Andreas G. Weiß (Salzburg), selbst einige Zeit in den USA tätig, anlässlich der Amtseinführung von Donald Trump am 20.1.2025: Über zivilreligiöse Hintergründe, rituelle Inszenierung und Erwartungen im Hinblick auf die zweite Ära Trump.
Wenn am 20. Januar 2025 Donald Trump als wiedergewählter Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird, stehen die Inszenierung dieses Ereignisses, der präsidiale Amtseid sowie die zivilreligiöse Fundierung dieses Aktes unter Beobachtung. „So wahr mir Gott helfe!“, lautet die gängige Bekräftigungsformel in amerikanischen (aber auch internationalen) Einführungsversprechen politischer Akteure. Zwar ist diese weder in den USA noch in zahlreichen anderen staatlichen Verfassungen und Gesetzen keinesfalls vorgeschrieben, so greifen doch viele Amtsträger und Institutionen auch in Zeiten der Trennung von Kirche und Staat, säkularer Verfassungen und einer ständig wachsenden Distanzierung vieler Menschen von Glaube und Religion in westlichen Ländern gerne darauf zurück – oder wagen es nicht, diese Gepflogenheit anzutasten.
Rituale, Ereignisse und die mediale Inszenierung des Präsidenteneides
Wenn Donald Trump als Sieger der US-Präsidentschaftswahl 2024 am 20. Januar 2025 vor den obersten Richter tritt, um seinen Amtseid abzulegen, fühlen sich manche Menschen in- und außerhalb der Vereinigten Staaten vielfach befremdet: Der oberste politische Amtsträger wird in einem Land, das sich seit mehr als 230 Jahren die verfassungsgemäße Trennung von Kirche und Staat sowie die aktive und passive Religionsfreiheit (seit der Bill of Rights 1789) auf die Fahnen geheftet hat, mit einem Schwur auf die Heilige Schrift samt dem Versprechen „So help me God!“ samt öffentlicher Inszenierung als Medienereignis in die neue Aufgabe eingeführt. Diese „zivilreligiöse Liturgie“, die in den USA alle vier Jahre am verfassungsmäßig festgelegten (Feier-)Tag abläuft, lässt nur wenige Menschen kalt. Dies hat mit der immensen Wichtigkeit der Rolle des US-Präsidenten im nationalen und internationalen Geschehen zu tun, zugleich aber auch mit dessen gekonnt in Szene gesetzten Positionierung anlässlich des ersten offiziellen Auftritts.
Es fällt schwer, den klar sichtbaren (quasi-)religiösen Anschein dieser Veranstaltung im 21. Jahrhundert nachzuvollziehen.
Der Rahmen dieser Veranstaltung bahnt den Weg für (religions-)politische Narrative, die Abhaltung der Zeremonie wird zu einem sinnbildlichen Siegel über dem (bereits vorher feststehenden und ratifizierten) Wahlsieg. Ob es Lieder, Chöre, kulturelle Einschübe oder Showelemente aus der Unterhaltungswelt sind – sie alle sind letztlich höchst relevant für das Licht, das auf den neuen „Man in Charge“ fällt, auch wenn sie für den Eid, seine Ablegung und Gültigkeit keinerlei Relevanz besitzen. Die Vereidigungen am Fuße des „Kapitol Hill“ haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem wahren Medienspektakel entwickelt – alle verfügbaren Werbemaschinerien der digitalen, sozialen und online-Welt werden für dieses Ereignis angeworfen. Umso mehr fällt es zahlreichen Kreisen in- und außerhalb der Vereinigten Staaten schwer, den klar sichtbaren (quasi-)religiösen Anschein dieser Veranstaltung im 21. Jahrhundert nachzuvollziehen.
„Gott“ und Bibel als Fremdkörper oder Schlusssteine?
Zunächst sei klargestellt: Weder die gottbezogene Bekräftigungsformel noch die Verwendung der Bibel oder einer anderen Heiligen Schrift bzw. nicht einmal die Verwendung eines (Buch-)Textes für die Vereidigung ist vorgeschrieben. Es gab auch in den USA bereits Vereidigungen auf ein Gesetzbuch (John Quincy Adams 1825), auf ein römisches Missale (Lyndon B. Johnson 1963 in der Air Force One) oder ohne jegliche Texte (Theodore Roosevelt 1901). Dennoch waren die letzten Vereidigungen eher von der Frage geprägt, ob nun eine oder zwei Bibeln verwendet werden bzw. welche Ausgaben davon. Keiner der Präsidenten in den vergangenen Jahrzehnten wagte es, trotz ständig steigender Säkularisierung der Bevölkerung in den USA sowie einer immer größer werdenden Gruppe Nicht-Religiöser, die sakralpolitischen Anleihen dieses Eides infrage zu stellen, bewusst zu ändern oder auszulassen.
Das Heilige bahnt sich nicht zuletzt auch in streng säkularen Staaten den Weg in die Öffentlichkeit.
Geht es nach religionskritischen Bewegungen in den USA (wie etwa der „Church of the Flying Spaghetti Monster“), hätten solche liturgisch anmutenden Bezüge in öffentlich-politischen Vorgängen nichts verloren. Andererseits wuchs in vielen Kreisen der USA nicht zuletzt auf Basis der religionssoziologischen Theorie der „Civil Religion“ (Robert Bellah[1]) bzw. der „Emergence“-These von Sidney Mead in seinem berühmten Buch „The Lively Experiment“ [2] die Überzeugung, dass solche sakralen Elemente bis heute als Teil der patriotischen Grundüberzeugung der USA im Rückgriff auf ihre „Gründungserzählung“ bis heute wirksam sind[3] – und sich in manchen Bereichen bis heute als „unkonventionelle Partnerschaft“ (Robert B. Fowler[4]) erwiesen haben.
Das Religiöse fungiert … ähnlich einer transdendenzbezogenen Rückbindung eines politischen Dienstes.
Auch wenn die Kritik an diesem religionspolitischen Ineinander nicht nur in den USA immer lauter wird, sind ähnliche religionspolitische „Relikte“ bzw. Rituale auch in anderen Staaten, Regierungsformen und religiösen Kontexten immer wieder zu finden: Das Religiöse fungiert – wie auch beim Präsidentschaftseid der USA – ähnlich einer transdendenzbezogenen Rückbindung eines politischen Dienstes: Der/die Schwörende verpflichtet sich unter Bezugnahme einer überweltlichen Größe auf ein menschliches, geschichtliches, immanentes Amt. Die Rituale solcher Zeremonien rund um den Globus muten in dieser Hinsicht wohl auch nicht zufällig höchst sakral an – das Heilige bahnt sich nicht zuletzt auch in streng säkularen Staaten den Weg in die Öffentlichkeit (Hans Joas[5]). Dies könne, so etwa der anglokatholische Theologe Graham Ward, auf anthropologisch-psychologische Gründe und das Gefühl bzw. die Sehnsucht nach dem Sakralen bzw. unbedingter Verbindlichkeit im menschlichen Leben zurückgeführt werden[6], sie erfülle aber in zahlreichen staatspolitischen Strukturen auch heute noch eine (gerade auch Macht, Ansehen, Autorität) begründende Funktion.
Die „National Mall“[7] – eine Bühne für die amerikanische Zivilreligion
Eine bessere Kulisse als den Kapitolhügel in Washington, D.C., hätten sich wohl auch die besten Chefstrategen der Parteispitzen nicht ausdenken können: Seit der Gründung der US-Hauptstadt im Jahre 1790 war die heutige Metropole neben dem ständigen Wohnort des Präsidenten und dem dauernden nationalen Regierungssitz immer auch Schauplatz der wichtigsten sakralpolitischen Architekturen des US-Bewusstseins. Die National Mall, ein ca. 1,5 km langer Grünstreifen zwischen dem Kapitolhügel und dem Lincoln-Memorial, bildet die Bühne des religionspolitischen Erwählungsbewusstseins der USA: Die Denkmäler großer Präsidenten sowie zentraler Figuren und Ereignisse der US-Geschichte reihen sich nahtlos an die neoklassizistischen Amtsgebäude an und weisen ihrerseits nicht selten religiös konnotierte Anleihen aus: Etwa der monumentale Obelisk als Erinnerungsbau für George Washington, die übergroße Sitzstatue Abraham Lincolns in einem eigenen Tempel-„Schrein“ (orientiert an der Zeus-Statue in Olympia) sowie die Mahnmäler für Kriege, Krisen und Katastrophen.[8]
Die „National Mall“ ist als Ganze ein Ort US-amerikanischer Sakralpolitik.
Keine dieser Bauten wurde ohne heftige politische Debatten über ihr Aussehen, die Architektur, den Standort oder Größe erbaut – eine Tatsache, die man aus anderen Teilen der Welt nur allzu gut kennt. Die „National Mall“ ist als Ganze ein Ort US-amerikanischer Sakralpolitik, sie spiegelt den Umgang mit der eigenen Geschichte und dem eigenen Auftrag in der Welt wider. Die Denkmäler an der „National Mall“ scheinen als ein in Stein gemeißeltes Bekenntnis an die „Great Nation“, für viele aber auch als höchst ambivalente und missverständliche Selbstinszenierung der USA in deren nationalem und internationalem Geschehen.
Die „Civil Religion“ der Vereinigten Staaten
Sowohl Robert Bellah als auch Sidney Mead attestierten dem US-Patriotismus in ihren Arbeiten den entscheidenden Vorteil, nicht auf eine bestimmte Konfession ausgerichtet zu sein. Das inklusive Moment der „Nation Under God“ bestünde gerade darin, dass nicht festgelegt oder eingegrenzt werde, welcher „Gott“ diese höchste Gottheit sei. Mit der vagen Formulierung in der Verfassung, wonach die Menschen von ihrem „Schöpfer“ (creator) mit unveräußerlichen (inalienable) Rechten versehen sind, konnte sowohl für christliche Bekenntnisse, wie auch jüdische, muslimische, ja sogar Religion(en) ohne personale Gottesvorstellungen als Eingliederungsmoment in die politische „Heiligungserzählung“ ein Identifikationsmerkmal geschaffen werden, in das sie ihre Religion einbetten konnten. So hätten sich auch große Teile der muslimischen US-Bevölkerung bis 9/11 durchaus in die patriotisch-heldenhafte Erwählungserzählung der USA und das besonders von der republikanischen Partei jahrzehntelang proklamierte Menschen- und Gesellschaftsbild einfügen können (ein Umstand, der durch die Anti-Islam-Politik von George W. Bush so gut wie vollständig ausgehebelt wurde). So war es aber auch für die jüdische Bevölkerung seit der Staatsgründung nie ein ernstes Problem, mit den ständigen Gottesbezügen in politischen Ereignissen, Reden und Kampagnen umzugehen, selbst religionskritische Präsidenten (etwa Thomas Jefferson oder John Adams), die sich selbst eher als aufklärerische Deisten und nicht als gläubig/religionslos eingeschätzt hätten, konnten sich damit abfinden.
Der Gottesbezug selbst blieb jedoch bis ins 21. Jahrhundert fest in das politische Bewusstsein der USA eingeschrieben. Dafür sorgte insbesondere auch der Kalte Krieg, in dem sich die Vereinigten Staaten unter Eisenhower, Nixon und Reagan international als „Bollwerk gegen den atheistischen Kommunismus“ darstellten. Wenig überraschend, dass die Hinzufügung des „In God We Trust“ auf dem Dollar bzw. der „Nation Under God“ im Fahneneid Ergebnisse der anti-kommunistischen Politik und keine Überbleibsel längst vergangener Kolonialzeiten sind.
Trumps zweiter Anlauf: Die Angst vor dem Sturm
Wenn Donald Trump am 20. Jänner 2025 erneut seine Hand zum höchsten Amtseid vor dem Obersten Richter erhebt, wird dies von vielen bereits als ein Seismograph für seine Amtsführung in den kommenden Jahren gesehen. Auch vor Trump nutzten die neu vereidigten Präsidenten die Aufmerksamkeit, die diesem Ereignis geschenkt wird, immer auch dafür, eigene politische Duftmarken zu hinterlassen, einen Ausblick auf wichtige Projekte zu geben oder sich gegenüber der Bevölkerung, anderen Parteien sowie der nicht-amerikanischen Partner zu positionieren. Bei Trumps erster Vereidigung waren zahlreiche Kreise im In- und Ausland überrascht, wie artig und brav sich der sonst so polternde Neo-Politiker und Immobilientycoon an die Gepflogenheiten dieses altehrwürdigen Rituals gehalten hat. Brav hat er seine Hand auf der Bibel platziert, artig den Eid aufgesagt, die Gottes-Formel ergänzt und in seiner Anschlussrede von einem „Bauen von Brücken“, „Versöhnung“ und „Heilung“ gesprochen.
Das messianische Narrativ scheint über weite Strecken einem Richternarrativ gewichen zu sein.
Dieses Mal scheinen die Vorzeichen verändert zu sein: Zu groß sind bei vielen die Ängste, dass Donald Trumps erster öffentlicher Auftritt auf dem „Capitol-Hill“ seit dem 6. Januar 2021 und seinem indirekten Aufruf zum Sturm auf den Kongress zu einem ähnlichen Tornado eskalieren könnte. Hatte sich das Wahlkampfteam Trumps 2016 darauf konzentriert, den politischen Quereinsteiger als „Retter“ einer Nation geradezu messianisch zu inszenieren, so nahm der 2020 abgewählte Präsident im neuerlichen Wahlkampf vermehrt Wörter wie „Rache“, „Vergeltung“ oder kriegerische Metaphern in den Mund. Das messianische Narrativ scheint über weite Strecken einem Richternarrativ gewichen zu sein – was angesichts der zahlreichen angestrengten Verfahren gegen Trump in den letzten vier Jahren nur passend wäre: Der „zu Unrecht Verfolgte“, als der sich Trump immer hingestellt hatte, könnte durch seine Wiederwahl zu einem Bumerang für so manche Personen in seiner Gegnerschaft bzw. im politischen und juristischen System werden. Die Sorgenfalten werden angesichts der nächsten vier Jahre unter Donald Trumps Präsidentschaft letztlich auch aufgrund der Ungewissheit, wie er sein Amt dieses Mal anlegen könnte, tiefer.
Spannung, Zweifel und Ernüchterung – am Vorabend von Trumps zweiter Inauguration
Bei der Zeremonie zur Amtseinführung gibt es tatsächlich nur wenige Regelungen – auch wenn der Ablauf bis ins kleinste Detail geplant, vorgegeben und ritualisiert zu sein scheint, findet sich in der Verfassung bzw. den Direktiven zu diesem Staatsakt nur wenig unveränderlich Verankertes. Nicht zuletzt deshalb nutzten einige Präsidenten in der Vergangenheit diese Gelegenheit, um symbolartige Nuancen als politische Stoßrichtung einzubauen: Etwa als Barack Obama die beiden Bibelausgaben von Abraham Lincoln und Martin Luther King Jr. als Fundament seines Schwurs benutzte, war dies ein klares Zeichen, in welchen Fußstapfen er seine Präsidentschaft sah. Auch der medienwirksame und vielfach rezipierte Auftritt von Amanda Gorman bei der Inauguration Joe Bidens 2021 war sicherlich kein Zufall, sondern ein bewusst gewähltes Stilelement für diese Inszenierung.
Es bleibt ein formeller Staatsakt, bei allen liturgischen Anleihen und quasireligiösen Ausprägungen.
Zwar können solche Elemente durchaus einen Vorgeschmack auf die jeweilige Präsidentschaft ermöglichen, letzten Endes bleibt aber auch bei der Inauguration am 20. Januar 2025 die Tatsache, dass die Form eines Amtseides oder die erste öffentliche Gebarung eines neuen Amtsträgers nicht ausreichen, um eine aussagekräftige Einschätzung für die kommenden Jahre zu geben. Es bleibt ein formeller Staatsakt, bei allen liturgischen Anleihen und quasireligiösen Ausprägungen. Donald Trump wird auch diesen Staatsakt über die Bühne bringen – mit oder ohne Skandal. Unabhängig davon wird sich aber zeigen, welches Resümee am Ende seiner zweiten Amtszeit gezogen werden kann, ob er den von ihm angekündigten Aufstieg der Supermacht USA realisieren, Kriege und Konflikte weltweit beenden und das amerikanische Volk einen kann. Zu wünschen wäre es. Ungelogen und ganz ehrlich. Zweifel dürften aber angesichts der krisengeschüttelten Weltlage bleiben – so wahr uns allen Gott helfen möge.
[1] Bellah, Robert N., Civil Religion in America, in: Daedalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences (96/1967), 1-21.
[2] Mead, Sidney, The Lively Experiment: The Shaping of Christianity in America, New York 1963.
[3] Anm.: Es kann nicht verschwiegen werden, dass beide Denker ihre Theorien im Laufe der Zeit immer wieder verändert, auf andere Kontexte angewandt bzw. neu adaptiert haben. Sowohl Bellah als auch Mead waren sich der Varianz ihrer Thesen durchaus bewusst und haben dies bis zu ihrem Ableben immer wieder betont.
[4] Vgl. Fowler, Robert Booth, Unconventional Partners. Religion and Liberal Culture in the United States, Grand Rapids 1989.
[5] Vgl. Joas, Hans, Die Macht des Heiligen: Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung, Berlin 2017.
[6] Vgl. Ward, Graham, Unbelievable. Why We Believe and Why We Don’t, London/New York 2014.
[7] Vgl. https://www.nps.gov/nama/planyourvisit/places-to-visit.htm
[8] Vgl. Savage, Kirk, Monument Wars. Washington, D.C., the National Mall, and the Transformation of the Memorial Landscape, Berkely u.a. 2009.
—
Andreas G. Weiß, Dr. theol., geb. 1986 in Schwarzach i. Pongau (Ö), ist kath. Theologe, Religionswissenschaftler und Philosoph in Salzburg. Nach Studien in Salzburg und mehrjährigen Forschungs- und Lehraufenthalten in den USA ist er seit 2016 theologischer Bereichsverantwortlicher und seit 2024 Direktor des Katholischen Bildungswerkes Salzburg.
Die US-Präsidentschaftswahlen und deren religionspolitische Einflüsse bzw. Auswirkungen kommentierte er seit 2012 für zahlreiche Zeitungen.
Buch zum Thema: Weiß, A. G., Trump – Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Was wir nie für möglich hielten, hat uns schon verändert, Ostfildern (Patmos) 2019.
Beitragsbild: shutterstock ID 2430065795