Digitalität ist mehr als Marketing. Sie verändert die Art und Weise, wie wir leben, denken und fühlen. Christian Henkel wirft einen theologische Blick auf Chancen und Risiken der digitalen Revolution.
Jetzt kommt wieder so ein Digitalisierungsessay. Pünktlich zu Katholikentag, CEBIT oder re:publica rauscht es in der christlichen Blogosphäre und auf Twttr von neuen social media Kampagnen. Schön bunt ist die Welt dort draußen. So bunt, dass ich mich in die monochrome Idylle meiner Kindheit vor dem C64 meines Vaters zurücksehne, 8, 1.
Für mich hat das Digitale mein Denken verändert
Dabei ist Digitalität mehr als die Ankunft neuer Vermarktungskampagnen. Für mich hat das Digitale mein Denken verändert, stecken hinter den Betriebssystemen, Kurznachrichtendiensten und Suchmaschinen radikal neue Ideen, die längst beeinflussen, wie wir leben, was uns wichtig ist, wonach wir uns sehnen. Wenn Theologie ernst macht mit ihrem Engagement für die Welt, dann wird sie auch dazu etwas sagen müssen. Vielleicht ist es ein guter Anfang, unter all jene „Menschen guten Willens“, mit denen man reden möchte, auch die digitalen Pioniere des Silicon Valley zu zählen. Nicht wenige von ihnen waren schließlich von der Utopie einer neuen und besseren Gesellschaft beseelt. Drei ihrer Ideen möchte ich ins Gespräch bringen:
1. Offene Software
Ohne Software ist nichts. All die guten Ideen für Suchmaschinen und social media Plattformen werden erst real, wenn jemand einen Programmcode dafür schreibt. Umgekehrt heißt das, wer die Software schreibt, wer ihren Quellcode einsehen und verändern kann, bestimmt auch, was wirklich wird, was die User im Netz finden, mit wem sie sich unterhalten, wer ihnen als potentielleR PartnerIn vorgeschlagen wird. Mit dieser Macht kommt eine große Verantwortung, Code braucht Ethik, und es ist nicht gleichgültig, auf welchen Algorithmen Twttr basiert, wenn damit ein Präsident Weltpolitik macht.
Was hat die Theologie anzubieten?
Was hat die Theologie den ProgrammiererInnen anzubieten außer mahnenden Worten? Vielleicht ein Gespräch über Utopien, also Ausgriffen auf Wirklichkeiten, die sich jenseits des Faktischen ständig auftun – Transzendenz wäre der etwas angestaubte Begriff: Die großen Ideale, die wir haben, und das Klein-Klein gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen wir immer wieder zu scheitern drohen. Die guten Ideen und den Ausverkauf derselben. Das ist im Kern nicht nur eine Frage der politischen Theologie, sondern des Christentums überhaupt, das sich anschickt, das Gottesreich auf Erden zu verwirklichen, mit all dem Paradiesischen und all dem Terroristischen was darauf folgt.
Hinter den Text, hinter die Codes blicken
Zweitens: Wer Software schreibt, tut dies selten allein, sondern arbeitet mit anderen zusammen an einem immer ausgefeilteren Code. Freie Software heißt, dass alle am Code partizipieren können, ihn nutzen und verändern dürfen. Das Christentum nennt so etwas eine Interpretationsgemeinschaft, ohne die weder der biblische Urtext, noch alle weiteren von den Kirchen produzierten Texte funktionieren. Eine solche Interpretationsgemeinschaft braucht Regeln, nicht alles kann mit dem Text legitimiert werden, nicht alles darf mit dem Code in Gang gesetzt werden. Es gibt auch eine Ethik der Interpretation. Der beste Garant dafür ist immer noch Bildung. Wer Menschen befähigt, hinter den Text zu blicken, seine Interpretationsbedürftigkeit und die Mechanismen seiner Veränderung zu erkennen, ermächtigt sie. Das gilt auch für den Blick hinter die Oberfläche der schönen bunten social media Welt.
2. Transparente Dateien
Der Satz vom guten Vertrauen und der besseren Kontrolle geht uns leicht über die Lippen. Mir scheint es, als sei Transparenz eines der großen Versprechen des digitalen Zeitalters und die Blockchain der aktuelle Auswuchs einer großen Idee: eine Technologie, die es erlaubt, alle Veränderungen an einer Datei nachzuvollziehen. Das wird dann wichtig, wenn es einst nur noch digitale Versionen von Verträgen, Kontoständen oder Grundbucheinträgen gibt. Wenn ich meiner Bank oder meinem Notar nicht traue, dann kann ich selbst prüfen, ob bei der Überweisung oder beim Grundstückskauf alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Dahinter scheint mir eine grundlegende Skepsis zu stecken, gegenüber unhinterfragten Autoritäten – das ist gut – aber auch zunehmend gegenüber staatlichen Strukturen – das ist schon bedenklicher, nämlich dann, wenn Skepsis in Ablehnung umschlägt.
Grundlegende Skepsis und notwendiges Vertrauen
Vertrauen ist ein großes Thema für die Theologie: Wir vertrauen auf jemanden, das ist der Kern eines personalen Gottesbildes, nicht auf eine Struktur. Das ist gewissermaßen eine Antithese zum Digitalen, zum Glauben, dass eine perfekte Transparenzstruktur schon Vertrauen schaffen werde. Jemand muss für Transparenz hauptamtlich und sichtbar einstehen, muss die Verantwortung übernehmen, wenn aus den perfekten Strukturen – die es nicht gibt – eine Katastrophe zu entstehen droht.
Wir müssen im Internetzeitalter wieder neu lernen, welchen Personen und Institutionen wir vertrauen wollen. Was wir in die Hände anderer legen können und was wir selbst prüfen müssen. Und wir müssen überlegen, wie wir mit Vertrauensmissbrauch umgehen wollen, ob es also Verantwortungsstrukturen gibt. Das ist beides keine Frage im Feld der Technologie, sondern operiert mit Begriffen, die von der Theologie seit langem bespielt werden.
3. Selbstlernende Maschinen
Hört man sich in der Digitalwirtschaft um, dann ist machine learning das nächste große Ding. Der Code optimiert sich selbst, bis er das Problem – und alle zukünftigen Probleme – perfekt lösen kann, sei es die Unterscheidung von Hunde- und Katzenbildern, oder die Antwort auf größere Fragen, 42. Wie das funktioniert, kann am Ende nicht einmal der Mensch nachvollziehen, der den Programmcode geschrieben hat. Die Theologiegeschichte ist voll von solchen Vorstellungen, und sie hat einen Namen dafür: Vollendung. Und hier wird es kritisch, denn Vollendung ist nie vollständig zu haben, Erkenntnis nie vollständig zu erlangen. Wie hältst du es mit dem „schon und noch nicht“ könnten wir all jene fragen, die mit dem machine learning die Abschaffung des menschlichen Intellekts verkünden.
Lernende Maschinen und humanistische Bildung
Lernende Maschinen decken aber auch die Frage auf, ob es bei der Bildung um die Selbstoptimierung, die bestmögliche Anpassung an die Gegebenheiten geht. Aus theologischer wie aus humanistischer Perspektive ist Bildung auch Selbsteinsicht. Eine Maschine muss so etwas nicht haben. Ihr genügt es beispielsweise, einen Text vollständig erfasst und kategorisiert zu haben, data mining zu betreiben. Fides quaerens intellectum macht für einen Computer keinen Sinn, für einen Menschen, der sich fragt, was der Kern seiner Hoffnung ist, aber schon.
Bildung jenseits der Optimierung
Wenn die Digitalwirtschaft – und die effektive Besteuerung der globalen Finanzströme – ein bedingungsloses Grundeinkommen hervorbringen, dann wird die Frage, wie wir uns in unserer neu gewonnenen Freiheit jenseits ökonomischer Zwänge bilden, ziemlich virulent. Dann wird vielleicht wieder Bildung jenseits der Optimierung möglich und damit rücken die nicht-optimierbaren, nicht machine-lernbaren theologischen Fragen nach dem Woher und Wohin wieder in den Fokus. Warum besprechen wir sie nicht jetzt schon mit denen, die von digitaler Bildung sprechen, aber nur Programmiersprachen und Netzkompetenz im Sinn haben?
Befreiung, wieder so ein theologisches Wort.
Es lässt sich also eine Debatte um die Digitalisierung führen, die nicht mit Neoanglizismen beginnt und bei der schnellen Internetinfrastruktur auf dem Land endet. Sie setzt bei der Frage an, welche grundlegenden Bedürfnisse des Menschen die Programmcodes eigentlich bedienen und welche gesellschaftlichen Utopien sich mit dem Digitalen verbinden, wozu uns der Computer eigentlich befreien soll. Befreiung, wieder so ein theologisches Wort.
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Christian Henkel ist geschäftsführender Mitarbeiter am Institut für Ökumenische und Interreligiöse Forschung / Universität Tübingen.
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