Jürgen Kroth rezensiert das Buch „Entleerte Geheimnisse. Die Kostbarkeit des christlichen Glaubens“ von Tiemo Rainer Peters, Ostfildern 2017, 142 Seiten.
Schon Karl Rahner wusste und schärfte es seinen Zeitgenossen immer wieder ein, dass der christliche Glaube auf einem Geheimnis gründe und auf ein solches zulaufe. Die Emphase mit der Karl Rahner seine eigene Theologie auf jene reductio in mysterium bezog, scheint vorbei zu sein: oder wie soll man die beinahe kompendienhafte Entfaltung der zentralen Glaubensaussagen in so vielen theologischen Publikationen verstehen? Mit solch enzyklopädischen Anstrengungen haben die Versuche von Tiemo Rainer Peters nichts gemein. Zwar weiß er um die Notwendigkeit, Begriffe zu klären; es fehlt ihm aber der – vielleicht auch verwegene – Mut, die Begriffe des Christentums letztgültig zu klären.
Gleichwohl ist das Vorhaben von Peters durchaus auch verwegen. Er beansprucht immerhin nicht weniger, als zentrale christliche Kostbarkeiten in neue Konstellationen zu stellen. Ausgehend vom Wort Gottes (13-24) über das Reich Gottes (25-38) behandelt er Erlösung (41-56), Auferstehung (57-69) und Ewiges Leben (71-85) ebenso wie Glaube (87-105) und Gnade (107-118), um dann mit Gott (119-135) seine Rettungsversuche zu beschließen. Sein Versuch der erneuten Füllung der entleerten Geheimnisse ist also ambitioniert und verwegen; er kennt aber zugleich auch die Schwierigkeiten und Grenzen. Er möchte freilich nicht davon ablassen, die großen Themen des christlichen Glaubens zu beanspruchen, ja: er sieht mit Johann Baptist Metz und Timothy Radcliffe die Notwendigkeit, die verbrauchten und leer gewordenen Begriffe neu zu füllen.
Dazu wählt Peters eine Herangehensweise, die der systematischen Theologie naheliegt und doch so selten zu finden ist: er umkreist die Begriffe, stellt sie in je neue Konstellationen, lässt sich von literarischen Zeugen irritieren, fundiert sich in den biblischen Traditionen. Es ist ein essayistischer Zugang, der nicht abschlusshafte Wahrheit, sondern eher praktische Wahrhaftigkeit anvisiert. Er kennt die Gefährdungen des Christentums und misstraut einer allzu vollmundigen Theologie. Er operiert mit schwachen Kategorien, verlässt sich lieber auf die Inspiration der Literatur als auf theologische Traktate. In diesem unkonventionellen Zugang entfaltet sich zugleich die Stärke des Buches: Es gibt keine wohlfeilen Antworten, sondern lehrt das Fragen, Nachdenken und Suchen. Es lässt sich nicht von den großen Geheimnissen des Christentums abbringen und versucht inständig, ihnen eine revitalisierte Bedeutung abzuringen.
Misstrauen gegen allzu vollmundige Theologie
Bei all dem vermag Peters seinen alten Lehrmeister, Dietrich Bonhoeffer, nicht zu verheimlichen. Mit Bonhoeffer und Karl Rahner verortet er die entleerten Geheimnisse in der konkreten Wirklichkeit. Er sucht nach Bedeutungen, die für heutige Menschen wieder bedeutend sein können; es geht um „die Sichtung und Schärfung der biblischen Begriffe für ein radikales Leben inmitten einer sich rasch verändernden Zeit“ (19). Sollen die Begriffe nicht leer bleiben, braucht es eine Aktivierung unter den Christen selbst. Nicht primär die Arbeit von Profi-Theologinnen und -Theologen ist hier gefordert, sondern participatio actuosa. „Der Schrifttext bewegt sich mit dem Leser und Hörer dann, wenn auch er, der Hörer des Wortes, sich bewegt.“ (23). Lektüre des Wortes Gottes ist eben kein passiver Vorgang, sondern drängt zur Aktualisierung.
Woran aber richtet sich diese aus? Wäre es nicht das Reich Gottes, das schließlich auch schon Maßstab und Perspektive des Handelns Jesu selbst war? Ginge es nicht zentral darum, den Gedanken an das Reich Gottes wiederzugewinnen? Nicht aber in der Gestalt des frühen 20. Jahrhunderts, als der Reichsgedanke wesentlich politisch okkupiert wurde und in säkularen Heilsideologien sein katastrophisches Wirken zeigte. Im Gegenteil: Die Kirchen hätten die Aufgabe und die Chance, „den Reich-Gottes-Gedanken in kritischer Auseinandersetzung mit den Neonationalismen unserer Tage zu bewähren und ihre eigenen lange vertuschten Fehler des vergangenen Jahrhunderts zu korrigieren“ (26).
Sie könnten dabei zentral auf den Glauben Jesu rekurrieren, der „das Reich Gottes nicht entpolitisiert, sondern auf eine unverwechselbare Weise politisiert“ (30) hat. Es ist zumindest kritischer Maßstab, das herrschende Antireich bestimmt zu negieren. Das wusste schon das Konzil (vgl. Gaudium et spes, 39), das betont auch die Befreiungstheologie und wohl auch Papst Franziskus. Er ist mit dem Bestehenden zu vermitteln. Dazu gehört auch, die Schuldgeschichte aufzuarbeiten, die auch mit dem Reichsgedanken verbunden ist. Geschieht dies nicht, bleibt die Theologie angesichts der Herausforderungen der Zeit defensiv. Peters möchte hier einen – vielleicht verzweifelt trotzigen – Gegenakzent setzen: „der Begriff des Reiches Gottes geht entweder aus diesen Menschheitskatastrophen geschärft hervor, oder er verliert jeden zeitgenössisch versteh- und vertretbaren Inhalt.“ (35) Diese Schärfung entdeckt Peters in der Theologie von Johann Baptist Metz und dessen leidsensibler Theologie. Das Reich Gottes ist nicht nur die Kontrastfolie, von der her das Bestehende als Antireich qualifiziert werden kann, es ist auch als Hoffnungserzählung die „Antigeschichte des Leidens“ (36), die aber als Hoffnung blind und leer bliebe, wenn sie nicht auch zu der realen Antizipation des Reiches Gottes führte.
aus Menschheitskatastrophen geschärfter Reich-Gottes-Begriff
Ist die Explikation des Reiches Gottes in politischen Kategorien noch naheliegend, so wird dies mit dem Begriff Erlösung ungleich schwerer. Nicht allein, dass die christliche Rede von der Erlösung kaum noch verstanden wird; mehr noch: wird sie erwähnt, dann ist ihr Kontext eher der einer privat gewordenen Religion mit der Sehnsucht nach Erlösung des je einzelnen Individuums. Zugleich vermittelt sie sich in den Kategorien des Tausches, des „admirabile commercium“ (41). Gegen diese Reduzierung des Erlösungsgedankens bringt Peters die biblische Tradition in Stellung. „Erlösung ist selbst eine Macht, die den dämonischen Mächten entgegentritt.“ (43). Schon in der politischen Theologie des Paulus lässt sich erkennen, wer und was diese Mächte sind. Erlösung ist dann nicht unterhalb des Niveaus von Befreiung denkbar und weiß doch zugleich von deren Insuffizienz.
Nicht allein die persönliche Schuld und Sünde sind Gegenstand der Erlösungshoffnung. Sie wohl auch. Aber der Gedanke der Erlösung umgreift auch und vielleicht vor allem jene, die nicht aus persönlicher Schuld, sondern aufgrund struktureller Gewalterfahrungen gelitten haben. Dabei aber ist die Erlösungshoffnung entgegen den vollmundigen Behauptungen der theologischen Tradition wiederum eine schwache Kategorie. Peters sieht sie unter dem fundamentalen Vorbehalt, „dass er selbst noch wiederkommen muss, um die Erlösung zu vollenden. Stellvertretung ist deshalb nicht möglich ohne das inständige Gebet, mit dem der Erste Korintherbrief schließt und das auch vom Ende der Geheimen Offenbarung vertraut ist, gleichsam als Schlussakkord des gesamten Neuen Testaments: ‚Marána tha – Unser Herr, komm’ (1 Kor 16, 22).“ (56)
Erlösung als Macht, die den dämonischen Mächten entgegentritt.
Gewöhnlich kommt die Auferstehung in der Theologie als starkes, ja als zentrales Argument daher. Nicht so bei Peters. Es macht geradezu die Stärke seiner Überlegungen aus, dass sie auf das theologisch geläufige Gebaren verzichtet und zaghaft sich den Themen nähert. Mit Schillebeeckx betont er die Umkehrbewegung der Jüngerinnen und Jünger, mit ihm aber verpflichtet er auch die heutigen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen: „In wen auf was sollen wir hoffen, wenn das, worauf man restlos bauen könnte, zusammengebrochen oder nie vermittelt, geschweige erfahren wurde?“ (59)
Die Moderne mit ihren Glücks- und Fortschrittsverheißungen war die Säkularisierung der christlichen Eschatologie. Die postmoderne Verheißung der Optimierung des menschlichen Lebens greift auf Ewigkeit. Diesem billigen Trost setzt Peters ein geerdetes Verständnis der Auferstehung entgegen. Nicht in hohen theologischen Begriffen entfaltet er seine Frage nach der Auferstehung. „Sich über den Auferstehungsglauben zu verständigen, ist darum mehr als eine theologisch-theoretische Aufgabe. Es ist zugleich die Verteidigung der Würde des Menschen in den wechselnden Verhältnissen und Herausforderungen der Zeit.“ (62) Eine Aufgabe, die in die Praxis drängt.
Mit Helmut Peukert kommt Peters hier wohl überein, dass der Auferstehungsglaube behauptet, ja in der Praxis der Solidarität bewahrheitet werden muss. Diese Solidarität ist unter der Beanspruchung der Auferstehung universal. „Homo sum: humani nil a me alienum puto“, so lautet es bei Terenz; Kant hat dies in seiner Metaphysik der Sitten aufgegriffen und weitergeführt: „Ich bin ein Mensch: Alles, was Menschen widerfährt, das trifft auch mich“. Peters folgert aus all dem: „Nicht das Exemplar wird auferweckt, sondern einzelne, singuläre, unverwechselbare Menschen.“ (64) Gewiss: Die Auferstehungshoffnung hat immer auch eine eschatologisch universale Dimension. Sie umgreift auch und vor allem jene, die nicht mehr erinnert werden. Insofern mögen die Überlegungen von Peters einen wichtigen Aspekt aussparen. Es ist aber immer die Paradoxie des Auferstehungsglaubens, dass hier Positionen bemüht werden, die sich gerade nicht fassen und damit begrifflich präzise bestimmen lassen (vgl. 68).
Auferstehungsglaube als Verteidigung der Würde des Menschen
Wenn schon der Auferstehungsglaube eine Einweisung in die Praxis der Nachfolge ist, dann darf auch das Ewige Leben nicht vom Diesseits abgekoppelt werden. Diese Erkenntnis teilt Peters mit Dietrich Bonhoeffer: Die Religion darf nicht von der Welt absehen; die Welt darf sich nicht in Banalität auflösen. Gegen diese Problemlage steht schon der biblische Glaube, der nicht in abstrakten Ewigkeitskategorien sich entfaltet. Vielmehr ist es der geschärfte Blick in die Wirklichkeit, der sich nicht zu schnell trösten lassen will. Es ist der Blick, der auch die Leiden der Menschen sieht und ihnen Ausdruck und Widerstandskraft gibt.
Peters bleibt seinem im Kapitel über die Auferstehung eingeschlagenen Weg treu und zeigt sich skeptisch hinsichtlich der eschatologischen Aufhebung des realen Unrechts. Er vertraut mehr der an Rudolf Bultmann geschulten präsentischen Eschatologie (vgl. 75). Gleichwohl hält er den Raum offen und möchte – wie auch im übrigen Buch – keine letztgültige Antwort geben. Er greift die Position Helmut Peukerts hinsichtlich einer universalen Solidarität auf, lässt Habermas’ kritische Reaktion dazu erkennen und vermag den Streit zwischen beiden nicht zu entscheiden. Wohl aber betont er, „dass ein wirkliches, verantwortliches, solidarisches Leben den Glauben an ein ewiges Leben nicht verhindern muss: den Glauben an etwas, das mein armseliges Ich sprengt und die stupide Vorstellung überwindet, dass es jenseits von mir nichts mehr gibt“ (84 f.).
Was aber ist Glaube?
Jedenfalls nicht das naive Übernehmen irgendeiner unverstehbaren Position. Eher schon die Ambivalenz von Vertrauen und Zweifel. Paulus hielt Glaube für eine Torheit und meinte damit keineswegs, dass er töricht wäre, sondern eher schon etwas Verrücktes, das zugleich das real Ver-rückte in eine neue Ordnung rückt. Zugleich, darauf legt Peters wert, ist Glaube die Verankerung in Gott (vgl. 89). „Glaube ist Gerechtigkeit vor Gott.“ (89) Die Rückbindung an JHWH ist damit auch die Rückbindung an die großen Gerechtigkeits- und Befreiungstraditionen des Ersten Testaments. Allein vor dort her ist der Glaube nicht naiver Heilsoptimismus, sondern immer gebrochen von der Realität, in die hinein er sich immer wieder artikulieren und vor allem auch positionieren muss.
Weltflucht ist gerade nicht die Perspektive des Glaubens. Vielmehr die Wahrnehmung der „Risse und Schründe“ (Adorno) dieser Welt, die Überprüfung ihrer immanenten Heilsverheißungen etwa in der Moderne und die Einweisung in die Praxis der glaubenden Nachfolge. Mit Bonhoeffer betont Peters: „der Glaube darf und soll singen, feiern und die Welt in vollen Zügen genießen. Aber er kann es nur, wenn er auch für die Armen, Marginalisierten und Bedrohten schreit, die in Not sind. Der Jubel des Glaubens darf den Schrei nicht ersticken.“ (103)
Weltflucht ist gerade nicht die Perspektive des Glaubens.
Wie aber werden wir dazu befähigt? Gnade wäre hier vielleicht das wichtige Stichwort. Dabei ist der Begriff selbst schillernd und hat unterschiedliche Entstehungsgeschichten und Deutungsmöglichkeiten. Die „Unterscheidung zwischen gläubigem Gottesgehorsam auf der einen und dem Glauben an die aus sich allein wirkende Gnade auf der anderen Seite gilt es festzuhalten – also zwischen dem, was der Mensch tut und zu tun hat und dem, was allein Gott vollbringen kann“ (109). Damit wird Gnade gerade nicht billig, sondern wie Peters wiederum mit Bonhoeffer betont, teuer: „teuer durch couragierte Nachfolge“ (112). Aber nicht alleine Leistung zählt hier. Gnade ist Angebot und Geschenk, sie ist ungeschuldet, sie ist „befreite Freiheit“ (117).
Worin gründet dies alles? In Gott, so die auf der Hand liegende Antwort. Aber gerade dies ist heute gar nicht mehr so gewiss. Wer Gott sagt, befindet sich „im Zentrum der Krise“ (120). Gotteskrise war das von Johann Baptist Metz in die Diskussion eingebrachte Stichwort. Peters möchte dem Metzschen eschatologisch-apokalyptisch angeschärften Ruf nach Gott nicht ohne Weiteres folgen. Er mutmaßt, dass hier die Orientierung am Letzten zu stark sei und dass dadurch „die Welt des ‚Vorletzten’“ (120) zu stark aus dem Fokus gerate. Peters will den Gottesgedanken als Einweisung in die Nachfolge verstehen. Dabei ist Peters sich der Wagheit der Gotteshoffnung durchaus bewusst. Einen unmittelbaren Zugriff auf Gott gibt es für ihn nicht. Gott bleibt im Bereich des begrifflich nicht Einholbaren. Er ist jener Raum, der sich mit der Vorstellung von der Shekinah als Einwohnung und gleichzeitiger Nichterfassbarkeit kennzeichnen lässt. „Gott ist im Widerspruch mit sich identisch. (…) Gott kann nicht konsequent gedacht und folglich auch nicht stringent bewiesen oder widerlegt werden. Er ist mehr als alles und lässt sich nicht in einem Begriff ausdrücken, einem Diskurs klären und schlussendlich einer Schublade ablegen, wo ihn dann sowieso niemand mehr sucht.“ (134 f.)
Gott bleibt im Bereich des begrifflich nicht Einholbaren.
Tiemo Rainer Peters legt ein kleines Buch mit hoffentlich großer Wirkung vor. Denn er verpflichtet seine Leserinnen und Leser, die entleerten Geheimnisse wieder zu füllen. Er liefert dazu eine Fülle hilfreicher und weiterführender Überlegungen. Sein Anliegen kann und darf nicht sein, diese Arbeit alleine zu vollziehen. Dies wäre nicht nur eine völlige Überforderung eines Theologen. Es wäre auch völlig falsch.
Text: PD Dr. Jürgen Kroth, Lehrstuhl für Religionspädagogik, Philospophisch-Theologische Hochschule Vallendar; Privatdozent für Pastoraltheologie, Universität Regensburg;
Bild: http://www.gruenewaldverlag.de/entleerte-geheimnisse-p-1326.html.