„Gott will uns ganz nahe kommen“ – das Leiden an derartigen Phrasen in kirchlichen Predigten wird vielfach beschrieben. Simone Ziermann hält fest: Solche sprachlichen Floskeln sind tief in der Kommunikation verankert – und deshalb findet sich manche „Lösung“ gerade dort, wo sie nicht gesucht wird.
Ein Betrunkener sucht im Schein der Laterne den Schlüsselbund, den er verloren hat. Kommt ein Passant vorbei und hilft bei der Suche. Nach einer Weile fragt der Passant: Haben Sie den Schlüssel denn auch wirklich hier verloren? Sagt der Betrunkene: Nein, nein, verloren hab ich den Schlüssel dort drüben – aber da ist es ja viel zu dunkel um zu suchen.
Der Witz ist alt – und immer wieder treffend. Paul Watzlawick veranschaulicht damit ein Dilemma zwischenmenschlicher Kommunikation1: Da gibt es einen Bereich, der „im Licht“ liegt und sich relativ leicht erkunden lässt: Inhalte, Wortwahl u.ä. Der „Schlüssel“ für gelingende Kommunikation liegt aber jenseits davon, „im Dunkeln“, nämlich dort, wo die Beziehung zwischen den Gesprächspartner:innen ausgehandelt wird, wo jeder einzelne austariert: Was will ich von mir zeigen? Wie kann ich beim anderen bewirken, was ich möchte?
Floskeln und Phrasen als Hinweisschilder
Nichts davon ist eindeutig zu greifen und das meiste geschieht unbewusst – und doch entscheidet sich hier, wie die Kommunikation verläuft. Die Sprache, die verwendet und die Inhalte, die verhandelt werden, sind immer auch Symptom für diese menschliche Gemengelage „im Dunkeln“.
Ich möchte hier der These nachgehen, dass es sich bei Predigten ähnlich verhält: Die sprachlichen Mittel sind vor allem interessant, weil sie etwas über Beziehungen, über Selbst- und Fremdbilder aussagen. Floskeln und Phrasen sind so gesehen Hinweisschilder, wo es sich lohnt, rund um die Predigt ein wenig „im Dunkeln“ herumzustöbern. Drei Schlaglichtern will ich exemplarisch nachgehen.
1. Wirken wollen und nicht können
„Fürchtet Euch nicht, ruft uns auch heute wieder der Engel zu. Wir müssen nicht verzweifeln!“ höre ich vor einigen Wochen von der Kanzel. Und ich weiß: Die Pfarrerin meint es nur gut und tut ihr Bestes. Man liest und hört es ja bei jeder Gelegenheit: Hoffnung soll die Kirche stiften. Gerade jetzt! Mut zusprechen inmitten der Zukunftsängste!
Wirken wollen, was sich nicht bewirken lässt
Zu lesen ist aber auch, dass eben dies ein Ding der Unmöglichkeit ist2: Affekte und Emotionen kann man nicht „bewirken“. Liebe, Angst, Scham, Mut – nichts von all dem lässt sich „machen“, nichts von all dem lässt sich an- und ausschalten – oder jedenfalls nur mit viel manipulativem Geschick und einem Gegenüber, das sich manipulieren lässt. Und mehr noch: Oft hat der Versuch, einen bestimmten Affekt zu bewirken, sogar das genau gegenteilige Resultat: Je mehr ich dem anderen erzähle, er brauche keine Angst zu haben, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich zur Angst auch noch das schlechte Gewissen gesellt, die Angst nicht abschalten und den Ansprüchen nicht genügen zu können.
Sie wollen Hoffnung stiften…
Gleichwohl: Hoffnung stiften sollen (und wollen) die Pfarrer:innen landauf landab… Also reden sie davon, dass „wir alle hoffen dürfen“, und haben damit zwar nichts gesagt, aber doch irgendwie ihre Pflicht erfüllt. Scheinbar zumindest. Denn unter Umständen wird damit nicht nur keine Hoffnung, sondern obendrein neuer Kummer gestiftet: „So schlecht also ist es um meinen Glauben bestellt…“ Die Sprache, „an der die Kirche verreckt“3, ist in Hochform.
Mit anderen Worten: Phrasen und Floskeln in Predigten lenken den Blick auf die „Wirkseite“ von Kommunikation. Es könnte sein, dass so manche Predigt gerade deshalb floskelhaft und wirkungslos bleibt, weil sie zu viel wirken will. Zur Debatte stünde dann eben nicht nur die Sprache der Predigt, sondern vor allem auch eine theologische und persönliche Klärung, was Prediger:innen bewirken sollen und können – und was nicht.
2. Von Floskeln und Fassaden
„Auch wir dürfen befreit aufatmen! Jesus ist am Kreuz für uns… und hat unsere Schuld…“ so klingt es mir dieser Tage aus einem gestreamten Gottesdienst entgegen. „Ja, ja“ denke ich mir – und klicke weiter. „Fassadentechnik“4 kommt mir als Stichwort in den Sinn: Schulz von Thun beschreibt, wie Floskeln dazu dienen, sprachliche Fassaden zu errichten.
Wer nichts sagt, sagt auch nichts Falsches
Solche Fassaden aus Floskeln haben den „Vorteil“, dass sie nicht durchblicken lassen, was Menschen eigentlich sagen möchten – und ob sie überhaupt etwas zu sagen haben. Der positive Effekt dabei ist, dass auch in heiklen Gesprächssituationen alle Beteiligten auf der sicheren Seite bleiben und die Beziehung zueinander nicht unnötig gefährdet wird. Denn mit fassadenhaften Floskeln ist zwar Nichts gesagt, aber eben auch nichts Falsches. So hat sich der „Sender“ keine Blöße gegeben und der „Empfänger“ kann sich im Rahmen der eigenen Erwartungshaltung die „richtige“ Interpretation frei zurechtlegen.
Niemandem zu nahe treten
Und so wird auch in Predigten von „Sünde“ und „Vergebung“ geredet, ohne vom eigenen Umgang mit Schuld zu erzählen – und zugleich ohne die Gefahr, sich selbst angreifbar zu machen oder gar dem einen oder anderen Gemeindeglied zu nahe zu treten.
Beziehungsfragen
Fazit: So manche Floskel ist vielleicht ein Hinweisschild, dort im Dunkeln zu suchen, wo es um die komplexe Selbstoffenbarungsseite im Kommunikationsquadrat geht. Es ginge dann eben nicht nur um anschauliche und konkrete Sprache, sondern immer auch um die Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde, um das Fremd- und Selbstbild der Predigerin, um vermutete und tatsächliche Zuschreibungen und den Umgang mit möglichen Enttäuschungen.
3. Der Teufelskreis mit den Anfängerfehlern
„Gott will uns ganz nahe kommen, voller Barmherzigkeit! Und deshalb können auch wir uns einander zuwenden…“ – manohman, murmle ich betroffen, als ich neulich in meinen alten Predigtmanuskripten blättere. Habe ich das damals wirklich so gesagt? Dabei waren wir uns doch einig, im Studium und im Vikariat: Verstaubt, abstrakt und unverständlich ist das Kirchenkauderwelsch! Wir aber – wir würden es besser machen! Und dann das! (s.o.)
Der Kreislauf gegenseitiger Prägungen
Wunder ist das aber keines. Dass gerade Anfänger:innen wie die sprichwörtlichen Motten ums Licht kreisen und nicht gleich den Schritt ins Dunkle wagen, ist verständlich. Und so orientieren sie sich eben an dem, was sie selbst schon 1000mal gehört haben. Bis Prediger:innen dann sicher genug wären, den Sprung ins Dunkel zu wagen, sind die Gewohnheiten schon eingeschliffen und der Aufwand, sich neu einzuspuren, entsprechend hoch. Und in der Zwischenzeit ist man ja auch selbst schon wieder zum Predigtvorbild für andere geworden… Ein klassischer Teufelskreis.
Kurzum: Die Suche im eigenen Dunkel muss jeder selber antreten. Aber gerade am Anfang ist es nicht gut, die Verantwortung an die Einzelnen zu delegieren. Die Beziehungsseite von Kommunikation sollte in Predigtlehre und -ausbildung von Anfang an eine Rolle spielen. Damit würde die eine oder andere Phrase vielleicht von vorneherein umschifft.
5. Ausblick
Vor ein paar Jahren war ich in einem Dunkelrestaurant; eine Freundin hatte mich dazu überredet. Ich erinnere mich noch genau: Eine Hand am Arm des blinden Kellners, der uns zielsicher zu unserem Platz führt, in der Jacke eine Taschenlampe – nur für den Notfall. Ich gestehe: Ich bin damals noch vor dem Essen getürmt, zu viel Dunkelheit ist nichts für mich!
Homiletische Lehrer:innen …
So stelle ich mir homiletische Lehrer:innen vor: Frauen und Männer, die sich gut auskennen in der menschlichen Gemengelage rund ums Predigen und die so lange davon schwärmen, bis man den Ausflug ins Dunkel wagt. Menschen, die zuverlässig führen und Notfallausrüstung bereit haben. Und die wissen, wann es Zeit ist, umzukehren – zurück ins Licht der Laterne.
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Autorin: Dr. Simone Ziermann ist wissenschaftliche Assistentin an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau im Fach Praktische Theologie. In ihrer Habil beschäftigt sie sich mit dem Zusammenhang von Glaube und Kommunikation.
Foto: Thomas Vitali / unsplash.com
- Vgl. Watzlawick, Paul u.a.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, Bern 132017, 92-93. ↩
- Vgl. z.B. Watzlawick, Kommunikation, 220. ↩
- Vgl. Flügge. Erik: Der Jargon der Betroffenheit: Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, München 62016. ↩
- Vgl. hierzu insbesondere Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden: 1. Störungen und Klärungen, Hamburg 562019, 117-120. ↩