Die katholische Kirche in der Schweiz sucht ihren Weg zu «Mehr Synodalität». Die Erfahrungen des weltweiten Synodalen Prozesses geben dazu wichtige Anstösse. Auch der «Synodale Weg» in Deutschland ist für die Schweiz ein Lernfeld. Arnd Bünker berichtet vom Such- und Lernweg synodaler Kirchenentwicklung in der Schweiz. Ein Plädoyer für «wiederholt enttäuschungsfestes Vorschussvertrauen».
Synodalität? Ein gespaltenes Echo …
… fand der von Papst Franziskus angestossene weltweite Synodale Prozess in der Schweiz. Zum einen gibt es den zeitlichen Zusammenfall mit dem 50. Jubiläumsjahr der «Synode 72», dem Schweizer Pendant zu «Würzburger Synode» (Bundesrepublik) oder «Pastoralsynode» (DDR). In der Schweiz gab es im Blick auf dieses Datum von reformorientierter Seite Bemühungen, das Synodenthema wieder zu aktivieren. Dieser Anstoss zu Synodalität fand jedoch kein breites Echo. Kritisch stand die Frage im Raum, wie der Spagat zwischen dem historischen Ereignis der Synode 72 mit ihrem damals ungebrochenen Modernisierungsoptimismus zur heutigen Kirchensituation, in der um grundlegende Orientierung gerungen wird, gelingen könnte.
Anders als 1972 stellt sich die heutige Kirchenlandschaft weder geschlossen noch stark dar.
Seit den 1980er Jahren jedenfalls zeigt sich eine zunehmende Zersplitterung innerhalb des Katholizismus.
In der Schweiz kommt neben den theologischen oder kirchenpolitischen «Richtungen» eine hohe postmigrantische kirchenkulturelle Vielfalt als Folge katholischer Einwanderung hinzu. Noch stärker fallen die Erosions- und Diffusionsprozesse durch die Dynamiken von Säkularisierung und Individualisierung ins Gewicht.
Vor diesem Hintergrund gab es neben Zustimmung zum Synodalitätsanstoss von Papst Franziskus auch viel Skepsis, sei es, weil man aus konservativer Sicht das Anliegen und bereits die Notwendigkeit der Synodalität bestritt, sei es, weil man die Zeit nicht für reif hielt. Schliesslich gab und gibt es auch den Faktor Angst vor Frustration angesichts der Befürchtung von nicht realisierbaren Synodenbeschlüssen.
Die breiteste Reaktion auf das Synodalitätsanliegen findet sich jedoch in überhaupt fehlender Kenntnisnahme.
Hier zeichnet sich ab, wie weit die Distanzierung vieler Menschen von der Kirche und wie gross die kulturelle Entfremdung der Kirche gegenüber den «Menschen von heute» ist.
Dennoch …
… hat sich die katholische Kirche in der Schweiz entschlossen, einen eigenen Prozess synodaler Erneuerung anzustossen. Die Willensbildung dazu ist über mehrere Jahre gewachsen – ganz ähnlich wie der Lern- und Verstehensprozess in Sachen Synodalität auf weltkirchlicher Ebene. Dass hier das Verfahren und der Prozess immer wieder vertieft und verlängert wurden, zeigt: Kirche lernt Synodalität Schritt für Schritt.
Gerade die Gründe, die zunächst als Schwierigkeiten für Synodalität ins Feld geführt wurden, werden nun zu Gründen für «mehr Synodalität»: Reformen sind nötig, auch wenn die Richtung noch offen scheinen mag. Gleiches gilt für eine Kultur des Dialogs über den Auftrag der Kirche, über Zugehörigkeiten und katholische Identitäten. Nicht zuletzt wird Synodalität als Schlüssel zur Lösung des tiefgreifenden Leitungsproblems der katholischen Kirche gesehen. Schliesslich ist das synodale Vorgehen mit der Hoffnung verknüpft, eine neue Sprachfähigkeit des Evangeliums angesichts der Fragen und Krisen der heutigen Zeit zu gewinnen. Sowohl die Krisen der inneren Verfassung der Kirche, zu denen auch die Fragen zum Machtmissbrauch gehören, als auch die zunehmende gesellschaftliche und kulturelle Bedeutungslosigkeit der Kirche zeigen:
Am Anfang …
… erst befindet sich dieser synodale Erneuerungsprozess der Kirche – auch in der Schweiz. Das «Umlernen» hin zu einer neuen Kultur des Miteinanders, der Verschiedenheit, des Zuhörens … ist anspruchsvoll und braucht Zeit. Viel Zeit. Es geht um ein Generationenprojekt oder es gelingt nie.
Zu dieser Anfangssituation gehört auch die Einsicht, den Weg nicht abschätzen zu können. Synodalität ist kaum planbar. Der Weg selbst muss entdeckt und erprobt werden. Routinen gibt es noch nicht. Fehler und Umwege gehören dazu. Das erfährt auch die katholische Kirche in der Schweiz. Ein erster Anlauf zu «Synodalen Strukturen auf Ebene Gesamtschweiz» scheiterte jedenfalls krachend – nicht durch Beschluss von oben, sondern durch einhellige Kritik unterschiedlicher kirchlicher Gruppen aus der ganzen Schweiz. Die Botschaft hiess:
Nichts in neue Strukturen giessen, was nicht schon wirklich von allen verstanden, akzeptiert und breit mitgetragen wird.
Dieser Umweg war wichtig. Er war Voraussetzung für einen ganz neuen Ansatz mit synodalerer Qualität: Zustimmung fand schliesslich eine «Synodale Erprobungsphase» von bis zu fünf Jahren. In diesem Zeitraum soll auf nationaler Ebene erprobt und reflektiert werden, wie Synodalität gelingen kann. Es geht um die Erprobung konkreter Formen und Verfahren synodalen Kirche-Seins. Im Austausch mit diözesanen und weiteren Erfahrungen soll ein gemeinsames Verstehen und Erlernen von Synodalität erreicht werden. Dann erst lässt sich definieren, in welcher strukturellen Anlage sich das Gelingende, Akzeptierte und Mitgetragene auch auf Dauer stellen lässt. Und auch dann wird es um Strukturen vorläufiger Reichweite gehen, für die kommende Veränderungen erwartet werden dürfen.
Wiederholt enttäuschungsfestes Vorschussvertrauen …
… ist gerade am Anfang eines solchen synodalen Gehversuchs unverzichtbar. Enttäuschungen sind programmiert. Ebenso Frustration bei denen, die kurzfristigen Wandel ersehnen. Andere müssen sich von restaurativen Kirchenbildern und einem dementsprechenden Verständnis kirchlicher Lehre verabschieden. All dies braucht Zeit, viel Zeit. Und es braucht wiederholt enttäuschungsfestes Vorschussvertrauen, viel davon. Dies gilt für alle am synodalen Prozess Beteiligten. Schliesslich dürfte das Vertrauen in die, mit denen gemeinsam synodale Kirche erprobt wird, auch ein Schlüssel für weiteres Vertrauen sein.
Der Wiederaufbau von Vertrauen bei distanzierten Kirchenmitgliedern wie in der Gesellschaft setzt schliesslich das interne Vertrauen derer voraus, die sich – in aller Vielfalt – gemeinsam als Kirche zu verstehen wagen.
Die Rede von Vertrauen erfolgt nicht leichtfertig. Vertrauen ist nicht billig zu haben und nicht leicht zu schenken. Gewonnen werden kann es nur schrittweise und auf halbwegs kontrollierbare Sicht. Das zu erkennen, hilft die mit dem «Synodalen Weg» in Deutschland vorliegende grosse Lernerfahrung. Wer die Debatten an den synodalen Versammlungen und in den Medien beobachtet, sieht permanente Belastungsproben synodalen Vertrauens.
Dass man auf dem «Synodalen Weg» überhaupt so weit gekommen ist und weiter gehen will, ist denen zu verdanken, die sich immer wieder und wohl oft genug mit letzter Kraft entschieden haben, den gemeinsam begonnenen Prozess miteinander fortzusetzen.
Für sie heisst es immer neu: dennoch erneut Vertrauen wagen: in die beteiligten Menschen, in den Prozess, in das Gespräch, das Zuhören, das Aushalten von Enttäuschungen, Spannungen und Machtspielen, in Empathie für die Frustrierten und in anhaltende Offenheit für neue gangbare Wege. Ohne solches wiederholt enttäuschungsfestes Vorschussvertrauen gelingt heute kein synodaler Anfang und später keine synodale Katholizität als Stil der Kirche im dritten Jahrtausend.
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Arnd Bünker, Dr. theol., ist Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts SPI und Sekretär der Pastoralkommission der Schweizer Bischofskonferenz. In dieser Funktion unterstützt er die AG Synodalität bei der Vorbereitung der Synodalen Erprobungsphase in der Schweiz.
Titelbild: Jason Goh auf Pixabay
Foto Arnd Bünker: Ana Kontoulis, Rechte: SPI