräischen nicht vorhandenen Maskulinum übersetzt: „Ich bin, der ich bin“. Bei der Begründung für diese Übertragung wurde auf die jüdische Praxis verwiesen, beim Lesen des Gottesnamens diesen nicht auszusprechen, sondern „Adonaj“ zu lesen, also „Herr“. Diese Weise der Versprachlichung wird dort aber nicht am verschriftlichten Text selbst vorgenommen, sondern erst beim Lesen aktualisiert. Der unaussprechliche Gottesname bleibt als sprachliches Einfallstor der Transzendenz bestehen. Wer den Text liest, kann „Adonaj“ sagen, muss das aber nicht, sondern kann auch zu anderen sprachlichen Alternativen greifen. Zudem hat „Adonaj“ keine Entsprechung in der Alltagssprache, so dass eine Verwechslung oder Identifikation mit menschlichen Herrschaftsweisen weniger naheliegend ist.
Gott ist mehr als „Herr“
Das monotone „HERR“ der Einheitsübersetzung beruft sich auf die Septuaginta, die im hellenistischen Frühjudentum etwa ab 250 v. Chr. entstandene Übertragung der hebräischen Bibel ins Griechische. Dass die Septuaginta aber beispielsweise hinsichtlich Auswahl, Anordnung und Umfang der biblischen Texte äußerst kreative Aneignungsprozess der biblischen Schriften in einen neuen kulturellen Kontext hinein dokumentiert, wurde bei dieser Bezugnahme nicht ansatzweise nachvollzogen. Damit geht eine Verflachung des biblischen Gottesbildes einher, die angesichts des hohen ehrenamtlichen Einsatzes der Übersetzer:innen für die neue Einheitsübersetzung besonders zu bedauern ist.
Biblische Marginalisierungen aufzeigen
Die Frage der Übersetzung oder Übertragung in einen neuen kulturellen Kontext hinein ist aber nicht nur hinsichtlich des Gottesnamens von Bedeutung, sondern die biblischen Schriften sind ohne Bezug auf ihren gesellschaftlichen Kontext nicht angemessen zu verstehen. Das betrifft insbesondere Marginalisierungen im Text, in dem bestimmte Sichtweisen auf das erzählte Geschehen dominieren und andere Perspektiven unsichtbar bleiben oder aktiv unsichtbar gemacht werden. Solche Marginalisierungen betreffen insbesondere die Frauengeschichten in der Bibel, von ihnen ist in Irmtraud Fischers Bild vom Eisberg nur ein kleiner Teil noch im Text sichtbar, der viel größere Rest ist „im Meer der Vergessenheit untergetaucht, wenngleich manchmal noch in seinen wahren Ausmaßen erahnbar“[i]. Angesichts der patriarchal geprägten Kulturen, in denen die biblischen Schriften entstanden sind, kann dieser Befund nicht überraschen. Zu einem verantwortlichen Umgang mit der geglaubten Offenbarung Gottes in diesen Schriften gehört es, genau solche Marginalisierungen zu erkennen und sie nicht fortzuschreiben. Auch hier lassen die offiziellen Vorgaben der römisch-katholischen Liturgie ein angemessenes Reflexionsniveau vermissen.
Eine Tradition der Imperialisierung des Gottesbildes
Sie stehen damit in einer langen kulturellen Tradition der Imperialisierung des Gottesbildes, die hier zu Buche schlägt. Insbesondere die liturgischen Bücher der römisch-katholischen Kirche zur Ordnung ihrer Gottesdienste aktualisieren dieses imperialistische Bild und können in dem Moment keine Resonanz mehr entfalten, in der die Gesellschaft die alten Herrschaftsstrukturen nicht mehr anerkennt. Es ist darum kein Wunder, dass die Praxis des Gottesdienstes genau dann drastisch abnimmt, wenn die Beteiligten („das Volk“) sich darin nicht mehr wiedererkennen, wenn die beispielsweise die Bemühungen um Beteiligung, Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit so gar keinen Widerhall in der liturgischen Sprache finden, sondern die liturgische Sprache im Gegenteil immer massiver ein nicht mehr anschlussfähiges Welt-, Menschen- und Gottesbild durchzusetzen und einzuschärfen versucht.
Ungenutzte theologische Potenziale
Tragisch ist das darum, weil aus der Perspektive der theologischen Forschung dieser Dualismus nicht zwingend wäre. Theologie will die Wirklichkeit durchsichtig machen auf Gott hin, keine alternative Wirklichkeit schaffen. So könnte auch eine angemessene liturgische Sprache einen Resonanzraum bieten für heutige Glaubenserfahrungen, anstatt einen parallelen Sprachraum zu bilden, der kaum noch Anhalt im sonstigen Leben der Mifeiernden hat.
Einen parallelen, gesellschaftlich weitgehend nicht mehr anschlussfähigen Raum stellt die Kirche auch in ihrem Umgang mit Macht und Geschlecht dar. Und es ist kein Zufall, dass sich auch in diesem Bereich der Graben zwischen Kirche und Theologie in der liturgischen Praxis auf besonders markante Weise zeigt, wenn etwa die liturgischen Texte zur Priesterweihe jede historisch-kritische Forschung zur Ämtertheologie negieren und biblische Bilder auf eine völlig unkritische Weise aktualisieren. Auch theologische Konzepte, die so heute überholt oder zumindest fragwürdig geworden sind, wie ein unkritischer Vorsehungsglaube, ein ungebrochen theozentrisches Weltbild oder eine so nicht mehr haltbare Opfertheologie, werden in der liturgischen Sprache genauso wie ein patriarchales Gottesbild weiterhin aktualisiert und fortgeschrieben.
Traditionen sind vielfältig
Wenn die Sprache der göttlichen Offenbarung trotz der Marginalisierungstendenzen der Tradition bunt und vielfältig ist, dann kann eine auf Zentralisierung und Deutungshoheit bedachte Übersetzung in aktuelle Gottesdienstsprache hinein dieser Buntheit und Vielfältigkeit nicht gerecht werden. Es würde nicht einmal genügen, einfach jede männliche Form der Gottesanrede durch eine weibliche zu ersetzen, auch wenn der Verfremdungseffekt dadurch schon einen Wert in sich hätte.
Nein, ein Denk- und Glaubenssystem, das sich mit dem Autoritätsargument gegen theologische Erkenntnis immunisiert, wird durch einen Austausch der grammatikalischen Geschlechter in der Gottesrede höchstens vorübergehend irritiert. Es wird dadurch aber nicht so aufgebrochen, dass die heutige Welterfahrung, dass Ambivalenzen und vielfältige Diskriminierungserfahrungen, dass Emanzipationsbestrebungen und Ermächtigung der Unterdrückten darin Einzug halten könnten und es wie bei einer Geburt aufweiten könnten, ausgerichtet auf eine offene Zukunft Gottes hin, in der ungerechte Herrschaft überwunden und neue Gemeinschaft möglich wird.
Gesucht ist eine suchende Gottesrede
Dazu braucht es eine Gottesrede, die sucht, statt zu behaupten. Es braucht eine Aneignung der Offenbarung und ihre furchtlose Übersetzung in heutige Kontexte hinein, in der nicht die Angst vor der „Diktatur des Relativismus“ den Ton angibt, sondern die emanzipatorische Perspektive auf eine offene Zukunft Gottes hin.
Liturgie lebt von Resonanz und Verbundenheit. Eine liturgische Sprache, die Verbundenheit nur behauptet, sie aber nicht erfahrbar macht, verhindert die Resonanz bei den Mitfeiernden genauso wie der Versuch, ein unhinterfragt patriarchales Gottesbild in einer post-patriarchalen Gesellschaft zum Klingen zu bringen. „In dieser Kirche, in diesem Gottesdienst komme ich mit meinem Leben nicht mehr vor“: Diese Erfahrung wird die römisch-katholische Konstruktion der Wirklichkeit über kurz oder lang zum Einsturz bringen.
Es wäre aber noch so viel zu entdecken an Gottesbildern und Welthoffnungen, inspiriert von der Vielfalt der humanwissenschaftlichen Erkenntnisse und der überwältigenden Erfahrung des Kosmos‘. Die Klimabewegung und die Emanzipation der Unterdrückten, von der Black-Lives-Matter-Bewegung über die Sensibilisierung für genderfaire Sprache bis zum Feiern der Vielfalt des Lebens in unzähligen Facetten der Geschlechtlichkeit, sie könnten zu Zeichen der Zeit werden, um die befreiende Perspektive eines biblisch begründeten Glaubens ins Heute zu entfalten.
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Information zur Autorin: Annette Jantzen ist Theologin und Pastoralreferentin in der Diözese Aachen. Sie ist Geistliche Verbandsleitung beim BDKJ Aachen und als regionale Frauenseelsorgerin Initiatorin von www.gotteswort-weiblich.de
Foto: Ben White / unsplash.com
[i] Irmtraud Fischer, Gotteskünderinnen, Stuttgart 2002, 17.