Marita Wagner berichtet aus Südafrika, wie weiße Christ*innen dort Elon Musk und Donald Trump widersprechen.
Anfang Februar kritisierte Elon Musk auf seiner Plattform X, dass weiße Südafrikaner*innen aufgrund ihres Weißseins in Südafrika rassistisch diskriminiert werden würden. Diese Behauptung gründete auf dem im Januar verabschiedeten Gesetz zur Landenteignungspolitik (Land Expropriation Act) unter Präsident Cyril Ramaphosa.
Damit befeuerte Musk eine Debatte, die alte koloniale Diskurse reaktiviert. Seit Jahren nähren weiße rechte politische Kräfte in Südafrika das Narrativ, dass insbesondere weiße Farmer*innen überdurchschnittlich oft Mordopfer würden und durch die südafrikanische Regierung und ihre Landreformpolitik existentiell bedroht seien. Sie gehen dabei so weit, von einem “white genocide”, einem Genozid an Weißen, zu sprechen.
Sich als Opfer inszenieren und zugleich weiße Vormachtstellung (white supremacy) aufrechterhalten
Wenige Tage später beschuldigte auch Donald Trump die südafrikanische Regierung, “rassifizierte Gesetzte” (racial laws) zu implementieren. Als Reaktion darauf verfügte er, sämtliche US-Finanzhilfen durch USAID für Südafrika mit sofortiger Wirkung einzustellen. Diese betreffen vor allem die HIV-Prävention und -behandlung.
Ein treibender Akteur in dieser Debatte ist das südafrikanische Netzwerk Solidarity Movement, dem auch die Organisation AfriForum angehört. Das Netzwerk und seine Mitgliedorganisationen vertreten die Interessen der weißen, afrikaanssprachigen Minderheit und erheben den Vorwurf, weiße Südafrikaner*innen würden im heutigen Südafrika rassistisch diskriminiert. AfriForum stellt sich als Verteidigerin der Rechte einer bedrohten Minderheit dar, ignoriert dabei jedoch die historischen Ungleichheiten und systematische Landenteignungspolitik durch die damalige weiße Apartheidregierung. Interessanterweise lehnten Solidarity Movement und AfriForum Trumps Angebot ab, Asyl zu beantragen und in die USA umzusiedeln. Stattdessen betonten sie, Südafrika sei ihre Heimat und sie würden für ihre Rechte im Land kämpfen wollen. Kallie Kriel, CEO von AfriForum, erklärte: „Wir müssen sicherstellen, dass unsere Kultur an zukünftige Generationen weitergegeben wird. Und das kann nicht im Ausland geschehen.“[1] Dieses Paradox – sich als Opfer zu inszenieren und zugleich den Anspruch auf das gestohlene Land und eine weiße Vormachtstellung (white supremacy) aufrechtzuerhalten – verdeutlicht, wie komplex die Identitäts- und kolonial-rassistischen Machtfragen in Südafrika bis heute sind.
Mobilisierungversuch rechter und nationalistischer Kräfte
AfriForum sucht gezielt internationale Unterstützung für ihre nationalistische Agenda – auch in Deutschland. Im Januar nahmen sie am German-African Agribusiness Forum in Berlin teil, das vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft organisiert wurde. Dieses Forum dient als Plattform für den Austausch über nachhaltige Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Im Februar erfolgten weitere Delegationsreisen in die USA sowie europäische Länder, um dort für Solidarität zu werben und gegen die südafrikanische Landreform zu mobilisieren. Diese internationalen Kampagnen tragen dazu bei, eine globale Öffentlichkeit zu beeinflussen und koloniale Narrative zu reproduzieren – mit dem Ziel, Druck auf die südafrikanische Regierung auszuüben und dekoloniale Veränderungsprozesse zu delegitimieren.
8 Prozent weiße Bevölkerung besitzen 75 Pozent des privaten Landes
Die Landfrage gehört zu den ungeklärten Konflikten Südafrikas. Bereits der Natives Land Act von 1913 schuf ein System, in dem die Schwarze Mehrheit von Landbesitz ausgeschlossen wurde. Nur 13 Prozent des Landes blieb für Schwarze Südafrikaner*innen übrig, nachdem sich die weiße Minderheit den Großteil der fruchtbaren Böden angeeignet hatte. Auch nach Beendigung der Apartheid blieb diese Ungleichheit weitgehend bestehen: Der Land Audit Report[2] aus dem Jahr 2017 dokumentiert, dass sich heute noch etwa 75 Prozent des privaten Landes in weißem Besitz befindet, obwohl weiße Menschen nur rund 8 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Wie eingangs erwähnt unterzeichnete Präsident Ramaphosa Ende Januar den Land Expropriation Act. Dieses Gesetz ermöglicht es dem Staat, Land im öffentlichen Interesse zu enteignen – zum Beispiel für Infrastrukturprojekte, den Bau von Wohnraum oder zur Umsetzung von Landreformen. Neu an diesem Gesetz ist, dass eine Enteignung in bestimmten Ausnahmefällen auch ohne finanzielle Entschädigung erfolgen kann. Dies betrifft strategisch wichtige Flächen, also in erster Linie Land, das brachliegt bzw. nicht genutzt wird, unrechtmäßig besetzt ist, illegal erworben wurde oder von Eigentümer*innen spekulativ zurückgehalten wird, ohne dass ein Beitrag zum Gemeinwohl geleistet wird.
Die Behauptungen von Musk und Trump sind historische Täter-Opfer-Umkehr
Entgegen der Falschbehauptungen von Musk, Trump und AfriForum, die eine Täter-Opfer-Umkehr bedeuten, richtet sich das Gesetz nicht pauschal gegen private Eigentümer*innen und schon gar nicht gegen die weiße Minderheit per se. Vielmehr geht es darum, historisch ungleiche Besitzverhältnisse behutsam zu korrigieren, insbesondere dort, wo Land nicht genutzt oder dem öffentlichen Interesse entzogen wird. Enteignungen müssen außerdem ein transparentes rechtliches Verfahren durchlaufen und können gerichtlich überprüft werden.
Gegen den propagierten Geschichtsrevisionismus formierte sich in Südafrika Widerspruch – und zwar von Christ*innen und Theolog*innen, die selbst besagter weißer Minderheit angehören. In einem online veröffentlichten Statement samt Petition[3], beziehen sie Stellung zu den Behauptungen systematischer Diskriminierung weißer Südafrikaner*innen und stellen heraus, dass es sich um eine Verschleierungstaktik handele, die eine koloniale Amnesie bediene und gefährliche politische Dynamiken verstärke.
Theolog*innen widersprechen der Opferinszenierung
Die Theolog*innen widersprechen der Opferinszenierung und mahnen an, den realen historischen Prozess der Landenteignung ehrlich aufzuarbeiten. In einer Art Schuldbekenntnis formulieren sie:
„Als weiße christliche Südafrikaner*innen bekennen wir, dass wir nicht genug getan haben, um die Ungerechtigkeiten unserer Kolonial- und Apartheidvergangenheit zu beseitigen.“ Sie verweisen auf die anhaltenden Privilegien, die weiße Südafrikaner*innen seit der Kolonial- und Apartheidzeit genießen. Der Aufruf zu Umverteilung und Gerechtigkeit ist für sie deshalb keine rein politische Option, sondern zugleich eine Glaubensfrage: „Wir erkennen den Aufruf des Evangeliums an, weiter daran zu arbeiten, die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit zu beseitigen, und wir verpflichten uns erneut, uns für Wiedergutmachung, Reparationen und Heilung einzusetzen.“
Sie deuten die gegenwärtigen Konflikte als Resultat jahrhundertelanger Ausbeutung und Entrechtung. Wer heute von Diskriminierung von Weißen spreche, ohne diese Geschichte zu berücksichtigen, leiste einer gefährlichen Täter-Opfer-Umkehr Vorschub. Besonders bestimmt weisen sie die Unterstellung Trumps zurück: „[…] [D]as Narrativ der ‚unverhältnismäßigen Gewalt‘ gegen weiße Südafrikaner*innen, das Präsident Trump zu propagieren versucht, negiert die unbestreitbare Realität für jede*n, der*die in Südafrika lebt, dass Schwarze Südafrikaner*innen weiterhin den schlimmsten Auswüchsen von Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt sind.“ Die Christ*innen verweisen dabei auf einen Bericht von Genocide Watch, demzufolge weiße Südafrikaner*innen 8 Prozent der Bevölkerung ausmachen, insgesamt aber weniger als 2 Prozent aller Mordopfer stellen. Genocide Watch widerspricht deshalb in aller Deutlichkeit dem diskursiv konstruierten „white genocide“-Mythos.[4]
Keine erneute Instrumentalisierung des christlichen Glaubens zur Legitimation von Ungerechtigkeit und Gewalt
Des Weiteren widersagen die Theolog*innen der Instrumentalisierung des christlichen Glaubens zur Legitimation von Ungerechtigkeit und Gewalt, bei gleichzeitiger Anerkennung eben jener Instrumentalisierung durch ihre christlichen Vorfahr*innen:
„Wir erinnern uns an unsere Geschichte, in der der christliche Glaube zur stillschweigenden und ausdrücklichen Rechtfertigung der unterdrückerischen Kolonial- und Apartheidregime benutzt wurde, und wir haben mit Entsetzen beobachtet, wie sich die politische Rhetorik in den Vereinigten Staaten von Amerika ebenfalls auf den christlichen Glauben in einer Weise berufen hat, die den grundlegenden christlichen Aufruf zur Fürsorge für die Schwachen, zur Nächstenliebe und zum Einsatz für eine gute Gesellschaft für alle missachtet.“
Es sei dringend geboten, dass sich christliche Stimmen heute eindeutig positionieren – gegen rassistische Narrative wie einen christlich legitimierten Herrschaftsanspruch und für soziale Gerechtigkeit. Dazu gehört für die Unterzeichner*innen auch, die aktuellen Machtverhältnisse offen zu benennen: „Wir sehen, wie die rassifizierte Politik (racial politics) in einer Weise instrumentalisiert wird, die zum frühen Tod der Armen und Schwachen beiträgt und gleichzeitig den politischen Absichten der Mächtigen dient.“
Die gerechte Verteilung von Land ist eine theologische Frage
Für die Theolog*innen ist die Landfrage nicht nur eine politische oder ökonomische, sondern auch eine zutiefst theologische Frage: „Die gerechte Verteilung von Land ist für uns als Christ*innen kein Luxus oder Extra. Sie ist ein zentrales Thema der sozialen Gerechtigkeit. Versöhnung kann es nur geben, wenn auch die materiellen Grundlagen für ein gutes Leben für alle geschaffen werden.“
Damit unterstreichen sie, dass eine Versöhnung, die allein auf symbolischen Akten oder bloßen Dialogformaten beruht, nicht ausreicht. Ohne eine tatsächliche Umverteilung von Ressourcen und die Aufarbeitung des historischen Unrechts bleibt Versöhnung oberflächlich und wirkungslos.
Deutsche Theologie muss sich an der Aufarbeitung des kolonialen Rassismus beteiligen
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Rassismus kein rein südafrikanisches Problem ist. Vielmehr handelt es sich um ein global-strukturelles System, das sich in transnationalen Allianzen weißer Nationalist*innen und deren Mythenbildungen fortschreibt und daher nur gemeinsam und kontextsensibel überwunden werden kann. Rassismus ist Motor und tragende Säule anhaltender kolonialer Ausbeutungstrukturen zugunsten der systematischen Bevorteilung weiß gelesener Menschen – unabhängig ihrer geografischen Lokalisierung.
Die Debatten um Land und Macht in Südafrika sind untrennbar mit den globalen Geschichten von Kolonisierung, Ausbeutung und christlicher Mission verbunden. Deshalb sind auch die deutsche Theologie und ihre christlichen Akteur*innen angehalten, sich produktiv und ehrlich an dieser Aufarbeitung zu beteiligen.
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Zur Schreibweise „Schwarz“ und „weiß“:
Der Terminus „Schwarz“ bezieht sich nicht auf die Hautfarbe eines Menschen, sondern ist eine politische Selbstbezeichnung von People of Color (gemeint sind Menschen, die rassistische Diskriminierung erleben). Er markiert eine emanzipatorische Widerstandshaltung und wird deshalb – auch als Adjektiv – großgeschrieben.
Der Terminus „weiß“ meint in diesem Artikel keine biologistische Eigenschaft, die auf die Hautfarbe abzielt. Stattdessen markiert „weiß“ hier eine sozio-politische Konstruktion. „weiß“ meint eine gesellschaftspolitische Norm und Machtposition und wird deshalb in diesem Text klein und kursiv geschrieben.
[1] Kate Bartlett, „Trump Ignites Political Firestorm in South Africa over Afrikaner Asylum Status Offer“, KERA News, 13. Februar 2025, https://www.keranews.org/ [Zugriff: 04.03.2025].
[2] Department for Rural Development and land Reform, „Land Audit Report. Version 2. Phase II. Private land ownership by race, gender and nationality“ (Pretoria, 2017), https://www.gov.za/sites/default/files/gcis_document/201802/landauditreport13feb2018.pdf [Zugriff: 04.03.2025].
[3] Cobus van Wyngaard u. a., „Statement from White South African Christian Leaders on Recent Actions by the United States Government“, 2025, https://docs.google.com/document/d/1mlM_eqihXjZBxdP0rHmNIbTW_MpFE02HxCv89hfqpPk/mobilebasic? [Zugriff: 04.03.2025].
[4] Geoff Hill, „Rising Crime in South Africa“, Genocide Watch, 7. Dezember 2023, https://www.genocidewatch.com/single-post/rising-crime-in-south-africa [Zugriff: 04.03.2025].
Bild: KASA/Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika
Marita Anna Wagner hat Theologie und Global Studies in Frankfurt, Pretoria und Salzburg studiert. Aktuell forscht sie für ihr Dissertationsprojekt an der Faculty of Humanities der University of Cape Town (Südafrika) zu dekolonialen und rassismuskritischen Theorien und Theologien. Sie ist Vorstandsmitglied der Werkstatt Ökonomie in Heidelberg.
Porträtfoto: Mina Jung Photos