Innerhalb der Theologie und auch in manchen Diözesen sucht man seit einiger Zeit verstärkt die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer bildender Kunst. Aber wie schaut es von der anderen Seite her aus? Rupert Pfab, promovierter Kunsthistoriker und Galerist in Düsseldorf, notiert höchst informative Beobachtungen.
Wenn man als Galerist eingeladen wird, einen Beitrag zum Thema Kunst und Kirche zu verfassen, scheint man Antworten auf die Frage des Verhältnisses des Kunstmarkts zur Kirche zu erwarten. Diese Frage ist umso berechtigter, als die Kirche jahrhundertelang der zentrale Auftraggeber für Kunst war. Beides bildete eine Einheit. Die Kunst stand überwiegend im Dienst der Kirche und prägte maßgeblich unsere Kunstgeschichte. Gleichzeitig ist die Entwicklung der christlichen Frömmigkeitsgeschichte ohne die Verbreitung religiöser Bilder nicht vorstellbar.
Die Kirche war jahrhundertelang der zentrale Auftraggeber für Kunst.
Erst in der Renaissance änderte sich die Situation. Die Künstler sahen sich nunmehr nicht allein als Handwerker, die Auftragsarbeiten überwiegend für kirchliche Auftraggeber fertigten, sondern als eigenständige Autoren, die von sich heraus Bildfindungen erforschten. Die zahlreichen Skizzenbücher Leonardo da Vincis sind beredtes Zeugnis dafür, dass sich Künstler seit dem 15. Jahrhundert mehr für menschliche Anatomie, Körperhaltungen und Porträtmöglichkeiten interessierten, als allein für das religiöse Kunstwerk.
Aber wie steht es heute, in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft mit dem Verhältnis von Kunst und Kirche? Während seit den 1980er Jahren die Gottesdienstbesuche zurückgehen und Kirchen zunehmend profaniert werden, entstanden gleichzeitig in nahezu allen größeren deutschen Städten pompöse Museumsbauten, oft von namhaften Architekten. Die Menschen strömen seither wie nie zuvor in Museen. Religiöse Kunst wird dort jedoch kaum gezeigt.
Wie steht es heute, in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft mit dem Verhältnis von Kunst und Kirche?
Selbst das Kölner Diozösanmuseum Kolumba mit dem grandiosen Bau des Schweizer Architekten Peter Zumthor zeigt ein Ausstellungsprogramm, das bei aller beachtlichen künstlerischen Qualität und durchaus überzeugenden Konzeption in jedem anderen Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst denkbar wäre. Kaum religiöse Thematik, allenfalls Reflexion über Themen wie Tod und Erlösung. Auf der Website des Museums heißt es zum Selbstverständnis des Hauses lapidar, das Haus zeige Kunst von der Spätantike bis zur Gegenwart. Das Wort christliche Kunst oder Religion findet sich dort nicht. Warum diese Distanzierung zur Kirche und ihren Themen? Kann man von einer Entfremdung von Kunst und Kirche sprechen?
Bei aller offenbar bestehenden Skepsis der Museen gegenüber Religion und religiöser Kunst gibt es zahlreiche Beispiele für das Zusammenwirken von Kunst und Kirche. Man denke nur an die Auftragsarbeiten prominenter Künstler wie die beachtlichen Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom (2007), von Sigmar Polke im Großmünster in Zürich (2009) oder Imi Knoebel für die Kathedrale von Reims (2011). Auch Neo Rauch oder Markus Lüpertz entwarfen Kirchenfenster, Rauch für den Naumburger Dom (2007), Lüpertz für St. Elisabeth in Bamberg (2015). Derartige Aufträge heute zeugen im Unterschied zu Fenstern früherer Epochen jedoch nicht zwangsläufig von Frömmigkeit der Künstler. Diese können heute solche besonderen Orte nutzen, um exponiert Werke zu präsentieren und sie darüber hinaus inhaltlich problemlos in ihr sonstiges Oeuvre zu integrieren.
Zahlreiche Beispiele für das Zusammenwirken von Kunst und Kirche
Auch Konzeptkünstler wie der Düsseldorfer Mischa Kuball entdecken Kirchenräume, um mit ihrem Medium in die Gesellschaft hineinzuwirken. Man denke nur an sein partizipatives Fensterprojekt in der Düsseldorfer Johanniskirche zwischen 1999 und 2001, bei dem er bemerkenswerte künstlerische Befragungen vornahm. So wie dieses Vorhaben vom Düsseldorfer Pfarrer Thorsten Nolting verantwortet wurde, war er es auch, der die Berger Kirche in der Innenstadt gänzlich künstlerisch ausgestalten ließ, um mittels Kunst Transzendenz erfahrbar zu machen. Der Bau, einst von den katholischen Fürsten im 17. Jahrhundert bewusst in die zweite Häuserreihe geschoben, besitzt durch die Hoflage eine von Stille getragene Situation, die der Frankfurter Künstler Tobias Rehberger für die komplette Innenausstattung zu nutzen wusste.
In der Weise, wie der Kirchenraum somit gänzlich kunstdominiert ist, bewirkt er eine religiöse Gestimmtheit, bei der die autonome in einem spannungsvollen Verhältnis zur angewandten Kunst steht. Pfarrer Nolting begreift die Berger Kirche als eine Art Labor, in der neue Formen von Gemeindeleben erprobt werden können. Dabei spielt die Kunst eine herausragende Rolle, denn sie bildet einen festen Rahmen, um Gemeindeveranstaltungen abzuhalten, aber auch um künstlerische Interventionen, Performances oder Soundinstallationen anderer Künstler zu ermöglichen.
Das Einwirken in die Gesellschaft mittels Kunst belegt auch der ökumenische Gedanke, der in dieser evangelischen Kirche gelebt wird, etwa wenn der weiße Acrylglas-Altar elektronisch mit der katholischen Kirche St. Lambertus verbunden ist oder die orangene Lampe über dem Altar als Verweis des ewigen roten Lichts als ökumenisches Symbol zu lesen ist.
Im Gegensatz hierzu präsentiert sich die seit 1987 bestehende Kunststation St. Peter in Köln, die eine Art Wechselausstellungsprogramm mit unbekannten und international erfolgreichen Künstlern zeigt. Zwar gibt es hier auch einen freien Dialog zwischen Kunst und Eucharistie, aber es ist eher die zeitgenössische Musik, die hervorzuheben ist, hat sich dieser Ort mit seiner einzigartigen Orgel doch zu einem weltweit beachteten Zentrum neuer Orgelkompositionen und -interpretationen entwickelt.
Rothko Chapel: die international beeindruckendste Verschmelzung kirchlicher Spiritualität und zeitgenössischer bildender Kunst
Die international wohl beeindruckendste Verschmelzung kirchlicher Spiritualität und zeitgenössischer bildender Kunst ist die 1971 im texanischen Houston eingeweihte interkonfessionelle Rothko Chapel, ein achteckiger Bau, der dem 1970 durch freiwilligen Tod aus dem Leben geschiedenen Maler Mark Rothko gewidmet ist. Die von Barnett Newman vor der Kirche aufgestellte Skulptur in Erinnerung an Martin Luther King zeugt von der gesellschaftlichen Ausrichtung von Kunst und Kirche an diesem besonderen Ort.
Galerien in profanierten Kirchenräumen
Auch wenn die Kirche als Auftraggeber im Kunstmarkt heute eine nachgeordnete Rolle spielt, so eignen sich immerhin einzelne Galeristen profanierte Kirchenräume an. Die Galerie Jablonka ist seit 2010 in der von Gottfried Böhm 1954-56 erbauten Kirche St. Ursula in Hürth bei Köln beheimatet und nennt diesen Ausstellungs- und Verkaufsort Böhm Chapel. In Berlin-Kreuzberg residiert seit 2012 die Galerie König in der ehemaligen St. Agnes Kirche aus dem Jahr 1967 und zeigt dort zeitgenössische Kunst.
Ungeachtet von kommerziellen Interessen an Kirchenbauten, gibt es immer wieder Beispiele exzellenter Präsentationen von Kunst an kirchlichen Orten. Dabei werden die Ruhe und Kontemplation von Kirchenräumen für künstlerische Interventionen genutzt. Man denke nur an den mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten Biennalebeitrag Armeniens im Kloster der Insel San Lazzaro in Venedig im Jahr 2015. In sensibler, nicht anklagender Weise thematisierten hier 16 Künstler den von den Osmanen verübten Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren. Es läßt sich kaum ein besserer Ort für das Benennen dieses größten Traumas in der armenischen Geschichte denken, als das seit Jahrhunderten von armenischen Mönchen geführte Kloster auf dieser beschaulichen Insel.
Exzellente Präsentationen von Kunst an kirchlichen Orten
Klöster stellen schon allein wegen ihrer Ruhe und der unterschiedlichen Räume eine Herausforderung, aber auch einen Anreiz für Künstler dar. Yvonne Roebs Intervention im Kloster St. Pauli in Brandenburg an der Havel (2013) zeigte Schlangen, motivlose Bildtafeln und andere ursprünglich nicht-christliche Kunst, die aber im Kontext eines Klosters religiöse Bedeutung bekommt.
Luka Fineisens Schauminstallation in der Kirche St. Nikolaus in Münster aus dem Jahr 2011 ist hingegen anders zu sehen. Die Künstlerin, die stets mit unterschiedlichen Aggregatzuständen von Flüssigkeiten arbeitet und dabei Installationen aus Eis, Nebel, Qualm, Rauch oder Dampf entstehen lässt, ließ in der Vierung Schaum auf den Boden sinken, so dass sich dieser vor dem Altarraum zu einem Haufen türmte. Die Künstlerin zeigt derartige Installationen üblicherweise in Museen wie dem Folkwang in Essen, dem Lehmbruck Museum in Duisburg oder dem Kunstmuseum Bonn. Die spirituelle Aura des Kirchenraums dient ihr hier als Präsentationsfläche ihrer Kunst. Religiös intendiert ist sie nicht.
Für Künstlerinnen der jüngeren Generation ist Kunst selbstverständlich zweckfrei.
Für KünstlerInnen dieser jüngeren Generation ist Kunst selbstverständlich zweckfrei. Sie zeigt sich, lässt sich sehen oder fühlen, bevor man fragen kann, was und wem sie nützt. Hier ist der grundsätzliche Unterschied zwischen Kunst heute und in vergangenen Jahrhunderten zu sehen. War die Kunst, die für Kirchen entstand, früher von einer tiefen Frömmigkeit seitens der Künstler intendiert, ist die Kirche heute ein Ort, der für Künstler ebenso reizvoll sein kann wie Museumsräume, ehemalige Fabriken oder sonstige Orte. Eine religiöse Intention braucht es nicht.
Die Kirche besitzt in der modernen Kunst ein Potential, dessen Kraft und Tragweite sie ganz offenbar noch nicht erkannt hat.
Doch gerade hier, wo zeitgenössische KünstlerInnen mit ihren Interventionen in Kirchen eingreifen, könnte die Kunst ein Vehikel sein, um Menschen mit zeitgenössischem Lebensgefühl wieder verstärkt mit Kirche in Berührung zu bringen. Die Kirche besitzt hier ein Potential, dessen Kraft und Tragweite sie ganz offenbar noch nicht erkannt hat.