Dag Heinrichowski SJ stellt den Autor Frank Berzbach vor und bespricht dessen neustes Buch: Ich glaube an Engel, manche fahren Bus. Essays in spiritueller Absicht, Vier-Türme-Verlag, 2022
In Köln und auf St. Pauli in Hamburg ist Frank Berzbach zuhause. Sein Hamburger Schreib- und Wohnzimmer, oberhalb eines Cafés gelegen, wirkt – ebenso wie sein Profil bei Instagram – wie die Ausstellung in einem kleinen Museum, die er selbst kuratiert. Bilder, Personen und Ideen werden auf eine Weise miteinander in Verbindung gebracht und in Beziehung gesetzt, die schmunzeln, nachdenken und staunen lässt:
Neben einem zerbrochenen Weinglas lugt eine Playboy-Ausgabe hinter einem Bücherstapel hervor. Daneben ein Kassettenrecorder der Marke Panasonic, Mixtapes und das Magazin der Jesuiten. An der Wand Polaroid-Schnappschüsse, ein Beatles-Plakat, religiöse Kunst und solche, die mit religiösen Motiven spielt und bricht.
Berzbach sammelt Entdeckungen, Ideen und führt (Sub-)Kulturen in Begegnungen miteinander. Und genau das regt Kreativität und das Denken an – genau wie seine Texte und Miniaturen. Vielleicht zeugt dieses kleine, gemütliche Zimmer auf St. Pauli von der „Kunst, ein kreatives Leben zu führen“, um den Titel von Berzbachs Bestseller zu zitieren.
Berzbach sammelt Entdeckungen und Ideen.
Auch Berzbachs Ausbildungsweg bringt unterschiedliche Facetten ins Gespräch miteinander: Als Technischer Zeichner studierte er Erziehungswissenschaft, Psychologie und Literaturwissenschaft. In Köln lehrt er nun Philosophie und Literaturpädagogik an der Technischen Hochschule. Auf St. Pauli schreibt er Texte und Geschichten, die anregen, Fragen stellen und Perspektiven öffnen. Berzbach beobachtet den Alltag und wagt es, Entdeckungen zu machen, Geschichten und Ideen zu spinnen. Er hat einen Sinn für das Schöne und für Spiritualität. Auf seiner Homepage heißt es: „Er hat eine Vorliebe für Fahrräder, Schallplatten und Bücher, Tätowierungen und Klöster.“ Er mixt Philosophie und Psychologie mit Mystik und Spiritualität à la Teresa von Avila, Thomas Merton und Ignatius von Loyola. Auch sein Verständnis von Kreativität ist deutlich davon markiert: „Der Kern des Schöpferischen, der Anfang davon, ist etwas, wo man zurückgezogen und einsam ist“, sagt er in einem Podcast-Gespräch.
Das Alltägliche beschreiben.
Auch in seinem neuen Buch, das im Untertitel „Essays in spiritueller Absicht“ verspricht, beschreibt er Alltägliches. Ohne diese Alltagsbeschreibungen romantisch zu verklären, entdeckt Berzbach zwischen den Zeilen, was gleichsam Halt gibt und die Perspektive öffnet: „Ich halte mich ans schöne Interieur, an meine lächelnde Begleitung, und wünsche mir Scheuklappen, bis dieser Zeitgeist überwunden ist.“ (27)
Ein wiederkehrendes Thema im Buch ist die digitale Kommunikation und die Logik der sozialen Medien. Sie prägen den Alltag. Diese Beobachtungen bringt Berzbach tiefsinnig und berührend ins Wort, wenn er über Einsamkeit schreibt: „Statt die Hand auf meine Schulter zu legen, legt er den Finger auf ein kleines Herz und ein Signalton ist bei mir zu hören. Er dringt in mein Ohr, aber von meinem Herzen prallt er ab.“ (14). Doch auch ein schmunzelnder Zugang zu dieser Alltäglichkeit gelingt ihm, wenn er seine Umgebung beobachtet: „Sie sieht nicht aus wie eine Influencerin, sondern wie jemand, der von Influencerinnen beeinflusst wird.“ (22)
Die Essays regen an, zwischen den Zeilen des eigenen Alltags zu lesen.
Die Essays enden teils überraschend. Sie überrumpeln und laufen ins Leere der eigenen Gedanken. Sie regen an, zwischen den Zeilen des eigenen Alltags zu lesen, in „spiritueller Absicht“ zu entdecken und Philosoph*innen des Alltags zu werden, die Zwischenräume offen halten: „Über solche triviale Fragen zu Philosophieren bedeutet, sich nicht zu sicher zu sein, die Antwort offen zu halten, zu zweifeln. Und wer mit dem Spiel beginnt, das Alltägliche nicht mehr als eine gegebene Normalität zu sehen, sondern als etwas gewordenes, bewegliches, als etwas, für das ich Verantwortung trage, für den wird jeder Tag ein geistiges Abenteuer.“ (57)
In seinen Texten gelingt es Berzbach, im Denken sowohl über ein harmonisierendes Sowohl-als-auch, als auch ein unterkomplexes Entweder-Oder hinauszugehen – Guardinis Gegensätze klingen an. Vielleicht denkt Berzbach schlicht katholisch: „Sich Regeln zu setzen bedeutet noch lange noch nicht, sie auch einhalten zu können“ (68). Mit Geschick führt er das allzu gut bekannt menschliche Verhalten vor: „Das Gehirn ist eine Sorgenmaschine und es liebt Beschuldigungsspiele.“ (86) Mit Leichtigkeit und lächelndem Verständnis streut er kleine Kniffe ein, die helfen, sich selbst und sein Verhalten zu verändern – ohne die Tonalität von Ratgeberliteratur anzuschlagen. „Wir können das Smartphone stumm schalten, aber nicht unseren Kopf.“ (88)
Zurückkehren in den Alltag: wohlwollender, hoffnungsvoller und doch realistisch.
Von den Entdeckungen und Spurens des Alltags führt Berzbach hinein in den menschlichen Geist. Von dort kehrt er zurück in den Alltag und das Gewusel der Städte. Dorthin zurück kommt man jedoch mit einem anderen Blick – wohlwollender, hoffnungsvoller und doch realistisch: „Diese Welt ist möglich, sie existiert. Heute bin ich zwar woanders, aber das macht nichts.“ (118). Unklar bleibt, ob diese Blickveränderung beim Autor oder doch bei seinen Leser*innen einsetzt. Vielleicht ja dazwischen.
Dag Heinrichowski SJ arbeitet als Jugendseelsorger in der KSJ Hamburg und ist Koordinator des Weltweiten Gebetsnetzwerk des Papstes in Deutschland.
Beitragsbild: Buchcover