Terrence Malick bringt einen für Österreich und Deutschland wichtigen Film ins Kino, in dem die theologische und anthropologische Sensitivität des Regisseurs mit seiner schwebenden Bildsprache erneut kongenial ineinander fließen. Er erzählt mit „Ein verborgenes Leben“ (D/USA 2019) die Geschichte von Franz und Franziska ‚Fani‘ Jägerstätter, Bauern aus Oberösterreich, die in der NS-Zeit in einen tiefen Gewissenskonflikt von Glaube und Gehorsam gerissen werden. Viera Pirker war für feinschwarz.net im Kino.
In der Zeit nationalsozialistischer Propaganda und des Kriegsbeginns lebt die Familie Jägerstätter mit drei kleinen Töchtern auf einem Bauernhof in Radegund, in einem harten, entbehrungsreichen, doch glücklichen Alltag. Sie enthalten sich von politischen Vereinnahmungen, verweigern Unterstützung auf dem Hof und das ihnen zustehende Familien-Geld. Jeden Tag fürchten sie die Einberufung für Franz, klammern sich aber an die Hoffnung, dass die Bauern verschont bleiben. Doch der Bescheid kommt im Frühjahr 1943. Franz (August Diehl) verweigert aus religiösen Gründen den Wehrdienst. Diese folgenreiche Entscheidung hat seine Frau Fani (Valerie Pachner) mitgetragen. Franz wird auf „Wehrkraftzersetzung“ angeklagt, gefoltert und vom Militärgericht verurteilt, und am 9. August 1943 in Berlin enthauptet. Vor dem Vollzug des Urteils reist Fani in Begleitung des Ortspfarrers (Tobias Moretti) den weiten Weg nach Berlin, um ihn noch einmal zu sehen.
Lieber Ungerechtigkeit erfahren als sie ausüben.
Der Film inszeniert die emotionale Dimension, doch er erzählt wenig von den religiösen Anwegen und Argumenten, und ergründet die Gewissenskrise kaum, die in diese Entscheidung mündet. Terrence Malick erzählt die Geschichte der inneren Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Franz zunehmend durchlebt, je stärker seelische und körperliche Gewalt in der Gefangenschaft werden. Der Regisseur konzentriert sich auf die im Glauben getragene, enge Beziehung zwischen dem jungen Bauernpaar. Überliefert wird, dass eine tiefe Religiosität das Leben und die Liebe von Franz und Fani geprägt hat; der Film bringt diese gelebte religiöse Praxis intensiv in Bild und Wort. Viele Gebete und Psalmworte gehen im Briefwechsel zwischen Franz und Fani hin und her, ihre Stimmen begleiten Bilder des Elends und der Anfeindung, ebenso wie Bilder der Natur und Details von berückender Schönheit. Malick nutzt das audiovisuelle Gesamtkunstwerk Kino, vertraut ganz auf die Kraft der Bilder, der Töne und der gut inszenierten Berührungen und Emotionen. Die Kamera erzeugt so ein Evangelium des Sehens – der Schöpfung, der Liebe, der christlichen Kultur und des guten Werks, ebenso wie die Dramatik des Bösen, der Vereinzelung, der Angst. Der Film zeigt wunderschöne Szenen aus dem bäuerlichen Alltag. Diese harte Idylle des Landlebens kontrastiert scharf mit der nationalsozialistischen Grausamkeit und Unterdrückung, denen sich Jägerstätter aus freiem Willen aussetzt.
Die Wahrheit wird euch frei machen.
Zu einer kinematographischen Schlüsselszene wird das Gespräch zwischen Franz und einem Kirchenmaler, der in der Radegunder Kirche die Fresken ausbessert und übermalt. Der Maler sagt: „Die Gläubigen schauen sich die Bilder an, und sie sind sich sicher, sie hätten treuer gehandelt als die Jünger Jesu. Aber wer geht wirklich mit Jesus? Ich lebe indem ich sein Leben zeichne, ich erleide nicht die Wahrheit. Ich male den Jesus schön, aber nicht wahr.“ Das sind selbst- und kirchenkritische Worte, die überzeitliche Gültigkeit haben, Worte, die sich auch der Regisseur selbst sagen könnte über seine Bildermalerei auf der Kinoleinwand.
„Ein verborgenes Leben“ zeigt einen doppelten Leidensweg: Franz geht zum Schaffott, und seine Frau lebt mit diesem Weg und wird im Film zusätzlich einer höhnischen Grausamkeit im Dorf ausgesetzt. Die Menschen fühlen sich von Jägerstätters Gewissensentscheidung bedroht und angefragt, ja verraten; auch die kirchliche Obrigkeit kommt mit dem glaubenstreuen Bauern an den Rand ihrer eigenen Kompromisse. Pfarrer, Bischof, Bürgermeister, und später der Anwalt in Berlin und der Richter: Alle fühlen sich durch Franz‘ Entscheidung in ihrer eigenen Position (und Lebenslüge) angefragt und verurteilt. Sie raten ihm, den Fahneneid zu schwören, dann sei er frei. Doch Franz weiß sich frei, und er verteidigt sich kaum, auch vor dem Militärgericht bleibt er weitgehend im Schweigen. Vielfach reden andere auf ihn ein, manche Dialoge können als innere Stimmen gedeutet werden.
Christliches Bildgedächtnis
Eine einschneidende Szene entwickelt Malick mit einem Gespräch unter vier Augen zwischen Franz und dem Richter Lueben – Bruno Ganz in seiner letzten Rolle –, Anklänge an Jesus vor Pilatus im Johannesevangelium sind hier dramaturgisch klar beabsichtigt. Wie ohnehin der gesamte Film als eine Adaption der Passionsgeschichte gesehen werden kann, mit mehreren Versucher-Szenen, mit geistigen Verlockungen, Tröstungen und Herausforderungen, im Gebet, in der Verspottung und Geißelung und schließlich auf dem Weg zur Hinrichtung.
Immer wieder greifen Bilder aus in die Tradition des christlichen Bildgedächtnisses, so beispielsweise kurz vor Schluss, als ein namenloser Jüngling, der ebenfalls zum Tod verurteilt ist, seinen Kopf auf Jägerstätters Schulter legt und dieser ihm Mut zuspricht. Eine Szene, die an Jesus und den Lieblingsjünger Johannes in vertrauter Nähe erinnert. Auch den letzten Weg geht Franz nicht allein, sondern Fani mit ihm und für sich, von ihm getrennt und ihm nah, in einer anderen, weit entfernten Welt. Zu den vielen, anonymen Mitgefangenen, von denen keiner weiß, gesellt sich Freund Waldland (Franz Rogowski) eine Rolle ohne biographisches Vorbild, der mit Leichtigkeit und Tiefgang zu einer Personifizierung der inneren Freiheit wird.
Dramatische Schauplätze
Die Heimat Jägerstätters, Oberösterreich, wirkt im Film erstaunlich bergig: Viele Außenaufnahmen wurden in der Südtiroler Berglandschaft gedreht, die mit Jörg Widmers schwebender Kamera als eigener, fließend-bewegter Erzählstrang die Textur des Filmes bildet und, mit untrüglicher Musik begleitet, Sehen und Hören lehrt. So kontextualisiert Terrence Malick zum ethischen Drama Gottes gewaltige Schöpfung in ihrer Erhabenheit, in der menschliche Zeitläufte vergänglich und vorläufig wirken, in der sich anderseits aber moralische Fragen immer in Absolutheit und höchster emotionaler Brisanz stellen. Andere Szenen sind hingegen an Originalschauplätzen gedreht, beispielsweise im bis heute unveränderten Schlafzimmer von Franz und Fani, oder die Gerichtsszene in Berlin-Schöneberg, in dem das Reichskammergericht unzählige Urteile gesprochen hat.
Das Storytelling erfolgt chronologisch linear, mit Kürzest-Rückblenden und Erinnerungen, gelegentlich durchbrochen von Originalaufnahmen aus der NS-Zeit. Auf diese Weise werden auch beunruhigende landschaftliche Parallelen zum Obersalzberg erzeugt; selbst die Berge sind keineswegs nur mehr Ort von Heimat und Erhabenheit, sondern auch Ort des abgründigen Grauens.
Chronologie mit Rückblenden
Malick bringt seine Schauspielerinnen und Schauspieler – ein ‚Who is Who‘ der deutschsprachigen Szene – mit intensiver Führung zu Glanzleistungen, jede Szene und jeden Moment gerät auf den Punkt. Auch der sensible Umgang mit Beleuchtung (gedreht wurde nur bei Tageslicht) trägt zur tiefen Wirkung des Filmes bei. Jeder Moment kommt aus einem genau durchreflektierten Hintergrund und führt in eine weitere, nicht auf der Leinwand zu sehende Geschichte, wird erneut aufgegriffen, schwindet dahin. Beinahe drei Jahre hat die Post-Production des Filmes in Anspruch genommen.
Die Schnitttechnik bindet Radegund und Berlin, Angst und Liebe, Schmerz und Glück, Fani und Franz, Tod und Leben auf Engste aneinander. Der vielfach preisgekrönte Regisseur Terrence Malick hat vor allem mit seinem theologischen Exerzitium „Tree of Life“ (USA 2011) gezeigt, zu welcher religiösen Intensität Kino in der Lage ist. Weniger nachvollziehbar bleibt, dass Malick in diesem Film biographisch eher ungenau agiert. Manches wird weggelassen, ein uneheliches Kind Jägerstätters ebenso wie seine Mitgliedschaft im Dritten Orden der Franziskaner, der Briefwechsel mit einem Geistlichen im Frontdienst, aber auch seine Erregung über das Euthanasie-Programm der Nazis, die maßgeblich zu seinem Entschluss beigetragen hat. Malick hat kein Interesse an einer Historiographie , vielmehr führt er seinen Jägerstätter eng auf eine Innerlichkeit, mit der sich der Film zu einer rauschhaften Hagiographie zu entwickeln droht. Das ist zwar keineswegs unangemessen für den 2007 als Märtyrer Seliggesprochenen der Katholischen Kirche, und doch bleibt es fragwürdig.
Ein verborgenes Leben.
Daher ist zu empfehlen, auch die filmische Annäherung „Der Fall Jägerstätter“ von Axel Corti (AT 1971) wieder hervorzuholen, seinerzeit eine nüchterne und bewegende Befassung mit dem damals in Österreich fast nicht bekannten Jägerstätter. Bei Corti werden viele der Texte zitiert, in denen Jägerstätter wortkräftig seine Gewissensfragen diskutiert hat, und auch Zeitzeugen kommen zu Wort. Diese zweite filmische Perspektive kann das bildmächtige Werk von Terrence Malick bestens ergänzen. Die Töchter des Paares (Fani Jägerstätter ist 2013 verstorben, 70 Jahre nach ihrem Mann) bezeichnen Malicks Film als persönlich herausforderndes Meisterwerk – sie waren die ersten, die den Film noch vor der Premiere in Cannes zu sehen bekamen. Malick beendet den Film mit dem titelprägenden Zitat aus ‚Middlemarch‘ von George Eliot:
„… wenn die Welt immer besser wird, so ist das zum Teil auf Taten ohne historischen Rang zurückzuführen; und dass es um den Leser und mich nicht so schlecht steht, wie es sein könnte, das verdanken wir zur Hälfte den Menschen, die voll gläubigen Vertrauens ein Leben im Verborgenen geführt haben und in Gräbern ruhen, die kein Mensch kennt.“
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Text: Dr. Viera Pirker, Universitätsassistentin (post-doc) am Institut für Praktische Theologie, Universität Wien.
Bild: https://presse.pandorafilm.de/list.php?movie=ein-verborgenes-leben
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