Die Debatte um die „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“ wirft zahlreiche Fragen auf – unter anderem auch die nach ihrer diskurspolitischen Zielrichtung. Angesichts dessen plädiert Christian Bauer für die Verortung katholischer Theologie an staatlichen Universitäten – inklusive der Priesterausbildung.
Die Präsenz römisch-katholischer Theologie an staatlichen Fakultäten gerät zunehmend unter Druck – und zwar von beiden Seiten ihrer doppelten Systemzugehörigkeit her: von der universitären wie auch von der kirchlichen. Manchen im Universitätssystem scheint sie zu wenig säkular, manchen im Kirchensystem zu wenig religiös zu sein. Wie so oft, hilft auch hier vielleicht ein entkrampfender Blick in die Geschichte weiter.
Universitär verortete Theologie hatte im Mittelalter nämlich damit begonnen, dass der christliche Gottesdiskurs aus dem Schatten der Domschulen heraus in den offenen Debattenraum der neu entstehenden Universitäten getreten war – meisterhaft beschrieben in Frank Rexroths Buch Fröhliche Scholastik: Stadtluft macht eben auch Theolog:innen frei. Die mittelalterliche Scholastik wurde zum neuen Grundformat einer disputativ verfassten und differenziert argumentierenden Theologie als Wissenschaft – bis hin zur thomasischen Diskursspur einer Anerkennung der „gerechten Autonomie“ (GS 36) irdischer Wirklichkeiten[i]. Wohl nicht zuletzt deshalb musste sich bereits kein geringerer als Thomas von Aquin dafür verteidigen, dass er als universitär verorteter Theologe in einem „säkularen Kollegium“[ii] lehrt.
1. Orientierung: Zweites Vatikanum als Ressource
Vom Zweiten Vatikanischen Konzil aus betrachtet, sind Studium und Lehre von Theologie an staatlichen Universitäten nicht primär eine Frage von Optatam totius, dem Dekret über die Priesterausbildung, sondern von Gaudium et spes, der pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute – denn es geht dabei ja nicht nur um technische Verbesserungen des innerkirchlichen Lehrbetriebs, sondern vor allem um die intellektuelle Präsenz der Kirche in der Welt ihrer Zeit. Universitäre Theologie realisiert daher in exemplarischer Weise die Pastoralformel des Zweiten Vatikanums: „Kirche in der Welt von heute“ – akademisch gewendet, heißt das dann eben auch: Theologie an staatlichen Fakultäten. Dabei geht es um eine gegenwartspräsente Theologie der Welt aus dem Geist des Konzils, die sich dem universitären Diskurs ohne Berührungsängste stellt.
Tribalisierung einer binnenkirchlich introvertierten Theologie
Eine weltabgewandte Theologie jedoch, die sich in einer Art epistemischem Klerikalismus in die kirchlichen Sonderwelten einer vermeintlichen Societas perfecta zurückzieht[iii], verrät nicht nur den Geist, sondern auch den Buchstaben des Konzils. Stattdessen wäre in epistemischer Synodalität eine reichgottesfrohe und daher prinzipiell weltfreudige Theologie der Societas Jesu zu kultivieren, die sich in synodaler Weggemeinschaft („syn-odos“) mit anderen Wissenschaften inmitten universitärer Diskurse verortet. An dieser Frage entscheidet sich nicht nur der Wissenschaftscharakter einer intellektuell satisfaktionsfähigen Theologie[iv], sondern auch der Weltbezug einer pastoral gesellschaftsrelevanten Kirche.
Gegen die epistemische Tribalisierung einer binnenkirchlich introvertierten Theologie hilft nur eines: Heraus aus den milieubegrenzten Filterblasen und Echokammern der eigenen „Ekklesiosphäre“[v], hinein in den offenen Universitätsdiskurs einer säkular verfassten Gesellschaft. Mit intellektueller Leidenschaft und einer grundsätzlichen Lernvermutung. Das geistliche Schlüsselwort dafür heißt ‚Präsenz’ (ein GS-Textenwurf trug den Titel „De praesentia Ecclesiae in mundo hodierno“) – und somit im Geiste des kürzlich heilig gesprochenen Charles de Foucauld („Présence au monde“) auch: Verzicht auf theologische Suprematieansprüche[vi], kirchliche Rückzugstendenzen oder missionarische Rekrutierungsgelüste.
2. Ortstermin: Poststrukturalismus im Rokokosaal
Ein spätmodern-theoretischer Blick auf die Stuckdecke im Sitzungssaal der Innsbrucker Theologischen Fakultät fördert in diesem Zusammenhang überraschend Weiterführendes (bzw. zumindest so Lesbares) zutage: Poststrukturalismus im Rokokosaal. Denn im Zentrum des dort abgebildeten Wissensuniversums thront ein Buch mit sieben Siegeln: die verschlossene Wahrheit der Welt, bewacht vom apokalyptischen Lamm – dem Symbol existenzieller Verletzbarkeit. Rund um diese eschatologisch offengehaltene Mitte kreisen die verschiedenen Wissenschaften: Rechtswissenschaft, Medizin, Naturwissenschaft. Die Theologie ist eine von ihnen, sie umkreist wie alle anderen Wissenschaften in äquidistantem Anstand die im Letzten auch ihr entzogene Mitte der Wahrheit. Eine epistemische Gesamtkonstellation, die nicht nur eine notwendige Depotenzierung des eigenen diskursiven Geltungsanspruchs ins Bild bringt, sondern auch eine entschlossene fremddiskursive Selbstrelativierung von Theologie erfordert.
Alteritär, nicht identitär: Nicht ohne die Anderen
Ihr Verhältnis zu den anderen Wissenschaften lässt sich nämlich nicht binnentheologisch identitär, sondern nur außenorientiert alteritär bestimmen – von den Loci theologici alieni her, die eine eigene Autorität im theologischen Gottesdiskurs darstellen[viii]. Mit einer prägnanten Kurzformel Michel de Certeaus gesprochen: Nicht ohne die Anderen[ix]. Die doppelte Verneinung dieses ‚Nicht ohne’ bedingt und ermöglicht eine inkarnatorische In-Grammatik: Gott im säkularen Raum, Kirche in der Welt von heute, Theologie in staatlichen Universitäten.
Universitäre Theologie könnte sich dabei als ein „kulturelles Laboratorium“[x] des Evangeliums inmitten der Welt erweisen – und davon würde dann nicht zuletzt auch die Priesterausbildung[vii] profitieren. Gerade für römisch-katholische Priesteramtskandidaten wäre es ein immenser Gewinn, zusammen mit anderen, häufig anders- oder gar-nicht-gläubigen jungen Menschen an einer staatlichen Universität zu studieren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem:
- deren bekenntnisbezogene Säkularität[xi], die ein hervorragendes wissenschaftliches Übungsfeld für die multiple secularities unserer Gesellschaft darstellt;
- ihre multidimensionale Intellektualität im Sinne der universitär zu erlernenden „Fähigkeit, die Wirklichkeit gleichzeitig aus mehr als einer Perspektiven zu sehen“[xii]
- und schließlich ihre fächerübergreifende Pluralität im Sinne einer ebenso irreduziblen wie inkommensurablen Vielfalt unterschiedlicher diskursiver Weltzugänge.
Säkularität, Intellektualität und Pluralität – eine zukunftsfähige, sich inmitten der Welt von heute verortende Kirche (bzw. ihre angehenden Priester) kommt ohne diese universitären Lernfelder nicht aus.
3. Ausblick: Aus dem langen 19. Jahrhundert in die Zukunft
Die „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“ wurde verschiedentlich als ein „Heiligenkreuz am Rhein“ bezeichnet – mein aktueller universitärer Kontext steht dazu in diametralem Gegensatz: Hier die städtisch verortete, jesuitisch geprägte und an Papst Franziskus orientierte Universitätsfakultät Innsbruck – dort die ländlich verortete, zisterziensisch geprägte und an Papst Benedikt orientierte Kirchliche Hochschule Heiligenkreuz – inklusive ihrer klerikalistisch-binnenzentrierten Form der Priesterausbildung: „Priester bilden Priester aus“[xiii].
Dass die Frage einer universitären Selbstverortung der Theologie (und damit auch der Priesterausbildung) im Laufe der Geschichte immer wieder umstritten war, zeigt nicht nur das eingangs genannte Beispiel des Hl. Thomas von Aquin, sondern auch die noch immer diskursformierenden Konflikte um die theologische Priesterausbildung im Nachgang des Trienter Konzils. So betrachtet, befinden wir uns noch immer im – auch in kirchlicher Hinsicht – „langen 19. Jahrhundert“[xiv].
Neuerfindung des Tridentinums
Von mentalitätsgeschichtlich exemplarischer Bedeutung für das – mancherorts explizit universitätsfeindlich ausgerichtete – nachtridentinische Klerikalseminar[xv], wie man es im 19. Jahrhundert im Rahmen einer entsprechenden ‚Neuerfindung’[xvi] des Tridentinums konzipierte, war Kardinal Karl August Graf von Reisach (1800-1867). Dieser hatte am römischen Germanicum studiert und wurde als erster Germaniker ultramontanen Stils 1836 Bischof von Eichstätt, 1846 Erzbischof von München und Freising und schließlich 1855 Kurienkardinal in Rom. Vor seiner Bischofsweihe hatte er das dortige Collegio Urbano geleitet:
„Dieses Modell übertrug Reisach ohne Abstriche auf die bayrischen Verhältnisse […]. Für ihn verband sich damit auch die Abschüttelung des Staates aus der Priesterausbildung und die Befreiung von der […] Kritiksucht der theologischen Universitätsprofessoren. […] Unter tridentinischem Seminar verstand Reisach eine ausschließlich kirchliche Anstalt mit eigenem Schulwesen. […] Das Seminar als ‚totale Institution’ war geboren. Mit der Vorstellung des Konzils von Trient hatte es nicht mehr viel gemein, eher entsprach es der Gettomentalität des 19. Jahrhunderts.“[xvii]
Universität als ko-kreativer Freiheitsraum
Priesterausbildung gewinnt Entscheidendes, wenn sie sich in einem offenen universitären Kontext verortet und nicht in ein Getto von kircheneigenen, in ihrer theologischen Grundorientierung kaum diskursfähigen Hochschulen[xviii] zurückzieht und die Priesterausbildung somit gesellschaftlich „dekontextualisiert“[xix]. Entsprechende „epistemopolitische“[xx] Machtfragen stellen sich nicht nur innerhalb der Kirche, sie rufen inzwischen auch staatliche Akteur:innen auf den Plan[xxi] – es ist ein schönes Zeichen, wenn universitär verortete und spätmodern-weltoffen ausgerichtete Theologie noch immer eine solche öffentliche Reputation besitzt. Davon kann auch die Ausbildung zukünftiger kirchlicher Funktionseliten nur profitieren. Denn nicht nur für die Theologie selbst, sondern auch für sie gilt:
„Es gibt sie nicht für sich, sondern um Probleme zu lösen, die ohne sie schwerer lösbar wären. Aber wenn die Theologie nicht neugierig ist auf die […] anstehenden Abenteuer der Ideen, wird sie schal und leer. Wenn sie aber gut ist, geht sie an die Grenzen des Üblichen, wenn sie hervorragend ist, lässt sie diese sogar hinter sich.“[xxii]
Ich selbst habe die staatliche Universität immer wieder als einen gesellschaftlich relevanten, intellektuell anregenden und diskursiv ko-kreativen Raum des Wissens erlebt, dessen sich wechselseitig intensivierende Freiheiten die Bedingung der Möglichkeit einer weltpräsenten und daher auch spätmodern zukunftsfähigen Rede von Gott bilden. Auf diese Weise kann sie – inner- wie außerkirchlich – nicht nur intellektuell Sinn machen, sondern auch existenziell Bedeutung gewinnen.
Theologie braucht universitäre Orte inmitten der Gesellschaft.
Prof. Dr. Christian Bauer ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Innsbruck und Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.net.
Bildquellen: Pixabay, Ch. Bauer.
[i] Vgl. Christian Bauer: Ortswechsel der Theologie. M.-Dominique Chenu im Kontext seiner Programmschrift Une école de théologie: Le Saulchoir (2 Bde.), Münster 2010, 633-663.
[ii] Vgl. Thomas von Aquin, Contra impugnantes, p. 2, c. 2 („Utrum religiosus possit esse de collegio saecularium licite“).
[iii] Vgl. Hans-Joachim Sander: Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute. Gaudium et spes, in: Peter Hünermann/Bernd Jochen Hilberath (Hg.): Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil (Bd. 4), Freiburg/Br. u. a.
2005, 581–886, 601.
[iv] Vgl. Rainer Bucher: Katholische Intellektualität. Ein Versuch, in: Wort und Antwort (2005), 158-164.
[v] Émile Poulat: L’église, c’est un monde. L’ecclésiosphère, Paris 1986.
[vi] Anders optiert John Milbank, der in seinem Buch Theology and Social Theory nichttheologischen Diskursen gegenüber eine prinzipielle Suprematie der Theologie vertritt: „Das Folgende ist darauf gerichtet, die […] Möglichkeit der Theologie als einem Metadiskurs in postmodernen Begriffen wiederherzustellen. Das Leiden der modernen Theologie besteht in ihrer falschen Bescheidenheit. Für die Theologie ist das eine tödliche Krankheit. Denn wenn sie ihren Anspruch, ein Metadiskurs zu sein, aufgibt, dann kann sie nicht mehr das Wort Gottes […] artikulieren. Dann ist sie dazu verdammt, das Sprachrohr eines endlichen Götzen wie der historischen Gelehrsamkeit, der humanistischen Psychologie oder einer transzendentalen Philosophie zu werden.“ (John Milbank: Theology and Social Theory. Beyond Secular Reason, Oxford 1990, 1; Übersetzung: ChB).
[vii] Dazu insgesamt Christian Bauer: Umkehr in der Priesterausbildung? Vom klerikalem Schutzhaus zum synodalen Exposureweg, in: Valentin Dessoy, Peter Klasvogt, Julia Knop (Hg.): Riskierte Berufung – überforderter Job.
Priestersein in Zeiten der Krise, Freiburg/Br. 2022, 339-359.
[viii] Vgl. Hans-Joachim Sander: Das Außen des Glaubens – eine Autorität der Theologie. Das Differenzprinzip in den Loci theologici des Melchior Cano, in: Ders./Hildegund Keul (Hg.): Das Volk Gottes – ein Ort der Befreiung [FS Elmar Klinger], Würzburg 1998, 240–258.
[ix] Vgl. Michael Schüßler: Nicht ohne die Anderen! Widerständiges zur identitären Umformung des Christentums, in: Lebendige Seelsorge (2018), 392-399.
[x] Papst Franziskus, Veritatis gaudium, Nr. 3. Dazu: https://www.feinschwarz.net/theologie-kulturelles-laboratorium/. Siehe auch die zukunftsweisenden Anregungen in Georg Essen: Kahlschlag mit Ansage? Zur Zukunft der katholisch-theologischen Fakultätenlandschaft, in: Herder Korrespondenz (2/2021), 30-34.
[xi] Christian Bauer: „Ich bin nicht religiös, ich bin normal“. Säkularität spätmoderner Lebensformen als pastorale Chance, in: Walter Krieger (Hg): Freiheit*Glück*Leben. Säkularität und pastorales Handeln, Wien 2019, 77-135.
[xii] Rainer Bucher: Katholische Intellektualität. Ein Versuch, in: Wort und Antwort (2005), 158–164, 160.
[xiii] https://www.katholisch.de/artikel/28855-heiligenkreuz-rektor-fuer-priesterausbildung-an-kirchlichen-instituten (Zugriff: 4.10.2021).
[xiv] Eric Hobsbawm: Das lange 19. Jahrhundert (3 Bde.), Darmstadt 2022 [Neuausgabe].
[xv] Vgl. Erich Garhammer: Die Priesterausbildung – ein Zwischenruf! Warum völlig neue Wege notwendig sind (auf: http://www.theologie-und-kirche.de/garhammer-enthistorisierung.pdf, Zugriff: 4.10.2021) sowie zum weiteren seminargeschichtlichen Kontext Klaus Unterburger: Gefährliche Operation. Was mit den katholisch-theologischen Fakultäten auf dem Spiel steht, Herder Korrespondenz (6/2021), 42-45.
[xvi] Vgl. Hubert Wolf: Der Unfehlbare. Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert, München 2020, 122-127.
[xvii] Erich Garhammer: Priesterbildung zwischen Seminar und Universität. Strukturelle Probleme und mentale Reserven, in: Ders. (Hg.): Unnütze Knechte? Priesterbild und Priesterbildung, Regensburg 1989, 24-52, 39f.
[xviii] Diese Grundorientierung markiert einen wichtigen Unterschied zu theologisch ungleich offeneren Kirchlichen Hochschulen wie z. B. St. Georgen in Frankfurt/M.
[xix] Konferenz der österreichischen Pastoraltheolog:innen: Es steht viel auf dem Spiel. Zur Zukunft der Theologie, auf: https://www.feinschwarz.net/zur-zukunft-der-theologie/ (= federführend von Rainer Bucher verfasstes Diskussionspapier; Zugriff: 14. 9. 2022).
[xx] Judith Gruber: Wider die Entinnerung. Zur postkolonialen Kritik hegemonialer Wissenspolitiken in der Theologie, in: Andreas Nehring/Simon Wiesgickl (Hg.): Postkoloniale Theologien II. Perspektiven aus dem deutschsprachigen Raum, Stuttgart 2017, 23-37, 27.
[xxi] Vgl. expl. https://www.domradio.de/artikel/nrw-regierung-stellt-sich-hinter-universitaet-bonn (Zugriff: 14. 9. 2022).
[xxii] Konferenz der österreichischen Pastoraltheolog:innen: Es steht viel auf dem Spiel. Zur Zukunft der Theologie, auf: https://www.feinschwarz.net/zur-zukunft-der-theologie/ (Zugriff: 14. 9. 2022).