Rüdiger Jungbluth rezensiert Bernd Kappes‘ Buch „Mitgeschöpfe: Vom Umgang mit Tieren aus christlicher Sicht“ (Ostfildern, Patmos, 2023)
„Durch das Auge des Fisches sehen“ – Fragestellung und Anliegen
„Kann Jona durch das Auge des Fisches die Vielfalt und Schönheit des Lebens unter Wasser betrachten, wie es in einer jüdischen Midrasch heißt? Verbindet ihn die überraschende Erfahrung mit einem Tier neu mit den Wundern der Schöpfung? Beginnt er hier zu lernen, die Welt mit den Augen der Tiere zu sehen?“ (S. 36)
So fragt Bernd Kappes, Studienleiter und kommissarischer Direktor der Evangelischen Akademie Hofgeismar, zu Beginn seines Buches „Mitgeschöpfe“ im Kapitel „Die Tiere von Ninive – Zur Einführung“. Mit Bezug zur Jona-Geschichte stellt er schon einleitend heraus, wie wichtig der hebräischen Bibel Tiere sind: Sie werden ebenso zum Fasten aufgefordert wie die Einwohner:innen von Niniveh, um Gott gnädig zu stimmen – und sind von Gottes Barmherzigkeit und Freundlichkeit ebenso umschlossen wie die Menschen. (S. 36f.)
Seine Fragestellung skizziert zugleich den Rahmen, in dem sich seine Überlegungen zum Thema „Mitgeschöpfe“ bewegen: Die Welt als Gottes gute, gleichberechtigte Schöpfung zu betrachten – sowie sich „neu mit den Wundern der Schöpfung verbinden“. Und dies immer wieder aus Perspektive von Tieren als Mitgeschöpfe zu tun. Sein Fokus liegt dabei auf den Themen Ökologie, Ethik und Gerechtigkeit. Besonders wichtig sind ihm die „direkten Ansprüche, welche die Tiere als Lebewesen und Mitgeschöpfe an uns stellen“ (S. 32) sowie die Fragen, die sich aus der Nutztierhaltung ergeben. Diese Themen bringt der Autor durch die Kapitel des Buches hindurch immer wieder mit der „Tierverbundenheit“ der hebräischen Bibel (S. 33) ins Gespräch. Dazu führt er biblische Belege und Zitate auf.
Das Anliegen von Bernd Kappes ist es, „die zentralen Einsichten und Anliegen der Theologischen Zoologie kurz und verständlich darzustellen“. Dies gelingt dem Autor. In Kapiteln wie z.B. „Tierethik – Haben Tiere Rechte?“ (S. 206–217) oder „Was ist eine tierfreundliche Kirche?“ (S. 167–170) gibt er interessante Impulse. An ihnen können sich z.B. auch Kirchengemeinden orientierten, die sich tierfreundlicher aufstellen möchten.
Eine Landkarte der theologischen Zoologie: Vorgehen und Aufbau
Auch das Vorgehen des Autors verstärkt die Lesefreundlichkeit des Buches: Er baut es auf in einer „Form von Schlagworten alphabetisch geordnet. Als Leser:in können Sie das Buch also von vorne bis hinten lesen – oder je nach Interesse und anhand der Verweise im Text von Thema zu Thema springen. Die Stichworte eignen sich überdies – gewissermaßen als kleines Lexikon der Theologischen Zoologie – zum Nachschlagen und Nachlesen“. (S. 34)
25 Kapitel zeichnen „Tiere als Teil der Gemeinschaft des Lebens“ in alphabetischen Stichworten von „Anthropologische Differenz“ bis „Zoopolis“ nach. Dabei finden sich immer wieder Querverweise. Auf diese Weise entsteht nicht nur eine lose Verbindung zwischen den Kapiteln, sondern gewissermaßen eine „Landkarte der theologischen Zoologie“.
Eine Erschließung dieser Expertise wird durch unterschiedliche Register erleichtert: Biblische Schlüsseltexte (S. 242) mit Verweisen auf die einzelnen Kapitel ermöglichen eine schnelle exegetische Verortung. Anregungen zur vertiefenden Lektüre finden sich in der Rubrik „Zum Weiterlesen“. (S. 243–245) Ein Bibelstellen- und Personenregister (S. 256 bzw. 257–260) runden die Möglichkeiten eines differenzierten Textzugriffes ab.
Von Mettbrötchen und Kanarienvögeln: Der persönliche Zugang des Autors zum Thema
Das Buch von Bernd Kappes beginnt mit einem Beitrag von Jane Goodall. Anschaulich und für Leser:innen durchaus fesselnd schreibt sie über fünfzig Jahre Erlebnisse und Erfahrungen mit Schimpansen. Sie schildert Nähe und Unterschiede und auch Spiritualität in der Natur.
Dieser Exkurs zu Beginn wäre aber vielleicht gar nicht nötig gewesen, denn ebenso spannend ist der persönliche Zugang von Bernd Kappes zum Thema. „Ganz normal“ sei er in Nordhessen aufgewachsen, so der Autor. Er erzählt von „Ahler Wurscht“ und Mettbrötchen, aber auch von dem geliebten Kanarienvogel in seiner Kindheit – dem er nach dessen Tod eine „hölzerne Gedenktafel“ bastelt und mit Filzstift beschriftet. Damit ist die Spannung beschrieben, die er immer wieder im Buch aufnimmt: Die existentielle Unterscheidung zwischen Nutztieren und Haustieren. Über seine Beschäftigung mit dieser Frage auch als Studienleiter an der Ev. Akademie Hofgeismar stößt er auf das Fachgebiet der theologischen Zoologie und das entsprechende Institut in Münster (ITZ). Heute ist er dort Mitglied im Kuratorium. Die Frage „Was ist das Tier?“ (S. 33) lässt den Autor nicht mehr los – seine Überlegungen teilt er durch sein Buch. Sein vorwiegend deskriptiver Stil erleichtert dabei eine flüssige Lektüre. Wo nötig, diskutiert der Autor aber auch unterschiedliche Konzepte in Auseinandersetzung mit ausgewählten Positionen der Literatur intensiver, wie etwa die Vision der „Zoopolis“ (ab S. 235) als „gemeinsames Haus von Menschen und Tieren“.
„Alles wirkliche Leben ist Resonanz“
Eine Art Quintessenz der von Bernd Kappes in 25 Stichwörtern gezeichneten Landkarte der theologischen Zoologie finden Leser:innen vielleicht am ehesten im Gedanken der Resonanz (S. 171–177), dem er ein eigenes Kapitel widmet. Er bringt auf den Punkt, was regelmäßig in seinen Ausführungen durchscheint: Dass es dem Autor nämlich vor allem um eine reflektierte Haltung im Umgang mit Tieren geht. Seine Fragen helfen den Leser:innen dabei, diese immer wieder neu zu bedenken.
Mit Harmut Rosa beschreibt Bernd Kappes „die Natur als eine der beiden wichtigsten Resonanzsphären unserer Zeit“ (S. 175) und formuliert in Anlehnung an Martin Buber: „Alles wirkliche Leben ist Resonanz“: „Denn ein Tier kann uns in besonderer Weise als antwortendes Gegenüber begegnen …. Der Umgang mit Tieren führt zu sinnlichen Erfahrungen und unmittelbarer Resonanz. Tiere antworten mit Blicken, Lauten, Körpersprache, Bewegung – ein jedes nach seiner Art“. (S. 176) In Begegnung und Resonanz erfüllt sich die Sehnsucht der Menschen nach „wirklichem Leben“. Wer Tieren mit dieser Haltung begegnet, wird (nicht erst nach der Lektüre?) vielleicht eine andere Position zu Fragen wie z.B. der industriellen Tierhaltung („Arme Schweine“, S. 140–153) und Karnismus („Ist Fleischverzehr normal, natürlich und notwendig?“, S. 160–166) einnehmen.
Bernd Kappes ist ein vielfältiges und gut zu lesendes Buch gelungen, das man auch später gerne noch in die Hand nimmt. Durch seinen lexikalischen Aufbau lässt sich schnell ein Überblick zu einer Auswahl an Stichworten – und damit eine erste, oft biblisch verankerte Orientierung auf der Landkarte der theologischen Zoologie gewinnen.
Autor: Dr. Rüdiger Jungbluth, seit 2013 Pfarrer & Studienleiter an der Ev. Stadtakademie (Ev. Forum) Kassel; Promotion zum Dr. theol. (Philipps-Universität Marburg 2010 mit einer Arbeit über irdisches und himmlisches Königtum im AT (BWANT 196, Stuttgart 2011)); Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter Studie „Kirchen(wieder)eintritt“ der EKD, Hannover (veröffentlicht in EKD-Text 107, Hannover 2009); Gemeindepfarrer in Kassel; Studium der Ev. Theologie in Heidelberg, Kiel, Leipzig, Durham/UK und Marburg.
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