Eine „Politik der Gemeinsamkeiten“ säkularer und religiöser Feminist_innen[1], ist für den Dachverband Evangelische Frauen in Deutschland selbstverständlich. Weshalb dies noch nicht genügt, erläutert Eske Wollrad.
Keine Frage – eine Politik der Gemeinsamkeit von säkularen und religiösen Feministinnen ist unabdingbar. Der Dachverband Evangelische Frauen in Deutschland e.V. versteht sich als Kirche in der Welt mit dem Ohr an der Basis. Wir betreiben diese Politik der Gemeinsamkeit schon lang, zum Beispiel auf dem Feld der feministischen Körperpolitik. Die christliche Tradition der Körperfeindlichkeit im Allgemeinen und die der Frauenfeindlichkeit im Besonderen ist uns Auftrag, gegen den Anspruch männlicher Verfügungsgewalt über Frauenkörper zu kämpfen. Und um effektiv zu sein, brauchen wir starke Bündnisse. Daher engagieren sich die Evangelischen Frauen in Deutschland im Deutschen Frauenrat, der der Bundesregierung unsere Forderungen überbringt. Dann gibt es die ad-hoc-Bündnisse: Aktuell fordern wir gemeinsam mit den DGB-Frauen, dem Juristinnenbund und anderen Verbänden die umfassende Informationsfreiheit über Schwangerschaftsabbrüche und die Aufhebung des §219a StGB.
Um effektiv zu sein, brauchen wir starke Bündnisse.
Aber: Es reicht nicht, sich als religiöse und säkulare Feministinnen zusammen zu tun. Wir vertreten einen intersektionalen Ansatz, d.h. wir gehen davon aus, dass das, was einem Menschen ausmacht, nicht nur von dem Geschlecht, sondern von einer Vielzahl von Faktoren wie zugeschriebene „Rasse“, Klassenstatus, Alter, Behinderung usw. bestimmt ist. Konkret heißt dies, dass wir schon in 1970er Jahren mit dem Boykott „Kauft keine Früchte der Apartheid“ gegen Rassismus antraten. Und wir machen es heute, indem wir als Mitgliedsorganisation der BAG „Kirche und Rechtsextremismus“ gegen Rechtspopulismus arbeiten, weil wir wissen, dass das Einfallstor der AfD nicht zwingend ihr Rassismus ist, sondern ihr Propagieren rückschrittlicher Geschlechterrollen.
Wir vertreten einen intersektionalen Ansatz.
Das Problem mit der Politik der Gemeinsamkeit von säkularen und religiösen Feminstinnen ist, das nicht alle diesen intersektionalen Ansatz vertreten. Es gibt Feministinnen, die „Geschlecht“ als Grundkategorie definieren und alle anderen Faktoren als sekundär. Die Feministin Alice Schwarzer beispielsweise ist der Auffassung, dass nichts, weder Rasse noch Klasse, ein Menschenleben so sehr bestimmt wie das Geschlecht. Diese Meinung teilen wir nicht. Andere Feministinnen können mit queerer Politik nichts anfangen. Ein Beispiel: Die Evangelischen Frauen stehen für Geschlechtergerechtigkeit – für alle Geschlechter, nicht nur für zwei. Daher ist es nur logisch, dass wir uns zum Beispiel mit dem Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V. verbünden. Bei unserer Verwendung von Sternchen und Unterstrich endet dann manchmal die „Politik der Gemeinsamkeit“: Einige säkulare Feministinnen der „alten Schule“ befürchten ein Verwässerung des Feminismusbegriffs und sehen den Kampf für Frauenrechte bedroht.
Das Thema „Organspende“ hat eine entscheidende Gender-Komponente.
Bündnisse sind für uns unabdingbar – mit allen Menschen guten Willens. Manchmal jedoch gilt es, loszugehen, wenn keine Bündnisse absehbar sind. Wir tun das mit unserer Kampagne für den „Anderen Organspendeausweis“. Das Thema „Organspende“ hat eine entscheidende Gender-Komponente: Es sind mehrheitlich Frauen, die Organe spenden, und mehrheitlich weibliche Angehörige, die Organe von Verstorbenen zur Transplantation freigeben. Noch gilt in Deutschland die Entscheidungsregelung, d.h. es gelten diejenigen als potentielle Organspender_innen, die dies schriftlich festlegen. Nun gibt es in Nachbarländern wie Österreich und seit kurzem auch in den Niederlanden die Widerspruchsregelung, derzufolge alle potentielle Oranspender_innen sind – es sei denn, sie widersprechen ausdrücklich. In unsrer Kirche mehren sich die Stimmen, die diese Regelung aus Ausdruck christlicher Nächstenliebe befürworten. Dagegen erheben wir Einspruch und fordern die freie Entscheidung und umfassende Informationen. Mitstreiter*innen aller Geschlechter sind herzlich willkommen!
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Dr. Eske Wollrad ist ev. Theologin, Mitglied des Präsidiums der Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. und Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer gGmbH.
Bild: Alice Donovan Rouse / unsplash.com
[1] „Nötig wäre z.B. eine ‘Politik der Gemeinsamkeit’ von säkularen und religiösen Feministinnen, die sich an gemeinsamen Zielen ausrichtet und versucht, einen wirksamen gesellschaftlichen Gegendiskurs aufzubauen.“ Doris Strahm, Ist Religion schlecht für Frauen? feinschwarz.net, 8.11.2017.