Das Vorbereitungsdokument (Instrumentum laboris) für die erste Sitzung der Bischofssynode im Oktober 2023 enthält eine bemerkenswerte Formulierung. Eva-Maria Faber legt sie in pointierter Zuspitzung auf die Ämtertheologie aus.
Es «wächst die Erkenntnis, dass die Ausrichtung auf die Sendung das einzige im Evangelium begründete Kriterium für die interne Organisation der christlichen Gemeinschaft ist, für die Verteilung der Funktionen und Aufgaben und die Verwaltung ihrer Institutionen und Strukturen». Dieser Satz aus dem Instrumentum laboris (IL) für die Bischofssynode im Herbst 20231 (IL 44) ist geeignet, ähnlich viele Diskussionsbeiträge nach sich zu ziehen wie vor ca. 25 Jahren ein Satz aus der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER)2.
Welche sind die Kriterien? Der Wiedererkennungseffekt
In der Gemeinsamen Erklärung hiess es, die Rechtfertigungslehre sei «ein unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will» (GER 18). Die nach Auskunft von Beteiligten sekundär eingefügte Formulierung zog die lutherische Frage nach sich, ob die Rechtfertigungslehre nur ein Kriterium unter anderen oder nicht vielmehr «das» Kriterium sei. Der Text präzisiert deswegen: «Wenn Lutheraner die einzigartige Bedeutung dieses Kriteriums betonen, verneinen sie nicht den Zusammenhang und die Bedeutung aller Glaubenswahrheiten». Umgekehrt erläutert das Dokument die katholische Position: «Wenn Katholiken sich von mehreren Kriterien in Pflicht genommen sehen, verneinen sie nicht die besondere Funktion der Rechtfertigungsbotschaft».
Und nun erklärt das Instrumentum laboris zwar nicht für das Gesamt des Glaubens und der Praxis, wohl aber für «die interne Organisation der christlichen Gemeinschaft», die Ausrichtung auf die Sendung sei das einzige im Evangelium begründete Kriterium.
Welches sind die Kriterien, an denen die Kirche Lehre und Leben orientiert? Worauf ich in der Beschreibung dieses Wiedererkennungseffektes hinauswill, ist nicht die Frage, ob mit IL 44 die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre torpediert wird. Denn ihr zufolge müsste ja die Rechtfertigungslehre eine besondere kriterielle Funktion auch für die in IL 44 genannten kirchlichen Prozesse haben. Dass sie nicht das einzige Kriterium ist, wird mit der Benennung der Sendung als anderes wichtiges Kriterium plausibel. Die Sendung lässt sich wohl tatsächlich nicht einfach unter die Rechtfertigungslehre subsumieren.
Aufsehenerregend ist nun aber in ekklesiologischer Hinsicht die Konzentration auf die Sendung, die das Instrumentum laboris anzeigt. Um fast jeden Begriff der Formulierung könnten sich Diskussionen entspinnen. Was impliziert der Begriff Sendung? Was ist mit Organisation, Verteilung der Funktionen und Aufgaben und Verwaltung der Institutionen und Strukturen gemeint?
An dieser Stelle können keine ausführlichen Antwortversuche vorgelegt werden. Die folgenden Überlegungen gehen den genannten Aspekten nur so weit nach, dass die Herausforderung von IL 44 speziell für die Frage der Ämter in der Kirche besser erkennbar werden kann.
Der Fokus auf der Sendung im Instrumentum laboris
Im Kontext des Instrumentum laboris ist die Sendung die dynamische Selbstüberschreitung, in der die Kirche nicht bei sich selbst bleibt, sondern das Evangelium verkündet (vgl. z.B. IL 51), und zwar in sehr unterschiedlichen Kontexten (vgl. IL 5). Es ist die Sendung, «das Evangelium in allen Dimensionen der menschlichen Existenz zu verkünden und Fleisch werden zu lassen» (IL 20). Dabei gewichtet das Instrumentum laboris diese Sendung ausserordentlich stark und hebt sie schon insofern hervor, als es dieses Thema in der Trias von «Gemeinschaft, Sendung und Teilhabe» neu3 an zweiter Stelle behandelt. Das Dokument setzt damit ein Signal, dass die Sendung nicht erst Konsequenz der vorher gewissermassen unabhängig von der Sendung behandelten und gestalteten Gemeinschaft und Teilhabe ist (vgl. IL 43f). Vielmehr seien «Gemeinschaft und Sendung miteinander verwoben und spiegeln sich gegenseitig wider» (IL 44). Und weil die Teilhabe nur von Gemeinschaft und Sendung her zu verstehen sei, könne sie «erst nach den beiden anderen behandelt werden» (IL 44).
Dieselben Reflexionen, die hinter dieser Reihung stehen, dürften auch dazu geführt haben, der Sendung eine bzw. die kriterielle Funktion für die Gestaltung von Kirche zuzuschreiben.
Zusammenschau von Sendung und Rechtfertigung
Um keine kurzschlüssigen Folgerungen zu ziehen, ist in einem Zwischenschritt der Fokus theologisch zu weiten. Dabei kann die Parallele zum Kriterium der Rechtfertigungslehre hilfreich sein.
IL 44 will nicht auf eine unstrukturierte Dynamisierung hinaus, sondern setzt voraus, dass die Kirche für ihre Sendung Organisation, Funktionen, Aufgaben, Institutionen und Strukturen braucht. Die gewählten Formulierungen weisen auch darauf hin, dass sie nicht die Institutionen und Strukturen als solche, sondern ihre «Verwaltung» dem Kriterium der Sendung unterstellen. An dieser Stelle lässt sich das Kriterium der Rechtfertigungslehre integrieren. Sie thematisiert den Vorrang des göttlichen Erbarmens: «Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken» (GER 15). Von diesem rechtfertigungstheologisch und gnadentheologisch bestimmten Glauben her ist nicht zuletzt in den kirchlichen Strukturen zu gewährleisten, dass der Vorrang des göttlichen Wirkens zum Ausdruck kommt. Dieses Postulat lässt sich auch sendungstheologisch einholen, insofern die Kirche sich ihre Sendung nicht selbst gibt, sondern sich im Geschehen der Sendung Jesu Christi durch den Vater und im Heiligen Geist vorfindet.
Möchte man nun sowohl das Kriterium der Sendung aus IL 44 als auch das Kriterium der Rechtfertigungslehre aus GER berücksichtigen, so bewährt sich in Anwendung auf kirchliche Ämterstrukturen die Aussage des (in der multilateralen Ökumene unter Mitarbeit der römisch-katholischen Kirche verabschiedeten sogenannten) Lima-Dokumentes von 1982:
«Um ihre Sendung zu erfüllen, braucht die Kirche Personen, die öffentlich und ständig dafür verantwortlich sind, auf ihre fundamentale Abhängigkeit von Jesus Christus hinzuweisen, und die dadurch innerhalb der vielfältigen Gaben einen Bezugspunkt ihrer Einheit darstellen. Das Amt solcher Personen, die seit sehr früher Zeit ordiniert wurden, ist konstitutiv für das Leben und Zeugnis der Kirche»4.
Das Kriterium der Sendung gebietet es, den «vielfältigen Gaben» bzw. der Vielfalt der Charismen Aufmerksamkeit zuzuwenden, die das Instrumentum laboris auch unter der Bezeichnung der Taufämter zusammenfasst. Diese benötigen einen «Bezugspunkt der Einheit». Damit ist nicht nur die pragmatische Aufgabe gemeint, die verschiedenen Charismen aufeinander zu beziehen und in ein fruchtbares Zusammenspiel zu bringen. Das Kriterium der Rechtfertigungstheologie wie auch ein theologisch fundiertes Verständnis der Sendung identifizieren den Bezugspunkt der Charismen in einem Amt, das die Abhängigkeit von Jesus Christus bezeugt. Es steht dafür ein, dass im Leben und Wirken der Glaubenden Jesus Christus selbst gegenwärtig und wirksam ist. Mit den Worten eines lehramtlichen Textes von Papst Johannes Paul II. formuliert: Die Kirche ist angewiesen auf ein personales «Zeichen für den absoluten Vorrang und die Unentgeltlichkeit der Gnade, die der Kirche vom auferstandenen Christus als Geschenk zuteil wird»5. Das Lima-Dokument sieht dieses als konstitutiv bezeichnete Amt gebunden an die Ordination. Das Instrumentum laboris fragt deswegen nach dem Verhältnis von «Weiheamt» und «Taufämtern».
Das «einzige im Evangelium begründete Kriterium der Sendung»
Wie stellt sich vor diesem Hintergrund die Rede vom einzigen Kriterium der Sendung in IL 44 dar? Vom Kriterium der Sendung aus muss die Verteilung von Funktionen und Aufgaben sich daran bemessen, dass die Kirche ihre Sendung in den verschiedenen Kontexten und in all ihren Facetten leben kann. Dazu braucht es konstitutiv den Einsatz der freien Charismen, dazu braucht es konstitutiv das auf Ordination beruhende Amt. Nicht umsonst spricht IL 44 von «Institutionen und Strukturen». Institutionen und Strukturen dienen der Stabilität: Sie sollen bzw. müssten dafür sorgen, dass konstitutive Momente kirchlichen Lebens «öffentlich und ständig» vollzogen werden können.
Dies ist im Blick auf das an die Ordination gebundene Amt gegenwärtig in weiten Teilen der römisch-katholischen Kirche nicht der Fall. Denn die bisherige Logik (und weithin auch das Instrumentum laboris) geht anders vor. Sie bestimmt von historisch gewachsenen Strukturvorgaben aus, wer welche Ämter, Funktionen und Aufgaben übernehmen kann. Diese strukturell gesetzten Vorzeichen bestimmen darüber, wie sich die Sendung der Kirche erfüllen lässt. Faktisch bedeutet dies, dass sich die Verkündigung des Evangeliums und vor allem die Feier der Sakramente in vielen Landstrichen dieser Welt nur gebrochen vollzieht, weil es nicht genug ordinierte Personen gibt. Paradoxerweise wird im Konzert der Ökumene gerade die römisch-katholische Kirche, die traditionell das auf Ordination beruhende Amt besonders stark betont, den Einsichten des Lima-Dokumentes nicht gerecht.
Die Diskussionen um Eucharistie und Ordination weisen schon länger auf Schieflagen bei der Prioritätensetzung hin. Wie kann es sein, dass die römisch-katholische Kirche die Zulassungsbedingungen zu den auf Ordination beruhenden Ämtern höher gewichtet als die Feier der Eucharistie und anderer Sakramente und als die theologisch gebotene sakramentale Beauftragung von Personen mit umfassenden seelsorglichen Aufgaben und ekklesialen Leitungsämtern in Handauflegung und Gebet.
Wenn die Sendung als Kriterium leitend wäre, müsste sich die Logik verändern. Dann wären die Blockaden zu bearbeiten, die viele nicht ordinierte Seelsorger und Seelsorgerinnen in der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern und die es verunmöglichen, die Sakramente dort zu feiern, wo sie im Leben von Menschen heilsam wären (Eucharistie, Sakrament der Versöhnung, Krankensalbung). An der Sendung orientiert wäre zu entscheiden, in welcher Weise jene Menschen in Dienst genommen werden, die Aufgaben übernehmen, welche rechtfertigungstheologisch das Vorzeichen der Ordination bedürfen.
Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass nicht allein der Text von IL 44 schon eine Wende markiert. Doch es wird schwierig sein, diese Priorität der Sendung als aus dem Evangelium stammendes Kriterium wieder zu «zähmen». IL 44 ist Ausdruck einer Neugewichtung von Orientierungspunkten, die, wenn sie sich durchsetzt, einige Konsequenzen haben könnte.
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Eva-Maria Faber ist Rektorin der Theologischen Hochschule Chur und Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologe.
Titelbild:Pixabay
- «Parallelamente cresce la coscienza che l’orientamento alla missione costituisce l’unico criterio evangelicamente fondato per l’organizzazione interna della comunità cristiana, la distribuzione di ruoli e compiti e la gestione delle sue istituzioni e strutture»: «Instrumentum laboris» della XVI Assemblea Generale Ordinaria del Sinodo dei Vescovi (vatican.va). ↩
- Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche (1999). In: DwÜ 3,419–441; im Internet: Lutherischer_Weltbund_Gemeinsame_Erklärung (lutheranworld.org). ↩
- Die erste Phase des weltkirchlichen synodalen Prozesses stand unter der Überschrift «Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung» (vgl. IL 3). ↩
- Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen ÖRK: (Konvergenzerklärungen über) Taufe, Eucharistie und Amt, 1982. In: DwÜ 1, 545–585, Amt Nr. 8: 569. ↩
- Papst Johannes Paul II.: Nachsynodales Apostolisches Schreiben «Pastores dabo vobis» über die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart, 1992, Nr. 16: Pastores Dabo Vobis (25. März 1992) | Johannes Paul II. (vatican.va). ↩