Vom 1.-6. August 2023 fand der 37. Weltjugendtag (WJT) statt. Helena Schmidt, BDKJ-Diözesanseelsorgerin im Erzbistum Paderborn, war dabei und analysiert Aspekte wie die Gottesbilder und die Bildsprache mancher Gottesdienste.
Der WJT gilt als frommes Event für „hochkatholische“ Jugendliche und junge Erwachsene. Die Realität ist deutlich vielfältiger und diskussionsfreudiger als dieses Klischee. Neben unterschiedlichen prägenden Wahrnehmungen diversen Gottesdienstformaten, Gesprächsangeboten und kulturellen Highlights ist der WJT ein großes Event mit Shows, Festivals und Partys. Auf dem WJT werden die verhärteten Fronten sowie die Vielfalt in allen Facetten sichtbar. Oft hängt es an den Menschen und ihren persönlichen Prägungen, Entwicklungen und an den gelernten und reflektierten Gottesbildern.
Die Realität ist deutlich vielfältiger und diskussionsfreudiger als die Klischees
Mit zwei jungen Erwachsenen aus dem Erzbistum Paderborn bin ich ins Gespräch gekommen. Die beiden sind sich einig, dass sie in Deutschland selten einen Gottesdienst besuchen. Zu weit weg sind die Begriffe, die Bilder und die Auslegungen von ihrer Realität und ihrem Alltag. Doch beide nahmen wahr: „Hier sind junge Menschen, gute Musik und es gab ein moderneres Vokabular in der Liturgie.“ Leider gab es auch die negativen Erfahrungen: Regenbogenflaggen werden zerrissen, in Frage gestellt und beschimpft. Bei genauerem Hinhören liegt hier ein strafendes Gottesbild zu Grunde.
Wie entwickelt sich Religiosität und ein persönliches Gottesbild?
Die Religionsentwicklung ist ähnlich zur allgemeinen Entwicklung des Menschen. Sie hängt immer von Rahmenbedingungen und unterschiedlichen Faktoren ab und ist kein kontinuierlicher Prozess, sondern von inneren Verarbeitungen sowie emotional-affektiven und handlungsorientierten Prozessen abhängig. Religion kann als Gabe für Orientierung und Sinnsuche im Leben agieren. In der Kindheit wird die Religion überwiegend durch das Übernehmen religiöser Elemente der Umwelt erlernt und hängt eng mit der erlebten Bindung in dieser Kindheit zusammen, denn religiöse Entwicklung ist bedingt durch die frühen emotionalen, sozialen und kognitiven Erfahrungen. Religiöse Gruppenerlebnisse werden zuerst emotional abgespeichert und führen später mit religiösem Vokabular zur Sprachfähigkeit. Dabei spielt der Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit eine große Rolle.
Es fällt auf, dass durch die klaren Regeln, Rituale und Gebetsformen Sicherheit gegeben wird.
Auf dem WJT sind viele junge Menschen, die eine starke Frömmigkeit leben. Es fällt auf, dass durch die klaren Regeln, Rituale und Gebetsformen eine Sicherheit gegeben wird und sich von liberaleren Formen abgegrenzt werden kann. Bei den Austauschformaten und Veranstaltungen, die die Zukunft der Kirche kritisch diskutierten, sowie die eigenen Gottesbeziehungen und -bilder analysierten, nahmen Teilnehmer*innen aus liberaleren Kreisen mit mehr Diskussionsfreudigkeit teil. Es war eine große Gesprächsbereitschaft spürbar. Selbstverständlich gibt es unzählige weitere Formen, die hier nicht weiter ausgeführt werden können.
Weltjugendtag als gemeinschaftsstärkend
Der WJT ist in den Menschengruppen eine gruppendynamische Höchstleistung und von Spannungen, Emotionen und Highlights untermauert. Dieses Gemeinschaftsgefühl kann in Gottesdiensten und in den Rise ups, einer Art Katechese, verstärkt und bestätigt werden. Die Gruppendynamik wird durch sinnstiftende und theologische Inhalte weiter vertieft. Gerade in diesen liturgischen Feiern lernen wir unsere Glaubenssprache, reflektieren und entdecken unser Gottesbild.
Reflektieren und Entdecken von biblischen Gottesbildern
Vor allem im Alten Testament finden wir unzählige Metaphern, die Gott beschreiben: Hirte, Vater, Mutter, Richter, König, Tiere und viele Attribute wie Liebe, schenkend etc. Gottesbilder geben dabei Aufschluss auf Gottes Handeln, auf Gottes Tun und Wirken. Ohne diese Bilder ist Gottesrede nicht möglich. Das Neue Testament berichtet, dass Christus Mensch geworden ist. Und er verdeutlicht als Mensch in unzähligen Gleichnisse solche Gottesbilder. Durch diese Bilder entstehen im besten Fall Gottesbeziehungen, welche positive Bilder und Kraftquellen ermöglichen und gleichzeitig besteht je nach Sozialisation die Gefahr von Abhängigkeit im Glauben sowie selbststrafende Gedanken etc.
Vor allem männlich konnotierte Gottesbilder
Im Alten Testament wird eine große Zahl an Metaphern für Gottesbilder verwendet. Im Neuen Testament sind es viel weniger. Es verschiebt sich auch die Akzentuierung auf Jesus Christus, ihm werden viele Gottesbilder direkt zugeschrieben. Damit gibt es eine Neuheit: Jesu Handeln und seine Existenz werden göttlich. Später werden in der Trinitätslehre Vater, Sohn und Geist interpersonal mit männlich konnotierten Bildern als gesetzte Vorstellung des Gottesdiskurses etabliert. Nur der Geist (ruach) ist mit weiblichem Genus übersetzt und kann mit typisch weiblichen Lebenserfahrungen verknüpft werden. In der kirchlichen Tradition fehlt dann jedoch das weibliche Profil in der Liturgie. Die Gottesmutter Maria steht in der Volksfrömmigkeit zwar zur Verfügung, jedoch ist sie nicht mit Gott identisch.
WeltJUGENDtag oder Klerikertreffen?
In den Eucharistie-Feiern wurde ein solches männliches Bild durch die hohe priesterliche Präsenz weiter verstärkt. Die Herangehensweise der Liturgie, teils in kleinen Gottesdiensten mit 80 Teilnehmer*innen diese durch 10 Konzelebrationen zu stützen, lässt wenig Platz für Lai*innen und vor allem die Zielgruppe – Jugendliche und junge Erwachsene. Dies ist in den Großveranstaltungen noch zusätzlich fokussiert worden, da die Priester und Bischöfe in den ersten Reihen auf Stühlen eine Sonderposition erhielten, um konzelebrieren zu können. Leider ist das Verständnis von jungen Menschen für 10.000 Priester in den ersten Reihen nicht besonders groß. Sollen die jungen Menschen nicht im Vordergrund stehen?
Paradox werden die Wahrnehmungen dann, wenn in einer Gastdiözese in Porto beim Abschlussevent über den Abbau von Klerikalismus gepredigt wird, und dieser gleichzeitig durch die Sonderrollen der Priester, Bischöfe und Ordensleute verstärkt wird.
Erfahrungen mit Metaphern beschreiben
Im vierten Jahrhundert wurde der verbindliche Kanon der Heiligen Schrift beschlossen. Dadurch gibt es einen geltenden Maßstab für die Sprache in der Liturgie und der Verkündigung. „In den gottesdienstlichen Ritualen wird Gott als ‚Vater‘ und ‚Herr‘ angerufen, weitere Gottesbilder in der Schrift sind verschwunden. Ikonographisch gibt es meist Darstellungen als ‚König‘, ‚bärtigen Mann‘ oder als ‚Hirte‘, in mystischen Visionen als ‚Mutter‘ oder ‚Freundin‘ geschaut und in der Katechese als ‚strafender Richter‘ oder als liebender Gott im Sinne eines ‚barmherzigen Vater‘ oder ‚guten Hirten‘ verkündigt. Es in der kirchlichen Tradition also zu jeder Zeit möglich, auf weiblich und männlich konnotierte Metaphern und Eigenschaften zurückzugreifen, wenn es darum geht, Erfahrungen mit Gott zu beschreiben oder von Gott zu sprechen.“[1]
Wie können diese Bilder vielfältiger werden?
In unserer Pilger*innengruppe haben wir gelegentlich Texte aus der Bibel in gerechter Sprache angeboten, um das eigene Gottesbild zu entdecken und den Glauben weiter vertiefen zu können. Ganz bewusst werden hier neben patriarchalen Bildern weitere Gottesbilder genannt, z. B. Gott als die EWIGE. Gerade ein vielfältigerer Blick mit anknüpfungsfähigeren Bildern in der Schrift, könnte Gottesdienstteilnehmer*innen den Glauben alltagsnäher erfahren und reflektieren lassen. Weniger patriarchale Herrschaftsstrukturen sind jungen Menschen zugänglicher, sodass auch die Liturgie verständlicher würde. Ich sehe in der Entfremdung der Liturgie einen weiteren Grund zur Spaltung zwischen den Christ*innen. Ermöglichen mehr Bilder in der Liturgie und in der Rede von Gott ein Umdenken im Handeln auf dieser Erde und in dieser Kirche? Vielleicht würde mehr Vielfalt zugelassen werden und sogar Menschen mit Regenbogen-Fahnen nicht mehr in Frage gestellt werden bzw. würden beide „Fronten“ mehr Argumentationen zulassen.
Eine Aufgabe in der katholischen Jugendarbeit darf es auch sein, neue Perspektive zu eröffnen, um im Glauben weiterzuentwickeln. Es braucht Ansprechpersonen und Räume, in denen eine Vielfalt von Gottesbildern vorkommen. Dies kann in Gottesdiensten der Fall sein und z. B. auf dem WJT thematisiert und diskutiert werden. Über diversere Bilder und Ansätze kann ein vielfältigeres Denken gefördert werden und hoffentlich können Mauern abgebaut werden. Ein Blick in die facettenreiche Gottesrede in der Bibel hilft.
[1] Riegel, Ulrich (2004): Gott und Gender. Eine empirisch-religionspädagogische Untersuchung nach Geschlechtsvorstellungen in Gotteskonzepten, Münster, S. 32.
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Helena Schmidt, Jg. 1996, BDKJ-Diözesanseelsorgerin im Erzbistum Paderborn, Mitglied der Kolpingjugend, Sozialpädagogin und aktuell im Master Christentum in Kultur und Gesellschaft.
Beitragsbild: Helena Schmidt