Markus Demele berichtet von anekdotischen Evidenzen aus dem internationalen katholischen Kolping-Verband.
„Father, your job is to pray“, rief die ältere Dame dem Priester zu, als dieser allzu große Visionen malte, wie Projekte und unternehmerische Initiativen hier im Nordosten Sambias aussehen müssten. Gehört habe ich diesen herzlichen, zugleich bestimmten Ausruf vor etwa sieben Jahren in der Kleinstadt Kasama, im Kolping-Nationalbüro während einer Sitzung des Nationalvorstandes von Kolping Sambia. Ob die Dame Recht hatte oder nicht, sei dahingestellt, aber mich hat diese Gesprächssituation nachhaltig begeistert und sie dient mir seitdem als Maßstab für den Blick auf den Umgang von Laien und Priestern miteinander. Denn hier hatte Ehrfurcht vor klerikalem Stand keinen Raum, sondern geschwisterliches Miteinander und offener Austausch zwischen den verschiedenen Charismen war bereits eine geübte Selbstverständlichkeit.
Father, your job is to pray
Diese Begebenheit konnte ich im Rahmen einer meiner Reisen miterleben. Seit über 10 Jahren darf ich in der Funktion des Generalsekretärs von KOLPING INTERNATIONAL, einem Sozialverband, der in 60 Ländern der Welt mit über 9.000 Kolpingsfamilien (Aktions-, Bildungs-, Selbsthilfe- oder auch Geselligkeitsgruppen) und rund 400.000 Mitgliedern vertreten ist, regelmäßig in den Ortskirchen Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Europas zu Gast sein. Gegründet vom Priester Adolph Kolping sucht der Verband die Zusammenarbeit mit der verfassten katholischen Kirche und organisiert sich meist auch entlang der pfarrlichen und diözesanen Strukturen. Priester, Diakone, Ordensleute und hauptamtliche SeelsorgerInnen gehören den Vorständen der Kolpingsfamilien als gewählte Mitglieder an. Ein Bischof ist als „Protector“ traditionell die Verbindung zur nationalen Bischofskonferenz.
Als nun Michael Schüßler vor einigen Wochen in seinem Text „Mit Afrika nicht zu machen?“ auf feinschwarz formulierte „Was wir medial über die Weltkirche wissen, wissen wir überwiegend aus der Perspektive von Priestern und Ordensleuten“, stutzte ich, da die Binnenperspektive eines internationalen Laienverbandes eben eine ganz andere ist. Da er mit seiner medialen Einschätzung wohl leider nicht Unrecht hat, möchte ich nur einige Schlaglichter meiner Erfahrung von Synodalität in der Weltkirche anbieten, die an dieser medialen Blickverengung ein wenig ändern mögen – eben anekdotische Evidenzen.
Die mediale Blickverengung ein wenig ändern
Oben geschilderte Situation steht repräsentativ für das Ergebnis mühsamer demokratischer Prozesse, auf die sich Laien wie Kleriker bei Kolping gleichermaßen einlassen. Denn auch die Priester werden als Präsides wie alle anderen Amtsträger im Verband gewählt – auf allen Ebenen: von der örtlichen Kolpingsfamilie bis zur internationalen Leitung. Damit haben im Raum des Verbandes alle Funktionsträger die gleiche Legitimation. Immer wieder erlebe ich Kolpingsfamilien oder nationale Vorstände, in denen der Priester anders als in seiner Pfarrei eben nicht eine herausgehobene oder gar privilegierte Stellung hat, selbst nicht mal ein „primus inter pares“ – erster unter gleichen – ist. Oft genießen es die Priester, in der Gemeinschaft der „Kolpingschwestern und Kolpingbrüder“ mal nicht der Haupt- und Letztverantwortliche zu sein, sondern einfach mitmachen zu dürfen in einer geschwisterlichen Gemeinschaft.
Manche Priester tun sich aber auch schwer zu akzeptieren, dass ihr Wort nicht Gesetz wird, sondern der Mehrheitsentscheid des Vorstands Bestand hat. Die Arbeitsweise im Verband erfahren manche als eine parallele kirchliche Kultur – und der Wechsel zwischen Kulturen fällt naturgemäß schwer. Auch der Umgang der Bischöfe mit kirchenrechtlich eigenständigen, demokratischen und geschlechtergerechten Entscheidungsprozessen ist weltweit sehr unterschiedlich. Da gibt es jene, die sich an den Effekten der Armutsbekämpfung erfreuen, die es im Verband gibt und die eben zugleich auch mehr Einnahmen für die Kirche bedeuten. Da gibt es auch welche, die das Ehrenamt und vielfältige Engagement der Verbandsmitglieder zu schätzen wissen und ihnen daher Freiräume der Selbstverwaltung ermöglichen. Aber es gibt eben auch jene, denen erst mit Verweis auf die 170jährige Praxis, die Mitgliedschaft vieler deutscher Bischöfe im Verband, die Akzeptanz durch das vatikanische Laien-Dikasterium oder den Status der Seligkeit Adolph Kolpings abgerungen werden kann, dass nicht sie als Bischof bei nationalen Versammlungen präsidieren oder gar die finale Entscheidung zu Finanzen und Initiativen des Verbandes haben, sondern die Gemeinschaft der im Verband Engagierten.
Verband als parallele synodale Kirchenkultur
Bisweilen sind es mühsame Gespräche, in denen in manchen Ortskirchen Verbände wie Kolping, gewissermaßen als Prototypen synodaler Kirche, ihren Raum und Akzeptanz innerhalb der offiziellen amtskirchlichen Strukturen finden. Dass theologische Bildung im Globalen Süden überwiegend Priestern und Ordensleuten vorbehalten ist, macht solche Diskurse für die Führungskräfte vor Ort oft nicht leichter. Manchmal hilft erst der geschwisterliche Besuch aus dem Globalen Norden, Brücken der Verständigung zu bauen, indem der Horizont kirchlicher Praxis auf anderen Kontinenten stärker ins Bewusstsein geholt wird.
Damit ist schon angedeutet, dass zu offensichtliche Opposition gegen episkopale Entscheidungen auch für einen autonomen Verband, der sich als Teil der Kirche versteht, seine Grenzen hat. Meist entscheiden eben doch die Bischöfe selbst, was in ihrer Diözese als „katholisch“ zu gelten hat und was nicht. Orientierung bietet den meisten dabei die vermeintlich reine römische Lehre, wie sie Kirchenrecht, Katechismus und die dogmatische Tradition festlegen. Außer jedoch Rom deutet – in letzter Zeit in Person des Papstes – Änderungen in den Bereichen Sexualität und Partizipation von Frauen an. Die kulturelle Ablehnung der Homosexualität in den meisten Ländern des Globalen Südens und fortdauernde patriarchale Strukturen finden in der bisherigen kirchlichen Tradition eine willkommene Rechtfertigung. Denn auch die lokalen kulturellen Begründungstraditionen greifen in einem aufgeklärten Diskurs eigentlich nicht mehr – hunderte Gespräche in den vergangenen Jahren mit Kolpinggeschwistern vor allem aus Afrika haben mich in diesem Themenfeld oft schier verzweifeln lassen.
Ein gesunder Synkretismus der internationalen Glaubenspraxis
Dabei ist ein Weiteres für die Wahrnehmung der Weltkirche und ihrer synodalen Potentiale zentral – und das gilt in ähnlicher Weise für Laien wie für Kleriker. Es ist ein gesunder Synkretismus, der die Glaubenspraxis in den meisten Weltregionen prägt. Zum Beispiel: Im Rahmen einer Dogmatik-Vorlesung während meines Studiums am Hekima College der Jesuiten in Nairobi vor über 20 Jahren legte der Professor Fr. Tarimo SJ ein Ei auf die Türschwelle – wissend, dass keiner seiner Scholastiker es wagen würde, darüber zu schreiten, weil es Unglück bedeuten würde. Die traditionellen Glaubenssysteme haben durch die Zeit des Kolonialismus Deformationen und Unterdrückungen erfahren – ausgerottet wurden sie jedoch meist nicht gänzlich. Auf ortskirchlicher Ebene können die jeweiligen Synkretismen viel besser in synodale Diskurse eingebracht werden.
Ein weltkirchlicher Blick muss an der Glaubens- und Lebenspraxis aller Gläubigen ansetzen
Was möchte ich in Ergänzung zu den guten und richtigen Ausführungen von Michael Schüßler aus diesen „anekdotischen Evidenzen“ destillieren? Ein weltkirchlich informierter Blick muss an der Glaubens- und Lebenspraxis der Gläubigen ansetzen und nicht den klerikalen Selbstbeschreibungen folgen – schon gar nicht von Kurienkardinälen, die der Pastoral in ihren Heimatländern kaum mehr verbunden sind. Ein internationaler Verband wie Kolping ist ein großartiges Lernfeld für weltkirchliche Erfahrungen. Die internationalen Treffen, der lebendige Austausch zwischen Kolpingsfamilien über Kontinente hinweg sind dabei synodale Vorboten einer künftigen weltkirchlichen Praxis. Das gemeinsame Unterwegssein, die Weggemeinschaft sind dann sehr lebendig. Einfach und konfliktfrei ist der weltkirchliche Austausch damit noch lange nicht. Aber gemeinsam kommt man dem Kern des Evangeliums und der Freude daran sicher näher.
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Bild: Barbara Bechtloff auf https://www.kolping.net/ueber-uns/verband/.