Mit harten Bandagen ringen derzeit einige Bischöfe und Theologen um die kirchliche Rolle der Theologie. Auf dem Katholisch-Theologischen Fakultätentag, der Anfang Februar 2016 in Münster stattfand, war die Frage ebenfalls Schwerpunktthema. Eindrücke und Gedankensplitter von Katharina Peetz.
Theologie und Kirche in säkularer Gesellschaft
Auch wenn die Kirchen nach wie vor zu den wichtigsten kulturellen Akteuren in Deutschland gehören und die Stimme der Theologie in ethischen Debatten zu Lebensanfang und -ende im politischen Meinungsbildungsprozess einflussreich ist – viele kirchliche und theologische Äußerungen in der säkularen Gesellschaft sind heute kaum mehr verständlich. Für Thomas Sternberg, den neuen Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, einer von drei Referenten in Münster, trifft das etwa auf den Begriff „Pastoral“ zu: „Wie selbstverständlich gehen wir eigentlich davon aus, dass jemand weiß, was damit gemeint ist?“ Kirche und Theologie müssen sich in einem zunehmend säkularen Umfeld verorten, das von einer Erosion kirchlichen Wissens und von Traditionsabbrüchen geprägt ist.
An kirchenpolitischen Fragen sind Theologiestudierende von heute wenig interessiert.
Oft genug geraten kirchliche Äußerungen in der säkularen Gesellschaft unter Ideologie- oder Totalitätsverdacht. So forderten polemische Religionskritiker aus den Reihen der Giordano-Bruno-Stiftung unlängst, christlich fundierte Argumente, die als Ausdruck einer Sondermoral gedeutet werden, nicht in die Debatte um die staatliche Gesetzgebung zur Sterbehilfe einzubeziehen. Selbst bei Theologiestudierenden ist nach den Worten der Münsteraner Ökumene-Professorin Dorothea Sattler eine gewisse Zurückhaltung zu verzeichnen, persönliche (Glaubens-)Standpunkte explizite zu formulieren und zu reflektieren. Studierende seien außerdem an kirchenpolitischen Fragen nur wenig interessiert. Theologie und Kirche dürfen sich daher nicht auf Binnenthemen zurückziehen, sondern sollten gesamtgesellschaftliche Probleme und Themen in den Blick nehmen. Welchen Stellenwert nehmen etwa christliche Kernthemen wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in der aktuellen Flüchtlingsdebatte ein? Oder: Wie ist es theologisch-ethisch zu bewerten, dass es in Großbritannien nun grundsätzlich erlaubt ist, Embryonen aus menschlichen Zellen zu Forschungszwecken zu züchten?
Theologie ohne Kirche ist leer…
Theologie ist – so der ebenfalls eingeladene Kardinal Karl Lehmann – ein Entwurf auf das Ganze hin. In ihrem Zentrum steht Gott als unendliches Geheimnis, der sich in seinem Sohn Jesus Christus selbst offenbart hat. Der umfassende Heilswille Gottes wird in Jesus Christus sichtbar, der durch seinen Tod am Kreuz die sündige Menschheit erlöst hat. Geschaffen als sein Ebenbild stehen wir Menschen in besonderer Beziehung zu Gott. Das heißt für Theologinnen und Theologen: Sie sind zunächst Hörerinnen und Hörer dieser Botschaft. Ihre Aufgabe ist es, geistig zu erschließen und verstehbar zu machen, was uns zugesagt wurde. In der Theologie geht es um einen Glauben, der denkt und ein Denken, das der Wirklichkeit der Selbstoffenbarung Gottes und der als wahr erkannten Wahrheit gerecht werden will. Theologie steht damit in einer zweifachen Verantwortung: Sie muss Rechenschaft über sich selbst geben und für Menschen verstehbar sein.
Theologie braucht den Mut zur Aktualität und zum Elementarisieren
Theologie ist zugleich immer eingebunden in die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen. Sie hat sich daher verantwortlich auf den gesellschaftlichen und zeitlichen Kontext einzulassen, in dem Kirche ist. Wenn Theologinnen und Theologen über die Stellung der Muslime in der Schweiz oder die Zulässigkeit der genetischen Modifikation von Menschen nachdenken, beziehen sie ihre Inspiration aus der Heiligen Schrift, der kirchlichen Tradition und einem lebendigen Glauben. Im interdisziplinären Dialog überschreitet die Theologie ihre eigenen Fachgrenzen und deckt messianische, pseudo-religiöse und totalitäre Elemente in anderen Wissenschaften in ideologiekritischer Absicht auf. Theologie, darauf weist Thomas Sternberg hin, lebt vom Mut zur Zusammenarbeit und zum Dialog – auch mit politischen Parteien und religionskritischen Gruppierungen. Ebenso braucht es den Mut zur Aktualität und den Mut zu elementarisieren, um verständlich zu sein. Theologie wird dann zum Dienst an Kirche und Gesellschaft, freilich immer im Wissen um ihre eigenen Grenzen. So kann sie die christliche Botschaft erschließen und den Glauben zu verstehen suchen, sie kann jedoch nie das Geheimnis des Glaubens vollständig erfassen.
…und Kirche ohne Theologie ist blind
In Deutschland führte der offene Brief des Jesuitenpaters Klaus Mertes, in dem er die Opfer sexuellen Missbrauchs am Canisius-Kolleg Berlin um Entschuldigung bat, zu einer Reihe von Aufdeckungen von sexuellem und physischem Missbrauch in kirchlichen und nicht-kirchlichen Bildungseinrichtungen. Mertes stieß dadurch eine breite theologische Debatte über die Frage nach der Sündhaftigkeit der Kirche an. Auf der Tagung Vom Mut, sich als Kirche der Schuld zu stellen. Dietrich Bonhoeffer zum 110. Geburtstag, die Anfang Februar 2016 in Berlin stattfand, reflektierte Mertes, dass sich die Kirche nach der Aufdeckung der Missbrauchsfälle in einem anderen Spiegel als bisher sehen müsse und der stetigen Erneuerung und Umkehr bedürfe. Die Forschungen der Systematischen Theologin Lucia Scherzberg trugen dazu bei, dass die Karl-Adam-Straße in Tübingen umbenannt wurde. So konnte Scherzberg aufzeigen, dass Adam eine Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und Kirche vertrat. Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass Theologie als kritisches Korrektiv gegenüber der Institution Kirche und ihrer Vergangenheit fungiert.
Alle Lebensbereiche der Kirche sind auch Gegenstand von Theologie.
Das kritische und reformerische Potential ist der Theologie nach Lehmann dabei immer schon inhärent, da sie auf den Grund zurückfragt und zugleich Gottes Wort auf die Zukunft hin denkt. Kirche, so Lehmann, braucht Theologie, wenn sie das Evangelium Jesu Christi wahrhaftig leben will. In diesem Sinne sind alle Lebensbereiche der Kirche auch Gegenstand der Theologie. Zugleich sind Theolog_innen und Theologie selbst Kirche. Sie weisen im Namen des Evangeliums auf möglichen Reformbedarf hin und nehmen die je spezifischen Herausforderungen ihrer Zeit an. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist aus meiner Perspektive der von der Bischofskonferenz angestoßene Gesprächsprozess Im Heute glauben, in dem es darum ging, den christlichen Glauben im Heute und mit Blick auf die Zukunft als „lebenshilfreich“ zu begründen.
Wechselseitige Verwiesenheit von Theologie und Kirche
Kirche in ihrer theologischen Reflexion und Theologie in ihrer kirchlichen Dimension sind notwendigerweise aufeinander verwiesen. Ohne eine kirchliche Anbindung würde die Theologie ihr Fundament und den Bezug zu ihrem Grund verlieren. Ohne theologische Reflexion hingegen würde der Kirche ein notwendiges Korrektiv fehlen, das Übersetzungsarbeit zwischen ihr und der Gesellschaft leistet.
Dr. Katharina Peetz war von 2010-2016 Sprecherin der Bundeskonferenz der Wissenschaftlichen Assistentinnen und Assistenten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Katholischen Theologie (BAM). Sie arbeitet zurzeit am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität des Saarlandes sowie am Lehrstuhl für Allgemeine Moraltheologie und Ethik an der Universität Fribourg (Schweiz).
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