Unter dem Titel «Entschlossen vorangehen!» entwirft Eva-Maria Faber eine Vision für einen entschiedenen ökumenischen Aufbruch, der von der Spiritualität des Jesuitenordens geprägt ist. Die Verbindung von konsequenter Ausrichtung auf das Hoffnungsziel mit der Operationalisierung von Handlungsschritten überzeugt und hat über das Thema der Ökumene hinaus theologische, spirituelle und praktische Relevanz für die Reform der Kirche. Daniel Kosch stellt die neue Publikation vor.
In ökumenischen Dialogen und Erklärungen wird der Wille zur Einheit der Christen oft mit einem Vokabular des Überschwangs betont. Fast ebenso oft ertönt die Klage über deren Folgenlosigkeit. Angesichts dieses Befundes plädiert Eva-Maria Faber für Zielorientierung, Entschlossenheit, die Wahl geeigneter Mittel und konkrete Zwischenschritte, kurz: für entschlossenes Vorangehen. Antrieb dafür ist eine Hoffnung auf Einheit, die «mehr von dem [lebt], was kommen wird als von dem, was ist» (45). Weil das in der Zukunft liegende Ziel bereits «wirkkräftig in die Gegenwart hinein[ragt]», ist die resultierende Zielorientierung von der «Gleichzeitigkeit von Unruhe und Gelassenheit» geprägt (45).
Prägnante Schlüsselsätze
Einer der Schlüsselsätze lautet: «Der Geschenkcharakter der Einheit ist kein Argument gegen den Handlungsbedarf in der Gegenwart». Ein weiterer hält fest: «Es scheint an Entschlossenheit zu fehlen, wenn es bei Zielbestimmungen bleibt, während die Implementierung geeigneter, auch struktureller Mittel defizitär bleibt» (30). Ein dritter betont, «in Anbetracht des verpflichtenden Ziels [ist es] nicht rechtfertigungsbedürftig, Schritte zu gehen. Im Gegenteil: rechtfertigungsbedürftig ist es, keine Schritte zu gehen» (47). Alle drei Aussagen bringen zum Ausdruck, dass sich die Publikation «innerhalb einer ganzen Reihe von besorgten und engagierten Wortmeldungen [positioniert], die zu grösserer Dynamik im Vorantreiben der Ökumene mahnen», und «speziell an die römisch-katholische Kirche» die Frage richten, «ob sie die ökumenische Herausforderung mit der nötigen Entschlossenheit angeh[t]» (14).
Unbeirrbare Ausrichtung am Ziel
In der Absicht, Entschlossenheit und Entschiedenheit nicht nur wortreich zu bekräftigen, sondern so zu stärken, dass eine konkrete Veränderungsdynamik resultiert, überträgt Eva-Maria Faber wichtige Aspekte der ignatianischen Exerzitien-Spiritualität auf die Kirchen und ihre ökumenischen Bemühungen. Sie greift dabei das Verständnis der ignatianischen Spiritualität als «modus procedendi» auf und beschreibt sie als «eine am Fortschreiten orientierte Spiritualität» (9), an dessen Beginn das Treffen einer Wahl steht, die sich am Ziel des je eigenen Lebens orientiert. Dieses Ziel und die resultierende Wahl gilt es so stark in der eigenen Existenz zu verankern, dass das Leben eine «unbeirrbare Ausrichtung» erhält. Daraus resultieren «die dezidierte Absicht, dieses Ziel erreichen zu wollen» und «das nüchterne Bewusstsein, zum Erreichen bzw. zur Realisierung dieses Ziels Mittel einsetzen zu müssen» (12). Denn «Ideale bleiben wirkungslos, wenn ihnen nicht geerdete Vorgehensweisen entsprechen» (13).
Bleibend Wichtiges von eigenen Präferenzen unterscheiden
Auf der Wahl basierend, gilt es «Entschlussfähigkeit ein[zu]üben und Entschiedenheit je mehr zu leben» (16), wofür «das konzentrierte Wachrufen und je neue Aktualisieren der Sehnsucht» (19) ebenso wichtig ist wie das «Erschrecken über geschehenes Versagen» und die Bereitschaft zu «reflektierende[r] Selbsterkenntnis» und «innere[r] Bekehrung» (33). Wiederholt weist Eva-Maria Faber dabei auf die Bedeutung des «Im-Ziel-Stehen[s]» hin (41.127 u. ö.). «Die beherzte Wahl der Mittel … basiert auf einer Vorausnahme des Ziels» (41), denn eine «antizipierende Handlungsstrategie nährt die eigene Entschiedenheit und bündelt die Kräfte auf dieses Ziel hin». «Zudem setzt der ignatianische ‘modus procedendi’ darauf, dass die Antizipation der Ziele in der Gegenwart eine bessere Unterscheidungsgabe für die geeigneten Mittel verleiht» (42). Diese Gabe befähigt dazu, «das bleibend Wichtige zu unterscheiden von dem, was um der Einheit willen aufgegeben werden kann», um «in geweiteter Offenheit nach dem göttlichen Willen für die Gemeinschaft und Annäherung der Kirchen zu fragen» (62). Dabei zeigt sich, dass die spezifisch römisch-katholische Präferenz für ein juridisches Kirchenmodell «zurückbuchstabiert werden [muss] in der Einsicht, dass die Überbetonung der institutionellen Verfasstheit der Kirche … zu einem ungesunden Paradigma geworden ist» (62).
Antizipatorische Ökumene
Entsprechend plädiert Eva-Maria Faber für ein «Modell antizipatorischer Ökumene» (107), das einerseits auf der Vorwegnahme des Gesamtziels und anderseits auf bewussten Entscheidungen für Handlungsprinzipien (49ff.), die Wahl der Mittel (83ff.) und für «Zwischenschritte» beruht, die «in Formen vorauseilenden Verbundenseins auf noch nicht Erreichtes vor[greifen], um eine Dynamik auf mehr reales Verbundensein auszulösen» (112).
Diese kritisch reflektierte «Anwendung ignatianischer Prinzipien auf die kirchliche Institution» (24ff) ermöglicht einerseits einen kritischen Blick auf die ökumenischen Bemühungen der römisch-katholischen Kirche: Ist sie wirklich bereit, im Hinblick auf das grosse Ziel der Einheit Dinge loszulassen? Oder ist ihr Handeln übermässig von «Anhänglichkeiten» in Form von Traditionen und Strukturen geprägt, die vom Ziel her gesehen bloss «Mittel» sind, die es zu relativieren gälte? Sind ihre Sehnsucht und ihre Entschlossenheit, sich auf das Ziel auszurichten, «dass alle eins seien», wirklich so stark wie behauptet? Wie kommt es dann, dass die Mittel sich oft als ungenügend erweisen, die Bereitschaft zur Selbst-Infragestellung wenig ausgeprägt, und der kircheninterne Einfluss der Ökumene-Verantwortlichen so gering ist, dass von «entschlossenem Vorangehen» nicht die Rede sein kann?
Anderseits ergibt sich ein neuer Blick auf die «Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre» (114ff.) und die Leuenberger Konkordie (117ff.), die als «Meilensteine der Ökumene mit antizipatorischer Struktur» gewürdigt werden (114). Dass erstere einen Konsens festhält, obwohl längst nicht alle damit zusammenhängenden Probleme gelöst sind, und letztere die Beteiligten zu einer «Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament» verpflichtet, «ohne schon im Vorhinein zu wissen, wohin diese Verpflichtung führt» (118), erscheint im Licht einer «antizipatorischen Ökumene» nicht als Mangel, sondern als Vorgriff auf die ersehnte Einheit, der das Potenzial hat, eine «Dynamik» zu entfalten, «welche das Selbstverständnis der Kirchen verändert» (121).
Zwei weiterführende Überlegungen
1. Die katholische Kirchenreformdebatte krankt daran, dass die Forderungen nach spiritueller Erneuerung und Strukturreformen oft gegeneinander ausgespielt werden, und dass die Betonung der spirituellen Dimension instrumentalisiert wird, um Strukturreformen abzuwerten oder auf ein ungewisses «Danach» zu verschieben. Eva-Maria Faber zeigt überzeugend auf, dass beides unzulässig ist. Denn eine entschiedene spirituelle Ausrichtung am Willen Gottes und die «Entschlossenheit, in Ausrichtung auf das Ziel und auf Teilziele die dafür geeigneten Mittel zu ergreifen» (40) bedingen und bestärken sich gegenseitig.
2. Nicht nur im Bereich der Ökumene ermöglichen das ignatianische «im Ziel stehen» und eine «antizipierende[.] Handlungsstrategie» (42), sich nicht am Vergangenen festzuklammern, sondern vom «Hoffnungsziel [leiten zu lassen], das von Gott gegeben, zu empfangen und jetzt schon gegenwärtig und wirksam ist» (44). Unter diesen Voraussetzungen wären beispielsweise echte Beteiligungsrechte aller Getauften in Vorwegnahme einer synodalen Strukturreform bereits heute möglich, ohne dass alle damit zusammenhängenden amtstheologischen, ekklesiologischen und kirchenrechtlichen Fragen schon geklärt sein müssen.
Zwei kritische Rückfragen
1. Obwohl sich Eva-Maria Faber der Problematik der «Anwendung ignatianischer Prinzipien auf die kirchliche Institution» bewusst ist (24ff.), geht sie nicht konkret auf die Tatsache ein, dass es das Ziel der Einheit der Kirchen (wie alle anderen grossen Ziele) konkret nur in der Form einer Vielzahl unterschiedlichster und ungleichzeitiger Zielvorstellungen der verschiedenen Akteure innerhalb der einzelnen Kirchen (auch der römisch-katholischen!) gibt. Das erschwert sowohl die Wahl und Präzisierung des Ziels, die dem entschlossenen Vorangehen vorausliegen, als auch die Unterscheidung des «bleibend Wichtigem» von dem, «was um der Einheit [oder anderer grosser Ziele] willen aufgegeben werden kann» (57). In diesem Zusammenhang auf die «Postulate[.] einer synodal verfassten Kirche» (99) zu verweisen, ist zwar sachlich richtig, de facto aber wenig hilfreich, sind doch die Vorstellungen von echter Synodalität genauso vielfältig und strittig wie jene von der wahren Einheit.
2. Zumindest hierzulande muss sich das ökumenische Miteinander der Kirchen in einem Umfeld bewähren, in dem sowohl das Ziel der Einheit der Kirchen als auch die konfessionellen Differenzen stark an Bedeutung und Alltagsrelevanz verloren haben. Angesichts einer tiefgreifend veränderten religiösen Situation sowie schwindender Bindungskräfte und Ressourcen der Kirchen haben sowohl die ignatianische als auch die ökumenische Logik einen schweren Stand. Für viele dürfte die ökonomische Logik eines vielfältigen Angebotes von einander gleichzeitig ergänzenden und konkurrenzierenden Akteuren auf dem religiös-spirituellen Markt weitaus plausibler sein. Das führt gerade im Hinblick auf zu Recht geforderte konkrete Verfahrensschritte zur Frage, wie sich der ignatianisch inspirierte Zugang mit den religionssoziologischen Befunden und den resultierenden existenziellen Herausforderungen für die Kirchen vermitteln lässt. Möglicherweise gehört zum «entschlossenen Vorangehen» in dieser unübersichtlichen Situation des Umbruchs das Eingeständnis, dass es gilt, von vermeintlichen Gewissheiten weg- und entschieden auf Kirchengestalten zuzugehen, die mehr Fragen haben, als dass sie über Antworten verfügen.
Eva-Maria Faber, Entschlossen vorangehen! Ignatianische Spiritualität als Stachel für die ökumenische Praxis, Aschendorff Verlag: Münster 2023, 144 Seiten.
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Daniel Kosch, Dr. theol., leitete von 1992-2001 die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und war von 2001-2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) . Von 2020 bis 2023 nahm er als Beobachter aus der Schweiz am Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland teil. 2023 publizierte er ein Buch zum Thema «Synodal und demokratisch. Katholische Kirchenreform in schweizerischen Kirchenstrukturen» (Edition Exodus).