Nach der ersten Synodalversammlung vor einem Jahr in Frankfurt/Main und Regionenkonferenzen im vergangenen Herbst ging der vielbeachtete Synodale Weg der deutschen katholischen Kirche am 4. und 5. Februar – unter Coronabedingungen – online in die nächste Etappe. Ein Zwischenfazit von Gregor Maria Hoff.
Die Bedingungen waren alles andere als gut. Die zweite Plenarversammlung des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland musste digital stattfinden. Wegen der Pandemie war dieses Treffen zunächst Ende Januar 2020 ausgefallen, dann im September 2020 in regionale Konferenzen ausgegliedert worden. Eine weitere Absage hätte den Synodalen Weg vermutlich entscheidend behindert, weil sich seine Dynamik nicht in räumlich und zeitlich getrennten Arbeitsforen erhalten lässt. Aber so sehr man sich an das kommunikative Leben in virtuellen Räumen inzwischen gewöhnen musste: Für synodale Begegnungen ist es unerlässlich, sich dem Gegenüber förmlich auszusetzen.
Der Augenblick der Konfrontation
Zur Performance synodaler Diskussionen, in denen es um die Schuld der Kirche angesichts systemischen Missbrauchs geht, in denen die Zukunftsfähigkeit der Kirche verhandelt wird, gehört mehr als das abgelesene Argument – das war schon in Frankfurt beim Auftakt des Synodalen Wegs zu spüren. Wer von durchschlagenden Reformen in der Kirche überzeugen oder sie verhindern will, muss bereit sein, sich dem unvermittelten Einspruch auszusetzen. Am Augenblick der Konfrontation hängt die Möglichkeit, den anderen zu verstehen, weil man ihm nicht ausweichen kann. Im digitalen Ein- und Abschaltmodus der eigenen Kamera lässt sich das jederzeit vermeiden.
Aber nicht nur der Austausch auf Distanz, in der sich die Bilder der Teilnehmer*innen nie in die Gleichzeitigkeit eines gemeinsamen Ensembles einfügen ließen, stellte die Versammlung vom 4./5. Februar vor Herausforderungen, die zumindest technisch exzellent bewältigt wurden. Aus dem Hintergrund drohten sich die Kölner Ereignisse lähmend über die anstehenden Beratungen zu legen. Die Nebelwand des Verschleierns rückte wie im Film „The Fog“ heran, nicht zuletzt mit der gespenstischen Kommunikationspolitik des Kölner Kardinals, der sich für die Fehler anderer zu entschuldigen verstand.
Der Verdacht, dass die katholische Kirche in Deutschland Aufklärung doch nur nach eigenen Vorgaben und Interessen managt, stand im Raum. Dem hielt die Regie des Synodalen Wegs mehr als Absichtserklärungen entgegen. Offen wurden die Kölner Ereignisse angesprochen, in gebotener Klarheit und distinktiver Schärfe kritisiert. Vor allem aber bekamen die Opfer des Missbrauchs gleich am Anfang das Wort.
Die Opfer des Missbrauchs bekamen das Wort.
Und was für ein Wort! Mit den Statements von Johannes Norpoth, Kai Moritz und Johanna Beck, den Sprechern und der Sprecherin des Betroffenenbeirats der DBK (hier ab 2:03), wurde die Fallhöhe der zweiten Plenarversammlung festgelegt. Am Stimmrecht der Opfer vorbei kein Synodaler Weg! Rhetorik der Betroffenheit reicht nicht! Raus aus dem Friedhof kuscheliger Zustimmung, wie schlimm doch alles ist. Ohne operationalisierbare Folgen verfängt sich der Synodale Weg in jenen systemischen Plausibilitäten, die es erlaubten, die Betroffenen selbst erst im Nachgang zu delegieren. Das gilt auch für jede Entschuldigungsbitte, die Konsequenzen in die Zukunft verlegt. Der persönliche Ernst, mit dem der Erzbischof von Köln eigene Fehler ansprach, verliert an Haftbarkeit, wenn er nicht jetzt bereits seine Aufklärungsagenda einschneidend verändert. Transparenz braucht es sofort, weil dies die Performance jenes Synodalen Wegs verlangt, der mehr als nur einzelne Schneisen in das Missbrauchsdickicht schlägt.
Dass dieser Weg nicht nur technische Veränderungen, sondern eine Neukartierung kirchlicher Routen verlangt, markieren die Themen der vier Synodalforen. Ein Verständnis von Sexualität, das nicht moraltheologisch neue Opfer schafft, steht ebenso zur Diskussion wie die Lebensformen priesterlicher Existenz. Damit verbinden sich Fragen nach dem Zugang zum Amt in der Kirche – vor allem mit Blick auf die Ordination von Frauen. Auf verschiedenen Ebenen vernetzen sie sich mit dem Dispositiv kirchlicher Macht.
Jenseits katholischer Communio-Kosmetik
Insofern bilden die Reformagenden des Synodalen Wegs einen Zusammenhang, der sich nicht mit katholischer Communio-Kosmetik auf- und abschminken lässt. Auf dem Synodalen Weg etabliert sich eine neue Debattenkultur des gesamten Volkes Gottes. Bischöfe und gewählte Vertreter*innen des Laienkatholizismus diskutieren gleichberechtigt miteinander, gemessen an der Überzeugungsfähigkeit ihrer Argumente und Positionen. Diese Performance hat sich auch im digitalen Format bewährt und verstärkt.
Auf dieser Linie läuft auch der Generalverdacht des Regensburger Bischofs Voderholzer ins Leere, der Textentwurf des Synodalforums „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ liefere eine „ideologisch verzerrte Sicht“ der Kirche. Ideologen arbeiten mit Unterstellungen. Der Text des Forums I argumentiert, indem er die verschiedenen Bezeugungsinstanzen der kirchlichen Urteilsbildung und Entscheidungsfindung zur Geltung bringt. Genau dieses diskursive Verfahren, der Gebrauch der „loci theologici“, stellt die Performance einer Kirche dar, die nicht monokratisch dekretiert, sondern synodal berät und entscheidet.
Zwischen Kompromiss und notwendigen Zuspitzungen
Das verlangt echtes Hinhören. Das führt mitten in die kirchlichen Konflikte, denen sich der Synodale Weg zwischen Kompromissen und notwendigen Zuspitzungen stellen muss. Das gilt gerade für die lehramtlich prekäre Frage nach der Frauenordination. Dass der vormalige Vorsitzende der DBK, Kardinal Marx, in einem livestream-Hearing der Plenarversammlung entschieden für sie votierte, besitzt politisches, aber auch symbolisches Gewicht: Der Synodale Weg beweist auch im digitalen Format eine hohe Dynamik. Die Aufbruchsstimmung von Frankfurt ist nicht verpufft. Sie hat sich in den Foren und ihren Diskussionen wie in den Textvorlagen verdichtet. Sie zeigt sich bei den allermeisten Teilnehmer*innen – auch bei den Bischöfen, auf deren Zweidrittel-Zustimmung der Synodale Weg am Ende angewiesen ist.
Was der Synodale Weg begonnen hat, ist nicht mehr aufzuhalten.
Aber auch unabhängig davon lässt sich nach dieser 2. Plenarversammlung vermuten: Was der Synodale Weg begonnen hat, ist nicht mehr aufzuhalten. Die Probleme liegen auf dem Tisch. Sie gilt es zu lösen. Vieles, was der Synodale Weg praktisch vorsieht, kann jetzt schon vor Ort umgesetzt werden. Manches bedarf eines weltkirchlichen Entscheidungsformats. Der Synodale Weg kann hier eine Motorfunktion übernehmen. Er muss sich dafür als Forum entschiedener Reformen erweisen, die aus dem katholischen Missbrauchskomplex theologische, geistliche, aber auch strukturelle Konsequenzen ziehen. Damit richtet sich der Blick bereits auf die 3. Plenarversammlung im September 2021 – und führt auf Dauer wohl weiter: auf ein Konzil hin.
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Gregor Maria Hoff ist Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg.
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