Martin Zumbült, Diözesanrichter in Münster reagiert mit einem Leserbrief auf den Beitrag von Alexander Lindl über die Sakramentalität der Ehe, vom 17.2.2022.
Alexander Lindl stellt die Ergebnisse eine Studie der Uni Regensburg zur Frage nach der Bedeutung der Sakramentalität der Ehe für Brauleute vor. Hier geht die Studie einen wichtigen Schritt, der in der Theologie m. E. bislang viel zu kurz gekommen ist: Eine Form von empirischer Theologie: Was kommt bei den Gläubigen von der Lehre der Kirche an, was ist für sie verständlich und wichtig und was hat mit der Lebenswirklichkeit so vieler gar nichts mehr zu tun? Ich tu mich schwer mit Vergleichen von Pastoral und Marketing. Die Kirche verkauft keine Produkte, sie labelt nicht, die Gläubigen sind keine Kunden, die Seelsorgenden keine Verkäufer. Und doch sind einige Analogien hilfreich für den Zugang zu so mancher Fragestellung, z. B. für Verkündigung und Verständnis, Katechese und Glauben und im Hinblick auf „Angebot und Nachfrage“ kirchlicher Eheschließungen.
Im kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren wird der Blick auf den Anfang der Ehe gelenkt.
Berufsbedingt stehe ich „am anderen Ende“ einer kirchlichen Ehe, wenn sie gescheitert ist und zumeist bereits staatlich geschieden. Insofern fehlt mir der Blick auf die gelungenen Ehen. Ich habe es immer nur mit der „Pathologie“ einer Ehe zu tun. Ebenso ist die Perspektive der (ehemaligen) Ehepartner vom Ende und Scheitern der Ehe geprägt. Im kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren wird der Blick auf den Anfang der Ehe gelenkt: Wie ist die Ehe zustande gekommen? Was waren die Wünsche und Erwartungen? Was haben die Ehepartner über das kirchliche Eheverständnis gewusst und was davon haben sie wirklich verinnerlicht? Kurz: Lagen zum Zeitpunkt der Eheschließung alle Voraussetzungen vor, die für das Eingehen einer lebenslang bindenden und ganzheitlichen Lebensgemeinschaft erforderlich sind?
Das Verständnis der Sakramentalität der Ehe ist bei den Parteien eines solchen Verfahrens nicht besonders ausgeprägt.
Der Begriff der Sakramentalität der Ehe taucht dabei nur äußerst selten auf. Ohne dass ich meine Beobachtungen auf valide statistische Zahlen stützen könnte, fällt in der Praxis auf, dass das Verständnis der Sakramentalität der Ehe bei den Parteien eines solchen Verfahrens nicht besonders ausgeprägt ist. Die Partner sagen zumeist, dass sie ihre Ehe „unter den Segen Gottes stellen“ wollten. Oder für sie war die kirchliche Trauung so selbstverständlich, dass sie gar nicht weiter über deren Bedeutung nachgedacht haben, sie gehörte einfach dazu und wurde u. U. von der Familie erwartet. Wieder andere haben eine magische Erwartung an die Trauung: Durch den Segen Gottes wird die schon etwas erlahmte Beziehung wieder gut. Oder sie haben – wie es z. T. in Polen heute noch erwartet wird – kirchlich geheiratet, damit das gemeinsame Kind getauft werden kann. Ob die Ehe ein Sakrament ist, tritt dabei in den Hintergrund. Für die kirchenrechtlichen Besonderheiten fehlt meist das Verständnis.
Nach kirchlichem Recht ist die religionsverschiedene Ehe niemals ein Sakrament, auch wenn sie in der Kirche geschlossen wird. Die rein standesamtliche Trauung zweier getaufter Nicht-Katholiken hingegen immer. Die konfessionsverschiedene Ehe ist es nur dann, wenn sie mit entsprechender Dispens geschlossen wird. Hinzu kommt, dass die Ehe, deren Nichtigkeit im kirchlichen Verfahren festgestellt wird, kein Sakrament gewesen sein kann. Die nichtvollzogene Ehe ist i. d. R. Sakrament, aber auflösbar. Bevor diese Auskünfte von den Parteien verinnerlicht werden können, müssten sie erst einmal rational erklärt und verstanden werden. Schon das ist nicht leicht. Abgesehen davon ist das Eheannullierungsverfahren für viele nicht von einer kirchlichen Scheidung zu unterscheiden. Manche wollen auch einfach nicht mehr an ihr Eheversprechen vor Gott gebunden sein und führen deshalb ein solches Verfahren. Dass die Ehe zu den sieben Sakramenten gehört, wissen die meisten, was das hingegen bedeutet, eher nicht. So ist auch das mit der Sakramentalität der Ehe eng verknüpfte Verständnis der Unauflöslichkeit der Ehe oft nicht vorhanden.
Es fehlt an kirchlichen Möglichkeiten, das nichteheliche (nicht-sakramentale) Zusammenleben zweier Menschen wohlwollend und fruchtbar zu begleiten.
Was also bedeutet die Sakramentalität der Ehe? Ist diese Einordnung nur etwas für theologische Fachleute? Die kirchliche Ehelehre geht davon aus, dass die Eheleute bei der Trauung wissen und auch wirklich wollen, was die Kirche unter einer Ehe versteht. Diese Voraussetzung besteht m. E. heute so nicht mehr. Umso wichtiger ist eine gute Ehevorbereitung und dauerhafte Ehebegleitung. Eine gute Ehevorbereitung kann aber auch dazu führen, dass sich die Partner gegen eine kirchlich-sakramentale Eheschließung entscheiden und andere Wege für ihr Zusammenleben suchen. Hier fehlt es an kirchlichen Möglichkeiten, das nichteheliche (nicht-sakramentale) Zusammenleben zweier Menschen wohlwollend und fruchtbar zu begleiten und es unter den Segen Gottes zu stellen.
Martin Zumbült, Dr. theol. Lic. iur. can. Ass. iur. ist Diözesanrichter am Bischöflichen Offizialat Münster und Bandverteidiger am Bischöflichen Offizialat Aachen