Das Oral History-Projekt „Erfahrungskraft Ordensfrauen“ dokumentiert die Erfahrungswelt von Ordensfrauen. Die Ambivalenz von eigenem Willen und Gehorsam hat sich dabei als ein wiederkehrendes Thema herauskristallisiert. Projektleiterin Monika Slouk gibt einen Einblick in erste Ergebnisse.
Ordensfrauen gelten im Allgemeinen nicht als Musterbeispiel für Aufmüpfigkeit und Eigensinn. Das Klischee zeichnet eine Person, die sich nolens volens der Vorgesetzten unterwirft und darunter leidet. Das heißt dann Opfer und wird als christliche Tugend verstanden. Wenn man die Lebensgeschichten von Ordensfrauen betrachtet, die das Oral History-Projekt „Erfahrungskraft Ordensfrauen“ gesammelt hat, wird dieses Bild revidiert. Wie so oft, wenn man Menschen wirklich zuhört. 36 biographisch-narrative Interviews hat das dreiköpfige Projektteam[1] im Auftrag der VFÖ (Vereinigung der Frauenorden Österreichs) im Jahr 2015 geführt. Die Ordensfrauen wurden aus verschiedenen Altersgruppen, Wirkungsorten und Ordenstypen ausgewählt.
Das heißt dann Opfer und wird als christliche Tugend verstanden.
Ordensfrau wider den Willen der Eltern
Das Projektteam der „Erfahrungskraft Ordensfrauen“ war nicht wenig erstaunt, dass die überwiegende Mehrheit der Gesprächspartnerinnen davon erzählte, dass sie gegen den Widerstand der Eltern in den Orden eingetreten bzw. „ins Kloster gegangen“ waren. Die meisten Herkunftsfamilien waren – das überrascht nicht – im katholischen Milieu zu finden. Und dennoch: kaum eine Ordensfrau, die sagte, dass sich ihre Eltern gefreut hätten über ihren Entschluss, einem Frauenorden beizutreten. Einen Ausnahmefall bildet die Barmherzige Schwester Katharina Laner, die sich erinnert, dass ihre Eltern sehr konstruktiv auf ihre Ankündigung reagierten. „Wenn es dein Weg ist, dann geh ihn. Wenn du draufkommst, dass es nicht dein Weg ist, dann komm zurück und schäm dich nicht.“ Wesentlich üblicher war die Reaktion der Eltern von Sr. Manuela Huber, die einem Eintritt in den Orden nicht zustimmen wollten, weil sie sich Sorgen machten, dass ihre Tochter ihnen Schande machen könnte – nämlich dann, wenn sie wieder zurückkäme aus dem Kloster. Ein abgebrochenes Ordensleben wurde als wesentlich größere Schande gedeutet als nie dort gewesen zu sein. Auch die Eltern der Wernberger Missionsschwester Gertrud Petschan trauten ihrer Tochter die Rolle einer Ordensfrau nicht zu. Gehorsam sollte sie doch im Kloster sein, und das wäre sie schon ihren Eltern gegenüber nicht. „Wenn ich dich frage, wann kommst du heute heim, wenn du ausgehst, dann schnauzt du und sagst, das geht nur mich was an!“, hielt ihr der Vater vor und verweigerte ihr die Unterschrift, die sie als 18-Jährige für einen Ordenseintritt brauchte. Die Ursuline Sr. Andrea Eberhart wiederum stritt lauthals mit ihrem Vater über die Frage des Ordenseintritts und ärgerte sich derart über seinen vehementen Widerstand, dass sie kurzerhand statt ins Basketballtraining zu den Ursulinen fuhr und dort eintrat.
statt ins Basketballtraining zu den Ursulinen
Der eigene Wille und der Gehorsam
Der Ordenseintritt hatte erstaunlicherweise häufig viel mit Ungehorsam zu tun. Es scheint, als müssten viele Frauen, die sich dafür entschieden, auch in früheren Jahren schon ziemlich widerspenstig gewesen sein – gegen ihre Familie, gegen Erwartungen anderer, gegen die Konventionen der Gesellschaft. Wie aber leben derart eigen-willige Frauen den Evangelischen Rat des Gehorsams[2]? Wie schalten sie beim Eintritt in einen Orden ihren starken Willen aus, um sich von nun an scheinbar gänzlich unterzuordnen? Der Schlüssel zum Verständnis des scheinbaren Widerspruchs zwischen dem eigenen Willen, also der Treue zum Gewissen auf der einen Seite und dem aufgegebenen Willen, also dem Gehorsam auf der anderen Seite, liegt darin, dass die Betonung nicht auf der Unterordnung liegt, sondern das Einordnen im Mittelpunkt steht. Die junge Frau, die ihren Willen durchsetzte und in einen Orden eintrat, gab ihren Willen kaum bei der Einkleidung ab. Sie sah im Orden aber mehr als die eigene innere Stimme, nämlich das gemeinsame Ganze. Das Verständnis dafür, dass man gemeinsam mehr erreicht, wenn man zusammenarbeitet, ließ die Ordensfrauen im Lauf ihres Lebens immer wieder die Entscheidungen der Oberin befolgen, auch wenn sie sich persönlich anders entschieden hätten. Als die Don Bosco Schwester Johanna Montag nach ihrer Profess erfuhr, dass sie eine Ausbildung zur Hauswirtschaftslehrerin machen sollte, ist ihr „alles hinuntergefallen! Alles, nur nicht kochen.“ Dass sie der Entscheidung der Oberin folgen würde, daran zweifelte sie jedoch nicht. Sr. Gertrud Petschan erzählt von ihrer Abneigung, in ein kleines rumänisches Dorf zu übersiedeln. „Im Dorf Tirol (in Rumänien, Anm.) hatte es geregnet und es gab keine asphaltierten Straßen! Es war so schmutzig. Ich habe gedacht, ich werde verrückt, da kann ich nicht her.“ In dieser Situation zeigt sich ein Muster, das auch in anderen Erzählungen immer wiederkehrt. Sr. Gertrud nimmt sich Zeit. Auf der einen Seite hat sie Respekt vor dem Wunsch der Oberin, auf der anderen Seite fühlt sie sich innerlich nicht bereit für den Schritt. Doch in der Phase des Abwägens findet sie Unterstützung von außen. Eine andere Wernberger Missionsschwester, die zuvor in Afrika gewesen war, hörte von dem Vorhaben und sagte, dass sie mit nach Rumänien gehen wollte. „Die war so begeistert von dem, was ich ihr erzählt habe, was für mich schrecklich war… Ich war nicht begeistert. Aber ja, ich gehe auch mit!“ Nach zwanzig Jahren in Rumänien zog sie selbst schließlich ein begeistertes Resümee: „Es war eine meiner schönsten Zeiten!“ Indem die Ordensfrauen den Willen der Oberin reflektiert annahmen, gelangten sie immer wieder an Wirkungsorte, die sie sich selbst nie ausgesucht hätten und die sie rückblickend als großartige Zeit betrachteten. Wie Sr. Manuela, als sie von Rechnitz nach Neusiedl versetzt wurde. „Ich habe mir gedacht, dort will ich nicht hin. Überall hin, nur nicht nach Neusiedl.“ Später setzt sie hinzu: „Ich war so gerne in Neusiedl, auch in der Pfarre. Ich habe so gute Kolleginnen gehabt!“
Alles, nur nicht kochen.
Wir ist größer als Ich
Das Geheimnis der selbstständigen, selbstbewussten Frauen, die in einen Orden eingetreten sind, und ihrer Einordnung in die Ordensgemeinschaft ist ihre innere Motivation, sich dem gemeinsamen Leben und Wirken zur Verfügung zu stellen. Immer wieder kommt es in den Erinnerungen der Ordensfrauen dazu, dass eine Ordensfrau doch nicht mitmachen konnte, was die Oberen entschieden. Oder dass sie selbst eine Änderung vorschlagen hat, an die die Oberin nicht gedacht hätte, die aber angenommen wurde. Die indische Missionsschwester Hilda Correia spürte nach 21 Dienstjahren in einem deutschen Kindergarten „einen zweiten Ruf“. „Ich habe lange um eine Zusage gerungen, weil ich meinen Orden in Indien kennenlernen wollte und die Aufgaben, die meine Mitschwestern dort haben.“ In Indien machte sie schließlich ein Jahr der Stille. Diese Zeit sollte sehr befruchtend werden für ihre weitere Arbeit in Europa. Das Geheimnis der glücklichen eigen-willigen und willigen Ordensfrau lässt sich mit einem aktuellen Slogan der Caritas gut charakterisieren: Wir > Ich, Wir ist größer als Ich.
Wir ist größer als Ich.
Wandel der Frauenorden
Anlass für das Projekt „Erfahrungskraft Ordensfrauen“ war einerseits das Jubiläum 50 Jahre Vereinigung der Frauenorden im Jahr 2016, andererseits die Altersverteilung der Ordensfrauen in Österreich, die einen epochalen Wandel ausdrückt. Während 1970 13.700 Ordensfrauen in Österreich wirkten, waren es 2014 3.700. Davon sind drei Viertel im Pensionsalter, mehr als die Hälfte sind über 75 Jahre alt. Manche Frauenorden haben ihr Aufgabe für die Menschheit erfüllt und gehen ihrem Ende zu, andere werden bestehen bleiben. Doch die Zeit der großen Institute und Kongregationen, der klassenzimmerfüllenden Noviziate und von Ordensfrauen getragenen Werke scheint irreversibel vorbei zu sein. Das Forschungsprojekt „Erfahrungskraft Ordensfrauen“ zeigt anhand von Lebensgeschichten, wie sich das Leben in Frauenorden in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat und welche Zukunftsideen Ordensfrauen haben. Das Projekt ist nicht abgeschlossen. Ein erstes Ergebnis ist der Erzählband „Ein bisserl fromm waren wir auch“[3] – die soziologischen, sozialhistorischen und theologischen Analysen stehen noch aus. Wünschenswert wäre auch eine Ausweitung. 36 Gespräche sind für die erste Runde ein Erfolg, es gäbe aber noch viele Geschichten zu erzählen…
Monika Slouk ist Pressesprecherin der Steyler Missionare in Österreich und leitendes Teammitglied des Oral History-Projekts „Erfahrungskraft Ordensfrauen“.
[1] Soziologin Marlies Zuccato-Doutlik, Sozialhistorikerin Judith Fritz und Projektinitiatorin und Theologin Monika Slouk.
[2] „Gehorsam“ wird hier bewusst als Gegenpol zu Gewissen verwendet, so, wie der Begriff in der Kirchen- und Ordensgeschichte lange Zeit missverstanden wurde und in der Alltagssprache heute noch verstanden wird.
[3] Monika Slouk/Sr. Beatrix Mayrhofer (Hg.), Ein bisserl fromm waren wir auch. Ordensfrauen erzählen, Graz (Styria) 2016.
Bild: VFÖ/Petra Rainer (Puppe im Kloster der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck mit einem Muster der nachkonziliaren Ordenstracht.)