„Studiere Theologie und alle Wege stehen Dir offen.“ Das Theologiestudium ist für viele Berufe anschlussfähig. Aber im Studium fehlt es an Klärungshilfen bei der Qual der Wahl. Andree Burke skizziert Lösungen.
Aus Gesprächen mit Studieninteressierten und Studierenden zu beruflichen Möglichkeiten mit einem Theologiestudium lässt sich eine interessante Beobachtung ableiten: An einem Theologiestudium interessierte Schüler_innen sind nicht selten positiv überrascht von der Vielzahl beruflicher Entfaltungsmöglichkeiten jenseits eines Lebens als Priester oder als Religionslehrer_in. Demgegenüber bringen aber diejenigen, die in fortgeschrittenem Semester Theologie studieren, manchmal ihre Ratlosigkeit angesichts eben dieser Vielzahl an Entfaltungsmöglichkeiten zum Ausdruck. Was den einen als ungeahnte Chance erscheint, wird den anderen zum Prüfstein ihrer berufsbiografischen Entwicklung.
Theologiestudium und die Vielfalt beruflicher Perspektiven:
Reiz und Überforderung
Für die Theologie entpuppt sich beides als Herausforderung. Wie viele Schüler_innen fangen wohl gar nicht erst mit einem Theologiestudium an, weil sie nicht wissen, wozu sie das tun sollen? Und wie soll jemand wissen, wie sie oder er erworbene Kompetenzen im Berufsleben zur Anwendung bringen soll, wenn sie oder er von der Vielzahl der Anknüpfungspunkte dafür schlichtweg überfordert wird? Man könnte dieser Herausforderung begegnen, indem man sich fragt: Was sind eigentlich ‚die‘ Berufe der Theologie? Und was kann Theologiestudierenden dabei helfen, ‚ihren‘ Beruf zu finden?
Was hilft Theologiestudierenden dabei, ‚ihren‘ Beruf zu finden?
Tatsächlich ist es wohl sinnvoll, darauf zunächst drei Kernbereiche theologischer Berufe und Tätigkeiten zu nennen: Schule, Pastoral und Wissenschaft. Schnell erklärt wäre, was es mit „Schule“ und „Wissenschaft“ auf sich hat, schwieriger würde es allerdings schon im Hinblick auf die „Pastoral“ bzw. „Seelsorge“. Das Tätigkeitsspektrum von Seelsorger_innen reicht von der Erstkommunionkatechese über die Begleitung Kranker bis hin zur Gestaltung von Liturgien oder der Übernahme von Führungsverantwortung – und unterscheidet sich dabei in den jeweiligen Ausbildungswegen und Einsatzbereichen von Bistum zu Bistum. Es ist also schon nicht einfach, allgemein zu erklären, was pastorale Berufe – als ein Kernbereich theologischer Berufe und Tätigkeiten – eigentlich sind.
Drei Kernbereiche: Schule, Wissenschaft, Pastoral …
Noch schwieriger wird die Suche nach ‚den‘ Berufen der Theologie, wenn sich der Blick auf die weite Peripherie um diese genannten Kernbereiche herum richtet: Es gibt Theolog_innen, die hauptberuflich pädagogisch, politisch oder planerisch tätig sind. Es gibt Theolog_innen, die in Personalabteilungen, Unternehmensberatungen oder Kultureinrichtungen arbeiten. Es gibt Theolog_innen, die als Filmemacher_innen, Banker_innen oder Journalist_innen ihr Geld verdienen.
… und viele weitere Berufsfelder für Theolog_innen
Die unterschiedlichen Berufsbiografien von Theolog_innen zeigen es: ‚Die‘ Berufe der Theologie als klar abgrenzbares Spektrum sind kaum festzulegen. Zwar kann man einerseits von ‚Kernbereichen theologischer Berufe und Tätigkeiten‘ sprechen. Andererseits darf man aber die sich darin und darüber hinaus entfaltende Weite nicht vernachlässigen, wenn man von ‚den‘ Berufen der Theologie spricht. Zur Theologie gehört, dass sie in eine berufliche Weite führt. In Gesprächen mit denjenigen, die nach ihrem Theologiestudium im Berufsleben angekommen sind, zeigen sich dafür hauptsächlich drei Gründe.
Zur Theologie gehört, dass sie in eine berufliche Weite führt.
Erstens führt ein Theologiestudium in eine berufliche Weite, weil die Theologie als Wissenschaft enzyklopädischen Charakter hat. Die Fragen nach dem „Sprechen von Gott“ bzw. nach der Offenbarung treten in ganz unterschiedlichen Gewändern auf und fördern deshalb nicht nur die wissenschaftlich-theologische Sprachfähigkeit, sondern ermöglichen einen in der Universitätslandschaft beispiellosen Fähigkeiten- und Kompetenzerwerb: Wer sich im Theologiestudium als fähig erweist, geschichtliche Zusammenhänge zu erkennen, Sprachen zu lernen, Rechtsnormen auszulegen, philosophische und systematisch-theologische Zusammenhänge zu verstehen, gesellschaftliche, religiöse und politische Veränderungs- und Anpassungsprozesse in der ganzen Welt zu denken oder auch Praktiken und Vollzüge zu reflektieren und zu antizipieren, der darf sich wohl als umfassend allgemein gebildet verstehen.
Vorteil: der enzyklopädische Charakter des Theologiestudiums
Zweitens führt ein Theologiestudium in eine berufliche Weite, weil es Räume zur Entfaltung und Reflexion der eigenen Persönlichkeit öffnet. Es ist schon schwierig – man möchte meinen unmöglich –, Theologie zu studieren, ohne von ihr betroffen zu sein, denn die Themen und Fragen der Theologie sind Themen und Fragen des Lebens. Studierenden obliegt es, sich dazu zu verhalten. Dabei können Interessen, Motivationen, Wertmuster und Haltungen nachhaltig und kreativ entwickelt werden. Im Theologiestudium werden nicht nur Methoden der Theologie gelehrt, sondern es werden Theolog_innen mit ihren eigenen Persönlichkeiten ausgebildet.
Theologie bildet Persönlichkeiten aus.
Drittens führt ein Theologiestudium in eine berufliche Weite, weil es viele Türen zu anschlussfähigen Netzwerken aufstößt. Besonders kirchliche Netzwerke sind Knotenpunkte auch zur Politik, Kultur und Gesellschaft. Man denke nur an das vielfältige Engagement konkret zum Beispiel in Bildungshäusern, aber auch allgemein in Bistümern oder kirchlichen Verbänden. Theologiestudierende finden hier in der Regel schnell Anschluss an bestehende Netzwerke, können sich einbringen und selbst vernetzen.
Netzwerke als Chance für Theologiestudierende
All dies sind wertvolle Potenziale für die berufliche Praxis von Theolog_innen. Aus der Retrospektive derjenigen, die im Berufsleben angekommen sind, scheint es fast, als sei die Theologie ein Türöffner zu einer beruflichen Landschaft, in der Milch und Honig fließen. Ist das aber gleichermaßen sichtbar für diejenigen, die den Berufseinstieg noch vor sich haben? Einerseits eröffnet die angesprochene Weite Chancen zur beruflichen Entwicklung, sie fordert andererseits aber auch längerfristige Orientierungsprozesse ein, die heute manche_n überfordern. Den Potenzialen droht, verschenkt zu werden.
Überforderung: der Weg vom Studium in die Welt der Berufe
Genährt wird die Überforderung besonders da, wo der Bezug der Theologie zur Praxis nicht sichtbar ist und den Studierenden ihr Studium als ein denkerisches Dickicht erscheint, das es nur zu durchqueren gilt, um schließlich einen Lebensabschnitt hinter sich lassen zu können. Die Theologie könnte sich dagegen selbst auch als eine Praxis verstehen, die ‚ihre‘ Berufe dort entdeckt, wo Theolog_innen Praktiken zu ‚ihren‘ Praktiken machen. Denn die (berufliche) Weite der Theologie zeigt sich schließlich immer erst an ihren Praxisorten. Deshalb wird es für Theologiestudierende schwierig, sich beruflich zu orientieren, wenn sie kein Wissen um ihre eigene Affinität zu Praxisfeldern erworben haben. Eine Vertiefung der Praxisorientierung in der Ausbildung von Theolog_innen wäre da hilfreich. Möglich ist das auf gleich mehreren Ebenen.
So können die einzelnen theologischen Disziplinen und Fächer Studierenden aufzeigen, aus welcher Praxis heraus und auf welche Praxis hin sie Theolog_innen ausbilden. Das kann sich zum Beispiel in der Formulierung anschlussfähiger, durch das Studium der jeweiligen theologischen Disziplin zu erwerbender Kompetenzen äußern. Ebenso kann aber auch der Aufweis aktueller Problemstellungen, die die Disziplin betreffen, hilfreich sein. Wenn die Disziplinen und Fächer einen Praxisbezug aufweisen, kann es Studierenden leichter fallen, ihre Relevanz auch über das Studium hinaus zu erkennen.
Praxisorientierung stärken
Dann ist es aber auch wichtig, potenzielle Arbeitgeber_innen zu Wort kommen zu lassen, die mit je eigenen Erwartungen Theolog_innen suchen. Als einen Versuch, dies zu verwirklichen, kann man die Münsteraner Fachgespräche zur Zukunft des Theologiestudiums nennen – eine öffentliche Tagung Ende Juni dieses Jahres. Dort werden Vertreter_innen aus den Bereichen Pastoral, Schule, Wissenschaft sowie Kultur und Gesellschaft ihre Erwartungen an den Kompetenzerwerb von Theologiestudierenden formulieren und diskutieren, welchen Einfluss diese auf theologische Curricula haben könnten.
Das Gespräch suchen
Nicht zuletzt können natürlich curriculare Praxisphasen hilfreich zur Vertiefung der Praxisorientierung in der Ausbildung von Theolog_innen sein. Praktika haben meist experimentellen Charakter und dienen häufig der ersten Orientierung in einem beruflichen Praxisfeld. Deshalb eignen sie sich hervorragend, um Affinitäten zu Praxisfeldern zu entdecken und zu prüfen. Dies gilt besonders dann, wenn sie begleitet und reflektiert werden.
Wichtig scheint in jedem Fall, dass die Theologie ihre Weite als Potenzial für die Praxis sichtbar macht und als Vorteil erkennt; die Theologie ist heute herausgefordert, sich ihrer Weite zu stellen – ganz praktisch.
—
Andree Burke ist Koordinator des Netzwerkbüros Theologie & Beruf an der Katholisch-Theologischen Fakultät der WWU Münster. Er berät dort Studierende und Studieninteressierte zu ihren beruflichen Möglichkeiten im Anschluss an ein Theologiestudium.
Bild: tom hermans / unsplash.com
Weitere Informationen:
www.theologieundberuf.de
www.muensteraner-fachgespraeche.de