Liturgie ist die Feier eines Mysteriums. Berührung durch Gott und zugleich sein Sich-Entziehen gehen dabei Hand in Hand. Inwiefern kann angesichts der vielen Riten und Symbole gerade die Sprache hilfreich sein im Kontext der Liturgie? Der Grazer Liturgiewissenschafter Bert Groen nähert sich dem Phänomen der liturgischen Sprache an.
Das Mysterium Gottes ist für uns Menschen verschleiert. Obwohl Gott sich im Lauf der Geschichte – namentlich in der Schöpfung, im Bund mit Israel, im befreienden Auszug aus Ägypten und im Leben von Jesus von Nazareth sowie im Paradox von dessen Tod und Auferstehung und in der Geistesgabe – erkennen ließ und sich auch heute den Menschen zu erkennen gibt, ist unser Erkennen unvollkommen. Sämtliche Versuche, sich mittels Riten, Mythen, Zeichen, bildender Künste, Musik und Sprache dem Gottesmysterium anzunähern, mögen wirkungsvoll sein, aber sie sind nicht vollkommen.
Sprache ist ein holpriges Medium auf dem Weg zur Begegnung von Gott und Mensch.
Auch die christlichen Kernriten, die Sakramente, unterliegen dieser Ambivalenz: In ihnen berührt uns Gott und bleibt uns zugleich verschleiert. Sprache ist daher nicht das Ziel, sondern ein holpriges Medium auf dem Weg zur Begegnung von Gott und Mensch. Auch die beste liturgische Sprache ist daher ein unzulängliches Mittel, um das Geheimnis Gottes und die Vision einer neuen Erde und eines neuen Himmels zum Ausdruck zu bringen. Sie stammelt, holpert und stockt.
Die liturgische Sprache spricht über Gott als ‚Alles und Nichts‘, ‚Ordnung und Chaos‘, ‚Ursprung und Ende‘. Gleichzeitig, wiederum paradoxerweise, vermag gerade die Sprache – wie die übrigen Künste – Funken von Licht, Spuren des Unsichtbaren zu zeigen. So vermag die Sprache als Symbol die menschliche Wirklichkeit und die irdische Gemeinschaft derjenigen, die sich in der Kirche oder anderswo rituell versammelt haben, mit dem Licht Gottes in Verbindung setzen. Damit kann sie nicht nur eine Brücke, sondern auch performativ sein, gewissermaßen eine neue Wirklichkeit ‚präsent stellen‘. Man kann diese erkennen, an ihr teilnehmen und sie genießen, aber sie ist gleichzeitig ephemer und dürfte sofort nach dem Augenblick des Erkennens verschwinden. (Diese Erfahrung findet sich z.B. bei den Emmausjüngern oder in bei der Verklärung Jesu auf dem Berg.)
Die Liturgiesprache und das Reden von Barmherzigkeit sollen bildhaft und dichterisch sein.
Die Liturgiesprache soll in der Heiligen Schrift verwurzelt sein, einschließlich der eindringlichen biblischen Botschaft von Erbarmen und Gerechtigkeit für die Notleidenden. Dabei sollte die Liturgiesprache allerdings immer aktualisieren, denn Tradition und heutige Erfahrung müssen miteinander verknüpft werden. Die Liturgiesprache und das Reden von Barmherzigkeit sollen dabei bildhaft und dichterisch sein: Die authentische Sprache des Betens und der Liturgie ist eng mit der leisen Sprache der Dichter und dem kreativen Schaffen der Künstler/innen verwandt. Sie ist ‚die zweite Sprache‘ (de tweede taal; Huub Oosterhuis), die Sprache der Visionen, Bilder und Gleichnisse, die Sprache des Betastens und der Rührung, die Sprache der Sehnsucht und des Verlangens, eine verletzbare Sprache, die wesentlich anders ist als ‚die erste Sprache‘, die Sprache der Tatsachen, Begriffe, des genauen Beschreibens, der Wissenschaft.
Liturgische Sprache ist nicht banal und widersetzt sich den Gewaltstrukturen dieser Welt.
Natürlich braucht auch die Theologie als wissenschaftliche Disziplin diese ‚erste Sprache‘, aber ihre Quelle und ihr Strömen soll die ‚zweite Sprache‘ sein. Das ist leider oft nicht der Fall, und dann dominiert auch im wissenschaftlichen Sprechen von Gott die erste Sprache die zweite. Zudem soll, wie Kunst, auch liturgische Sprache nicht glatt, nicht banal sein, sondern der Banalität Widerstand leisten. Sie widersetzt sich den Gewaltstrukturen dieser Welt, vermittelt Worte des Lebens und ist auf diese Weise missionarisch. Gute performative liturgische Sprache bewirkt Veränderungen, eine katharsis bei den Teilnehmenden. Sie trägt zum Verbunden-Sein miteinander sowie zur Begegnung der Gemeinde mit dem Unsichtbaren bei. Sie ist der Atem der ‚Schule‘ der Liturgie, die auf ein anderes Fühlen und Denken, auf die innere Umkehr der Teilnehmenden hinzielt.
Die liturgische Sprache bewegt sich zwischen Geborgenheit und Herausforderung.
Es gibt zwei Pole, die für menschliches Glück und die christliche Spiritualität notwendig sind: Geborgenheit und Herausforderung (comfort and challenge). Die liturgische Sprache bewegt sich vom einen Pol zum anderen, bezieht beide Pole ein. Sie ‚meistert‘ ihre Aufgaben in allerlei Arten des Sprechens: in der Klage genauso wie im Lobpreis, im tastenden Zweifel wie im festen Wissen, flehend oder verkündigend, verzweifelt anrufend oder segnend. Sie redet von Gott und der Begegnung zwischen dem rätselhaften Unsichtbaren, der sich liebevoll leiblich inkarnierte, und den Menschen; ja, sie redet zu Gott in einer ununterbrochenen Dialogfeier. Sie ist mysteriös in dem Sinn, dass sie das Mysterium der Gottesliebe ausdrückt, nicht an erster Stelle dadurch, dass sie eine für fast alle Menschen unverständliche tote Sakralsprache ist.
Eine gute Melodie verleiht dem Text Flügel.
Die liturgische Sprache muss nicht unbedingt nur gesprochen werden. Gerade das Singen kann – mehr als das gesprochene Wort – Gefühle hervorrufen und Verbundenheit forcieren. Obwohl der Text den Primat haben soll, unterstützt eine gute Melodie den Text, sie interpretiert ihn und verleiht ihm Flügel. Mehr als ein gesprochener Text, ist es ein gesungener, ein Lied, das uns in Bewegung hält.
Bert Groen lehrt seit 2002 in Graz Liturgiewissenschaft und ist seit 2007 auch UNESCO-Professor für den interkulturellen und interreligiösen Dialog in Südosteuropa.
Beitragsbild: http://www.publicdomainpictures.net/view-image.php?image=9807&picture=preaching-in-church