Hildegard Wustmans berichtet von einer diözesanen Reise (Limburg) nach Kamerun, in den englischsprachigen Teil, das „Ambaland“. Unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit spielen sich hier menschliche Tragödien ab. Es wird deutlich, dass diözesane Partnerschaften wichtig sind.
Es gibt Konflikte, die im wahrsten Sinn des Wortes für die Weltöffentlichkeit anscheinend weniger bedeutsam sind. In Tageszeitungen wird kaum darüber berichtet, im Radio ist davon so gut wie nichts zu hören und im Fernsehen nichts zu sehen. Das liegt u.a. wohl auch daran, dass eine solche Region wirtschaftlich unbedeutend ist. Aber das ändert nichts daran, dass auch in diesen Landstrichen Menschenrechte missachtet werden, Willkür und Angst herrschen, Gewalt und Tod zum Alltag gehören. Der Nordwesten Kameruns ist eine solche Region und ohne die Partnerschaft des Bistums Limburg mit der Diözese Kumbo hätte vermutlich auch ich bislang kaum Notiz davon genommen.
Wie können wir in dieser Situation Solidarität und Unterstützung zum Ausdruck bringen?
Die politische Situation hat sich in den letzten Monaten dermaßen zugespitzt, dass sich die Bundesregierung im März diesen Jahres gezwungen sah, alle Freiwilligen im Programm „Weltwärts“ abzuberufen und Reisewarnungen für die Region auszusprechen. So mussten auch die Freiwilligen aus dem Bistum Limburg innerhalb weniger Wochen abreisen und die Partner vor Ort fragten sich, welche Bedeutung dies nun für die Partnerschaft haben würde. Würde auch diese aufgegeben werden? Aber auch in Limburg tauchten Fragen auf: Wie können wir in dieser Situation Solidarität und Unterstützung zum Ausdruck bringen? Was ist über Gebete hinaus möglich und zu tun?
Nach internen Gesprächen und in Abstimmung mit Bischof und Generalvikar ist die Entscheidung bald gefunden: Eine kleine Delegation (die Vertreterin der Bistumsleitung, der Leiter der Abteilung Weltkirche und eine Referentin für Freiwilligenarbeit) soll sich auf den Weg machen. Und so wurde eine Zeile aus dem Partnerschaftsgebet im wahrsten Sinn des Wortes lebendig: close to and available for each other.
Was zunächst als friedlicher Protest mit dem Slogan „No violence“ begann ist inzwischen in Gewalt und Terror übergangen.
Die Lage in Kamerun ist verworren, hängt aber offenkundig mit der Regierungsführung des seit nunmehr 36 Jahren regierenden Paul Biya zusammen. Und wenn es nach dem inzwischen 85jährigen geht, soll sich daran so schnell nichts ändern. Denn alle Anzeichen sprechen dafür, dass er am 7. Oktober 2018 erneut zur Wahl antreten wird. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass sich die Situation zwischen dem anglophonen Teil des Landes und der Zentralregierung im französischsprachigen Yaoundé seit 2016 kontinuierlich zugespitzt hat. Vor der Verfassung sind die englischsprachigen und die französischsprachigen Regionen gleichberechtigt. Doch die Diskriminierung der englischsprachigen Minderheit hat in den letzten Jahren beständig zugenommen.
Ambazonien (Ambaland) soll sich auf den englischsprachigen Teil Kameruns erstrecken.
Im November 2016 haben zunächst Lehrer und Richter gestreikt. Schnell haben sich auch Studierende den Prosteten angeschlossen. Seither sind sowohl die freie Meinungsäußerung als auch die Pressefreiheit eingeschränkt. Der Zugang zum Internet wird häufig blockiert. Und da ist nicht von einer stündlichen Unterbrechung die Rede, sondern bisweilen von mehreren Monaten. Oppositionelle sind inhaftiert und Angehörigen wird das Besuchsrecht verweigert. Auch von Folterungen und Tötungen wird berichtet. Was zunächst als friedlicher Protest mit dem Slogan „No violence“ begann ist inzwischen in Gewalt und Terror übergangen. Die Regierung ist mit Soldaten im Nordwesten präsent. Straßensperren sind errichtet und es herrscht eine Ausgangssperre von 21:00 bis 5:00 Uhr. Aber Rebellen halten sich nicht daran. Sie setzen sich inzwischen mit Gewalt für eine freie und unabhängige Republik Ambazonien (Ambaland) ein, die sich auf den englischsprachigen Teil Kameruns erstrecken soll. Zwischen diese Gefechte von Separatisten und Regierungstruppen gerät regelmäßig die Zivilbevölkerung des anglophonen Kameruns.
Die Bischöfe in den englischsprachigen Diözesen des Landes versuchen zu vermitteln, laufen aber Gefahr, selbst als Unterstützer der Terroristen wahrgenommen zu werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bischofskonferenz (die sich aus anglophonen und frankophonen Vertretern zusammensetzt) sich nur zögerlich auf eine gemeinsame Position hinbewegt. Mit Beginn der Unruhen haben die anglophonen Bischöfe diese auf die Agenda der Bischofskonferenz gebracht. Allerdings brauchte es Zeit, bis das Desinteresse überwunden war. Und weil zunächst keine gemeinsame Position gefunden werden konnte, verfassten die fünf Bischöfe der anglophonen Diözesen ein Memorandum und schickten es an den Präsidenten. Bis heute ist es unbeantwortet geblieben.
Aus Angst verlassen Menschen die Regionen.
Während unserer Reise in den anglophonen Teil Kameruns haben wir hauptsächlich die Regionen um Kumbo und Bamenda besucht. Wir haben Dörfer gesehen, in denen die meisten Häuser niedergebrannt waren und mit Flüchtlingen im „bush“ gesprochen. Wir haben mit Schülerinnen gesprochen, deren Schlafsaal niedergebrannt wurde. Aus Angst verlassen Menschen die Regionen, fliehen in den Busch, zu Familien oder Freunden ins frankophone Kamerun oder in das angrenzende Nigeria. Bei einem Gespräch mit Vertreter*innen von Menschenrechtsgruppen, der Caritas und Vertriebenen wurde uns die Zahl 54 000 genannt. Immer mehr kommen hinzu und fliehen in das benachbarte Nigeria. Jene, die in den frankophonen Teil fliehen, berichten immer öfter von Diskriminierungen. Felder bleiben unbestellt, Kinder gehen nicht mehr in die Schule.
In diesem Konflikt spielen auch Exil-Kameruner eine wichtige Rolle. Sie unterstützen die Rebellen mit Geld und Waffen. Ein wahrnehmbar empörter Bischof teilte uns bei einem Frühstück mit, dass seine Verwandtschaft in den USA für ein freies Ambazonien ist und die Rebellen unterstützt. Er und andere versuchen deutlich zu machen, dass eine solche Unterstützung die Situation vor Ort noch verschlimmert. Die Menschen, denen wir in Kumbo und an anderen Orten begegnet sind, haben uns zu verstehen gegeben, dass sie ihre Rechte als anglophone Minderheit mit der Verkehrssprache Englisch und dem britischen Schul-und Rechtssystem erhalten und geachtet wissen wollen. Aber ein eigenes Ambaland, eine eigene Republik Ambazonien und vor allem die Gewalt lehnen sie ab.
Aber in einer zugespitzten politischen Situation reicht das nicht und auch Gebete sind nicht genug.
Die Situation in Kamerun hat auch die seit über 30 Jahre währende Bistumspartnerschaft auf die Probe gestellt. Bislang war man auf beiden Seiten nicht besonders herausgefordert. Man hat partnerschaftliche Kontakte gepflegt, Besuchsprogramme organisiert, den wechselseitigen Freiwilligenaustausch befördert, Aktionen füreinander und miteinander durchgeführt. Aber in einer zugespitzten politischen Situation reicht das nicht und auch Gebete sind nicht genug. Deutlich wurde uns dies, als in unserem Partnerbistum Kumbo die Frage aufkam, ob die Ausreise der Freiwilligen auch das Ende der Partnerschaft bedeuten würde und wie es mit der Unterstützung weitergehen sollte. Zugleich wurde auch gefragt: Wer interessiert sich überhaupt für uns und unsere Situation? Wer glaubt uns, was hier geschieht? Wer hört uns zu? Von wo kann Hilfe im Konflikt kommen, den wir hier alleine nicht lösen können?
Die Reise wurde letztlich zu einem Beweis der Partnerschaft.
Uns war klar, dass diese kurzfristig geplante, aber notwendige Reise für die Partnerschaft von besonderer Bedeutung war. Sie wurde als besonderes Zeichen wahrgenommen, was wir von der Ankunft bis zur Abreise immer wieder vermittelt bekamen, in den Gesprächen mit den Bischöfen, mit Mitarbeiter*innen der Caritas, mit Schüler*innen und Lehrer*innen, mit Geflüchteten und ehemaligen Freiwilligen. Die Reise wurde letztlich zu einem Beweis der Partnerschaft, die in guten wie in schlechten Tagen greift und daran reift.
Wir haben während unseres Aufenthaltes zugehört und hingesehen. So konnten wir uns einen Einblick in die komplexe Situation verschaffen. Wir haben aber auch deutlich machen können, dass die Menschen in Kumbo sich begleitet wissen können von Gebet und Unterstützung im Bistum Limburg, und dass wir es uns zur Aufgabe gemacht haben, von diesem Konflikt zu berichten, Öffentlichkeit herzustellen und auch materielle Hilfe zukommen zu lassen. Wir hatten noch in Yaoundé ein langes Gespräch in der Deutschen Botschaft mit dem stellvertretenden Botschafter und dem Militärattaché über die Situation im Land und im Besonderen in der Region im Nordwesten und tauschten unsere Einschätzungen aus. In diesem Gespräch wurde deutlich, dass der katholischen Kirche zugetraut wird, über den Konflikt mit gesicherten Informationen eine Öffentlichkeit herzustellen und wie dringend eine Moderation von Seiten der Kirche gewünscht wäre.
Zurück in Deutschland wurde nicht nur in der Bistumsöffentlichkeit informiert, sondern auch im Kontakt mit den Hilfswerken nach weiteren Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit gesucht. So haben auch Kontakte zu Bundestagsabgeordneten und damit in Ministerien und Ausschüssen stattgefunden. Und all das wurde und wird begleitet von einer sich noch immer zuspitzenden Situation im anglophonen Teil Kameruns. Es ist davon auszugehen, dass sich daran bis zur Wahl im Herbst nichts ändern wird. Aber nicht davon zu berichten wäre sträflich und ein Verrat an jenen Menschen, die leiden und um ihr Leben in diesem Landstrich der Erde fürchten.
Partnerschaften zwischen Diözesen sind mehr als nur diözesane Partnerschaften, sie sind zivilisatorisch für eine bessere Welt notwendig – und das ist keine Floskel, wie sich am beschriebenen Beispiel zeigt.
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Autorin: PD Dr. Hildegard Wustmans ist Dezernentin für Pastorale Dienste im Bistum Limburg
Alle Bildrechte: Bistum Limburg
Auf Feinschwarz.net von der Autorin bereits erschienen:
Von Enklaven und Fragen. Spotlights aus Berkeley im Dezember 2016