Das Bernhardinum – mittlerweile ein katholisches Schulzentrum mit Grund-, Oberschule, Gymnasium und Hort – im brandenburgischen Fürstenwalde wurde in diesen Tagen vor 30 Jahren erdacht. Birgit Hoyer hat die Mit-Gründerin und erste Schulleiterin Barbara Werfel interviewt:
Frau Werfel, vor 30 Jahren wuchs in diesen Tagen ökumenisch die Idee, eine katholische Schule in Fürstenwalde zu gründen. Der 22. August 1991 war dann tatsächlich der erste Unterrichtstag für jeweils 32 Schülerinnen und Schüler zweier 5. und zweier 7. Klassen des Gymnasiums. Elf Lehrkräfte starteten unter Ihrer Leitung.
Wie haben Sie die Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung erlebt?
Mit der Wendezeit begann eine neue Zeit, die viele von uns wie im Rausch erlebten. Ich wurde an den Runden Tisch in Fürstenwalde gerufen und vertrat dort gemeinsam mit evangelischen Christinnen und Christen die kirchlichen Initiativgruppen. Es wurde heftig und kontrovers diskutiert, demonstriert und dafür gebetet, dass es keine Gewalt geben würde.
Eine Zeit wie im Rausch …
Letztlich waren die Vertreterinnen und Vertreter des Runden Tisches aber nicht demokratisch legitimiert, so dass nach der Volkskammerwahl im März 1990 die politischen Verhältnisse neu geordnet wurden. Das erste Stadtparlament in Fürstenwalde wählte mich zur Stadtverordnetenvorsteherin und damit begann wieder ein neues interessantes Aufgabengebiet für mich. Einige Monate vergingen, Entscheidungen wurden auf kommunalpolitischer Ebene getroffen, aber eine echte Erneuerung war in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht zu spüren. Zum Beispiel wurden die Schulleiterinnen und Schulleiter auf ehemalige Mitarbeit bei der Staatssicherheit überprüft und ein Beschluss der Schulkonferenzen herbeigeführt, ob sie weiter in dieser Funktion tätig sein könnten. Die Lehrerschaft blieb aber nahezu komplett im Schuldienst.
Viele Eltern, die zusammen mit ihren Kindern zu DDR-Zeiten unter diktatorischen Maßnahmen gelitten hatten, wünschten sich eine Alternative zum staatlichen Schulangebot. Der Pfarrer unserer Gemeinde wurde mit einem Begleiter in die Schulen zu Gesprächen eingeladen. Damit wurde eine kleine Öffnung in Richtung Meinungs- und Glaubensfreiheit erreicht, aber teilweise hatten sie auch den Eindruck, dass sie nur eine Alibifunktion wahrnehmen sollten.
Was waren Ihre Aufgaben als Stadtverordnetenvorsteherin und welche Bedeutung spielte dabei die Gründung einer Schule?
Meine Hauptaufgabe als Stadtverordnetenvorsteherin bestand in der Leitung der Sitzungen des Stadtparlaments in Fürstenwalde. Dazu kam die Bearbeitung von Abstimmungsvorlagen, die von der Stadtverwaltung vorbereitet wurden. Verwaltungsvorschriften mussten verändert und angepasst werden und besonders heftig wurden personelle Veränderungen diskutiert: Wer darf im Amt bleiben und welche Stellen müssen im Interesse der Erneuerung der Verwaltung neu besetzt werden? Im ersten Sitzungsjahr wurde ich zusammen mit dem damaligen Superintendenten Günter Kuhn vom Parlament beauftragt, die Abgeordneten auf eine ehemalige Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit zu überprüfen. Dazu beantragten wir Einsichtnahme in die entsprechenden Unterlagen der Birtler-Behörde. Grundstücksfragen und Eigentumsverhältnisse mussten geklärt werden. Es gab Sitzungen mit über 20 Abstimmungsvorlagen. Kommunalpolitiker unserer Partnerstadt Reinheim fassten in einem ganzen Jahr nicht so viele Beschlüsse wie wir an einem Abend.
Wir fassten an einem Abend so viele Beschlüsse, wie unsere Partnerstadt nicht in einem Jahr.
Dass mir die Gründung einer katholischen Schule ein Anliegen war, hielt ich nicht geheim. Wenn über diese Beschlussvorlage diskutiert wurde, übergab ich die Leitung an meinen Stellvertreter und verließ den Saal. Ebenso als es dann zur Abstimmung kam, ob die Stadt das Projekt unterstützen und Räumlichkeiten zur Verfügung stellen würde. Das waren für mich lange Minuten und manchmal auch halbe Stunden, die ich vor der Tür verbrachte.
Wann wurde die Idee einer katholischen Schule denn konkret?
Im Januar 1991 fand eine Pfarrgemeinderatssitzung statt, in der die Gründung einer Katholischen Schule in Fürstenwalde besprochen wurde. Nicht alle Mitglieder waren dafür. Viele hielten den Gedanken für zu utopisch. Aber bei Herrn Pfarrer Pietralla und mir hatte sich der Gedanke schon festgehakt und gemeinsam mit seinem Assistenten spielten wir die Möglichkeiten durch. Da im Schuljahr 1990/91 die Schulformen dem bundesrepublikanischen Schulsystem angepasst wurden und auch neu über die Nutzung der Schulgebäude nachgedacht wurde, hielten wir den Beginn zum August 1991 für günstig.
Viele hielten den Gedanken für utopisch.
Von diesem Zeitpunkt an verspürten wir ständig Rückenwind, der uns über manche Hürde springen ließ. Wir benötigten: die Zustimmung des Bischofs, ein Schulgebäude, eine Schulkonzeption, die Genehmigung durch das Bildungsministerium in Potsdam, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, die ihre Kinder einer katholischen Schule anvertrauen würden, eine Ausstattung, Schulbücher, Möbel, Hausmeister, eine Sekretärin, einen Schulleiter oder eine Schulleiterin …
Und der Name der Schule wurde auch immer wichtiger. Wir benötigten ja Stempel, Siegel und Briefköpfe. Die Wahl fiel auf den Hl. Bernhard, der als Kirchenlehrer mit seiner Mystik, aber auch in seiner Zwiespältigkeit besonders gut zu passen schien. Die Zisterzienser hatten einige Klöster in unserer Region gegründet. Eine aufregende, spannende, anstrengende Zeit voller Vertrauen, Verheißungen aber auch gelegentlicher Rückschläge begann. Da war der Zusammenhalt im Team mit Herrn Pfarrer Pietralla und dem Superintendenten Kuhn wichtig.
Angesichts des immensen Umbruchs erscheint das Vorhaben im Rückblick tatsächlich utopisch. Wie haben Sie das alles geschafft?
Für die Gründung einer katholischen Schule im Land Brandenburg, das nach zwei kirchenfeindlichen Diktaturen doch sehr atheistisch geprägt war, halfen uns zwei Punkte in entscheidendem Maß: zunächst, dass die katholischen Schulen in den alten Bundesländern einen sehr guten Ruf hatten. Unsere Eltern haben sich bei Verwandten und Bekannten erkundigt und erhielten immer positive Rückmeldungen. Der zweite Punkt war, dass die evangelischen Kirchengemeinden, mit denen wir über Superintendent Kuhn im Gespräch waren, uns zusagten, eine katholische Schule zu unterstützen und die Eltern ermuntern würden, ihre Kinder zu uns zu schicken.
Nachdem unser Vorhaben durch die Presse bekannt gemacht wurde, erhielten wir Unterstützung von vielen Seiten, auch aus anderen Bistümern, aber auch sehr kritische Anfragen, inwieweit die Schülerinnen und Schüler nun aufs Neue indoktriniert werden sollten. Unser größtes Problem war, dass wir erst im Mai 1991 mit der intensiven Vorbereitung beginnen konnten und jede zeitliche Verzögerung bedeuten konnte, dass der Schulstart nicht pünktlich sein würde. Wir waren darauf angewiesen, dass wir von den Eltern einen Vertrauensvorschuss bekamen. Sie mussten ihre Kinder an der staatlichen Schule abmelden, ohne eine Garantie zu haben, dass das Bernhardinum wirklich pünktlich den Unterrichtsbetrieb aufnehmen würde.
Werden die Schülerinnen und Schüler aufs Neue indoktriniert?
Wie konnten Sie die Kritik entkräften, dass auf die sozialistische nun eine christliche Indoktrination folgen würde?
Der Grundgedanke, den ich, den wir immer wieder dargelegt haben, war der, dass wir sehr wohl ein christliches Weltbild vertreten und ein katholisches Schulkonzept umsetzen möchten. Der Unterschied zur sozialistischen Schule besteht aber darin, dass die Schule freiwillig gewählt werden kann und dass unsere Schülerinnen und Schüler über ihr persönliches Glaubensleben selbst entscheiden können, ohne dadurch Nachteile befürchten zu müssen.
Intern haben wir gerade in den ersten Jahren oft über das religiöse Konzept der Schule diskutiert. Die Vorstellungen, wie eine Katholische Schule im Osten Deutschlands auszusehen habe, gingen sehr weit auseinander. Nicht immer konnten wir Enttäuschungen verhindern. Für mich waren immer die Schülerinnen und Schüler der Massstab, obwohl auch bei ihnen, auf Grund der unterschiedlichen familiären Prägung, ganz unterschiedliche Vorstellungen vorhanden waren. Die Gründung des Bernhardinums in Fürstenwalde hat auch die staatlichen Schulen der Region verändert. Doch das wäre schon wieder ein neues Kapitel.
Sie machen mich neugierig. Wie meinen Sie das?
Zunächst stellte die bloße Existenz des Bernhardinums eine Konkurrenz dar. Wir wurden sehr genau beobachtet und die Schülerinnen und Schüler aber auch die Eltern wurden immer wieder von Bekannten und Verwandten nach den Geschehnissen im Schulalltag befragt. Dann hatten wir ja nun teilweise Lehrerinnen und Lehrer, die aus den alten Bundesländern bzw. Berlin/West kamen und eine eigene Sozialisierung, Methodik und Pädagogik mitbrachten. Viele Geschichten und manchmal auch Gerüchte machten in Fürstenwalde und Umgebung die Runde. Gelegentlich wurde ich auch in den Schulleitungssitzungen der staatlichen Schulen dazu befragt.
Die Bildungslandschaft veränderte sich innerhalb der nächsten zehn Jahre, andere Schulen in freier Trägerschaft vervielfältigten das Bild weiter. Die staatlichen Schulen nahmen diese Situation zum Anlass, ihre Attraktivität zu verbessern. Die Zusammenarbeit mit den staatlichen Schulen verlief trotz der Konkurrenzsituation auf freundschaftlicher Ebene. Bei großen Engpässen und in speziellen Fächern halfen wir uns auch gegenseitig und zeitlich begrenzt mit Lehrereinsätzen aus.
Das Schulprogramm ist Zeugnis des Geistes der Gründungszeit, des ökumenischen Teams und des christlichen Glaubens. Es trägt aber auch Ihre Handschrift. Wie sind Sie aufgewachsen? Was ist Ihnen wichtig?
Ich wurde als fünfte von sieben Töchtern im März 1955 in Dessau, im heutigen Sachsen- Anhalt geboren. Mein Vater arbeitete als selbständiger Gärtner. Schon immer wollte ich Lehrerin werden. Da ich nicht zur Jugendweihe gegangen war, durfte ich in der DDR nicht auf dem direkten Weg eine weiterführende Schule besuchen. Ich entschloss mich, eine Berufsausbildung mit Abitur zu beginnen und schloss diese mit 19 Jahren als Chemiefacharbeiterin mit Abitur ab. Anschließend begann ich an der TU Dresden ein Studium im Bereich der Berufsschulpädagogik, Fachrichtung Technische Chemie.
Meine Eltern sahen meine Berufswahl durchaus kritisch, waren sie doch selbstbewusst katholisch und hatten uns auch dementsprechend religiös erzogen. Während der Schulzeit war ich immer das einzige katholische Kind in der Klasse und während des Studiums kannte ich keine katholischen Kommilitoninnen und Kommilitonen.
Gelegentlich wurde ich vom Seminargruppensekretär zu Gesprächen eingeladen. Dabei wurde mir erklärt, dass zu einer ”sozialistischen Lehrerpersönlichkeit “ eine Mitgliedschaft in der Katholischen Kirche nicht passen würde. Diese Gespräche setzten sich, dann unter Leitung des Parteisekretärs, während meines Einsatzes als Lehrerin in der Betriebsberufsschule des Reifenwerkes in Fürstenwalde fort.
Ein Austritt aus der Katholischen Kirche kam für mich allerdings niemals in Frage. Letztlich haben die politisch Verantwortlichen mir aber doch kein Ultimatum gestellt, so dass ich Lehrerin bleiben konnte. Selbst als ich Mitglied des Pfarrgemeinderats wurde, und das blieb ihnen sicher nicht verborgen, gab es keine einschneidenden Reaktionen. Allerdings stellten sie mir eine Karriere in Aussicht, falls ich Mitglied der SED würde.
Ab der Mitte der achtziger Jahre änderte sich die Stimmung langsam. Die Lehrlinge sahen sehr deutlich die Differenz zwischen der politischen Agitation in der Schule, zumindest in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern und dem, was sie in ihrer Ausbildung im Betrieb vorfanden. Als Lehrerin für naturwissenschaftliche und technische Fächer hatte ich es dann deutlich leichter im Beruf als meine Kolleginnen und Kollegen im gesellschaftswissenschaftlichen Bereich.
Wenn Sie nach 30 Jahren Wiedervereinigung auf die Schulgründung zurückschauen. Ist die gemeinsame Idee aufgegangen?
Am Bernhardinum wurde das Zusammenfinden von Menschen aus West- und Ost-Deutschland tagtäglich praktiziert. Das gemischte Lehrerkollegium, die Vertreterinnen und Vertreter der Schulleitung und des Schulträgers hatten sich einer gemeinsamen Aufgabe verpflichtet. Die verschiedenen Lebenserfahrungen in den unterschiedlichen Systemen zogen immer wieder Unverständnis und Konflikte nach sich. Das Lehrerkollegium bestand zunächst aus vier Lehrkräften, die aus der Region stammten, zwei älteren Damen, die viel Erfahrung mit Katholischer Schule aus den alten Bundesländern mitbrachten, und fünf jungen Lehrkräften, die zwischen Berlin/West und Fürstenwalde pendelten. Es traf ehrwürdige Erfahrung auf jugendlichen Elan und mischte sich mit einer gewissen autoritären Grundhaltung.
Am Bernhardinum wurde das Zusammenfinden von Menschen aus West- und Ost-Deutschland tagtäglich praktiziert.
Durch gegenseitiges Zuhören, Eingehen von Kompromissen, immer wieder erneuertes Wohlwollen und auch durch gemeinsames Gebet konnte der notwendige Frieden für die tägliche Arbeit immer wieder hergestellt werden und das gegenseitige Verständnis wachsen. Im Rückblick auf die Gründung und meine Zeit am Bernhardinum empfinde ich überwiegend Dankbarkeit und Glück.
Ich habe den Eindruck, dass die von Pfarrer Pietralla, Superintendent Kuhn und mir entwickelte Idee aufgegangen ist. Das Herausfinden aus dem engen und von der sozialistischen Diktatur vorgegebenen Denken empfanden wir und viele andere als eine große Befreiung. Der aus dem christlichen Menschenbild abgeleitete neue Umgang innerhalb der Schulgemeinschaft, die andere Streitkultur, die Art der Konfliktlösung, die viele Familien mit Hoffnung und Zuversicht erfüllte, zeugten von einem echten Neuanfang. Die Familien standen zu Beginn der neunziger Jahre unter einem enormen Druck. Beruflich mussten sich viele Eltern neu orientieren. Dieser Druck übertrug sich oft auf die Kinder und wirkte sich in ihrem allgemeinen Verhalten und beim Lernen negativ aus. Die Dankbarkeit, die Eltern zum Ausdruck brachten, wenn durch Gespräche und wirksame pädagogische Maßnahmen Konflikte entschärft werden konnten, war immer sehr groß.
Eine Schule der Befreiung.
Besondere Glücksmomente waren für mich die Situationen, in den ich sehen konnte, dass Schülerinnen und Schüler der Oberschule, die es besonders schwer hatten, als selbstbewusste junge Erwachsene die Schule verließen und zuversichtlich auf ihr weiteres Leben schauten. In der damaligen Realschule haben wir z.B. einen Schüler mit einer starken Lese-Rechtschreibschwäche in die 7. Klasse aufgenommen. Das Zeugnis ließ die Mutter verzweifeln. In den Naturwissenschaften zeigte er aber ein gutes logisches Denkvermögen, so dass ich ihn als Schülerassistenten in meinem Chemieunterricht einsetzte. Zum Ende der Klasse 10 schaffte er den Übergang in die gymnasiale Oberstufe und heute arbeitet er nach einem erfolgreich absolvierten ersten und zweiten Staatsexamen als Chemie- und Biologielehrer an einer katholischen Schule.
Durch das Bernhardinum machen Menschen positive Erfahrungen mit der Katholischen Kirche. Wenn wir darüber hinaus den Heranwachsenden Zuversicht und Grundvertrauen vermitteln können – und das speist sich bei uns einfach aus dem Glauben – haben wir einen großen Teil unseres Auftrags erfüllt. Davon bin ich überzeugt. Ich würde immer wieder eine katholische Schule gründen. Die Offenheit und Vielfalt im Denken, die durch Lehrerinnen und Lehrer in die Schule getragen wurden, wirken bereichernd in der Region Fürstenwalde und darüber hinaus.
Text: Birgit Hoyer, Mitglied der Redaktion www.feinschwarz.net.
Bild: Markus Mollitor, Schulleiter des Bernhardinums.
Weiterführende Links:
Katholische Schule Bernhardinum in Fürstenwalde: https://bernhardinum.de/
Bernhardspfad um das Zisterzienserkloster Lehnin: https://akd-ekbo.de/wp-content/uploads/PilgerrundwegBernhardspfad.pdf