Julia Knop ist eine der profiliertesten theologischen Stimmen des Synodalen Weges. Für Feinschwarz.net zieht sie eine erste Bilanz.
Mit der 5. Vollversammlung ging der Synodale Weg der katholischen Kirche in Deutschland am 11.3.2023 zu Ende. 230 Synodal:innen haben drei Jahre lang Herausforderungen beraten, die sich aus dem Wissen um Missbrauch begünstigende Faktoren in der katholischen Kirche ergeben.
Das offenkundigste Ergebnis dieses Prozesses sind die 15 beschlossenen Texte, darunter Präambel und theologische Grundlegung (Orientierungstext), je ein Grundtext der Synodalforen zu 1. Macht und Gewaltenteilung, 2. Priesterlicher Existenz, 3. Frauen in der Kirche und – mangels bischöflicher Zustimmung nicht beschlossen – 4. Sexualität sowie 2–4 so genannte Handlungstexte aus jedem Forum.
Veränderungen ermöglicht, aber noch nicht umgesetzt
Manche Texte greifen alte Themen auf (Laienpredigt, Frauendiakonat, Pflichtzölibat), andere nehmen Diskrepanzen zwischen Lehre und Praxis oder doktrinelle, pastorale oder liturgische Reformbedarfe in den Blick (Umgang mit queerer Sexualität und geschlechtlicher Vielfalt, Segensfeiern, Grundordnung). Die größte Zustimmung fanden Texte zur Verbesserung von Prävention und Intervention von sexuellem und geistlichem Missbrauch. Außerdem wurde die theologische Basis für eine Neukonfiguration kirchlicher Machtverhältnisse gelegt. Es wurden Texte zu einem erneuerten Verständnis des priesterlichen Dienstes und zu Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche verabschiedet. V. a. die Grundtexte werden die (welt-) kirchliche Debatte herausfordern und weiterbringen. Einige Handlungstexte haben hohen Symbolwert. Andere holen gängige Praxis aus der Grauzone des eigentlich nicht Erlaubten in die kirchliche Öffentlichkeit. All diese Texte kann man samt Abstimmungsergebnissen nachlesen.[1] Sie müssen hier nicht vorgestellt werden.
Interessanter dürfte eine erste Bilanz zum Prozess sein. Synodal:innen kommentierten zu Recht, der Synodale Weg sei erst der Beginn eines Beginns gewesen. Er habe Veränderungen ermöglicht, aber noch nicht umgesetzt. Dem ist nicht zu widersprechen.
Zwei Bruchmomente zeigen die zentralen Herausforderungen des Prozesses. Beide haben mit der herausgehobenen Rolle und Verantwortung der Bischöfe für den synodalen Prozess zu tun.
Bruchmoment I: Theorie und Praxis
Das erste ist auf der Schwelle von Theorie und Praxis angesiedelt, in der Textlogik des Synodalen Wegs gesagt: im Übergang von Grund- zu Handlungstexten, wo die Commitments liegen, auf die der Synodale Weg setzt. An sich ermöglicht Zustimmung zu einem Grundtext auch Zustimmung zu den zugeordneten Handlungstexten, die die Grundlagen in konkrete Schritte umsetzen und dies klar adressieren und terminieren: Wer verpflichtet sich, wann was zu tun? Im Abstimmungsverhalten der Bischöfe kam es jedoch zu unerwarteten Diskrepanzen.
- Der Grundtext des Synodalforums 1 hatte alle erforderlichen Mehrheiten erhalten. Der Handlungstext „Gemeinsam beraten und entscheiden“ sollte die Konsequenzen einer erneuerten Machtkonfiguration auf Bistums- und Pfarreiebene ziehen. Während der Debatte zeichnete sich aber ab, dass er keine bischöfliche Mehrheit finden würde. Die Bischöfe, die sich dagegen aussprachen, signalisierten: Machtkontrolle und -begrenzung: theoretisch ja, praktisch aber doch nicht, denn die bischöfliche Verantwortung sei doch zu groß und ihre Letztentscheidungsgewalt indispensabel. Angst und Misstrauen gegenüber Teamplay und den eigenen Haupt- und Ehrenamtlichen, die dabei mitschwangen, befremdeten.
- Den Handlungstexten „Frauen in sakramentalen Ämtern“ und „Verkündigung durch Lai:innen in Wort und Sakrament“ stimmten die Bischöfe im März in Frankfurt nur unter der Bedingung zu, dass deren innovatives Potenzial gestrichen werde. Dem hatten sie im zugehörigen Grundtext ein halbes Jahr zuvor jedoch implizit zugestimmt.
- Der Grundtext zur Erneuerung der kirchlichen Sexualethik wurde aufgrund der Ablehnung von 21 (Weih-) Bischöfen nicht beschlossen – dessen Konsequenzen liefen jedoch glatt durch.
Warum stimmt jemand einem Grundtext zu, schreckt aber vor dessen Implikationen zurück? Warum findet sich ein anderer bereit, praktisch einzulösen, was er theoretisch abgelehnt hatte? Anders gefragt: Wieso wirkt Theologie so wenig handlungsleitend – und was motiviert stattdessen zu Reformen? Je nach Thema und Rolle der Bischöfe liegen die Dinge wohl verschieden.
- Mit dem Votum zur Öffnung des Pflichtzölibats kamen die Bischöfe ihrer ureigenen Sorgepflicht für die ihnen anvertrauten Diözesanpriester nach.
- Die zaghafte Öffnung in der Frage der Weiheämter für Frauen folgte hingegen einer eklatanten Argumentationsnot: Der lehrmäßige status quo ist theologisch schlicht nicht zu halten. Das überzeugt keinen Menschen mehr. Dennoch wagten die Bischöfe nicht, offen die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit zu stellen – oder sie sahen keinen Anlass dazu. Am Ende kam nur die Zusage zustande, sich für den Frauendiakonat einzusetzen und in die Debatte um die Ämterfrage einzubringen. Also nichts, was nicht längst möglich wäre. Trotzdem wurde der Text als epochal eingestuft: Selten habe es eine so deutliche Aussage von Bischöfen für den Diakonat der Frau gegeben. – Kaum vorzustellen, welch epochale Wirkung hätte erzielt werden können, wenn sich die Synodalversammlung laut und deutlich für ein Ende jeder kirchlichen Diskriminierung von Frauen ausgesprochen hätte! Doch dazu kam es nicht.
- Beim Thema Homo- und Transsexualität motivierte die hohe öffentliche Aufmerksamkeit sicher manch Reformbereitschaft. Homosexualität weiterhin lehrkonform zu diskreditieren, hätte in der Öffentlichkeit die rote Linie wohl endgültig überschritten – das traut man sich nicht mehr. Von beherzter und geschlossener Zustimmung der Bischofskonferenz zur vollen Akzeptanz queerer Sexualität kann jedoch keine Rede sein. Die Beschlüsse kamen auch deshalb zustande, weil etliche Bischöfe sich enthalten oder ihr Abstimmungsgerät nicht bedient haben. Dann tauchen sie in den namentlichen Abstimmungslisten nicht auf, weder als Befürworter noch als Gegner dieser Reformen. Sie verschwinden in Unkenntlichkeit und die Gläubigen vor Ort wissen nicht, woran sie sind. Aber sie bleiben abhängig davon, wie ihr Bischof sich verhält.
Bruchmoment II: Bischöfliche Beteiligung
Auch die Synodalversammlung blieb abhängig davon, wann und wie sich die Bischöfe an den Beratungen und Entscheidungen beteiligten. Das ist das zweite Bruchmoment des Prozesses.
Zwar diskutierten von Mal zu Mal mehr Bischöfe mit und bezogen öffentlich Position. Auch an der Kommentierung und Weiterentwicklung der Texte stieg ihre Beteiligung. Die Sacharbeit erfolgte aber sicher nicht zuerst auf der Bischofsbank.
Die Bischöfe brachten sich – ganz katholisch – v. a. in der Phase der Beschlussfassung ins Spiel. Erst vor Ort in Frankfurt veröffentlichten sie Änderungsanträge zu einigen Texten. Darin definierten sie, welchen Reformen sie maximal zustimmen würden. Den Brückenbauern innerhalb der zerstrittenen Konferenz gebührt dabei große Anerkennung. Das Ergebnis ist dennoch enttäuschend. Denn in keinem Fall wurden Texte dadurch ambitionierter oder verbindlicher. In allen Fällen wurden Reformimpulse vielmehr empfindlich beschnitten.
Mit diesen Ultimaten aus der DBK war die Debatte praktisch entschieden: Entweder die Synodalversammlung stimmte ihren Änderungsanträgen zu – oder eine Sperrminorität der Bischöfe würde die Texte durchfallen lassen. Die Synodal:innen standen also vor der Wahl, sich entweder mit sehr kleinen Schritten zufrieden zu geben, die weit hinter dem zurückbleiben, was sie mehrheitlich nötig und richtig fanden, oder überhaupt keine Fortschritte zu erzielen.
Prozedural ambivalent und inhaltlich bescheiden
Wahrscheinlich sind die gefassten 15 Beschlüsse realpolitisch das Maximum dessen, was erreicht werden konnte. Frust und Erschöpfung sind dennoch groß. Denn der Synodale Weg sollte ja systemische Hintergründe von Machtmissbrauch identifizieren und nachhaltig korrigieren. Genau das ist aber kaum passiert. Dabei sind die theologischen Überlegungen für eine Neukonfiguration des kirchlichen Machtgefüges zukunftsweisend. Aber sobald es konkret wird, verblassen die Ambitionen. Und letztlich brachen alle großen Konflikte und Krisen an der Machtfrage auf. Auch die römischen Invektiven zielten samt und sonders auf die Bewahrung der Alleinstellung der Bischöfe als katholisches Alleinstellungsmerkmal.
Die Bilanz fällt also prozedural ambivalent und inhaltlich bescheiden aus: Zwar keine Rückschritte – doch die Fortschritte bleiben äußerst verhalten. Es werden kaum klare Forderungen aufgestellt oder verbindliche Zusagen gemacht, stattdessen Prüfaufträge und Empfehlungen ausgesprochen, die hinter den Grundtexten zurückbleiben.
Große Worte, kleinmütig ausbuchstabiert
Einen Paradigmenwechsel, eine Zäsur, wie sie der Synodale Weg initiieren sollte[2], hat er also im besten Falle ermöglicht, aber nicht realisiert. Die großen Worte, mit denen Synodalität katholisch illustriert wird, wurden insgesamt kleinmütig ausbuchstabiert:
- Eine Kultur der Synodalität wurde zwar in Ansätzen eingeübt. Aber im Prozess definierten die Bischöfe Grenzen und Tempo der Reformen.
- Von Kollegialität, also episkopaler Synodalität, war zuletzt wenig zu spüren. Es erschreckte, wie einzelne Bischöfe einander und ihrem Vorsitzenden in den mitbrüderlichen Rücken fielen.
- Den nichtbischöflichen Synodal:innen verlangten die Bischöfe ein Übermaß an Geduld, Kompromissbereitschaft und Frustrationstoleranz ab. Hier wurden viele Schmerzgrenzen überschritten.
- Einmütigkeit in der Entscheidungsfindung wurde gewiss von vielen angestrebt. Aber ist es Einmütigkeit, wenn der kleinste gemeinsame Nenner unter den Bischöfen die Grenzen des synodal Möglichen definiert? Darf man einmütig hinter elementaren Gerechtigkeitsforderungen zurückbleiben?
- Parrhesia, Freimut, prägte den Diskurs erfreulich häufig, aber die Beschlüsse nur selten.
- Am Ende war es „Klugheit“, womit mangelnder Mut betitelt und Ambitionen die Spitze abgebrochen wurde: Es sei klüger, zurückhaltend zu formulieren und Verständnis noch für den verstocktesten Geist zu signalisieren, statt „Rom“ und „die Weltkirche“ durch allzu klare Forderungen vor den Kopf zu stoßen.
Aber darf Klugheit den Freimut des Geistes übervorteilen?
Dr. Julia Knop ist Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
[1] https://www.synodalerweg.de/dokumente-reden-und-beitraege#c7746
[2] https://www.dbk.de/presse/aktuelles/meldung/studientag-zum-thema-die-frage-nach-der-zaesur-zu-uebergreifenden-fragen-die-sich-gegenwaertig-stel