Vom 4. bis 15. September 1995 fand in Peking die IV. Weltfrauenkonferenz statt. Ein Rückblick von Claudia Lücking-Michel, fast 30 Jahre danach.
„Woran werden wir uns erinnern?“ Mit dieser rhetorischen Frage der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland ging 1995 die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking zu Ende. Mit 36 000 Teilnehmer*innen war das die bis dato größte Konferenz in der Geschichte der UNO. Als eine der vielen Teilnehmer*innen durfte ich dabei sein.
Erinnerungen
Ja, woran erinnere ich mich jetzt fast 30 Jahre später? Dazwischen liegt immerhin etwa die Hälfte meines Lebens. Daran, dass ich in der Nacht vor dem Abflug meine Tochter noch einmal gestillt habe? Nur weil unsere Präsidentin eine erfahrene Landärztin war und dank „chinesischer Medizin“ habe ich keine größeren Probleme bekommen. An die vielen Spitzel und Kameras überall? An Hillary Clintons großem Auftritt – damals „nur“ als Präsidenten-Gattin?
An den Besuch in einer Gemeinschaft der katholischen Untergrund-Kirche, mit anonymen Geleitschutz zum geheimen Treffpunkt, um mich dann vollkommen fremd zu fühlen und den Eindruck zu haben mit einem Zeitsprung in einer vorvatikanischen Kirche gelandet zu sein? Oder an die „katholische“ Messe für Frauen auf dem Gelände des NGO-Forums in Huairou, zu der ganz offiziell eingeladen wurde. Wir wurden dringend vor der „Staatskirche“ gewarnt, hier war mir aber alles vertraut und das benutzte Lektionar war eine offizielle Übersetzung von Missio Aachen. Es wird schon deutlich, die Erinnerungen sind bunt und die Erfahrungen immer noch prägend.
Der Vatikan im Vorfeld: ein Fortschritt zu Nairobi 1985
Die Rolle des Vatikans wurde schon in der Vorbereitungsphase kritisch beobachtet. Es gab aber immerhin deutliche Fortschritte im Vergleich zum Frauengipfel in Nairobi 1985. Dort war die Vatikandelegation ein reiner Männerverein, geleitet „natürlich“ auch von einem Mann, Bischof Paul Josef Cordes. Die Delegation wollte sich nicht mit den katholischen NGO-Frauen zum Gespräch treffen.
Da ging es in Peking doch gleich besser los: Die Delegation war nicht nur gemischt, von 22 Mitgliedern immerhin 14 Frauen, selbst die Leitung der Delegation lag in den Händen einer Frau, einer 56-jährigen Juraprofessorin aus den USA Mary Ann Glendon. Erstmalig hat die vatikanische Delegation die katholischen Vertreterinnen der NGOs zu einem Meinungsaustausch eingeladen.
Die Themen für bzw. gegen die sich der Vatikan engagieren wollte, waren vielfältig, relevant und durchaus beachtenswert. Viele starke Aussagen und Auftritte gab es zugunsten von Frauen, gegen Gewalt, für Menschenrechte. Manche Position im Vorbereitungspapier des Heiligen Stuhl waren geradezu modern für ihre Zeit. Wenn dann zum Beispiel die Passage über die Bedeutung der Religion unter Mitwirkung des Vatikans doch im Abschlussdokument blieb, dann sehe ich das als positiv. Und man höre und staune, Papst Johannes Paul II hat im Vorfeld eigens einen Brief „an die Frauen der Welt“ geschrieben.
UN-Regierungskonferenz
Weltfrauenkonferenz – das war zum einen die offizielle UN-Konferenz der Regierungen. An ihrem Ende stand die Verabschiedung einer Aktionsplattform mit rund 150 Textseiten, orientiert an der Zielvorgabe „Gleichheit, Entwicklung und Frieden“. In 363 Paragraphen wurden Forderungen zur weltweiten Verbesserung der Lebenssituation von Frauen aufgestellt. Hier waren wir als Vertreterinnen der katholischen Frauenverbände in der Gruppe des Deutschen Frauenrates beteiligt. Und es gelang der Welt deutlich vor Augen zu führen, dass die Forderung nach Gerechtigkeit und Gleichbehandlung von Frauen die Voraussetzung ist für die Entwicklung und Garantie einer humanen Welt-Gesellschaft. Neben den Menschenrechten spielten entwicklungspolitische Themen eine große Rolle. Gestritten wurde um das Erbrecht, die Frage des Zuganges von Frauen zu Land und Geld, damit auch zu Krediten. Auch dies eng verknüpft mit der Bekämpfung von Frauen-Armut.
In der offiziellen Konferenz ging es darum zu „Entklammern“, das heißt in der umfangreichen Vorlage, bei all den Passagen zu einer Lösung zu kommen, die noch strittig, d.h. noch in Klammern im Text standen. Eine „Verklammerung“ mit den Anliegen der NGO-Frauen war weniger vor Ort gegeben als dadurch, dass viele Vertreterinnen von NGOs bereits in den nationalen Vorbereitungskomitees mitgearbeitet hatten.
Weltfrauenkonferenz – das war zum anderen das Forum der Nichtregierungsorganisationen in Huairou unter dem Motto „Seht die Welt mit den Augen einer Frau“. Bei einem Thema hatte man sich verkeilt: Geht es um „equity“ oder „equality“ von Frauen? Eigentlich müsste man „equity“ mit „ausgleichender Gerechtigkeit/angemessene Berücksichtigung“ übersetzen. Doch zum Unwort wurde der Begriff, als ersichtlich wurde, dass in einigen Ländern „equity“ neben „equality“ nicht ein ergänzender, sondern eine Gleichberechtigung ausgrenzender Begriff ist. Leicht abzusehen, wo Kirchenleute da Probleme haben könnten, doch der Papst persönlich ließ mitteilen, er wäre für „equality“.
Forum der Nichtregierungsorganisationen
Wie ist es mit dem Erbrecht? Wo können Frauen autonom entscheiden? Die Rolle von Frauen in Beruf und Familie? Verantwortung als Mutter? Einzelne Positionen der kirchlichen Vertreter bedeuteten für die innerkirchlichen Debatten echte Schritte nach vorn, bei anderen schlugen die alten kirchlichen Diskriminierungsmuster und paternalistischen Frauenbilder auch auf dieser großen Weltbühne wieder zu.
Allianzen mit islamisch autoritären Staaten wurden geschmiedet und Frauen doch wieder nur auf die Rolle als Mutter begrenzt. Die Abtreibungsfrage spaltete auch in Peking wieder die Fraktionen. Auf dem NGO-Forum wurden deshalb Unterschriften gesammelt, um dem Vatikan den Status des Ständigen Beobachters bei den Vereinten Nationen abzusprechen. Die katholischen Frauenorganisationen wurden umgekehrt mit ihrer guten Arbeit in Peking nicht wirklich gesehen.
Zustimmung zum Schlussdokument unter Vorbehalten
Am Ende hat die Vatikanische Delegation dem Schlussdokument zugestimmt, allerdings mit Vorbehalten. So bedauerte die Delegationsleiterin, dass eine ausdrückliche Bestätigung für Würde und Wert und gleicher Rechte von Mann und Frau fehle. Fair enough! Ebenso vermisste sie einer Anerkennung der Familie. Ausdrücklich bekräftige der Vatikan sein Nein zu Künstlichen Empfängnisverhütung (das war auch schon vor 30 Jahren sehr befremdlich). Vollständig fiel der Vatikan in alte Muster zurück im Kapitel über sexuelle und reproduktive Gesundheit (die aus seiner Sicht unangemessen stark gegenüber anderen Gesundheitsfragen von Frauen behandelt wurden) und bei der Frage sexueller Selbstbestimmung.
Der Blick auf die katholische Kirche
Doch wandeln wir den hermeneutischen Auftrag einmal ab und „sehen wir die katholische Kirche“ mit den Augen einer Frau, einer im Jahre 1995 und einer von heute. Bei einem großen Problem wurde ich in Peking sensibilisiert oder sollte ich besser sagen gegen manifeste kirchliche Struktur- und Deutungsmuster „grundimmunisiert“. Ich kann und will bis heute meine Wut und Enttäuschung nicht verbergen. Was meine ich? Die Vatikanischen Texte zu den Themen von Peking reden von Frauen in der Welt, adressieren „die da draußen“, in den Gesellschaften und Staaten. Frauen kommen dabei in den verschiedenen Statements fast nur als Objekte vor, als „Opfer“ der bösen Welt, um die man (oder besser. „Mann“) sich kümmern muss
Und in der Kirche selbst? Warum sind „Frauen als Kirche“ und „Frauen in der Kirche“ kein Thema? All die angeprangerten Problemlagen von Machtmissbrauch und Unrecht gegenüber Frauen scheint es hier nicht zu geben. Aber an den Standards, die Kirche zu Recht und mit Nachdruck von allen anderen in puncto Gleichberechtigung der Frauen fordert, muss sie sich auch selbst messen lassen. Das führt zu einem doppelten Problem: Die Mahner mit dem Splitter bzw. Balken im eigenen Auge werden selbst unglaubwürdig. Natürlich kann dann das eigene Engagement gegen gravierende Missstände keine Wirkung entfalten, funktioniert noch nicht einmal als Feigenblatt.
Notwendig: Mitsprache auf allen Ebenen und echte Gleichwertigkeit
Wenn Kirche „Sache der Frauen“ sein will, muss sie ihnen nicht nur Mitsprache auf allen Ebenen gewähren, sondern echte Gleichwertigkeit leben. Wir Frauen vom KDFB haben Johannes Paul II. auf seinem Brief geantwortet und dem „Lieben Bruder in Christus“ zurückgeschrieben. Daraus ist keine Brieffreundschaft geworden, doch um die Anliegen aus dieser Korrespondenz haben wir in den letzten 30 Jahren an vielen Stellen tapfer weiter gerungen. Der Säugling von damals ist schon längst eine junge Frau geworden. Vielleicht sollte ich sie bitten, doch einmal auf den päpstlichen Brief an die Frauen aus ihrer Sicht zu antworten.
Zum Schluss noch einmal Gro Harlem Brundlandt: “Lasst uns heute unsere strategischen Siege zählen und nicht die taktischen Niederlagen. Die Geschichte aller Freiheitskämpfe sagt uns, dass Leben, Freiheit, Gleichheit und Chancen niemals gewährt wurden. Sie sind immer errungen worden.“
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Dr. Claudia Lücking-Michel, Bonn, langjährige Vizepräsidentin des ZdK, Co-Leiterin des Synodalforums «Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilhabe und Teilhabe am Sendungsauftrag» beim Synodalen Weg sowie Mitglied des Synodalen Ausschusses der kath. Kirche in Deutschland.