Henrike Herdramm plädiert anlässlich des Welttierschutztages für eine Theologie der Tiere.
Der Welttierschutztag ist ein Anlass, den theologischen Blick auf die nicht-menschlichen Tiere zu richten, die sonst in der Theologie systematisch vergessen oder ausgeschlossen werden. Denn dort, wo zentrale theologische Diskurse stattfinden, werden Tiere nicht beachtet. Nicht ohne Grund wird hinsichtlich der Tiere im Christentum zuerst an den sogenannten Herrschaftsauftrag gedacht, der für viele eine (absolute) Herrschaft über die Tiere legitimieren soll. Aus diesem Grund ist eine Theologie der Tiere essentiell, um den Ausschluss der Tiere aus der Theologie zu überwinden und um als Disziplin auf Problemfelder der Theologie zu schauen und diese neu zu beleuchten.
Wo zentrale theologische Diskurse stattfinden, werden Tiere nicht beachtet.
Die Theologie wird im Hinblick auf die Mensch-Tier-Beziehung von außen oft zurecht kritisiert, da sie einerseits für viele Denk- und Handlungsmuster mitverantwortlich ist, mit denen eine Minderwertigkeit der Tiere konstruiert und Gewalt gegen sie legitimiert wird. Andererseits bietet sie kaum Lösungen oder Konzepte an, um einen Ort für die Tiere in der Theologie zu schaffen und diese miteinzubeziehen.
Theologisch lässt sich beobachten, dass Tiere selbst in den Bereichen und Disziplinen kaum berücksichtigt werden, in denen sie theologisch höchst relevant wären, wie beispielsweise in der Schöpfungstheologie.[1] Hier wird das Schöpfungsverständnis in der Regel so instrumentalisiert, als sei der Mensch der einzige Zweck der Schöpfung. So wird die gesamte Schöpfung zu einem Mittel degradiert, welches ausschließlich für den Menschen existiert.
… als sei der Mensch der einzige Zweck der Schöpfung.
Dies liegt unter anderen daran, dass sich durch den Anthropozentrismus in der Theologie vor allem mit dem (übergeordneten) Mensch beschäftigt wird, der eine klare Sonderstellung im Vergleich zu den Tieren einnimmt. Tiere werden hier daher höchstens im Kontext des Herrschaftsauftrags und in einem kleinen Randbereich der Schöpfungstheologie betrachtet, jedoch selten als Geschöpfe Gottes mit in die Schöpfungslehre einbezogen. Die Geschöpflichkeit und Mitgeschöpflichkeit der Tiere wird hier meist in einem klar hierarchischen, von Herrschaft geprägten Verhältnis gesehen.
Die Abwertung der Tiere
Hierbei fällt zunächst auf, dass Tiere grundsätzlich abgewertet werden, um Menschen aufzuwerten. Tiere werden gerade theologisch gerne zum Vergleich mit den Menschen herangezogen, um die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren hervorzuheben, was automatisch zu einer Bewertung führt. Die daraus resultierende Bewertung ist hierbei in erster Linie eine Aufwertung des Menschen bei gleichzeitiger Abwertung des Tieres. Diese Vergleiche führen also in den meisten Fällen dazu, dass eine Überlegenheit des Menschen entworfen wird und zugleich eine ethische Orientierung geschaffen wird, die die Minderwertigkeit der Tiere und alles Tierlichen bestimmt.
eine Aufwertung des Menschen bei gleichzeitiger Abwertung des Tieres
Die Andersheit der Tiere wird hier als Anlass für einen durch den Anthropozentrismus akzeptierten Vergleich gesehen, der lediglich dazu dient, den Menschen als höherwertig darzustellen.[2] Darüber hinaus wird Tieren wird nicht nur die Ewigkeitsfähigkeit abgesprochen, sondern zugleich auch eine Erlösungsbedürftigkeit, was zur Folge hat, dass Tiere auch im Kontext dieser zentralen theologischen Themen bedeutungslos sind.[3]
Auch die Zweckbezogenheit (Teleologisierung) der Tiere, die schon im Mittelalter vor allem von Thomas von Aquin im Rahmen der Auffassung geprägt wurde, dass Tiere nur zum Zweck des Menschen existieren und entsprechend genutzt werden dürfen, zeigt den theologischen Stellenwert der Tiere. Dies beeinflusst auch heute noch das Mensch-Tier-Verhältnis und zeigt sich in der Theologie eben vor allem im Ausschluss der Tiere aus der Theologie.
Diese religiösen Denkmuster sind heute mit säkularen Denkmustern verstrickt.
Diese Denkmuster sind jedoch längst nicht mehr nur religiös, auch wenn sie unter anderem einen religiösen Ursprung haben. Sie sind heute mit säkularen Denkmustern verstrickt, sodass sich dieses dualistische System sich auch in gesellschaftlichen Diskursen wiederfinden, die auf den ersten Blick gar nicht religiös oder theologisch sind.
Das Potential der Tiertheologie
Die Verstrickung religiöser und säkularer Denk- und Handlungsmuster zeigt sich im Umgang mit Tieren, der auch heute überwiegend von Gewalt geprägt ist. Ob die Nutztierhaltung, Tierversuche oder die gesamte Tierindustrie: Das Mensch-Tier-Verhältnis zeichnet sich durch Hierarchien, Machtgefälle und Gewalt an Tieren aus. Die Tiertheologie beschäftigt sich nicht nur mit den Lebewesen, die bisher theologisch ausgeschlossen wurden, sondern kann darüber hinaus die (religiösen) Ideologien dekonstruieren und hinterfragen, die für den heutigen Umgang mit Tieren mitverantwortlich sind.
Es sollte bei einer zukunftsfähigen Tiertheologie auch darum gehen, die apologetischen Ansätze einer theologischen Tierethik kritisch zu hinterfragen, da diese eher Teil des Problems sind. Diese Ansätze blenden die gewaltvollen Verstrickungen der eigenen christlichen Tradition zumeist aus, anstatt Verantwortung für diese zu übernehmen. Das Wachhalten und Bewusstmachen dieser gewaltvollen Verstrickungen ist unabdingbar, um eine Reproduktion dieser zu verhindern.[4] Zugleich bietet die Tiertheologie jedoch auch das Potenzial, biblische Texte und Traditionen aus einer neuen Perspektive zu betrachten und neue Deutungshorizonte anzubieten, die das bisherige Verständnis der Mensch-Tier-Gott-Beziehung in Frage stellen.
Wachhalten und Bewusstmachen der eigenen gewaltvollen Verstrickungen für theologische Tierethik unabdingbar
Der Anthropozentrismus in der Theologie verhindert bisher eine Beschäftigung mit den Tieren in der Theologie und auch eine theologisch-ethische Reflexion über den Umgang mit nicht-menschlichen Tieren und die Verantwortungsübernahme der Theologie für den Einfluss auf das Mensch-Tier-Verhältnis. Dieser Anthropozentrismus zeigt sich gerade in der Sonderstellung des Menschen in der Theologie, die unter anderem durch die Interpretation des Herrschaftsauftrags, der Gottesebenbildlichkeit oder des Seelenverständnisses von Menschen und Tieren legitimiert wird. Durch diese theologischen Vorannahmen ist es umso schwieriger, den theologischen Anthropozentrismus aufzudecken und ihn zu überwinden.
Die Frage nach Gott
Die Frage nach Gott wird in der Tiertheologie wachgehalten. Gerade, wenn theologische Vorannahmen zur Mensch-Tier-Beziehung aber auch zur Mensch-Tier-Gott-Beziehung hinterfragt werden, ist die Gottesfrage höchstrelevant. Wenn Tiere theologisch zum ganz „Anderen“ gemacht werden, entsteht hier die Frage nach der Andersheit Gottes und ihrer Verbindung zur Andersheit der Tiere. Hierbei stellt sich außerdem die Frage nach Gottesbildern und wie diese unser Verständnis von Gott und der Beziehung zu Gott prägen.
die Frage nach der Andersheit Gottes und ihrer Verbindung zur Andersheit der Tiere
Ein Gottesbild, das im Christentum sehr prägend war und auch heute noch (bewusst oder unbewusst) die Vorstellungen von Gott prägt, ist das theistische Gottesbild, welches Gott als allmächtig, unveränderbar und absolut notwendig darstellt, was kaum eine Beziehungsebene zu den Geschöpfen möglich macht und kaum eine Lebendigkeit Gottes zeigt. Dieses Gottesbild stimmt nicht mit der Schöpfungserzählung überein, in der Gott kommunikativ ist und eine Verbindung zur Schöpfung hat.[5] Zu dieser Schöpfung zählen auch die nicht-menschlichen Geschöpfe Gottes, wobei Gottes Verbindung zu den Tieren theologisch bisher noch kein Anliegen ist.
Die Beziehungen wären demnach von Macht und einer Machthierarchie geprägt: Zwischen Gott und den Menschen gäbe es somit ein klares Abhängigkeitsverhältnis und eine Machthierarchie, welche sich gleichzeitig auch auf die Beziehung zwischen Menschen und Tieren überträgt. Wenn es um das Durchsetzen der eigenen Macht geht, geht es somit auch um eine (absolute) Herrschaft auf der Ebene zwischen Gott und Gottes Geschöpfen, aber auch unter den Geschöpfen. Eine (auch säkulare) Konsequenz daraus wird im heutigen Umgang mit Tieren deutlich, da sich dieser stark durch eine Machthierarchie auszeichnet. Eben diese Vorstellung steht in einer deutlichen Spannung zur Schöpfungserzählung, in der Macht eher im Sinne einer Ermächtigung anderer abgebildet wird.
In der Schöpfungserzählung ist Macht eher die Ermächtigung anderer.
Die Tiertheologie bietet somit das Potential, zentrale theologische Fragestellungen neu zu stellen und bisherige Vorannahmen zu hinterfragen. So ergeben sich neue Perspektiven, wie beispielsweise die Idee einer geteilten Lebendigkeit und des Schöpfungskollektivs.
Der Ausschluss der Tiere aus der Theologie lässt sich eindeutig auf einer systematischen Ebene verorten und muss auch auf dieser dekonstruiert und hinterfragt werden. Hierfür ist die Tiertheologie unabdingbar.
Henrike Herdramm ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Theologie des Instituts für Katholische Theologie an der Universität Paderborn. Sie ist Doktorandin am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Technischen Universität Dortmund und promoviert dort im Bereich der Tiertheologie. Ihre Forschungs- und Interessensschwerpunkte sind Tiertheologie, feministische Theologie sowie Themenbereiche einer intersektionalen Theologie.
Bild: Alexas_Foto / pixabay
2023 von der Autorin erschienen: Die Fremdheit der Tiere. Zur theologischen Konstruktion und Dekonstruktion des Anderen (animate theologies, Bd. 3), Darmstadt 2023.
[1] Vgl. Taxacher, Gregor: Alles nur Natur? Zum Problem der Anthropozentrik, In: Horstmann, Simone, Ruster, Thomas, Taxacher, Gregor: Alles, was atmet. Eine Theologie der Tiere. Verlag Friedrich Pustet 2018, 31–45, hier 37.
[2] Enxing, Julia: Schöpfungstheologie im Anthropozän. Gedanken zu einer planetarischen Solidarität und ihrer (theo)politischen Relevanz, In: Lintner, Martin (Hg.): Mensch – Tier – Gott. Interdisziplinäre Annäherungen an eine christliche Tierethik. Interdisciplinary Animal Ethics, Bd. 1, Nomos Verlag 2021, 161–180.
[3] Horstmann, Simone (Hg.): Religiöse Gewalt an Tieren. Interdisziplinäre Diagnosen zum Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt. Transcript 2021.
[4] Vgl. Horstmann, Simone: Zwischen Ritualismus und Nihilismus, In: Horstmann, Simone (Hg.), Religiöse Gewalt an Tieren. Interdisziplinäre Diagnosen zum Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt. Transcript 2021, 7–34.
[5] Vgl. Ruster, Thomas: Tiere -Sakramente der Transzendenz. Auf der Suche nach dem lebendigen Gott, In: Horstmann, Simone, Ruster, Thomas, Taxacher, Gregor (Hg.): Alles, was atmet. Eine Theologie der Tiere. Verlag Friedrich Pustet 2018, 117–136.