Die Bischofssynode zu Amazonien auf der Suche nach einer Antwort auf die Zeichen der Zeit. Von Stefan Silber.
Was in Amazonien auf dem Spiel steht, haben die Waldbrände eindrucksvoll gezeigt, die im August die Weltöffentlichkeit aufrüttelten. Sehr leicht wurden in Deutschland der brasilianische Präsident und seine Politik für die Zerstörung des Regenwaldes verantwortlich gemacht. Doch die Problematik reicht viel tiefer: Tropenholz und Aluminium werden für den Weltmarkt abgebaut, also auch für unseren Konsum. Auf Sojaplantagen wird Futter für unsere Massentierhaltung angebaut, an Megastaudämmen verdienen die deutsche Industrie und Ingenieursbüros. Auch darf man den massiven Waffenhandel zur Absicherung dieser Zerstörungen und die Direktinvestitionen deutscher Banken nicht vergessen.
Die Bischofssynode für den Amazonasraum, die im Oktober in Rom tagen wird, kann an diesen mörderischen Wirtschaftsbeziehungen nicht viel ändern. Aber sie wird den Blick auf die Hauptleidtragenden, ihre Lebensprojekte und ihre Ressourcen richten: die indigenen Völker und andere arm gemachte BewohnerInnen Amazoniens, die Menschen, die unter Ausbeutung und Vertreibung, politischem Ausschluss und tödlicher Verfolgung leiden, die Schöpfung selbst, von der wir nur ein Teil sind.
Diese Bischofssynode folgt daher stärker als andere vor ihr einem Zeichen der Zeit, das die Welt insgesamt angeht: Die Brände in Afrika, aber auch in Europa, der immer stärker spürbare Klimawandel und die Bewegung Fridays for Future machen dies deutlich. Es sind nicht in erster Linie die innerkirchlichen Themen, für die Papst Franziskus die Bischöfe zusammenruft. Aber auch ihm ist es ein Anliegen, dass die weltweiten Herausforderungen innerkirchliche Reformen nach sich ziehen.
Drei Schwerpunkte
Im Arbeitsdokument der Synode werden drei Schwerpunkte für die Diskussion benannt:
- die Aufmerksamkeit für die wirklichen Nöte und Ressourcen der Menschen (pastorale Umkehr),
- die Sorge für das gemeinsame Haus (ökologische Umkehr) und
- die bessere Teilhabe aller an Entscheidungsprozessen in der Kirche (Umkehr zur Synodalität).
Diese drei Schwerpunkte entsprechen dem Ergebnis eines umfangreichen Konsultationsprozesses, in den neben zahlreichen Klerikern und Laien der Region auch VertreterInnen von über 170 indigenen Völkern aus mehreren Anrainerstaaten Amazoniens einbezogen wurden.
Das Stichwort der „Umkehr“ ist nicht zufällig gewählt. Es entspricht zahlreichen Impulsen von Papst Franziskus, der seit Evangelii Gaudium die Kirche immer wieder zur Umkehr aufruft. Diese Umkehr umfasst für ihn mehr als nur eine „Neuausrichtung“, wie es in den deutschen Übersetzungen seiner Texte manchmal heißt: Es geht um eine grundlegende, strukturelle, spirituelle und praktische Bekehrung, eine Konversion, die Reue, Buße und Veränderung beinhaltet.
Pastorale Umkehr
Das Stichwort der Pastoralen Umkehr nimmt ausdrücklich auf die Aussagen von Evangelii Gaudium Bezug: Es ist eine Umkehr, die Reformen im Innern der Kirche fordert, damit sie ihren Aufgaben nach außen besser nachkommen kann. Die Kirche selbst muss sich ändern, damit die Gute Nachricht, die sie verkündet, als etwas Frohmachendes wahrgenommen werden kann.
Angesichts der vielfältigen Herausforderungen Amazoniens gehen diese Transformationen von einer Vertiefung des interkulturellen Dialogs mit den einheimischen Völkern bis zu einer Erneuerung des prophetischen Profils der Kirche gegen die fortwährende Zerstörung. Auch die Mitverantwortung aller Getauften am pastoralen Auftrag der Kirche wird betont, die mit einer Teilhabe an der Leitungsverantwortung verbunden sein muss.
Ausdrücklich wird die aktive Rolle der indigenen und afroamazonischen Völker sowie anderer armer BewohnerInnen der Region betont, denn sie sind selbst Subjekte der Kirche. Ihre Weisheit, ihre über Jahrtausende gewachsenen Ressourcen können einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der gegenwärtigen Probleme leisten, wenn sie gehört werden.
Ökologische Umkehr
Mit dem Rekurs auf Laudato Si liegt der Synode ein entscheidender Impuls zu einer ganzheitlichen, integralen Ökologie vor. Die Schöpfung, die Natur ist ein lebendiger Organismus, in dem alles mit allem verbunden ist, auch die Menschheit. Kein Teil der Natur darf als Steinbruch missbraucht oder wie eine Maschine betrachtet werden, in der einzelne Teile beliebig ersetzt werden könnten.
Das gilt für den Regenwald als Lebensraum ebenso wie für alle internationalen und globalen Beziehungen, die – sowohl in der Wirtschaft wie in der Ökologie – mit ihm verbunden sind. Die Ökologische Umkehr fordert daher auch die Kirche in Europa heraus, sich ein „amazonisches Gesicht“ zu geben, das die Interdependenz aller im Gemeinsamen Haus respektiert und schützt.
Umkehr zur Synodalität
Auch das Thema der Synodalität wurde den Bischöfen vom Papst vorgelegt. Das Arbeitsdokument bezieht es nicht nur auf die Bischöfe, sondern auch auf die vielfältigen Beziehungen innerhalb jeder Ortskirche. Der Vorbereitungsprozess zur Amazoniensynode bezog daher nicht nur Priester und Ordensfrauen ein, die in der Region leben, sondern gezielt auch Laien, ganze Gemeinden, einzelne indigene und afroamazonische Völker.
Es kann vermutet werden, dass unter den VertreterInnen der indigenen Völker auch Nichtgetaufte ihre Erwartungen an die Synode formulieren konnten, so dass auch ihre Stimme durch das Arbeitsdokument der Synode vorgelegt werden kann: Der erneuerte Prozess der Synodalität umfasst auch das Volk Gottes außerhalb der sichtbaren Grenzen der Kirche; das Hören auf das Volk Gottes wurde hier modellhaft auf die gesamte Menschheit ausgeweitet.
Kirche mit amazonischem Gesicht
Viel ist im Vorfeld davon die Rede, dass die Kirche „ein amazonisches Gesicht“ bekommen soll. Damit ist vor allem gemeint, dass die Kirche in Amazonien sich stärker an den tatsächlichen Problemen, aber auch Hoffnungen und Lösungsansätzen der Region orientieren muss. Diese Neuausrichtung kann tiefgreifende Veränderungen in der kirchlichen Organisation, in der Liturgie, in der Verteilung von Macht und Verantwortung, in pastoralen und karitativen Schwerpunkten, ja sogar in den konkreten Ausdrucksformen nach sich ziehen. Es wäre ein Schritt hin zu größerer Glaubwürdigkeit.
Ähnlich wie wir in Europa in einem über Jahrhunderte währenden Prozess der Kirche ein europäisches Gesicht gegeben haben, so müssen auch die amazonischen Völker die Freiheit zu einem ähnlichen Inkulturationsprozess haben. Von den Freuden und Hoffnungen der Menschen in Amazonien aus können ihre Trauer und Angst, aber auch ihre Ressourcen und Lösungsansätze zu einer amazonisch geprägten Kirche wachsen.
Doch die Hoffnung auf ein „amazonisches Gesicht“ gilt auch für die Weltkirche: Die gesamte Kirche muss von der integralen Ökologie und der menschlichen Vielfalt dieser fruchtbaren und bunten Region lernen, die Kirche selbst als vielfältigen, ganzheitlichen, lebendigen Organismus zu betrachten, der zum Erhalt des Gemeinsamen Hauses für die gesamte Menschheit beiträgt.
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Stefan Silber ist Professor für Didaktik der Theologie im Fernstudium
mit Schwerpunkt Systematische Theologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn, Mitglied des Diözesanvorstands von Pax Christi Würzburg und Koordinator der Plattform Theologie der Befreiung.
Literatur
- Bischofssynode – Sonderversammlung für Amazonien (6.–27. 10. 2019): Amazonien: Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie. Instrumentum Laboris, Essen: Adveniat / Aachen: Misereor 2019. Online verfügbar unter misereor.de und adveniat.de
- Erwin Kräutler: Erneuerung jetzt. Impulse zur Kirchenreform aus Amazonien. In Zusammenarbeit mit Josef Bruckmoser, Innsbruck: Tyrolia-Verlag 2019
- Óscar Elizalde Prada / Rosario Hermano / Deysi Moreno García (ed.): Hacia el Sínodo Panamazónico, Montevideo: Amerindia 2019. Online verfügbar unter amerindiaenlared.org
- Cardeal Dom Cláudio Hummes: O Sínodo para a Amazônia (Comunidade e missão), São Paulo: Paulus 2019
- Proceso de consulta sinodal de la Red Eclesial Panamazónica REPAM, in: https://redamazonica.org/wp-content/uploads/INFORME-camino.recorrido.REPAM_.Sínodo..pdf [2019]
Bild: Gottesdienst in der Gemeinde Zé Maria / Diözese
Obidos, Foto: Jakob Silber