Die Instruktion der Kleruskongregation vom 29.6.2020 über die Leitung von Pfarrgemeinden stellt eine klerikalistische Verengung dar. Sie nimmt weder die Kompetenz der Laien, noch jene der Priester und Bischöfe oder der Ortskirchen ernst. Sie zementiert ein hierarchisches Kirchenbild ein, das Antworten gibt, aber keine Fragen stellt. Ein kritischer Kommentar von Johann Pock.
Was hat hier eine römische Kongregation geritten, um einen solchen Text wie die jüngste Instruktion zu verfassen? Der Text zeugt von einer tiefen Missachtung der realen Situation von Seelsorge und Pfarrgemeinden gerade in den deutschsprachigen Ländern. Umrahmt von freundlichen Papst-Franziskus-Zitaten in Einleitung und Schluss wird im zentralen Teil auf kirchenrechtliche Normen und lehramtliche Texte hingewiesen, die vor allem ein Ziel haben: Die zentrale Rolle des Pfarrers (der Priester sein muss) als Leiter der „umfassenden Seelsorge“ (Nr. 66) muss gesichert werden! Nicht umsonst wurde die Instruktion am 29.6., dem Fest Peter und Paul, veröffentlicht – dem traditionellen Priesterweihe-Termin.
Mir ist bei den folgenden Zeilen bewusst, dass es vieles an den strukturellen Überlegungen der Diözesen zu kritisieren gibt.[1] Aber die meisten Reformbemühungen entstanden und entstehen aus dem ehrlichen und intensiven Überlegen, wie angesichts der konkreten Situation vor Ort und den Rahmenbedingungen dem Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums am Besten nachgekommen werden kann.
Ordnungsruf aus Rom
Was aber sind die „Aufreger“ in diesem Dokument?
Zunächst ist es überschrieben mit „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“. Es wird aber nicht klar, welchen Beitrag diese Instruktion für die missionarische Umkehr liefern könnte. Aber schon die Betonung der notwendigen Umkehr zeigt, was die Verfasser der Instruktion von den Pfarrgemeinden halten: Sie sind (genauso wie die Diözesen und ihre Bischöfe) aus Sicht der Kleruskongregation am Holzweg. Der Ordnungsruf aus Rom wird mit spirituellen Worten „gehübscht“; verträglicher wird er damit jedoch nicht.
Das Leben vor Ort hat den römischen Normen zu folgen, nicht umgekehrt …
Falsche oder gar keine Situationswahrnehmung
Man würde sich hier in guter zweitvatikanischer Tradition und dem Prinzip von „Sehen-Urteilen-Handeln“ eine kurze Situationsanalyse erwarten. Diese kommt nicht – denn die Wirklichkeit hat sich anscheinend nach den kirchenrechtlichen Normen zu richten, nicht umgekehrt. Ob jemand in der Kleruskongregation das alte Rechtsprinzip kennt: „Ius sequitur vitam“? Laut diesem Dokument hat umgekehrt das Leben vor Ort den römischen Rechtsnormen zu folgen. Dass vielleicht auch alte kirchenrechtliche Normen sich angesichts von veränderten Lebenssituationen ändern könnten (wie es im Laufe der 2000jährigen Kirchengeschichte immer wieder passiert ist), ist nicht im Blick.
Und welche Vorstellung von unseren Pfarren in Rom herrscht, zeigt der Satz, „dass die historische Institution ‚Pfarrei‘ nicht in der Unbeweglichkeit oder in einer Besorgnis erregenden pastoralen Monotonie gefangen bleibt“ (Nr. 123). Pastorale Monotonie und unbewegliche Struktur – das ist das Bild von Pfarre im Hintergrund der Instruktion. Dem wird die „evangelisierende Mission“ entgegengehalten – die aber nur durch die Leitung des Pfarrers gewährleistet wäre …
Keine Wertschätzung von diözesanen Initiativen
Missachtung von Initiativen
Die Instruktion stellt somit auch eine Brüskierung und Missachtung der intensiven und redlichen Bemühungen vieler Diözesen dar, angesichts der geringer werdenden Zahl der Priester, angesichts der veränderten Lebensumstände vieler Menschen und der soziologischen Veränderungen zu reagieren. Kooperative und vielfach bewährte Modelle wie jenes von Rottenburg-Stuttgart (mit der „pastoralen Ansprechperson“)[2], von Poitiers (mit den Laien-Equipes, die Gemeinden leiten)[3] oder auch von Linz werden hier (ohne sie explizit zu nennen) mit einem Federstrich abgeurteilt: Der einzige Leiter von Pfarren kann nur ein Priester sein – und die Laien haben sich gefälligst mit ihrer „Weltverantwortung“ zu widmen. Der Innsbrucker Kirchenrechtler Wilhelm Rees formulierte 2008: „Als wesentlich erscheint es, Laien nicht nur als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Seelsorge zu integrieren, sondern vor allem das Zueinander von Priestern und Laien mit Blick auf Leitung zu klären.“[4] Eine solche Klärung scheint nun erfolgt zu sein – jedoch ohne eine Wertschätzung von jahrzehntelanger theologischer, kirchenrechtlicher und pastoraler Überlegungen der letzten Jahrzehnte.
„Mitarbeit der Laien am Dienst des Priesters“
Ekklesiologischer Rückschritt
Hier wird deutlich, wie sehr das Schreiben hinter der Ekklesiologie des II. Vatikanums (Lumen Gentium, Gaudium et Spes) zurück bleibt: Dass es die Kirche ohne die Welt nicht geben kann; dass das Dienstpriestertum vom Volk Gottes und vom der gemeinsamen Taufe her zu denken ist etc. Man möchte „den Klerikalismus überwinden“ – und festigt zugleich ein zutiefst hierarchisches Konzept. Den Laien wird wiederum (wie schon 1997 und unter mehrfachem explizitem Verweis darauf) eingeschärft, was sie alles nicht sind und nicht tun dürfen. Sie sind zur „Mitarbeit am Dienst des Priesters“ da; sie dürfen nicht leiten, nicht in der Eucharistie predigen … Ganze zwei von 124 Abschnitten widmen sich ihnen explizit – und dort in Form von Abgrenzungen.
Wer gehofft hatte, dass sich unter Papst Franziskus tatsächlich die mehrfach genannte Stärkung der Ortskirchen durchsetzt, Synodalität, regionale Lösungen – wird hier wieder einmal enttäuscht. Wie so viele Dokumente der letzten Zeit (z.B. Veritatis Gaudium) haben die päpstlichen Aussagen zur missionarischen Kirche keinen Einfluss auf die nachfolgenden Normen. Wie zwei erratische Blöcke stehen erster und zweiter Teil nebeneinander. Jene, die die Normen formulierten, nehmen keine Rücksicht auf die grundlegenden Einführungen der Texte.
Charismenlehre
Von den Charismen ist zwar an einzelnen Stellen die Rede (Nr. 80 bezüglich der Diakone; Nr. 85 bezüglich der Laien); sie werden aber ins Treffen geführt, um deutlich abzugrenzen: auf der einen Seite stehen die priesterlichen Aufgaben und ihre Leitung; auf der anderen Seite die Charismen der Gläubigen. Dass auch die Leitung ein Charisma darstellt (und nicht automatisch mit der Weihe mitgegeben wird), ist nicht im Blick. Es ist die Rede von „Diensten und Charismen“ (Nr. 123) – die Charismen sind somit wohl etwas anderes als die Dienste.
Ordnungsruf an die Bischöfe
Wenn man schon so stark die „Hirtensorge“ betont, dann müsste man doch den Bischöfen vor Ort mehr zutrauen – denn sie sind es, welchen in der Bischofsweihe der Hirtenstab (Pastorale) übergeben wird. Aber anscheinend misstrauen römische Kuriale den Kompetenzen der Diözesanbischöfe und setzen ihnen mit diesem Schreiben deutliche Grenzen – wie es jüngst explizit in der Diözese Trier erfolgt ist.[5] Umgekehrt werden auch den Laien Grenzen gesetzt: Sie sind weiterhin gewissermaßen die „Schafe“, um die sich die priesterlichen Hirten zu sorgen haben.
Priester werden zugleich überfordert und idealisiert, wie auch unterfordert
Idealisierung und Überforderung der Priester
Dass dabei auch viele Priester überfordert werden, wird anscheinend in Kauf genommen: Welche Priester können in diesen großen Strukturen mit mehreren Pfarren, mit zehntausenden Gläubigen … die „umfassende Seelsorge“ gewährleisten, alles leiten, was es in diesen Strukturen zu leiten gibt, dabei „Geistliche“ bleiben, Sakramente spenden, evangelisieren, missionarisch tätig sein – und selbst auch noch ein geistliches Leben führen? Dass hier entweder Burnouts oder fundamentalistische Rückzüge vorprogrammiert sind, scheint klar zu sein. Und ob man mit einem solchen Schreiben die Attraktivität des Priesteramtes für junge Männer erhöht, darf bezweifelt werden. Zugleich traut man den Priestern aber nicht zu, selbständig leben zu können – wenn ihnen geraten wird: Falls keine Priestergemeinschaft oder das Wohnen in einem Pfarrhaus möglich ist, doch in die Herkunftsfamilie zu ziehen.[6]
Eigenartiges Missionsverständnis
Das Wort von der Mission kommt ca. 40 Mal im Text vor. Es wird jedoch nicht deutlich, warum gerade diese Form eines hierarchischen Leitungsverständnisses durch Priester eine missionarische Kirche fördern sollte. Mission wird als schönes Schlagwort (im wahrsten Sinn des Wortes) verwendet – jedoch nicht aus dem biblischen Auftrag heraus entwickelt. Vor allem findet man keine aktuelle missionswissenschaftliche Position im Text – wie z.B. jener von der „Mission als (prophetischer) Dialog“ der Steyler Missionare.[7]
Viele Verlierer
Cui bono?
Die angesprochene Umkehr der Pfarren müsste zuerst wohl von Seiten der römischen Kurialen erfolgen – so auch die treffende Analyse von Zulehner.
Zusammengefasst sehe ich angesichts dieser Instruktion viele Verlierer: Die Diözesanleitungen, denen der Reformeifer eingebremst wird; die vielen engagierten Personen (haupt- und ehrenamtlich) in den Pfarren und in den diversen pastoralen Gremien[8]; die Priester, denen unmögliche Rahmenbedingungen aufgedrückt werden – und damit das ganze Volk Gottes von Ortskirchen, die versuchen, angesichts der „Zeichen der Zeit“ die Seelsorge so zu gestalten, dass sie dem „Heil aller Menschen“ dienlich ist. Ob sich das die Gläubigen noch lange gefallen lassen?
—
Autor: Johann Pock ist Pastoraltheologe an der Katholische-Theologischen Fakultät der Universität Wien und Mitglied der Feinschwarz-Redaktion.
Titelbild: Pixabay
[1] Vgl. dazu meine Überlegungen im Blick auf das Gemeindeverständnis: Johann Pock, Gemeinden zwischen Idealisierung und Planungszwang. Biblische Gemeindetheologien in ihrer Bedeutung für gegenwärtige Gemeindeentwicklungen. Eine kritische Analyse von Pastoralplänen und Leitlinien der Diözesen Deutschlands und Österreichs, Münster-Wien 2006.
[2] https://pastorale-konzeption.drs.de/fileadmin/user_files/119/Dokumente/Konzepte_bis_2016/Leitlinien_1_Pastorale_Ansprechperson.pdf (21.7.2020).
[3][3] Vgl. Reinhard Feiter / Hadwig Müller (Hg.), Was wird jetzt aus uns, Herr Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers, Ostfildern: Schwabenverlag 2009 – mittlerweile in der 6. Auflage (2014).
[4] https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/784.html (21.7.2020).
[5] Vgl. den Beitrag des Kirchenrechtlers Thomas Schüller: https://www.feinschwarz.net/roma-locuta-causa-finita-warum-der-trierer-bischof-jetzt-widerstand-leisten-muss/ vom 25.6.2020.
[6] Nr. 65: „In einigen Fällen, vor allem dort, wo es kein Pfarrhaus gibt oder wo dieses aus verschiedenen Gründen nicht als Wohnung für den Priester zur Verfügung steht, kann es sein, dass dieser in die Herkunftsfamilie zurückkehrt, die der ursprüngliche Ort der menschlichen Formung und der Berufungserfahrung ist. Diese Unterbringung erweist sich einerseits als positiver Beitrag für das alltägliche Leben des Priesters, da ihm eine ruhige und beständige häusliche Umgebung gewährleistet wird, vor allem wenn die Eltern noch leben. Andererseits soll vermieden werden, dass die familiären Beziehungen den Priester innerlich abhängig machen und zeitlich einschränken oder dass sie eine ausschließende – anstatt ergänzende – Alternative zur Beziehung mit dem Presbyterium und der Gemeinschaft der Gläubigen sind.“
[7] So in der Arbeit des Steyler Missionars Puplius Meinrad Buru: http://othes.univie.ac.at/11228/ (21.7.2020).
[8] Vgl. stellvertretend den Kommentar von Peter Otten: „Wisst ihr was? Dann macht es doch alleine!“ https://www.facebook.com/peter.otten.73/posts/3436845459682275?comment_id=3439407809426040¬if_id=1595327880947056¬if_t=feed_comment_reply&ref=notif (21.7.2020).