Die Adventszeit ist verbunden mit der Vorfreude auf die Geburt eines Kindes. Doch was, wenn die Vorfreude getrübt ist, weil der Vater kein Vater sein darf? Guido Erbrich schreibt über Priester, die Väter sind.
Alle Jahre wieder im Advent. Wir bereiten uns auf die Geburt eines Kindes vor, bei dem die Frage nach der biologischen Vaterschaft ein gewisses Konfliktpotenzial in sich birgt. Bedeutet „Sohn Gottes“ automatisch, dass es keinen irdischen Vater gibt, oder kann es ihn nichtsdestotrotz geben? Da dies vermutlich erst am Jüngsten Tag für uns beantwortet wird, können wir unseren Blick auf einen Spezialfall der besonderen Geburt lenken, bei dem Antworten längst überfällig sind. Allerdings geht es hier weniger um die wie auch immer geartete Zeugung des Gottessohnes, als vielmehr um die gar nicht weihnachtszeitliche Heimlichkeit bei einigen seiner Stellvertreter, die als zölibatär lebende Priester in der Feier der Eucharistie die Rolle des Gottessohnes übernehmen.
Pfarrer sind Menschen zu denen alle ‚Vater‘ sagen dürfen, außer die eigenen Kinder.
„Pfarrer sind Menschen zu denen alle ‚Vater‘ sagen dürfen, außer die eigenen Kinder.“ Dieser Spruch steht zwischen verschiedenen anderen Kirchenwitzen in einem gut katholischen Witzebuch. Ein Schelm wer Arges dabei denkt. Aber eigentlich kann einem da schon das Lachen im Halse stecken bleiben. Nicht, weil hier salopp etwas „typisch Katholisches“ auf die Schippe genommen wird, alle mal herzlich lachen können und sich Pfarrer ohnehin als Humoropfer dankbar anbieten, sondern, weil der Witz ab und an auch stimmt.
Der römisch-katholischen Kirche ist nicht Menschliches fremd.
Da der römisch-katholischen Kirche nichts Menschliches fremd ist, gibt es natürlich auch Priester, die nicht nur geistliche Väter sind, obwohl sie eigentlich im Zölibat leben sollten. Wie immer wir das beurteilen mögen, auf die Welt gekommen ist damit auch ein Geschöpf Gottes. Ein kleines Kind, dem zu wünschen ist, dass es von seinen Eltern geliebt wird. Ab dem Moment, wo ein Kind von Gott und zwei Menschen in die Welt hineingeschenkt wird, gibt es auch die elterliche Verantwortung. Zu dieser gehören eine ehrliche, liebende Beziehung zum Kind und normalerweise auch Vater und Mutter.
Es gibt für Eltern Rechte und Pflichten, die im Sinne der Kinder nicht einfach durch eine Weihe außer Kraft gesetzt werden.
Nun gibt es in unserer modernen Welt sehr unterschiedliche Eltern-Kind Konstellationen. Die „christliche Ehe“ ist dabei eine Form unter vielen. Unabhängig davon gibt es für Eltern Rechte und Pflichten, die im Sinne der Kinder nicht einfach durch eine Weihe außer Kraft gesetzt werden. Wer von seinem Partner, seiner Partnerin getrennt lebt, wer sein Kind alleine erzieht oder es sich nur zum Wochenende vom anderen Elternteil holt, kann mittlerweile auch „Gott sei Dank“ ehrlich in unseren Gemeinden als Christin oder Christ mitleben. Die Augenbrauen werden längst nicht mehr hochgezogen und innerlich werden „der Schande wegen“ keine kleinen Steinigungen mehr veranstaltet, wenn Kinder unehelich das Licht der Welt erblicken. Gott sei Dank unterliegt auch Kirche einem ständigen Lernprozess, selbst wenn der eine gefühlte Ewigkeiten dauert.
Welchen ehrlichen Grund sollte es also in einer Kirche von heute geben, die Vaterschaft eines Priesters zu verschweigen – die Würde des Amtes?
Die Auseinandersetzung um wiederverheiratete Geschiedene zeigt doch auch, wie ernst die römisch-katholische Kirche die pastoralen Sorgen und Nöte von Menschen nimmt, in deren Biographie nicht alles so schön verlaufen ist, wie sie es sich erhofft hätten. Welchen ehrlichen Grund sollte es also in einer Kirche von heute geben, die Vaterschaft eines Priesters zu verschweigen – die Würde des Amtes? Sicher nicht, und so sollten auch Geistliche, die Vater geworden sind, ehrlich und offen zu ihrem Kind Ja sagen können! Und dazu gehört auch, dass das liebe Kleine „Papa“ sagen darf.
Ein anstößiges Thema? Ein schwieriges? Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass man damit heutige Gemeinden noch groß durcheinanderbringt. Schließlich wird das Thema regelmäßig in Zeitungen und Talkshows aufgegriffen, meist gleich zusammen mit der Zölibatsfrage diskutiert und der römisch-katholischen Kirche wird, mal zu Recht, mal zu Unrecht, der Umgang mit den Priesterkindern vorgehalten. Bei einem dieser Interviews machte der damalige Hamburger Weihbischof Jaschke schon vor Jahren eine klare Aussage: „Der Priester muss zu seiner Verantwortung stehen. Er kann entweder sagen: ‚Das war ein Fehltritt, dessen Konsequenzen ich trage, aber ich möchte im Amt bleiben und die Frau nicht heiraten, werde jedoch im Rahmen meiner Möglichkeiten für das Kind einstehen.‘ Oder aber er trennt sich von seinem Amt und gründet eine Familie.“[1]
Es gibt bis heute weder offizielle Statistiken noch einen Ansprechpartner der Deutschen Bischofskonferenz zu diesem Thema.
Aber was diese Konsequenzen heißen, bleibt dann doch recht schwammig. Es gibt bis heute weder offizielle Statistiken noch einen Ansprechpartner der Deutschen Bischofskonferenz zu diesem Thema. Bei der Frage, um wie viele Priesterkinder es sich handelt, ist Nebelstochern angesagt.
Mindestens 5.000 Priesterkinder allein in Deutschland, Österreich und der Schweiz?
Die vom irischen Priesterkind Vincent Doyle gegründete Organisation und Selbsthilfeplattform für Kinder von römisch-katholischen Priestern „Coping International“ schätzt sehr vorsichtig, dass es weltweit mindestens 10.000 Priesterkinder gibt. Fünf Prozent von ihnen wären durch Missbrauch gezeugt worden, die anderen 95 Prozent kamen in einvernehmlichen Beziehungen von Mann und Frau auf die Welt. Die deutsche Vereinigung „Menschenrechte für Priesterkinder“ geht von einer weit höheren Zahl aus und rechnet nur für Deutschland, Österreich und die Schweiz mit mindestens 5.000 Priesterkindern.[2] Weltweit hochgerechnet wäre das ein Vielfaches der von „CI“ vermuteten Zahl.[3]
Vincent Doyle hat aber nicht nur geschätzt, sondern das Thema auch im Vatikan mehrfach zur Sprache gebracht. Die jüngsten Antworten, die auf der Website www.copinginternational.com nachzulesen sind, stammen vom Februar 2021 und vom Mai 2022. Auch Vaticannews hat beide veröffentlicht. Der Inhalt lässt aufhorchen. Denn der Ton ist neu und nicht kurienüblich. Der Präsident des päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, der französische Priester Bernard Ardura, schreibt 2021: Die Kirche habe lange gehandelt wie „alle anderen Institutionen unserer Gesellschaften auch, sie hat tunlichst vermieden, öffentlich all das anzusprechen, was mit dem Verhalten ihrer Mitglieder zu tun hatte, ein Verhalten, das sie missbilligte, über das sie aber schwieg“. Die Gründe sind vielfältig, sicher gehören Scham dazu, aber auch die Furcht, Vertrauen zu verlieren. „Das war ein Fehler, der sich aus dem Kontext erklärte, der aber ein Fehler bleibt.“[4]
Inzwischen habe die römisch-katholische Kirche ihren Umgang mit dem Thema Priesterkinder geändert.
Inzwischen, fährt Ardura fort, habe die römisch-katholische Kirche ihren Umgang mit dem Thema Priesterkinder geändert. Benedikt XVI. und Franziskus hätten energisch darauf hingewirkt, „nicht nur das vorherige Schweigen zu brechen, sondern auch jede Form von Missbrauch anzuzeigen“. Er räumt unumwunden ein, dass für die Priesterkinder, ihre Mütter und auch die Priester das Schweigen der Kirche „verheerende Folgen“ gehabt habe.
…vor allem seinen Vaterpflichten nachkommen…
Doyle ist mit seinem Anliegen durchaus erfolgreich. Der Vatikan hat zum Umgang mit Priestern, die Väter werden oder sind, eigene interne Richtlinien erstellt. Darin steht, wie Bischöfe oder Ordensobere in solchen Fällen gemeinsam mit den Betroffenen die beste Lösung für alle Beteiligten finden können, insbesondere für die Kinder. Demnach soll der Priester vor allem seinen Vaterpflichten nachkommen und sich um das Kind und dessen Mutter kümmern. Und selbstverständlich muss er persönlich, rechtlich, moralisch und finanziell zu seiner Verantwortung stehen. Bei allen Überlegungen sei die Mutter des Kindes voll einzubeziehen.
Strafen für Priester, die entgegen der rechtlichen Vorgaben Väter werden, gibt es übrigens nicht. Eine Annahme der Vaterschaft ist möglich, ohne dass der betroffene Priester zwangsweise suspendiert wird. Nur wenn die sexuelle Beziehung zur Mutter des Kindes nicht beendet wird, sieht das Kirchenrecht Sanktionen vor. (Can. 1395 § 1 CIC)
Nun mahlen die Mühlen der Kirche in einem gemächlichen Tempo. Und Rom ist weit – erst langsam beginnen sich viele Bischofskonferenzen mit dem Thema auseinandersetzen. Genau an dieser Stelle kommt der Richtlinie einige Bedeutung zu. Kardinal Beniamino Stella, der Präfekt der Kongregation für den Klerus, erklärte im Februar 2019 zu deren Inhalten: „Wir achten das Recht der Kinder, einen Vater und eine Mutter um sich zu haben“. Daher sollten Priesterväter den Klerikerstand aufgeben und sich stattdessen um ihre Kinder kümmern.[5]
Wenn sie Priester bleiben wollen, können sie das nur, wenn sie ihr Kind verleugnen.
Das wäre dann doch nicht so viel Neues unter der Sonne. Denn für viele Priesterväter liegt genau hier das Problem. Wenn sie Priester bleiben wollen, können sie das nur, wenn sie ihr Kind verleugnen. Allerdings, und das ist dann schon etwas Neues, rät Stella, zu flexiblen Unterscheidungen, es gäbe schließlich keinen Suspendierungs-Automatismus. Das Alter und die Lebenssituation der Kinder sollten dabei eine Rolle spielen. Wird beispielsweise die „Vaterschaft eines Priesters erst bekannt, wenn das Kind erwachsen ist oder in einer stabilen Familie lebt, sollte der Ortsbischof eine Einzelentscheidung treffen.“ Das kann natürlich auch heißen, dass der Priester im Amt bleibt.
Warum eigentlich auch nicht? Und dann sei konsequenterweise auch die Frage gestattet, warum das nur bei Kindern, die älter oder erwachsen sind, oder die in einer Familie mit „Josefs Vater“ leben, gelten sollte? Steht die Sorge um Kinder denn dem Dienst am Altar im Wege? Wären Priester, die Väter sind, wirklich ein so großes Ärgernis? Wenn Bischöfe Dispensen erteilen können, warum dann auch nicht für jene Fälle, in denen ein Priester Vater wird oder ein Kind hat? Warum sind nicht auch hier begründete Einzelfallentscheidungen denkbar? Oder sind sie es gar?
In dem Brief vom 27. Mai 2022 schreibt der australische Experte und ehemalige Richter Neville Owen im Namen der päpstlichen Kommission zum Schutz von Minderjährigen den vielleicht bemerkenswertesten Brief an Doyle. Neben dem Dank an die Arbeit von „CI“ und Doyle rückt er die Kinder mit ihren Eltern in den Fokus des Schreibens und zitiert dabei Papst Franziskus: „Children are not a matter of reproductive biology, much less their parents‘ possession. Children are a gift! They are a joy. Always and in every circumstance.“[6]
Children and their parents should not feel any pressure from the church.
Daraus folgt auch, dass Kinder und Eltern von der Kirche keinen Druck erfahren sollen, die der Freude, die Kinder in die Welt bringen, entgegenstehen. Owen führt aus, dass es viele verschiedene Herangehensweisen an dieses Thema geben darf, im Mittelpunkt sollte dabei das Wohl der Kinder stehen. „Children and their parents should not feel any pressure from the church to disown or in any way reduce the joy that the new life of a child should bring to the world, despite any difficulties arising at the time, because of the status of the father as a priest.“[7]
Den Brief kann man durchaus als Ermutigung zu klugen Einzelfallentscheidungen lesen. Und dann gehört auch die Möglichkeit von Dispensen und Entscheidungen dazu, die sowohl eine offene Elternschaft wie auch ein aktives Engagement als Priester ermöglichen.
…das Sakrament der Ehe UND das Sakrament der Priesterweihe…
Dass das Leben als römisch-katholischer Priester auch mit Kindern sehr gut gehen kann, zeigen manche Väter, die als evangelische oder anglikanische Geistliche in die katholische Kirche konvertiert sind und dabei selbstverständlich ihre Familien mitbringen. Sie wurden als Ehepaar getraut, als katholische Priester geweiht, dürfen selbstverständlich weitere Kinder bekommen und bezeugen somit das Sakrament der Ehe und das Sakrament der Priesterweihe auf glückliche Weise in ihrem Leben. Sie können allein oder mit ihren Frauen den Kinderwagen durchs Dorf schieben und Elternurlaub nehmen, ohne sich zu verstecken.
Priester sind auch bloß Menschen, und eben manchmal auch Väter.
Guido Erbrich ist Senderbeauftragter der katholischen Kirche beim MDR und für Gottesdienst- und Verkündigungssendungen in den Fernseh- und Radioprogrammen des MDR zuständig.
Beitragsbild: pixabay
Autorenbild: Michael Baudisch / Pressestelle Bistum Dresden-Meißen
[1] Weihbischof Hans Jochen Jaschke in der Talkshow „Markus Lanz“, ZDF 29. Oktober 2009.
[2] www.menschenrechtefuerpriesterkinder.org/
[3] www.katholisch.de/artikel/27930-leben-im-unklaren-das-schwierige-los-von-priesterkindern von Christoph Paul Hartmann
[4] Schreiben von Bernard Ardura OPraem, Direktor des Päpstliches Komitees für Geschichtswissenschaft vom 15.01.2021 an Vincent Doyle, Gründer von Coping International
[5] Interview von Beniamino Kardinal Stella, Präfekt der Kleruskongregation mit dem Osservatore Romano (italienische Ausgabe) vom 27. Februar 2019.
[6] Generalaudienz Papst Franziskus, Petersplatz Rom, 12. Februar 2015.
[7] Brief von Hon. Neville Owen, Päpstliche Kommission für den Schutz von Minderjährigen an Vincent Doyle, Gründer von „Coping International“ vom 27. Mai 2022.
Weitere Quellen:
https://www.copinginternational.com/vaticanguidelines/
http://www.copinginternational.com/wp-content/uploads/2022/06/0001-1-scaled.jpg
https://www.katholisch.de/artikel/27930-leben-im-unklaren-das-schwierige-los-von-priesterkindern
http://www.copinginternational.com/wp-content/uploads/2022/06/0001-1-scaled.jpg