Weshalb Trump Präsident wurde und vor welchen Herausforderungen die US-amerikanische Gesellschaft steht. Ein Beitrag von Katharina von Kellenbach, die in Washington DC lebt.
Der erste Schock und das erste Grauen liegen hinter uns. Es fällt immer noch schwer zu verstehen, wie es zum Wahlsieg Trumps kommen konnte, besonders wenn man in einer Stadt wie Washington DC lebt, wo 93% der Wähler*innen Hillary Clinton gewählt haben (und 4% Donald Trump). Man fühlt sich an Berlin im November 1932 erinnert, wo sich die Berliner*innen durch die Goldenen Zwanziger getanzt und an der kulturellen, intellektuellen, und politischen Vielfalt der Weimarer Republik erfreut hatten, während sich auf dem Land der Unmut der Vergessenen und Zukurzgekommenen zusammenbraute und in der Wahl des Außenseiters Adolf Hitler entlud. Der Slogan des österreichischen Gefreiten „Deutschland Erwache“ war so abwegig und betörend wie das „Make America Great Again“ des New Yorker Immobilientycoons. Beide gewannen keine klaren Stimmenmehrheiten, sondern nutzten die Tücken des Wahlgesetzes, um an die Macht zu kommen. Amerika ist nicht Nazideutschland. Aber ich möchte aus der deutschen Geschichte vier Lektionen ziehen.
Der Slogan des österreichischen Gefreiten „Deutschland Erwache“ war so abwegig und betörend wie das „Make American Great Again“ des New Yorker Immobilientycoons.
- Die zwanziger und dreißiger Jahre waren Zeiten rapiden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wandels, die das Bedürfnis nach „dem starken Mann“, der Schutz bietet und Ordnung schafft, gedeihen ließen. Patriarchale Autorität erscheint dort wünschenswert, wo Chaos droht und sich Menschen überwältigt fühlen und Kontrolle verlieren. Faschistische Bewegungen gab es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Spanien, Portugal, Italien, und der Sowjetunion. Auch heute ist Trump kein einzigartig amerikanisches Phänomen, sondern muss als internationale Bewegung verstanden werden, die „strongmen“ an der Macht hält (Putin, Erdogan, Orban, etc.). In Zeiten, in denen Menschen und Waren, Geld und Krankheiten, Kulturen und Religionen scheinbar ungehemmt über Grenzen fließen und gewachsene Strukturen mit sich reißen, da wächst das Begehren nach Kontrolle und Begrenzung. Wie können wir besser mit den berechtigten Ängsten der Menschen vor dem drohendem Chaos des Klimawandels, der globalen wirtschaftlichen Vernetzung und Verarmung sowie dem politischen und kulturellen Zusammenwachsen unseres kleiner werdenden Planeten umgehen? Wird es uns gelingen, die kommenden Krisen ohne die Hilfe patriarchaler Ordnungskonstruktionen, in denen Männer und Frauen, Herren und Sklaven, Nationen und Religionen an ihre angestammten Plätzen zurückgezwungen werden, meistern?
Rapider Wandel lässt den Schrei nach dem „starken Mann“ laut werden.
- Deutschland der zwanziger und dreißiger Jahren war extrem fragmentiert und es gab kaum Institutionen, die politischen, kulturellen oder interreligiösen Dialog förderten: Kommunist*innen und Nazis, konservative und kosmopolitische Städter*innen, katholische, evangelische und jüdische Religionsgemeinden trafen sich nicht zum Gespräch. Eben solche soziale Isolation erklärt das Versagen der Meinungsforscher*innen und Mainstream-Medien, die Stimmung im Wahlvolk vorherzusagen. Die in den Städten lebenden professionellen Politkommentator*innen hatten keinen Kontakt zur weißen, ländlichen, arbeitenden Bevölkerung. Die USA lebt in einer extrem fragmentierten Informationsgesellschaft, in der Gruppen unterschiedliche Nachrichten aus verschiedenen Quellen beziehen. Obwohl wir einerseits durch die virtuelle Welt des World Wide Web zusammengewachsen sind, steigt gleichzeitig unsere Entfremdung und Distanz zu unseren Nachbar*innen. Es gibt, zumindest in den USA, kaum Institutionen, in denen Menschen unterschiedlicher Meinungen aufeinander treffen: In Kirchen, Schulen, Stadtvierteln, Restaurants, Clubs, TV und Radiosendern treffen sich zunehmend nur noch Gleichgesinnte. Es gibt kaum mehr Orte, an denen sich rassistische Automechaniker*innen mit den Ideen liberalen Akademiker*innen, homophobe Manager*innen mit den Hoffnungen verarmten Rinderfarmer*innen, islamfeindliche Frisör*innen mit den Sorgen eingewanderter Taxifahrer*innen auseinandersetzen. Der Wahlsieg Trumps hat gezeigt, dass wir in neuen Ghettos der Desinformation und des Desinteresses leben. Wie können wir Dialog so gestalten, dass er auch politische, soziale und geographische Grenzen überschreitet? Wie reagieren wir auf die unübersichtliche Medienlandschaft der social media, in der uns nur noch über den Bildschirm flimmert, was unser politisches, religiöses, und soziales Weltbild bestätigt? Solange die akademisch Gebildeten und politisch Progressiven, nicht aktiv auf die Verlierer*innen der globalen Wirtschaft und politisch Aussätzigen, die gegen die liberalen Normen und Konventionen verstoßen, zubewegen, wird uns eine Welle autoritärer Gewalt und Diktatur entgegenschlagen.
Die USA lebt in einer extrem fragmentierten Informationsgesellschaft, in der Gruppen unterschiedliche Nachrichten aus verschiedenen Quellen beziehen.
- In den schwarzen Ghettos Washington DCs, wo überwältigend viele Stimmen an Hillary Clinton gegangen sind, war niemand vom Wahlsieg Trumps überrascht. Schwarze Amerikaner*innen, ob auf dem Land oder in der Stadt lebend, können sich nicht leisten, die politische Macht des Rassismus zu unterschätzen. Sie wissen um seine ungebrochene Virulenz in der weißen Mehrheitsgesellschaft. Während sich manche Weiße „liberals“ noch in den siebziger Jahren wähnten, wo die Gleichstellung der Schwarzen, die Frauenbefreiung, und das Ende aller Unterdrückung erreichbar schien, leiden schwarze Amerikaner*innen seit den neunziger Jahren unter täglichen Erniedrigungen, Kriminalisierung, und wirtschaftlicher Verarmung, ganz besonders seit der Wirtschaftskrise. Es kam für sie nicht überraschend, dass die weiße Unter- und Mittelschicht gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen einen Milliardär wählte, dessen doppeldeutiger Wahlslogan „Make America Great Again“ sowohl den wirtschaftlichen Aufschwung als auch die Rückkehr weißer Vorherrschaft und männlicher Dominanz versprach. Seit der Wahl hat Trump seine populistischen Wirtschaftsversprechen weitgehend revidiert und sich Banker*innen und Wirtschaftsführer*innen ins Kabinett berufen, denen wenig daran gelegen ist, die Monopole zu brechen oder die obszöne Konzentration des Reichtums in den Händen weniger zu bremsen. Während die Reichen wohl von der Trump-Regierung weiter profitieren werden, feiern die Armen den Sieg ihres vermeintlichen Champions mit dem Hissen der Confederate Flag und dem Hitlergruß. Antisemitismus, Rassismus und Sexismus bilden demnach immer noch ein enormes emotionales Reservoir, mit dem politische Koalitionen aus widersprüchlichen Interessen gebaut und durchgesetzt werden können.
Die Schwarzen überraschte Trumps Sieg nicht.
- Allerdings formiert sich auch der Widerstand – und zwar kreativ und dezentral: Die United States Environmental Protection Agency weigert sich, die Namen der Angestellten die zum Klimawandel arbeiten, herauszugeben. Colleges und Städte erklären sich zu Zufluchtsorten und bekunden ihre Absicht, keinerlei Hilfeleistung bei der Abschiebung von Migrant*innen zu leisten; Staaten beschließen, schärfere Umweltgesetze zu verabschieden; am Tage der offiziellen Vereidigung ist ein „Million Women March“ geplant. Es steht zu hoffen, dass eine neue Generation politisch erwacht und aufsteht, die demokratischen Institutionen und Werte der USA zu verteidigen.
„May you not live in interesting times“ wünscht ein chinesisches Sprichwort. Uns stehen interessante Zeiten bevor, in der die gewachsenen Strukturen und Institutionen der Nachkriegswelt radikal getestet und neu konzipiert werden müssen. Es steht zu hoffen, dass die neue Ordnung nicht erst nach viel Blutvergießen in Reichweite kommt.
Katharina von Kellenbach, Ph. D., ist Professor of Religious Studies am St. Mary’s College of Maryland, USA.
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