Bernd Jochen Hilberath schreibt als Mainzer erfahrungsgetränkt und sehr persönlich über den Humor des rheinischen Katholizismus.
Ob es denn völlig daneben sei oder vielleicht in bestimmter Hinsicht genau passe, dass ich etwas zur Fastnacht schreibe? An Ostern vergangenen Jahres ist meine Frau gestorben – wie geht ein gebürtiger Rheinhesse, mit der „Fassenacht“ großgeworden, als Ehemann und Theologe damit um? Meine Frau würde mich ganz sicher dazu ermuntern, einen Beitrag zu schreiben – mit dem Humor des rheinischen Katholiken. Ich musste mich erst dazu durchringen; Karnevalstreiben kommt für mich dieses Jahr nicht in Betracht. Eine konzentrierte einschlägige Meditation könnte mir vielleicht sogar helfen und möglicherweise auch Leser*innen einen Anstoß geben.
Trauer und Humor
Nun denn: Just heute wird im „Schwäbischen Tagblatt“ der Politiker Wolfgang Bosbach zitiert. Sein Motto als „rheinischer Katholik“: „Hier unten so leben, dass man oben noch reinkommt.“ Das kann auch Tiefsinn haben, kommt für mich aber eher flach daher. Eine andere Version hörte ich unlängst von einem rheinischen Westerwälder: „Es gibt römische Katholiken und rheinische Katholiken. Die römischen tun alles, was der Bischof sagt…“ Mein Verständnis vom rheinischen Katholiken braucht nicht die Distanz zu den (Erz-)Bischöfen; zwei waren als Professoren meine theologischen Lehrer, und einer von ihnen hat entscheidend dafür gesorgt, dass mir schließlich doch das „nihil obstat“ erteilt wurde. Freilich: wenn es sein muss, geht es auch ohne Bischöfe.
Hier unten so leben, dass man oben noch reinkommt?
Wenn ich mich in den letzten Jahren gerade im Schwabenland, bevorzugt in Predigten, als „rheinischer Katholik“ geoutet habe, dann hatte ich den Humor als Humus, als Mutterboden des Lebens, im Blick, ein Humor, der mich selbst und die Anderen gelassen und wohlwollend betrachten lässt, der die alltäglichen Situationen, Sorgen und Freuden des Lebens würdigt und in existentiell-ernsten Stunden eine letzte Geborgenheit als gewiss erfährt. Das kann sich sogar hinter nach außen hin „flach“ wirkenden Sprüchen, Büttenreden und Liedern als Sehnsucht verbergen oder auch in (Lied-)Texten ungeschminkt zur Sprache kommen.
Eine herausragende Verkörperung dieses rheinischen Humors ist für mich Hanns Dieter Hüsch, der evangelische Kabarettist und Laienprediger, den viele ob seines „katholischen Humors“ für einen Katholiken hielten. Der Christ vom Niederrhein fühlte sich wohl in Mainz, wo er lange Zeit die Kleinkunstbühne des Unterhauses betrat und förderte. Meine eigene Familie kommt väterlicherseits aus der Region „von Köln ab rheinaufwärts“, von meinem Vater habe ich das karnevalistische Gen geerbt (was mir nach seinem Tod noch viel deutlicher wurde), meine Mutter wurde in Koblenz, am „deutschen Eck“, geboren. Kölner Fastelovend und Määnzer Fassenacht ergeben eine Cuvee, die nach Lebensweisheit, nach Transzendenz in die Tiefe und von daher nach der Leichtigkeit des Daseins schmeckt.
Hanns Dieter Hüsch, der Laienprediger
Zwei Lieder kommen mir in den Sinn, die – ohne aufdringlich zu sein oder in der Gefahr überinterpretiert zu werden – zu Gehör bringen, was mich als rheinischen Katholiken zwischen der Ausgelassenheit des Rosenmontags und der Besinnlichkeit des Fastnachtsdienstag bewegt.
„Im Schatten des Doms“ betitelt ist die von Rainer Mathes komponierte und von Thomas Neger, dem Enkel des legendären Ernst Neger („Heile, heile, Gänsje“), gesungene “ruhige Fastnachtspophymne“. Sie wird bei Fußballspielen der 05er (1. FSV Mainz 05) gesungen, in Karnevalssitzungen und an Fassenacht auch im Gottesdienst, in der Narrenmesse. Fußball, Fassenacht und Kirche – eine typisch Mainzer Symbiose, zu deren Symbolfigur auch Bischof Karl Lehmann werden konnte, den alle Mainzer unabhängig von ihrer Konfession „unser Kardinal“ genannt hatten. „Wir alle, wir leben im Schatten des Doms“: Wer das singt, weiß sich vom Schatten behütet, vor der sengenden Hitze geschützt, in der Mitte der Stadt und des eigenen Lebens geborgen.
Leben im Schatten des Doms
Freilich vergeht selbst dem rheinischen Katholiken der Humor angesichts der „Schatten“, die das römisch-katholische System und seine mehr oder weniger führenden Agenten derzeit werfen. „und Gott Jokus singt mit uns ein Hallelujah“: Kein Mainzer glaubt an einen Jokus, auch wenn das Scherzen, besser: der Humor etwas Göttliches hat. Aber in Verbindung mit dem Hallelujah offenbart sich, mit wem und zu wem die Fastnachtspophymne gesungen wird. Unüberhörbar schallt es dann im Stadion „Wir halten unsere Fahnen schwenkend hoch in den Wind und danken, dass wir Gast auf Erden sind.“ Nicht jeder Fahnenschwenker wird auch ein solches Dankgebet sprechen, die Hymne aber lässt keinen Zweifel, wem gedankt wird – wem anders sollten wir danken, dass wir Menschenkinder auf dieser Erde sind? Wobei der Mainzer Humor des rheinischen Katholiken das „nur“ des „Gotteslob“ (Nr. 505) nicht kennt: „wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu“. Ja, Beschwerden gibt es, manchmal genug, aber zunächst ist die Erde unsere Heimat – und das nicht nur um „oben noch reinzukommen“. Nein, die Erde ist auch zu genießen und zu gestalten, und es gibt nicht nur „graue Gassen“, in denen wir „allein“ sind!
Unterbrechungen unter der Oberfläche
Wie weit die Fastnachtshymne von einem oberflächlichen Prosit auf das Leben entfernt ist, zeigen die beiden Strophen, die die Tradition des Narrenspiegels aufgreifen. Diesen hält der Narr sich selbst vors Gesicht und erkennt, wie er sich zugeschminkt hat, was er – idealisierend oder abschreckend? – übermalt hat: „Halt den Narrenspiegel dir vor’s Gesicht! Bist du das wirklich, ist das denn noch dein Ich?“ Fastnacht heißt auch „Unterbrechung“, einmal anders sein, aufatmen, das Ideal malen: „Bunt bemalt mit Farben, funkelnd und schön. Einmal im Jahr kann sich ein Narr so seh’n.“
Mainzer Fassenacht ist vom Ursprung her politisch. Das verschweigt auch die Hymne nicht: „Der Narrenspiegel zeigt nicht nur dich. Spiegel der Welt, oft das wahre Gesicht.“ Ein Narrenspiegel spiegelt ungeschminkt die Realität, eben auch „graue Schatten“ und so „Bilder von Narren, die so vieles nicht versteh’n“.
Als 1962 die Sturmflut den Tod nach Hamburg brachte, waren an meinem Gymnasium Rosenmontag und Fastnachtsdienstag nicht schulfrei. Wir Schüler hatten vor dem Direktionszimmer lautstark dagegen protestiert. Nachher habe ich mich dafür geschämt; es gibt eine Grenze, jenseits derer auch der Humor zu schweigen hat (ganz abgesehen davon, dass wir damals mit tiefsinnigem Humor nichts am Hut hatten, wir wollten einfach schulfrei).
Verdrängt die Kölsche Art, was um uns geschieh?
Katastrophen, umstürzende Ereignisse, mehr oder weniger dramatischen Art hält das Leben für uns parat, so zum Beispiel der Tod des geliebten Menschen. Bis zu einem gewissen, manches Mal auch hohen Grad ist da der rheinische Humor, das (christliche) Urvertrauen tragfähig. Wir können dem folgenden Kölsche Lied (der Gruppe „Höhner“), das wie immer im Dialekt emotionaler und lebendiger klingt, auch bei kritischer Betrachtung nicht Oberflächlichkeit nachsagen. Der Refrain könnte uns noch dazu verführen: „Kumm loss mer fiere, net lamentiere – Komm, lass uns feiern, nicht jammern, ein wenig Spaß und Freude, das hat noch keinem Menschen geschadet. Denn die Träne, die du lachst, musst du nicht weinen. Lass uns feiern auf Kölsche Art.“
Verdrängt die Kölsche Art, was um uns geschieht? Die erste Strophe räumt diesen Verdacht aus: „Unsere Zeit, die hat genug, kein Mensch wird daraus klug, was hier um uns herum passiert … An den Sorgen schunkeln wir doch nicht vorbei! Alles hat seine Zeit und nichts ist einerlei.“ Alles hat seine Zeit, das wusste schon das Buch des Predigers (Kohelet) im Alten Testament. Das erlebe ich selbst gerade „hautnah“, was dann die zweite Strophe intoniert: „Ein Gefühl braucht seine Zeit, ob es Trauer ist oder Glück – warte nicht, bis du dich selbst verlierst; lass es raus, wenn immer du kannst!“ Da stimmen am Ende die Kölner und Mainzer Narren in ein Motto ein: „Der Lauf der Welt ist uns ja nicht egal, doch das Leben ist nicht nur ein Jammertal.“
Humor als Humus des Lebens
Derzeit beschäftige ich mich intensiv mit einer Theologie des Heiligen Geistes. Ob das von ungefähr kommt? Was der Humor als Humus des Lebens bewirkt, das schreiben wir doch theologisch dem heiligen-heilenden Geist zu, dem Schöpfergeist des neuen Lebens, dem Tröster, Beistand und Vollender. So passt an dieser Stelle, was Hanns Dieter Hüsch in seinem Pfingstpsalm „Was den heiligen Geist betrifft“ (Hüsch/Seidel, Ich stehe unter Gottes Schutz. Psalmen für Alletage, Düsseldorf 1996 u.ö., S.63) bekennt:
„Und er schickt uns seit Jahrtausenden
Den Heiligen Geist in die Welt
Dass wir zuversichtlich sind
Dass wir uns freuen
Dass wir aufrecht gehen ohne Hochmut
Dass wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken
Und im Namen Gottes Kinder sind
In allen Teilen der Welt
Eins und einig sind
Und Phantasten dem Herrn werden
Von zartem Gemüt
Von fassungsloser Großzügigkeit
Und von leichtem Geist –
Ich zum Beispiel möchte immer Virtuose sein
Was den Heiligen Geist betrifft
So wahr mir Gott helfe. Amen.“
Ein „dreifach donnerndes Helau oder Allaf“ wäre unpassend. Aber wie wär’s mit einem dreifachen Hallelujah?
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Bernd Jochen Hilberath ist emeritierter Professor für Dogmatische Theologie und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen.
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