Zum Tod des Salzburger Dogmatikers Gottfried Bachl geht Erich Garhammer dessen Theologie nach. Sie stellt sich der Wirklichkeit, tritt den Floskeln poetisch entgegen. Und eine sich selbst umkreisende Kirche ist ihr suspekt.
,,Die Theologie besteht im normalen Fall aus 39% Abschreiben, 29% Weiterschreiben, 29% Dazwischenschreiben und 3% Eigenschreiben”, so formulierte Gottfried Bachl unübertroffen in seiner Abschiedsvorlesung. Man kann mit Fug und Recht behaupten dass er den Anteil des Eigenschreibens in der Theologie um ein Vielfaches erhöht hat. Wer war dieser Mann, der der Floskeln abhold war und theologische Stereotype zu meiden suchte?
Unbehagen an einer Theologie, die sich selbst genügt
Auf die Spur kommt man ihm am ehesten, wenn man seine Erinnerungen an das Theologiestudium und die Weihe heranzieht. Als er 1953 mit dem Theologiestudium begann, fand er in den Lehrbüchern der römischen Gregoriana eine neuscholastische Sprache vor, die mit keiner Silbe die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts spiegelte. Es war eine lingua perennis, die sich selbst genügte. Er, der in der Nähe des KZ´s von Mauthausen aufgewachsen war, blieb skeptisch gegen eine Sprache, die den Ewigkeitston vor sich hertönte. Programmierte Menschenvernichtungsaktionen, Genozide, Vertreibungen erlebte das letzte Jahrhundert, aber die theologische Sprache war nicht affiziert von den realen Erfahrungen der Menschen.
Der Kirchenaufwand hat die Gottesnähe geschluckt
Von der Kirche hätte er sich eine solche Sensibilität gewünscht, was er vorfand, war eine rhetorische und kultische Selbstbespiegelung. Das wurde ihm klar, bei seiner Diakonatsweihe 1958 in Rom, die er von Kardinal Traglia erhielt: bei der Kommunion musste er zuerst den Bischofsring küssen, dann erst bekam er das eucharistiche Brot. Diese klerikale Ur-szene ist ihm nie mehr aus dem Gedächtnis verschwunden. Ihm wurde klar: der Kirchenaufwand hat die Gottesnähe geschluckt, der Kirchenbetrieb war wichtiger geworden als die Jesusnähe, die Selbstfaszination der Kirche war zum heiligen Spiel verkommen. Dagegen wird er ein Leben lang andenken und anschreiben. Das tut er allerdings nicht mit revolutionären Gesten, er bleibt ein Mann der leisen Töne. Er ist in keiner großbürgerlichen Familie aufgewachsen wie Hans Urs von Balthasar, sondern ein einfacher Bauernbub, der den kargen Mühlviertler Boden kannte.
eine runde Theologie ist ihm früh zerbrochen
Die Nähe zu Mauthausen, wo er die in Viehwagen abtransportierten Häftlinge sah, verbot ihm eine Frömmigkeit, die die Augen vor der Wirklichkeit verschloss. Eine runde Theologie ist ihm so früh zerbrochen, er entwickelt sie anders- suchend, vorläufig, immer neu ansetzend, nie stereotyp. Seine einfache Herkunft ließ er sich auch nicht in der Seminarausbildung am Linzer Petrinum oder im 10- jährigen Philosophie-und Theologiestudium am Germanikum in Rom austreiben.
Gegen eine Theologie, die alles zu wissen schien
Nach einer Zeit als Kaplan und Religionslehrer in Wels lehrte er Theologie an der Theologischen Hochschule in Linz, bis er 1983 als Universitätsprofessor für Dogmatik an die Universität Salzburg berufen wurde. Die in der Fachwelt anerkanntesten Beiträge hat er zum Thema der Eschatologie, der „letzten Dinge“ geleistet. Dabei hat er sich gegen eine Tradition gewendet, die alles vom Jenseits zu wissen schien und die Menschen mit Angst drangsalierte. Stets hat er seine theologischen Erkenntnisse in Poesie umgesetzt:
Löst eure Saugnäpfe vom Firmament.
Ihr habt den Text der Erde nicht gelesen.
Buchstabiert noch ein wenig.
Hier unten.
Gottfried Bachls theologische Prosa ist brilliant, in seine Sprache investiert er ein Leben lang. Sie ist liebevoll, geistreich und manchmal auch sarkastisch. Auf einige Bücher sei besonders hingewiesen: ,,Der beneidete Engel“ von 1987 und „Gottesbeschreibung“ von 1990. Ein anderes wurde 1989 von der Republik Österreich durch den Bundespräsidenten als eines der schönsten Bücher des Jahres ausgezeichnet: “Auch Dinge haben ihre Tränen“ (Texte von G. Bachl u. G. Rombold, Bilder v. H. Friedl, mit einem Vorwort v. Kardinal F. König). Sein Buch „Der schwierige Jesus“, das aus Vorlesungen zu den Salzburger Hochschulwochen hervorging, versuchte einen unkonventionellen Blick auf den Nazarener.
In der Oper vom Menschen lernen
Bachl war ein Theater- und Operngänger, stets veränderten diese Besuche auch seinen Blick auf die Theologie. „In der Oper sitzend traf mich schon manchmal der Gedanke, an diesem Ort lerne man mehr über das Verhältnis von Mann und Frau als aus vielen grauen Texten der Theologie… kein gehässiges Lamento stößt mich zurück, die Personen dürfen auf die Szene mit allen Tönen ihres Lebens, unbeirrbar wird der Faden gesponnen, der durch das Rätsel geht, in die Musik ist das Wissen eingegangen, dass alle diese heißen und kalten Geschichten nicht restlos auf den Begriff zu bringen sind.”
In seinem letzten Buch „Gott bewegt” (Würzburg 2012) sind viele seiner „Lesestücke zum Glauben und zur Zeit, in der wir leben” zusammengefasst. Besonders bewegend der Briefwechsel mit der 16-jährigen Anna. Als diese ihn fragt, wann endlich Frauen zu Priesterinnen geweiht werden dürfen, gibt er zur Antwort: „Ich bin überzeugt, dass diese Schranke eines Tages fallen wird. Wahrscheinlich wird aber bis dahin noch eine erhebliche Zahl von Päpsten in das vatikanische Gras beißen.”
Das Buch endet mit einem postskriptum:
Seltsam, sagt mein hausverstand,
Da gibt es mann und frau,
Doch manche wollen nur die hälfte
Seltsam, sagt mein hausverstand,
Die frauen sind viel früher dran am leeren grab,
Doch männlich wird der schluss daraus gezogen
Seltsam, sagt mein hausverstand,
Der rabbi läuft mit frauen durch die gegend,
Die kathedralen aber dunsten männlich her
Seltsam sagt mein hausverstand,
Der geist bewohnt so frau und mann,
Doch mannsorakel sagt allein,
Wer wie und was wo darf.
vom niederknienden Himmel
Am 23. Mai ist Gottfried Bachl im 89. Lebensjahr gestorben.
Lavant hat in ihrem Gedichtband „Die Bettlerschale” gefragt: „Ich weiß nicht, ob der Himmel niederkniet, wenn man zu schwach ist, um hinaufzukommen?”
Gottfried Bachl hat ein Leben lang einen solch niederknienden Himmel gelehrt, gepredigt – und an ihn geglaubt.
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Autor: Erich Garhammer war von 2000 bis 2017 Lehrstuhlinhaber für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg, davor von 1991 bis 2000 in Paderborn.
Foto 1: Zhang Xiaohu / unsplash.com
Foto 2: Buch-Cover
Bild 3: Buch-Cover