Einen Besuch voll Glück und Seligkeit stattete Thomas Frings der ehemaligen evangelischen Martini-Kirche in Bielefeld ab. Seine Beobachtungen in einer zum Restaurant umgewidmeten Kirche führen zu Rückfragen an den Umgang der Kirche mit ihren Kirchen.
Vor einigen Wochen kam ich nach Bielefeld. Ein Zeitfenster zwischen zwei Terminen gab mir die Möglichkeit einem lang gehegten Wunsch nachzukommen. Eine ehemalige evangelische Kirche wurde zu einer Gastronomie mit dem vielsagenden Namen „Glück und Seligkeit“ umgebaut. Auf der Homepage präsentiert sie sich mit folgenden Worten: „Die im 19. Jahrhundert errichtete Martini-Kirche wurde 2005 vollständig saniert. Die moderne Innenarchitektur und das spannende Lichtszenario verbinden sich mit dem neugotischen Raum zu einem stilvollen Ensemble mit intensiver Wirkung. Sinnlich, paradiesisch, geistreich. Ein Ort, der sich trotzdem noch ein bisschen von seinem alten Geheimnis bewahrt hat, wurde so zu einem Refugium jenseits von alltäglichem Stress und mannigfaltiger Unruhe. In fünf verschiedenen Bereichen können Sie mit allen Sinnen genießen. Erleben Sie Glück und Seligkeit in der ehemaligen Martini-Kirche.“
„Erleben Sie Glück und Seligkeit in der ehemaligen Martini-Kirche.“
Ich war nachmittags dort und ließ die Atmosphäre auf mich wirken. Dabei saß ich im Chorraum bei einem Kaffee in einem bequemen Sessel. Der Text der Homepage hatte nicht zuviel versprochen: moderne Innenarchitektur – spannende Lichtszenarien – stilvolles Ensemble – sinnlich – von seinem alten Geheimnis bewahrt – Refugium vom alltäglichen Stress. Alles Begriffe, die so oder ähnlich auch vor der Umwidmung auf der Homepage einer Pfarrgemeinde hätten stehen können.
Doch nach einer Weile fielen mir die Unterschiede auf. Wahrscheinlich war diese Kirche nie besser besucht als jetzt. Sicher hat man früher nicht so bequem gesessen wie heute. Das Angebot an Essen und Trinken hat sich erheblich erweitert. Die Sanitäranlagen sind ein Besuch wert, was man in Kirchen sonst nicht unbedingt behaupten kann. Eigentlich hat der Raum in allen Dingen durch die neue Nutzung nur gewonnen. Selbst beten darf man immer noch – nur halt nicht mehr öffentlich und gemeinsam. Und genau da zeigt sich für mich das Drama dieser konkreten Umnutzung. Nachdem nicht mehr wir (Kirche) diesen Raum „betreiben“ ist er für mehr Menschen interessant, ja besuchbar geworden, selbst wenn sie dafür jetzt sogar Geld bezahlen müssen.
Wahrscheinlich war diese Kirche nie besser besucht als jetzt.
Da es in Städten wie Bielefeld und ähnlicher Größenordnung noch ausreichend Kirchen gibt, in denen das traditionelle Programm von Kirche und Gemeinde mit seinen lokalen Ausprägungen zu Geltung kommt, stellt sich mir die Frage, warum eine solche Lokalität wie „Glück und Seligkeit“ nicht ein Angebot von Kirche sein kann oder darf. Da gibt ein Mensch Geld aus um eine alte Kirche zu kaufen, die nicht einmal besonders gut im Stadtbild gelegen ist. Dann investiert er noch einmal viel Geld in die Umgestaltung, die einen schönen Ort zu einem Anziehungspunkt für Menschen macht. Und all das macht dieser Mensch, um damit schließlich Geld zu verdienen. Solange es „unsere“ Kirche war, hat sie Geld gekostet und immer weniger Menschen sind gekommen. Nachdem es nicht mehr „unsere“ Kirche ist, kommen mehr Menschen und sie bringt Geld ein.
Was machen wir eigentlich falsch?
Was machen wir eigentlich falsch? Mir ist natürlich klar, dass sich ein seelsorglich-gottesdienstliches Angebot nicht 1:1 vergleichen lässt mit einem gastronomischen. Warum aber nicht eine Kombination von beidem?
Man schaue sich einmal die Stadtbilder an. Wir (Kirche) halten die besten Standorte besetzt, z.T. seit Jahrhunderten. Selten werden diese Orte von vielen Menschen aufgesucht, kaum noch die dort stattfindenden Angebote.
Beste Standorte – doch wenig Besuch
Was wäre, wenn die Gastronomie „Glück und Seligkeit“ in ihrem heutigen Erscheinungsbild noch von uns (Kirche) betrieben würde? Wie viele Begegnungen Jesu mit Menschen finden bei einem Essen statt oder münden in ein solches! Was ließe sich in einer solchen Kombination alles ermöglichen für Familien, Paare, bei freudigen und traurigen Umständen, ganz einfach im Leben von Menschen – und zwar einfach deswegen, weil Menschen essen und trinken. Was ließe sich da alles kombinieren, wenn man die Lebensumstände der Menschen einmal durchbustabiert. Natürlich wäre es keine Gastronomie wie sie jetzt darin existiert, aber wir müssten ja auch nicht davon leben. Und in dem Zwischenraum von Leben und „davon leben“ ließe sich vieles für das Leben der Menschen unserer Tage ermöglichen, die wir mit unseren bisherigen Angeboten immer weniger erreichen und dennoch an vielen Orten anbieten.
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Thomas Frings
Bild: Glück und Seligkeit, Bielefeld
Vgl. zum Thema Kirchenumwidmung und Kirchenraumnutzung auch: