Am 16.09. wurden von Christians For Future zwölf Forderungen für mehr Einsatz für Klimagerechtigkeit an Leitungen von Landeskirchen und (Erz-)Diözesen übergeben. Georg Sauerwein und Edith Wittenbrink reflektieren als beteiligte katholische Theolog*innen Aspekte einer theologischen Vision zur Bearbeitung der Klimakrise.
Für Klimaschutz gibt es zahlreiche Motivationen – er lohnt sich wirtschaftlich, trägt zur Gesundheit bei und erhöht die Lebensqualität. Für die Kirche müsste aber ein anderes Argument an erster Stelle stehen: die „Option für Klimaschutz in Solidarität mit den Opfern” als Aktualisierung einer Option für die Armen und Ausgegrenzten, für die sich unter anderem schon 2006 zwei Kommissionen der Deutschen Bischofskonferenz ausgesprochen haben. Die besondere Parteinahme für die heutigen und zukünftigen Opfer der Klimakrise sollte primäres Kriterium kirchlichen Handelns sein, globale Klimagerechtigkeit der Zielpunkt. Bei aller Ambivalenz einer Rolle als „Fürsprecher*innen“ für Unterdrückte und kommende Generationen: Ohne möglichst mächtige Akteur*innen, die versuchen ihnen eine Stimme zu geben, finden viele Millionen Menschen, gerade aus dem globalen Süden, kein Gehör. Noch ist aber in der Kirche, abseits von Hilfswerken, Verbänden und Orden, wenig davon zu spüren.
Die Bischöfe bleiben zu vage
Seit 2006 ist die globale Klimakrise deutlich bedrohlicher geworden. Wenn Geschwister existentiell gefährdet sind, riskiert man viel, um die Bedrohung abzuwenden. Welcher deutsche katholische Bischof setzt sich aber in der Öffentlichkeit so entschieden für Klimagerechtigkeit ein, dass man den Eindruck hat, er hat erstens das Ausmaß der Bedrohung verstanden und steht zweitens auf der Seite der Bedrohten? Die Äußerungen der Bischöfe zu dem Thema sind bisher meist eher vage, ohne zu riskieren, sich deutlicher Kritik auszusetzen.
Raus aus der binnenkirchlichen Blase!
Was das Problem verschärft: In der Kirche scheint bei manchen Akteur*innen eine Konzeptionslosigkeit im Hinblick darauf zu herrschen, wie heute in einer pluralen Öffentlichkeit agiert werden kann. Bisher liegt der Fokus gerade katholischerseits häufig auf binnenkirchlichen Aktivitäten und Initiativen, die zunehmend weniger wahrgenommen werden. Aber eine Kirche, die nicht mehr Volkskirche ist, hat nur in Gemeinschaft mit möglichst vielen Menschen guten Willens eine Chance, im Sinne der Option für Ausgegrenzte Einfluss auf Gesellschaft zu nehmen. Gerade zu sozialen Bewegungen gibt es leider oft Berührungsängste, die dringend überwunden werden müssen. Es braucht neue Kooperationen jenseits der üblichen Partner und Milieus, wenn diese im Umgang mit der Klimakrise scheitern.
Falsche Prioritäten!
Die Option betrifft aber auch weitere Aspekte kirchlichen Handelns. Gerade in Diskussionen um Klimaneutralitätsziele und die damit verbundenen Investitionen von Geld und Personal treten Güterabwägungen zwangsläufig auf. Sanieren wir Orgeln, oder hören wir auf, den Ausgegrenzten dieser Welt zu schaden? Eigentlich müssten die Prioritäten hier klar sein. Leider wird in Gemeinden und Bistumsverwaltungen oft anders entschieden.
Den Opfern der Klimakrise verpflichtet.
Wenn die Option für die Opfer der Klimakrise ernst genommen wird, darf beim kirchlichen Engagement für Klimagerechtigkeit der erste Fokus nicht auf dem eigenen klimarelevanten Handeln liegen. Gerade im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit ist die Reduktion der eigenen Emissionen ein zentraler Faktor. Der Klimakrise kann aber wirkungsvoll nur gesamtgesellschaftlich begegnet werden. Dazu ist eine Analyse der Machtsstrukuren und Fehlentscheidungen erforderlich, die die Klimakrise verursacht haben und Wandel behindern. Ein Beispiel dafür ist die Rolle der fossilen Industrie beim Verbreiten von Klimawandelleugnung und dem Blockieren von Klimaschutzmaßnahmen, wie es unter anderem in den Recherchen zu “Exxon Knew” dokumentiert ist. Eine Politik zu fordern, die die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels ermöglicht, ist kein Privileg derer, die selbst schon klimaneutral handeln, sondern das Recht und die Pflicht aller, die sich den Opfern der Klimakrise verpflichtet fühlen. Es sind trotzdem oft lauter Appelle an die Gläubigen zu hören, sparsamer zu heizen, als Forderungen an die Politik, Rahmenbedingungen für einen raschen Weg zur Klimaneutralität zu schaffen.
Ein Thema für alle kirchlichen Handlungsbereiche
Die Option für die Opfer der Klimakrise sollte neben Verkündigung und Diakonie ebenso in der Liturgie eine leitende Perspektive sein. Liturgische Feiern können als Ausdruck des Bewusstseins verstanden werden, dass inmitten des diesseitigen Alltags eine Hoffnung präsent ist, die diesen übersteigt, die auf das Reich Gottes ausgerichtet ist, an dem alle mitwirken sollen. Das gemeinsame Beten, Feiern und Bezeugen des Glaubens verliert einen zentralen Bezugspunkt, wenn es nicht mit einer konkreten Zuwendung zu ausgegrenzten Menschen verbunden ist. Da heute in der Messe die Kollekte meist nicht mehr als liturgischer Ausdruck des Teilens mit Bedürftigen wahrgenommen wird und aus gutem Grund viele diakonische Tätigkeiten in eine professionelle Caritas ausgelagert sind, erscheint dieser Zusammenhang oft als wenig intuitiv. Auch ist natürlich ein Einsatz für zukünftige Opfer der Klimakrise weniger unmittelbar als andere Formen diakonischen Handelns. Aber das politische Einstehen für die fernen Nächsten kann, ähnlich wie im Urchristentum das Sättigungsmahl mit den Bedürftigen, in der Liturgie seinen Bezugspunkt finden und diese zurückbinden an das praktische Mitwirken am Reich Gottes im ganz Kleinen. Andachten an den Klimaaktionstagen von Fridays For Future genau wie Gottesdienste an der Tagebaukante im Rheinland sind Beispiele für Liturgien, die diese Verknüpfung neu ins Bewusstsein rufen können.
In allem: Die Frage nach dem guten Leben.
Über liturgische und spirituelle Angebote, aber auch jenseits davon, können Kirchen Räume eröffnen für die Fragen und Prozesse, die mit einer Umkehr zu mehr Klimagerechtigkeit verbunden sind. In welchem Verhältnis stehen wir zur Schöpfung? Welchen Wesen gegenüber tragen wir welche Verantwortung? Was heißt ein “Leben in Fülle”? In den christlichen wie in anderen religiösen Traditionen gibt es einen großen Schatz an Angeboten, die nicht auf individuellen Wohlstand, Leistungs- und Konsummaximierung abzielen. Kirchen können lernende Wegbereiter wirklicher Alternativen sein, wenn sie sich trauen, Mächtigen auf die Füße zu treten und streitbar für Klimagerechtigkeit einzustehen.
Suche nach einer mutigen kirchlichen Praxis
Es geht uns nicht darum, aus der Klimabewegung heraus Kirchen Vorschriften machen zu wollen, wie das Christentum verstanden und gelebt werden muss, und vor allem auch nicht darum, dass Kirchenleitungen hier die Gläubigen bevormundend agieren sollten. Wir möchten anregen und auffordern, dass Ansätze, die auf dem Papier und in eher marginalen Räumen schon lang vorhanden sind, mutiger in der kirchlichen Praxis gefördert werden und dass dabei die Perspektiven der Ausgegrenzten entscheidend sind. Fatal wäre es, den Einsatz für Klimagerechtigkeit als Ablenkung von innerkirchlichen Missständen zu nutzen, allen voran institutionell gedeckter sexueller Gewalt. Die Probleme sind in ihrem Kern vernetzt, wie von einem Klimaaktivisten von Samoa auf der Jugendsynode betont wurde: “Eine Kirche, die den Ungerechtigkeiten innerhalb ihrer eigenen Mauern entgegentreten kann, ist eine Kirche, die gegen jede Ungerechtigkeit außerhalb ihrer Mauern aufstehen kann – und das ist es, wo junge Leute sein wollen” (eigene Übersetzung). Einsatz für Gerechtigkeit innerhalb und außerhalb der Kirche sollten sich bedingen. Eine konsequente Option für die Ausgegrenzten heißt auch, die Perspektiven der Betroffenen von Gewalt und Missbrauch innerhalb der Kirche zum Maßstab zu machen, wenn es um die Gestaltung kirchlicher Strukturen und Praxis geht.
Die Option für die Ausgegrenzten und heute ganz besonders die “Option für Klimaschutz in Solidarität mit den Opfern” ist zentral für den Einsatz für eine lebenswerte Zukunft – aber auch entscheidend für die Zukunft der Kirche. Als Christians For Future wollen wir das gemeinsam mit möglichst vielen Akteur*innen in den Kirchen und in der Gesellschaft angehen – am 24.9. beim globalen Klimaaktionstag gibt es die nächste Gelegenheit.
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Autor*innen:
Edith Wittenbrink ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sozialethik an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz.
Georg Sauerwein (@GeorgSauerwein) ist Physiker und Theologe, Promotionsstudent in Fundamentaltheologie an der Universität Innsbruck.
Beide Autor*innen sind bei Christians For Future engagiert.
Foto: Mika Baumeister / unsplash.com