Wolfgang Beck, selbst Prediger und Predigtlehrer, nimmt sich das neue Buch von Erik Flügge über den kirchlichen „Jargon der Betroffenheit“ zu Herzen und empfiehlt es mit Nachdruck.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Lektüre dieses Buches hat mir Schmerzen und aufgrund der Beobachtungsgabe und des Witzes seines Autors größtes Lesevergnügen bereitet. In seinem Buch „Der Jargon der Betroffenheit – Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt“ beobachtet und seziert Erik Flügge die gegenwärtig dominierende Art des Sprechens in Kirchen und Gottesdiensten, in Predigten, klerikalen Statements und religionspädagogischen Sonderwelten.
Eine Lektüre mit Schmerzen und Lesevergnügen
Mit plakativen Begriffen betitelt Erich Flügge dabei seine Beschäftigung mit der kirchlichen Verkündigung: Zorn, Angst, Schweigen, Nähe und Hoffnung. In diesen Überschriften drücken sich für ihn die verschiedenen Facetten der eigenen Leidensgeschichte mit der kirchlichen Kommunikation aus. Und schon darin wird seine zugleich distanzierte wie auch sehnsuchtsvolle Verbundenheit mit der Kirche erkennbar. Dabei knüpft er an einen Artikel in seinem Blog an, der bereits 2015 große Aufmerksamkeit fand.
Die ungewohnte Stimme aus einem meist schweigsamen Segment
Dass sich ein dreißigjähriger Beratungsprofi überhaupt an der für ihn nahezu unerträglichen kirchlichen Sprache abarbeitet, ist an sich schon bemerkenswert und verdient nicht zuletzt aufgrund seines interessierten Wohlwollens gegenüber kirchlichem Leben Beachtung. Da interessiert sich tatsächlich noch jemand für Predigten?! Mit seiner eigenen Bestimmung zwischen positiven Erfahrungen kirchlicher Jugendarbeit und der erkennbaren Hochschätzung für pastoral Engagierte, wie auch mit der allgegenwärtigen Erfahrung des Fremdschämens stellt schon die Positionierung des Autors einen glücklichen Ausnahmefall dar: Da spricht einer, der zu den sonst so schweigsamen kirchlichen und gesellschaftlichen Segmenten derer gehört, die mit der Kirche verbunden sind ohne noch allzu viel von ihr zu erwarten.
Da spricht einer von denen, die mit der Kirche verbunden sind ohne noch allzu viel von ihr zu erwarten.
Immer wieder wird in seinen Beobachtungen erkennbar, dass die kirchliche Sprache vor allem die Bürgerlichkeit ihrer VertreterInnen und deren fehlenden Biss erkennen lässt. Und so ist Flügges Leiden an der Sprache immer auch ein Leiden an einer allzu harmlosen Kirche. Und seine Kritik wird zu einem Plädoyer für eine Kirche mit Irritationspotenzial: „Ich suche die Weihnachtspredigt, in der der Pfarrer oder die Pfarrerin offensiv angekündigt, dass man das Gemeindezentrum zur Notunterkunft umbaut, bis die Flüchtlingskrise überstanden ist.“ (S. 25). Immerhin gesteht er mit der eigenen Tatenlosigkeit im Rücken wenige Zeilen später: „Auch mein Text ist Teil der Bürgerlichkeit“.
Leiden an der Sprache –
Leiden an einer harmlosen Kirche
Dabei beschreibt er eine Wahrnehmung, die vielen Menschen aus dem Herzen sprechen dürfte: Warum sprechen die Akteure in der Kirche eigentlich nicht normal und verständlich? Warum wirkt hier vieles so bemüht und abgehoben?
Der schwierige Umgang mit der ungebetenen Kritik
Was als provokative Streitschrift gestaltet ist, wird mit seinem Erscheinen im Mai 2016 spontane Abwehrreaktionen bei kirchlichen FunktionsträgerInnen auslösen: „Der begründet seine Thesen kaum argumentativ!“ „Da fehlen sozialwissenschaftliche Erhebungen zur Fundierung und Absicherung des subjektiven Eindrucks!“ Diese Einwände sind angesichts des hohen Professionalisierungsgrades in der Theologie verständlich und stehen doch der kreativen Wirkung, die sich mit Hilfe der Provokation entfalten könnte, im Weg.
Abwehr gegen das Buch ist zu erwarten.
Dass die Kritik Flügges von oberflächlicher Leserschaft schnell für kirchenpolitische Strategiespiele verwendet wird, zeigen allenfalls die Empfindlichkeiten im Bereich kirchlicher Kommunikation. Dabei braucht es nur einen Blick in seine Internetpräsenz und die dort veröffentlichte Auseinandersetzung mit dem Stuttgarter Bischof Fürst, um solche Instrumentalisierungen als kurios zu entlarven.
Sprache als theologisches Zeugnis eines solidarischen Gottes
Offenkundig geht es Flügge nicht darum, konservative und progressive Zuschreibungen zu bedienen. Die von ihm messerscharf formulierte Kritik trifft – über Streit-, Rechtgläubigkeits- und Konfessionsgrenzen hinweg. Dabei plädiert diese Anfrage sehr wohl für eine zeitgemäße Sprache, wie er sie auch selbst praktiziert und vorstellt. Und der ist es nun einmal versagt, sich abgehoben in Sonderwelten zu flüchten oder in unsolidarischen Kontrastidentitäten zu gefallen, als würde schon eine seltsam antiquierte Sprache Gott als den „ganz Anderen“ bezeugen. Nein, in der Regel bezeugt sie weniger Gott als vielmehr die Entrücktheit oder gar die Ängstlichkeit derer, die die Gottesrede vereinnahmen.
Kirchliche Sprache bezeugt oftmals nicht den „ganz anderen Gott“, sondern die Entrücktheit und Antiquiertheit der Sprecher und Sprecherinnen.
Und damit wird klar: Flügges Forderung nach verständlicher und zeitgemäßer Sprache in der Kirche ist eminent theologisch! Sie ist es gerade dort, wo sie um die nicht nur seelsorgliche Bedeutung des Schweigens weiß und die Erfahrung der Sprachlosigkeit als positives theologisches Statement schätzt. Sie ist es, weil sich in ihr ein Bewusstsein für die wohl wichtigste theologische Kategorie zeigt: Relevanz.
Das Bemühen um Relevanz als theologische Kategorie
Flügge hat sich mit dieser Relevanzlosigkeit von Theologie und Kirche nicht abgefunden: „Meine Idee vom Sprechen von Gott ist eine, die Spuren und im Zweifelsfall auch Wunden hinterlässt.“ (S. 69)
Wer das Predigen wie Flügge als eine um Relevanz bemühte Gottesrede versteht, dem/der werden die aktuelle Nachrichtenlage und die aktuellen Themen der Zeitgenossen und Zeitgenossinnen zum konstitutiven Bestandteil der Predigtvorbereitung: „Weg vom Schmoren im eigenen Saft, hin zu einem Interesse an der Umwelt und am Weltgeschehen.“ Dies Bemühen um Relevanz wird freilich erst dann plausibel, wenn dem gesprochenen Wort der Verkündigung auch tatsächlich Wirkung zugetraut wird. Zu den bitteren Beobachtungen Flügges gehört jedoch, dass viele PredigerInnen schon hier Skepsis anmelden.
Predigen als eine um Relevanz bemühte Gottesrede begreifen
Viele von ihnen können das Potenzial kirchlicher Verkündigung kaum mehr erkennen. Zum anderen kann ein wirkungsvolles Predigen wohl nur erfolgen, wenn es von einem um Relevanz bemühten Selbstverständnis der Kirche getragen ist. Solch ein Selbstverständnis mag für Theologen durch eine Ekklesiologie der „Kenopraxis“ (Ansgar Kreutzer) zu bestimmen sein und wird von Flügge anschaulich übersetzt: „Gönnen können, ohne selbst zu nehmen“ (S. 109).
Der Hinweis auf die unzähligen kleinen Unglaubenszeugnisse in der Kirche
Als Prediger und zugleich Verantwortlicher in der Predigtausbildung trifft mich die humorvolle und scharfe Polemik Flügges schmerzlich. Ich stimme ihm zu und weiß doch, wie schwer Alternativen zu Gewohntem zu entwickeln und einzuüben sind. Aber ich merke, dass es da eine Kritik an kirchlicher Unkultur gibt, die deshalb heilsam ist, weil sie die Bereiche entlarvt, in denen Kirche und ihre VertreterInnen sich von den Mitmenschen distanzieren und damit schrittweise entsolidarisieren. Es sind neuralgische Punkte in der Liturgie und allen Bereichen der Verkündigung bis hinein in die kleinen und häufig unterschätzten Details der Ästhetik und der Sprache, die Milieuverengung kirchlichen Personals und der institutionellen Strukturen, in denen sich die zentrale kirchliche Herausforderung ereignet: Die ungepflegten Details können die ganze inhaltliche Aussage der kirchlichen Verkündigung konterkarieren und ad absurdum führen.
Heilsame Kritik an kirchlicher Unkultur
Sie werden zum Unglaubenszeugnis. Denn sie sind meist Ausdruck von Ängstlichkeit und Lieblosigkeit, von mangelndem Respekt gegenüber der Intelligenz der Mitmenschen und einem Mangel, kirchliche Unkulturen noch wahrnehmen zu können. Da Erik Flügge diese verdeckten Botschaften aufdeckt und gerade darin seine enorme Erwartung an die Kirche ausdrückt, verdient seine Lektüre eine große Leserschaft – nicht nur, aber vor allem unter kirchlichen Akteuren.
Das Buch:
Erik Flügge: Der Jargon der Betroffenheit – Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, Kösel Verlag, München 2016.
(Bild: Buchcover, Kösel-Verlag)