Mit Victoria Woodhull geht Eva Gutschner einer faszinierenden Kämpferin nach, die Fragen für die Gegenwart – auch in der katholischen Kirche – aufwirft.
Eine faszinierende Frau mit einer sehr facettenreichen Biografie; eine Frau, die fast in Vergessenheit geraten ist; eine Frau, deren Leben wieder sichtbar gemacht werden sollte: Victoria Woodhull. Sie war eine Kämpferin, die das gesellschaftlich-politische System irritiert hat, um Veränderungen zu bewirken. In ihrem Wirken und Handeln zeigen sich immer wieder Parallelen zur aktuellen Situation der (katholischen) Kirche – aber auch Chancen für einen „von unten“ initiierten Systemwandel.
Für Chancengleichheit und Gleichberechtigung.
Victoria Woodhull wurde im Jahr 1838 in Homer Ohio, in eine Familie, die in Armut lebte, geboren. Sie hatte immer wieder mit den daraus resultierenden Problemen zu kämpfen. Den Lebensunterhalt erwarb ihre Familie mit Wahrsagerei und Erpressungen.
Bereits mit 15 Jahren baute sich Victoria Woodhull ein eigenverantwortliches Leben mit ihrem ersten Mann, dem Arzt Canning H. Woodhull auf. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes trennte sie sich von ihrem Mann und machte sich als Wahrsagerin selbständig. Auf ihren weiteren Lebensstationen begleiteten sie ihr zweiter Mann James Blood und ihre Schwester Tennesse Claflin.
Durch Blood kam Woodhull zum ersten Mal mit feministischen Themen in Kontakt. Sie trat von nun an mutig und willensstark in der Öffentlichkeit für Chancengleichheit und Gleichberechtigung ein. Außerdem kämpfte sie deutlich gegen Diskriminierungsformen wie Sexismus und Rassismus. Themen, die sowohl damals als auch heute eine grundlegende Rolle in Politik, Gesellschaft und Kirche spielen (sollten).
Sie erkannte,
dass Frauen sich verbünden müssen.
Victoria Woodhull kämpfte ihr Leben lang gegen patriarchale Machtstrukturen. Trotz fehlender schulischer Bildung setzte sie sich in der männerdominierten Gesellschaft ihrer Zeit auch beruflich durch und erklomm die politische Karriereleiter, indem sie beharrlich weiter für ihre Ideale kämpfte. Durch ihren ersten Beruf als spirituelle oder magnetische Heilerin und Wahrsagerin, indem sie Menschen aus der Oberschicht und erotischen Etablissements gut zuhörte, Ratschläge und Voraussagen gab, knüpfte sie schnell Kontakte zugunsten ihrer feministisch-politischen Karriere.
Victoria Woodhull erkannte, dass Frauen sich verbünden müssen, um in der Gesellschaft und Politik eine Stimme zu bekommen. Sie machte sich immer wieder stark für die Anliegen von Frauen, kinderreichen Familien in Armut, Sexarbeiterinnen. Sie rückte die Situation kriegstraumatisierter Menschen, ungewollte Schwangere und andere Menschen, die aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden, in die öffentliche Wahrnehmung.
Zunehmender Einfluss auf Politik und Gesellschaft.
Victoria Woodhull wagte als Frau zu ihrer Zeit viel, wollte eigenständig sein und sich politisch einsetzen. So vertrat sie als erste weibliche Brokerin viele Frauen an der Wallstreet und gab ihnen damit eine Chance, eigenes Kapital aufzubauen. Außerdem gründete sie gemeinsam mit ihrer Schwester Tennesse das Magazin „Woodhull and Claflin’s Weekly“. Ihre Perspektive als Journalistin und als Frau, die Einfluss auf Politik und Gesellschaft nimmt, war nicht nur empowernd für andere Frauen, sondern rückte auch ihre Selbstwirksamkeit in den Vordergrund: „Frauen haben: Energie, Durchsetzungsfähigkeit und vor allem den starken Wunsch, etwas zu erreichen, etwas zu verändern.“[1]Victoria Woodhull selbst lebte, wovon sie schrieb und wurde so zum authentischen und ermutigenden Vorbild.
Feministischer Aktivismus.
„Gesetze haben in Beziehung, die auf Liebe gründen, nichts zu suchen.“[2] Ihr feministischer Aktivismus spiegelte sich auch in ihren öffentlichen Reden wider, die oftmals Kontroversen auslösten. Als Vertreterin der Bewegung der „Freien Liebe“, kämpfte sie gegen die Ungerechtigkeiten im damaligen Ehegesetz. Daher ließ sie sich zwei Jahre nach der Ehe mit James Blood wieder scheiden, um eine ehelose Beziehung zu führen und „[…] weil ihre Beziehung es nicht nötig habe, durch Gesetze geschützt zu werden.“[3]
„Wäre es nicht christlicher, wenn man einander nicht mehr liebt, zu sagen: Nun, da du mich nicht mehr liebst, geh deines Weges und sei glücklich […]?“[4] Neben dem Zusammenleben von Menschen in Beziehung beschäftigte sie sich auch mit feministischen Themen wie Abtreibung, der individuellen Entfaltung und sozialen Freiheit von Frauen, der Geschlechterordnung und -grenzen sowie der Frage, was als männlich und was als weiblich gilt. Diese Themen sind auch 150 Jahre später noch brandaktuell.
Kandidatin für das Präsidentschaftsamt.
Ende 1872 trat Victoria Woodhull bei der Versammlung der „Equal Rights Party“, Partei für gleiche Rechte, als Rednerin auf. Dort wurde sie gemeinsam mit Frederick Douglass als Kandidatin für das Präsidentschaftsamt aufgestellt. Die gemeinsame Nominierung von Woodhull und Douglass galt allerdings eher als symbolischer Akt: Ziel war es, das gesellschaftlich-politische System, das zu der Zeit Frauen und People of Color vom Wahlrecht ausschloss, zu irritieren und so zu einem Wandel zu bewegen. Victoria Woodhull stellte die damals provokante These auf: „Frauen haben jedes Recht. Alles, was sie tun müssen ist, es auszuüben.“[5] Wohl wissend, dass Frauen zu der damaligen Zeit kein Wahlrecht hatten, sprach sie sich öffentlich dafür aus.
Aus einem englischen Landsitz, auf dem Victoria Woodhull ihre zweite Lebenshälfte verbrachte, machte sie einen Ort für innovative feministische Projekte. Sie gründete unter anderem eine Landwirtschaftsschule für junge Frauen. Auch Vorträge und Lesungen zu Psychologie, Soziologie, Technik, Feminismus und Politik standen auf der Tagesordnung.
Der starke Wunsch, etwas zu verändern.
Victoria Woodhull war mit Leib und Seele Feministin. Bis zu ihrem Tod setzte sie sich für die Chancengleichheit von Frauen und Männern ein und kämpfte gegen Diskriminierung. Sie zeigte durch ihre Vita, dass Feminismus für sie bedeutet „[…] individuell zu leben und kollektiv zu kämpfen.“[6]
Der starke Wunsch, etwas zu verändern, wie Victoria Woodhull ihn hatte, bewegt immer noch viele Menschen. Wir können vom Leben und Wirken Victoria Woodhulls einen Übertrag zu heute herstellen; denn es braucht mutige Menschen, die gemeinsam die Verhältnisse ändern und Systeme irritieren. Das gilt auch für die katholische Kirche und deren Entwicklung. Ein Beispiel dafür, wie eine solche Irritation gelingen kann, ist das Manifest von #Outinchurch im Frühjahr 2022. Wir brauchen kollektive Wirkkräfte, die Veränderungen und Reformen in den patriarchalen Strukturen der Kirche anstoßen. „Faith Spaces must be Safe Spaces“[7]‑ ein Ort, an dem sich Menschen sicher fühlen können und an dem Gleichberechtigung herrscht.
Wir haben alle eine Stimme – nutzen wir diese!
___
Autorin: Eva Gutschner, katholische Theologin und Pastoralreferentin in Ankum, Eggermühlen und Kettenkamp sowie Referentin für Digitale Glaubenskommunikation im Bistum Osnabrück.
Foto: Elisabeth Quarch
Mehr Informationen zu der faszinierenden Persönlichkeit sowie dem Wirken und Handeln von Victoria Woodhull finden Sie in: Schrupp, Antje, Vote for Victoria. Das wilde Leben von Amerikas erster Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull (1838-1927), Sulzbach/Taunus 2016.
[1] Schrupp, Antje, Vote for Victoria, Sulzbach 2016, 69.
[2] Schrupp, 100.
[3] Ebd., 33.
[4] Ebd., 100.
[5] Ebd., 64.
[6] Korbik, Julia, Stand Up. Feminismus für Alle, Berlin 2019, 13.
[7] Quarch, Lisa, Quelle: https://www.instagram.com/lisa_quarch/ [Stand: 05.07.2022]