Aufgabe der Theologie ist zu einem wesentlichen Teil auch der Dialog mit denen, die mit Theologie nichts anfangen können. Ist sie dazu noch in der Lage? Von Florian Baab.
Manche werden es mitbekommen haben: Die Gesamtausgabe der „Sämtlichen Werke“ Karl Rahners wurde vor Kurzem abgeschlossen; ein Klassiker der systematischen Theologie erfährt eine finale Würdigung durch optisch ansprechende Platzierung in den Regalen der Bibliotheken. Währenddessen hat die Welt sich draußen weiter gedreht.
Nicht wenige Theologinnen und Theologen dürften daher der Meinung sein, dass Rahners Fragen und Antworten, so viel sein Denken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch geleistet haben mag, nicht mehr in jeder Hinsicht die Fragen und Antworten unserer Zeit sind. Rahner? Ein gelehrter und durchaus Respekt gebietender Großonkel, der ab und an für ein schönes Zitat zu gebrauchen ist, mit dem man aber eher nicht Hand in Hand gesehen werden möchte.
„Das Christentum fängt jetzt erst eigentlich an, seine wirklichen Chancen zu haben.“ (Karl Rahner)
Es stimmt: Rahner war bei den letzten großen Neothomisten in die Schule gegangen und hatte in Distanz zu ihnen beschlossen, sich in seiner Theologie ganz dem Menschen zuzuwenden – eine „Wende“, die heute längst als vollzogen gelten kann. Tempi passati? – Nein, nicht wirklich: Blickt man in seine Schriften (insbesondere die frühen), fällt deutlich auf, dass er auf dieser Basis keinem Konflikt der Zeit aus dem Weg gegangen ist: Rahner suchte den bewussten Dialog und Austausch sowohl mit Kulturkonservativen, wie auch mit den Marxisten, Atheisten, Zweiflern und Revolutionären seiner Zeit, und er benutzte dabei eine Sprache, die sich durch eine – gemessen am heutigen Diskurs – frappierende Klarheit und Schlichtheit auszeichnet.
Was ihn dabei leitete, fasste er einmal so: „Das Christentum fängt jetzt erst eigentlich an, seine wirklichen Chancen zu haben. Denn jetzt erst ist die Welt und die vereinigte Weltgeschichte da, die es als Religion aller Menschen immer schon suchte. […] Jetzt erst ist die Welt so enträtselt und der Mensch selbst so desillusioniert, dass er die Welt nicht mehr mit Gott verwechseln kann.“
Wir, die Theologinnen und Theologen von heute, müssen angesichts dessen leider zugeben, dass weder eine solche Sprache, noch eine solche Art des Optimismus zu unseren primären Stärken zählt: Sieht man sich um im Feld der gegenwärtig von uns produzierten Qualifikationsarbeiten, Sammelbände und Zeitschriftenartikel, stößt man auf viel im Lauf von Jahrzehnten gefestigten internen Jargon, auf eine beachtliche Zahl von Rezeptionen von Rezeptionen der Ansätze der eigenen Väter oder ihrer Väter, auf Kritiken von Kritiken und Diskurse über Diskurse. Sicher, wir befassen uns auch mit nicht-theologischen Denkern, doch dies im Regelfall mit dem Ziel, sie unseren eigenen Denksystemen einzugliedern.
Diskurse über Diskurse: Doch sind wir in der Lage, tatsächlich einen Dialog zu führen? Über die eigenen Grenzen hinaus?
Sicher, wir bemühen uns, den Glauben auch nach außen hin plausibel zu machen, doch insgeheim ohne den Anspruch, wir könnten mit unseren Theoremen wahrhaft überzeugen. Die Diagnose Peter Sloterdijks, Kirche sei heute primär ein „Unternehmen zur Selbstverwaltung“ geworden, eine „subkulturelle“ Institution, die sich hauptsächlich als „Filteranlage für Eigennachwuchs“ verstehe und deren „Willkommenheißungen […] auf die meisten Zeitgenossen wie Ausladungen“ wirkten, sollte uns daher zu denken geben, denn sie spiegelt sich auch in unseren Texten wider: Von der Notwendigkeit des Dialogs reden wir zwar gerne und viel, doch sehen wir uns noch in der Lage, ihn tatsächlich zu führen?
„Die Grenzen meiner Sprache“, so schreibt Ludwig Wittgenstein, „bedeuten die Grenzen meiner Welt“, und wo er Recht hat, hat er Recht: Über alles, was wir geistig zu erfassen suchen, lässt sich nicht anders als in Form von Worten Rechenschaft geben, uns selbst und allen anderen gegenüber. Wenn Wittgenstein Recht hat, bedeutet das für uns, dass wir heute zum Teil leider in sehr, sehr kleinen und überschaubaren Welten zu Hause sind: Sprache ist ja eigentlich ein Instrument des Diskurses, das es nicht nur mir ermöglicht, Stand in der Welt zu nehmen, sondern meinen Standpunkt auch anderen Menschen zu vermitteln, so dass sich zeigen kann, wo die Grenzen unserer Welten sich kreuzen. Wo mir dies nicht gelingt, bleibe ich in meiner Welt, und der andere in seiner; wir haben uns nichts zu sagen.
Die Unausweichlichkeit der Pluralität als nie dagewesene Chance sehen.
Aber ist es nicht so, dass sich die Mehrheit der Menschen heute nicht mehr für ein Denken des Absoluten interessiert? Leben wir nicht in einer Zeit der zunehmenden Säkularisierung, des Schwundes kirchlicher Relevanz und der religiösen Indifferenz? Die alte Garde der Konzilstheologen hatte es in gewisser Weise noch leichter: Während ihre Opponenten und potentiellen Dialogpartner leicht identifizierbar waren, haben wir es heute mit einer pluralen und heterogenen Öffentlichkeit zu tun, die als solche keine Öffentlichkeit mehr ist – alle sind beheimatet in ihren Nischen und Blasen, und auch die Theologie, so könnte man sagen, hat sich eben in die ihre geflüchtet, wer möchte es ihr verübeln.
Genügend Grund zur Resignation also? Ich denke nicht. Immer mehr gewinnt derzeit die Erkenntnis Raum, dass die Unausweichlichkeit der Pluralität auch uns Theologen und Theologinnen keine andere Möglichkeit lässt, als in ihr eine nie dagewesene Chance zu sehen: Statt des nicht mehr möglichen linearen Dialogs sind nun vielfältige Dialoge möglich, die uns die eigenen Beschränkungen ebenso bewusst machen wie auch die vielfältigen Optionen der Weltenüberschneidung.
Und tatsächlich wird bereits in immer stärkerem Maße nicht mehr nur miteinander gesprochen, sondern auch mit denen, die außerhalb der eigenen engen Grenzen liegen: mit der säkularen Philosophie, mit dem wachsenden europäischen Islam, mit dem ebenfalls zunehmenden Sektor der Menschen ohne religiöses Bekenntnis, mit denen, die in ganz unterschiedlicher Weise andere Vorstellungen eines gelingenden Lebens haben als wir.
Das Ende der Gemütlichkeit scheint nahe. Was kommt, wird nicht immer einfach werden. Karl Rahner hätte das gefallen.
Florian Baab ist Akademischer Rat. a.Z. am Seminar für Fundamentaltheologie und Religionsphilosophie der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster.
Bild: Florian Baab